Traumwandler

Der Name Microtech Gefell steht für Schallwandler der absoluten Spitzenklasse. Der neuste Traumwandler im Produktportfolio nennt sich M 1030 und wird seiner vornehmen Herkunft vollauf gerecht.   

Von Harald Wittig

Wer sich ernsthaft mit Aufnahmetechnik befasst, erwirbt im Laufe seiner Tätigkeit – ganz gleich ob als Amateur oder als Profi – auch ein fundiertes Wissen über Mikrofone in Theorie und Praxis. Immerhin sind die Schallwandler das, was für den Fotografen die Objektive sind: Unerlässliche Werkzeuge beim Schaffensprozess auf dem Weg zum Kunstwerk und für optimale Ergebnisse ist das Beste gerade gut genug. Deswegen schnalzt jeder Tonschaffende anerkennend mit der Zunge, wenn Mikrofone von Microtech Gefell (MTG] Erwähnung finden, denn die Schallwandler aus dem thüringischen Städtchen Gefell sind Meisterwerke des Mikrofonbaus und gehören zu den Besten der Welt.

Nicht umsonst ist das ultrakompakte Großmembran-Kondensatormikrofon M 930 bei Professional audio Großmembran-Referenz: Als perfekt verarbeitetes Transistormikrofon besticht es durch praktische Rauschfreiheit, hervorragende Auflösung und eine überragende Signaltreue, sprich Neutralität, die den Gipfel des technisch Machbaren darstellt.  Dieses Mikrofon ist und bleibt über jeden Zweifel erhaben und hat einen festen Platz in der  reichhaltigen Angebotspalette von Microtech Gefell. Seit kurzem hat das M 930 ein Geschwister, das M 1030, das sich heute dem Test stellt. Beim neuen Mikrofon findet ebenfalls die 930er-Kapsel Verwendung, ansonsten unterscheidet es sich aber von dem modernen Klassiker deutlich – aber dazu später ausführlich. Mit einem Listenpreis von rund 1.700 Euro ist das neue Großmembran-Mikrofon aus Gefell vergleichsweise teuer, allerdings, das sei schon vorweggenommen, auch jeden Cent wert. Im Übrigen wird das M 1030 komplett in Deutschland bei MTG und, entsprechend den hohen Qualitätsansprüchen der Gefeller, mit engsten Toleranzen gefertigt. Dass sich das alles zusammengenommen zwangsläufig auch auf den Endverbraucherpreis auswirken muss, ist einleuchtend.

Gehen wir in Medias Res und betrachten des M 1030 genauer: Der aufmerksame Leser hat selbstverständlich sofort bemerkt, dass das M 1030 ein großes Mikrofon ist und rein äußerlich genau dem entspricht, was sich nicht nur der Unerfahrene unter einer Großmembran vorstellt. Bei unserem Besuch bei MTG im Februar 2010 (siehe hierzu die ausführliche Reportage „Spitzenqualität von Weltruf“ in Ausgabe 4/2010) liefen die ersten Testmessungen mit dem zu dieser Zeit noch in der Entwicklung befindlichen M 1030. Wir unterhielten uns seinerzeit mit dem langjährigen Geschäftsführer Jochem Kühnast, der inzwischen im wohlverdienten Ruhestand ist, und Vertriebsleiter Udo Wagner über das neue Mikrofon. Das M 1030 wurde bei MTG als Reaktion auf Kundenwünsche, namentlich aus den USA, die ein wichtiger Absatzmarkt für das Unternehmen sind, entwickelt. In den Vereinigten Staaten hatte das M 930, das mit seinen geringen Gehäuseabmessungen nun mal nicht das gewohnte Großmembran-Erscheinungsbild hat, bei den Anwendern keinen leichten Stand. Denn für die dortigen Toningenieure „muss ein Großmembran-Mikrofon einfach große Gehäuseabmessungen haben“, so Jochem Kühnast im vergangenen Jahr. Dass es nicht damit getan ist, einfach die M 930er-Kapsel in ein großes Gehäuse zu setzen, ist einleuchtend und folglich bedurfte es einer feinfühligen Abstimmung der Kapsel mit verschiedenen mechanischen Detaillösungen. Dabei hat MTG mit dem aktuellen M 1030 auch ein spezielles Klangdesign verwirklicht, denn das neue Mikrofon ist zwar eng mit dem bewährten M 930 verwandt, klingt aber anders. Die Thüringer haben auf unsere Nachfrage „ausgehend vom kleinen M 930 einerseits und vom großen UM 930 andererseits, die besonders für Studioanwender vorteilhaften Eigenschaften beider Mikrofontypen“ im M 1030 vereint.

So verursache der große – übrigens äußerst robuste und tadellos gefertigte – Schutzkorb andere positive Klangeigenschaften, genauso wie das große Gehäuse, das andere Druckstaueigenschaften als das des M 930 hat. Dies werde zusätzlich durch die Feinabstimmung der M 930-Kapsel unterstützt. Erkennbar machen sich alle Faktoren zunächst messtechnisch bemerkbar, konkret beim Frequenzgang: Ausweislich unserer Messung, die wie üblich unter normalen Studiobedingungen und nicht wie bei Mikrofonherstellern üblich im reflektionsarmen Messraum ermittelt ist, weißt der Frequenzgang eine Höhenanhebung oberhalb fünf Kilohertz auf, die im Gipfel, zwischen acht und neun Kilohertz, knapp acht Dezibel beträgt (siehe den auf Seite 26 abgedruckten  Frequenzgangschrieb). Wer sich ein wenig auskennt, weiß, dass diese charakteristischen Hügel beziehungsweise je nach Mikrofon auch mal Berge, ursächlich auf Druckstau vor der Großmembran beruhen. Klanglich kann sich eine solche Höhenpräsenz mehr oder weniger stark bemerkbar machen, bei einigen Mikrofon-Klassikern war sie sogar mitverantwortlich für den von den Anwendern geschätzten Eigenklang. Ansonsten verläuft der Frequenzgang des M 1030 ausgesprochen gleichmäßig und deckt sich, unter Berücksichtigung des Messverfahrens von Professional audio, mit der Messkurve im MTG-Datenblatt. Etwas anderes haben wir auch nicht erwartet, denn MTG verfügt, wie beispielsweise auch Schoeps,  nicht nur über eine sehr hohe Messkompetenz. Die in den Prospekten abgedruckten Messkurven sind keine Katalog-Schriebe, stattdessen darf der Kunde davon ausgehen, dass sein individuelles Mikrofon eben diesen Frequenzgang haben wird. Das ist selbstverständlich nur durch eine Fertigung in engsten Toleranzen mit peniblen Kontrollmechanismen möglich, was sich, wie eingangs bereits erwähnt, zwingend auch im Preis niederschlägt.
                
Das Herzstück des M 1030 ist, wie bei jedem Mikrofon, die Kapsel. Bei der M 930-Kapsel handelt es sich um eine von  MTG in den  1990er-Jahren entwickelte Einmembran-Großmembrankapsel, die sich mit verschiedenen Richtcharakteristiken in den Modellen M 930 (Niere), M 940 (Superniere) und M 950 (breite Niere) wiederfindet. Diese Mikrofone zeichnen sich, wie unser früherer Test in Ausgabe 6/2007 ergeben hat, durch einen sehr ausgeglichenen, sprich linearen Frequenzgang mit einer für eine Großmembran außergewöhnlich geringe Präsenzanhebung auszeichnen. Hinzu kommt eine exzellente Dämpfung für  rückwärtig einfallenden Schall. Letzteres soll auch das M 1030 bieten, Unterschiede beim Frequenzgang haben wir bereits besprochen, klangliche Differenzen klären wir beim finalen Praxistest. Die Kapsel ist im Gehäuse elastisch gelagert, was auch ohne elastische Halterung Körperschall und Stöße abdämpft. Auf Wunsch lässt sich an Stelle des Mikrofonhalters MH 93.1, der von den Modellen M 930, M 940 und M 950 bekannt ist und auch an den Schaft des neuen Mikrofons passt, auch die Spinne EA 92 anbringen. Der Adapter A 93 gehört zum Lieferumfang. Die EA 92-Halterung kauft MTG zu, sämtliche anderen Zubehörteile stammen aus eigener Fertigung. Mit der Spinne erhöht sich der Endverbraucherpreis allerdings von 1.755 Euro um satte 300 Euro auf rund 2.065 Euro. Ein stolzer Preis, dem die Halterung aber gerecht wird, denn sie federt Erschütterungen wirksam ab.

Das M 1030 hat einen Impedanzwandler in Transistorbauweise, die Symmetrierung erfolgt auf elektronischem Wege, also trafolos. Im Allgemeinen zeichnen sich MTG-Mikrofone durch einen exzellenten Geräuschpegelabstand aus, der in der Regel oberhalb 80 Dezibel liegt. Das gilt übrigens auch für die Röhrenmikrofone der Thüringer, wie beispielsweise das M990, das wir in der Jubiläums-Edition als M990 art in Ausgabe 2/2009 testeten. Das M 1030 stellt in puncto Eigenrauschen – besser Rauschfreiheit – einen neuen Rekord auf: Beeindruckende 88,5 Dezibel ermittelt das Messlabor. Das ist ein schlichtweg überragender Messwert den bisher keines der von uns getesteten Mikrofone erreichen konnte. Hinzu kommt eine überdurchschnittlich hohe Empfindlichkeit von 26,7 mV/Pa, weswegen sich das M 1030 vorzüglich für die Aufnahme leiser Instrumente, beispielsweise akustische Gitarren, Harfe oder auch Blockflöte eignet, denn störendes Rauschen auf der Aufnahme kann jedenfalls nicht vom Mikrofon, sondern nur von den nachgeschalteten Geräten in der Signalkette stammen. Somit kann der Anwender mit diesem Mikrofon auch seinen Vorverstärker oder die Preamps in seinem Mischpult auf Eigenrauschen testen.

Bevor wir zum praktischen Teil kommen, noch einige Bemerkungen zur weiteren Ausstattung und Verarbeitung des M 1030. Sobald die Speisespannung anliegt, signalisiert eine grüne LED die Betriebsbereitschaft des Mikrofons, gleichzeitig markiert die Leuchtdiode auch die Einsprechrichtung. Ein sehr praktisches Ausstattungsdetail, jedoch weniger wegen der Einsprechrichtungs-Anzeige – die ergibt sich auch aus der Typen-Gravur und dem Nierensymbol auf dem Gehäuse. Dank der LED weiß der Anwender immer, ob die Phantomspannung anliegt, was ein versehentliches Abziehen des Kabels zumindest verhindern helfen kann. Denn auch wenn Beschädigungen durch Kurzschlüsse gerade bei Profi-Mikrofonen eher die Ausnahme sind: Ganz auszuschließen sind diese nicht, außerdem verlangt und verdient ein jedes Kondensator-Mikrofon eine pflegliche Behandlung – auch wenn es über ein so robust es Gehäuse verfügt wie das M 1030. Überhaupt ist die Verarbeitung als solche über alle Zweifel erhaben und entspricht damit  dem hohen Standard des Herstellers.

Nach unseren bisherigen, durchweg positiven Erfahrungen mit MTG-Mikrofonen stellen wir hohe Erwartungen an die Klangqualität das M 1030, denen das Mikrofon vollauf gerecht wird. Die Auflösung ist ausgezeichnet und steht der seines Geschwisters M 930 in nichts nach. Dem M 1030 entgeht nichts, es fängt auch feinste Details ein, weswegen das millimetergenaue Positionieren des Mikrofons ein Leichtes ist. Ebenfalls sehr gut, für eine Großmembran, ist das Impulsverhalten, denn das M 1030 folgt auch impulshaften Schallereignissen mühelos. Das belegt einmal mehr die Güte der M 930-Kapsel, die eben ein Musterbeispiel der Mikrofon-Baukunst darstellt.
Klanglich unterscheidet sich das M 1030 tatsächlich vom M 930: Während der bewährte Großmembran-Winzling wegen seiner außergewöhnlichen Signaltreue jegliche Schallereignisse wirklichkeitsnah und praktisch verfärbungsfrei einfängt, besitzt das jüngere Geschwister einen anderen Klang. Dieser zeichnet sich durch eine hohe Klarheit und eine  gewisse Frische aus, beides zusammengenommen sorgt für einen eigenen Klangcharakter, der sich von der gnadenlosen Nüchternheit und Objektivität des M 930 unterscheidet. Gleichwohl klingt das neue Mikrofon nicht etwa präsent, sondern insgesamt immer noch ausgewogen, weswegen es durchaus universell einsetzbar ist. Sein eigener klanglicher Fingerabdruck oder Persönlichkeit steht Stimmen und Instrumenten gleichermaßen gut zu Gesicht. Wirklich klasse ist die hohe Empfindlichkeit bei praktischer Rauchsfreiheit des M 1030, was wir vor allem bei Aufnahmen mit Konzertgitarre besonders zu schätzen lernen. Es ist nämlich überhaupt kein Problem, denn Abstand von Mikrofon zum Instrument zu vergrößern, um die unvermeidbaren Nebengeräusche nicht allzu deutlich auf der Aufnahme hörbar zu machen und gleichzeitig mit einen praktikabeln Arbeitspegel aufnehmen zu können. Das M 1030 weist zudem kaum Off-Axis-Verfärbungen auf, die Rückwärtsdämpfung ist schlichtweg optimal, außerdem ist auch der Nahheitseffekt vergleichsweise gering ausgeprägt. Überhaupt ist die Tiefenwiedergabe des M 1030 für einen Druckgradienten sehr gut, so dass auch Nah-Mikrofonierungen von sehr bassstarken Instrumenten wie der im Rahmen des Praxistest verwendeten Konzertgitarre Kohno 30 J Professional nicht in überbetonten Bässen resultieren. Insoweit offenbart sich wiederum die nahe Verwandtschaft zum M 930, das ein Topmikrofon ist und bleibt. Damit Sie selbst hören können, wie sich M 930 und M 1030 klanglich unterscheiden, finden Sie die Gitarren-Testaufnahmen mit beiden Mikrofonen zum kostenlosen Download auf unserer Website, www.professional-audio-magazin.de. Die Klangbeispiele bestätigen, dass das M 1030 ein Spitzenmikrofon ist, mit dem die Arbeit richtig Spaß macht und dass unseres Erachtens  das Prädikat „Traumwandler“ absolut verdient.    

Fazit

Das M 1030 von Microtech Gefell ist ein weiteres Spitzenmikrofon der Thüringer Mikrofonmanufaktur, das sich durch überragende Messwerte und seinen klaren, frischen Klang auszeichnet. Es ist ein universell einsetzbares Solistenmikrofon und jedem Tonschaffenden, der auf der Suche nach einem Großmembran-Kondensatormikrofon fürs Leben ist, nachhaltig zu empfehlen.  

Erschienen in Ausgabe 02/2011

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1700 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut