Geradlinig

Mit dem neuen MK 4 stellt Sennheiser ein Großmembran-Kondensatormikrofon vor und legt die unverbindliche Preisempfehlung überaschender Weise auf gerade einmal 348 Euro fest. Doch kann der deutsche Mikrofonspezialist bei diesem Preis seinen hohen Qualitätsstandard tatsächlich halten? 

Von Michael Nötges

Sennheisers Kleinmembran-Mikrofone der MKH-Serie – MKH 40 (Ausgabe 5/2006), MKH 800 P48 (Ausgabe 12/2006), MKH 800 Twin (Ausgabe 7/2008) und MKH 8000 (Ausgabe 12/2009) – heimsten in den Tests von Professional audio allesamt Bestnoten in der Spitzenklasse ein. Das wunderte kaum einen, denn der international agierende Konzern gehört seit über einem halben Jahrhundert zur Crème de la Crème der Pro-Audio-Hersteller, wenn es um Aufnahme, Übertragung und Wiedergabe von Ton geht. Mit dem MK4 erweitert Sennheiser jetzt das Produkt-Portfolio der Studio- und Aufnahmemikrofone, setzt auf ein Großmembran-Kondensatormikrofon mit fixer Nierencharakteristik und stößt in kostengünstigere Gefilde vor. Liegen die MKH-Mikrofone bei einem Preis von weit über 1.000 Euro pro Stück – das üppig ausgestatte MKH 800 P48 hat sogar eine derzeitige UVP von rund 3.570 Euro – geht das neue Schmuckstück mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 348 Euro einen schlankeren, völlig eigenen Weg. Was Konzeption und Preisgestaltung angeht, wendet sich der Hersteller damit an Projektstudio-Besitzer, Homerekordler und anspruchsvolle Live-Anwender.  Um das in Deutschland gefertigte MK 4 in solche preislichen Regionen zu bekommen, hat der Hersteller auf sämtlichen Schnickschnack verzichtet und sich geradlinig auf das Wichtigste, sprich Klang und Usability fokussiert. Dementsprechend sucht man am schmucken Body im Nickel-Outfit, der mit 16 Zentimeter in etwa die Höhe eines Longdrink-Glases hat, vergeblich nach Pad- oder HPF-Schalter. Das MK4 ist wie es ist – ein Purist. Die goldbedampfte Ein-Zoll-Großmembran-Kapsel verbirgt sich hinter dem schwarzen Schutzkorb und in Einsprechrichtung lächelt eine geschwungene Aussparung am Gehäuse der Schallquelle freundlich zu. Sennheiser-Logo, Produktbezeichnung und Nierencharakteristik-Emblem unterstützen zudem die richtige Mikrofonausrichtung und das insgesamt sehr stilsichere Design.

Die federnd gelagerte Kapsel des MK 4 ist dem Sennheiser-Gesangsmikrofon e965 entlehnt und wurde, laut Hersteller, für den seitlich zu besprechenden Neuling optimal angepasst. Auch bei der Kapselkonstruktion folgt Sennheiser dem durch und durch geradlinigen Konzept: Der Impedanzwandler befindet sich direkt an der Gegenelektrode, so dass auf ebenfalls puristische Art, unnötige Signalwege vermieden werden. „Auf diesem Weg wird das niederohmige Signal direkt von der Kapsel aus weitergegeben, was es unempfindlicher gegenüber Störeinflüssen macht“, erklärt uns Sennheiser-Produktspezialist Sebastian Schmitz.   Sennheiser sucht beim MK 4 also grundsätzlich das Heil in der Abstinenz des Unwichtigen und Überflüssigen, legt aber trotzdem hohen Wert auf entscheidende Elemente und die Usability. Das 485 Gramm schwere Mittelgewicht – vergleichbar mit einem AT 4050 von Audio-Technica (Test in Ausgabe 11/2006) oder dem C 4000 B von AKG (Test in Ausgabe 11/2006) – überzeugt durch seine robuste Bauweise, die keinen Zweifel aufkommen lässt, dass die verkappte ‚Rampensau‘ nicht nur im Studio sondern auch im harten Live-Geschäft besteht. Dabei ist sehr erfreulich, dass das MK 4 durch ein Außengewinde am unteren Schaft mit der mitgelieferten Mikrofonklemme MZQ 4 sicher verschraubt wird. Überkopfinstallationen oder Mikrofonierungen auf engstem Raum sind auf diesem Weg flexibel möglich. Jetzt müssen nur noch Ständer und Galgen das Gewicht sicher tragen, was im Test aber kein Problem darstellt, denn das MK 4 zählt eher zu den leichten Großmembranern.   Nicht im Lieferumfang enthalten ist übrigens ein transportsicherer Koffer oder eine Schatulle, die das MK 4 auf Tour schützt. Der Stoffbeutel, der anstelle eines wirklichen Schutzes mitgeliefert wird, hält zwar den Staub fern, bietet aber wenig Schutz vor mechanischen Einwirkungen. Auch wenn die Kapsel intern bereits federnd aufgehängt ist, kann oder sollte in vielen Aufnahmesituationen nicht auf eine ordentliche Spinne verzichtet werden, um Körper- und Trittschall sicher zu bekämpfen. Sennheiser bietet mit der Spinne MKS 4 das passende Gerät an. Allerdings schlägt sie mit zusätzlichen 109 Euro zu Buche. Auffällig: Bei der elastischen Aufhängung verzichtet Sennheiser auf einen Teil des gummibespannten Runds, so dass die Spinne nach vorne geöffnet ist. Das ist keinesfalls eine weitere Sparmaßnahme, sondern ermöglicht praktischer Weise sehr nahe Mikrofonierungen, die mit herkömmlichen Mikrofonaufhängungen kaum möglich sind. Ansonsten macht die Spinne im passenden Nickel-Schwarz-Design einen hochwertigen Eindruck und punktet ebenso wie die Klemme mit einer festen Verschraubung für das MK 4. Der Kopfstand ist also auch elastisch aufgehängt möglich. Messtechnisch steht das MK4 den Großen in Bezug auf den Geräuschpegelabstand und die Empfindlichkeit in nichts nach. Es erreicht zwar nicht ganz die Geräuschpegelabstände eines M930 von Microtech Gefell (84,4 Dezibel, Test in Ausgabe 6/2007), Brauner VM1 (82,7 Dezibel, Test in Ausgabe 12/2006) oder C 4000 B von AKG (84,0 Dezibel, Test in Ausgabe 11/2006), bewegt sich aber problemlos auf Augenhöhe mit dem AT 4050 von Audio-Technica (78 Dezibel) oder dem MC 840 von Beyerdynamic (75,4 Dezibel, Test in Ausgabe 11/2006). Das Konzept von Sennheiser scheint aufzugehen: wenig Schnickschnack, gute Performance.  Der Zielgruppe und dem Einsatzzweck entsprechend ist das MK 4 ein genügsames Mikrofon, das mit einer Ausgangsspannung von 26,5 mV/Pa auch mit wenigen Verstärkungsreserven seitens des Preamps bestens zurechtkommt. Außerdem bietet das empfindliche MK 4 auch leisen Schallquellen wie Zupfinstrumenten optimale Aufnahmevoraussetzungen.

Der Neuling kann aber auch anders: Der von Sennheiser angegebene Grenzschalldruckpegel liegt nämlich bei 140 Dezibel, so dass auch Schlagzeug-Aufnahmen, beispielsweise als Overhead-Mikrofone, kein Problem sein sollten.  Der Frequenzgang des MK 4 weist eine dezente Absenkung von maximal einem Dezibel im Bassbereich auf, was zumindest im Ansatz dem Nahbesprechungseffekt entgegenwirkt, ihn aber keinesfalls aufhebt. Bei Sprach- oder Gesangsaufnahmen kann der Boost im Bass und den unteren Mitten durchaus gewollt sein. Ansonsten gibt es drei markante Auffälligkeiten zwischen 3,5 und 6 Kilohertz, einem Bereich der gerade für die Durchsetzungskraft und Transparenz der Stimme entscheidend ist: Festzustellen sind zwei Peaks bei zwei (+2 dB) und sechs Kilohertz Kilohertz (+4 dB) und eine Dämpfung bei drei Kilohertz (-2 dB). Oberhalb acht Kilohertz verläuft der Frequenzgang fast wie mit einem High-Shelf-Filter angehoben, um dann zu 20 Kilohertz steil abzufallen.   Für den Hör- und Praxistest von Professional audio nehmen wir eine Konzertgitarre sowie Sprache und Gesang auf. Dabei macht das MK 4 durch die Bank eine schlanke und sehr gute Figur. Die Auflösung ist überzeugend und insgesamt zeigt sich das Mikrofon sehr ausgewogen mit einem eher zurückhaltenden Grund-Charakter. Die Höhen – das zeigt sich sehr schön bei der Gitarrenaufnahme – kommen sehr fein aufgelöst und Anschlaggeräusche werden leicht pointiert abgebildet, ohne zu nerven oder künstlich zu wirken. Der Klang ist sehr frisch und transparent, dem ein oder anderen vielleicht etwas zu nüchtern, aber insgesamt ehrlich und sehr natürlich. Es mangelt dem geradlinigen MK 4 vielleicht ein wenig an lebendiger Offenheit und organischer Plastizität, aber ansonsten liefert es überzeugende Ergebnisse. Selbst bei sehr naher Mikrofonierung der Gitarre – die Spinne erweist sich als sehr praktikable Ergänzung – bewahrt das MK 4 die Ruhe und hält auch den Nahbesprechungseffekt im Griff. Die unteren Mitten erscheinen jetzt zwar betont aber keinesfalls schwammig oder unpräzise. Der Rest ist Geschmacksache.   Bei den Gesangsaufnahmen kann das MK 4 bei naher Besprechung punkten. Das Timbre bekommt einen satten Schub und die feine Auflösung bildet kleinste tonale Nuancen des Stimmapparats intim und sehr persönlich ab. Um den Boost zu vermeiden, hilft natürlich eine größere Entfernung des Mikrofons zur Schallquelle. Das Ergebnis ist in dem Fall natürlicher, zurückhaltender und für Backings sehr gut geeignet. Für Haupt-Vocals gefällt uns der bewusst eingesetzte Nahbesprechungseffekt des MK 4 jedoch sehr gut.   Gleiches gilt auch für Sprachaufnahmen, wobei hier noch deutlicher wird, dass bei naher Besprechung keinesfalls die Verständlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit des MK 4 leidet. Vielmehr tritt die zurückhaltend-schlanke Art bei Bedarf in den Hintergrund, um einem druckvollen Klangbild Platz zu machen. Allerdings sollte bei aller Liebe zum Nahbesprechungs-Boost die charmant-natürliche Seite nicht in Vergessenheit geraten, denn sie stellt sozusagen die exzellent klingende andere Seite der Medaille dar. 

Fazit

Ziel erreicht: Sennheiser schafft mit dem MK 4 den Spagat zwischen hohem Qualitätsniveau und geringem Preis durch Reduktion auf das Wesentliche. Verarbeitung, transparent-schlanker Klang und Messwerte können auf ganzer Linie überzeugen und helfen schnell über die Tatsache hinweg, dass die exzellente Spinne für gut 100 Euro zusätzlich erworben werden muss. Qualität hat eben ihren Preis. 

Erschienen in Ausgabe 07/2011

Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 348 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut