Klangspirituose

Wer ein etwas ungewöhnliches Großmembran-Mikrofon sucht, das sich besonders für die Aufnahme der menschlichen Stimme eignen soll, könnte im neuen Pearl Priority eine Abwechslung zu den alt gewohnten Modellen finden.

Von Sylvie Frei 

Exquisit wie einen erlesenen Single Malt präsentiert der schwedische Hersteller Pearl Mikrofonlaboratorium AB sein neuestes Großmembran-Modell und liefert es in einer stylischen Pseudo-Whisky-Pappröhre aus. Der vermeintliche edle Tropfen nennt sich Priority und wurde auf der diesjährigen Musikmesse in Frankfurt der Öffentlichkeit vorgestellt. Rund 700 Euro kostet das in Schweden handgefertigte Mikrofon und verfügt über eine – für Pearl charakteristische – rechteckige und besonders große Membran beziehungsweise Kapsel. Mit seinem für Pearl-Verhältnisse günstigen Preis will es im Besonderen Tonschaffende ansprechen, die bisher noch keine Erfahrungen mit den  besonderen Kapseln des schwedischen Exoten gemacht haben. Die rechteckige Bauweise der Membran/Kapsel verspricht nämlich einen verhältnismäßig linearen Frequenzgang, der jedoch – speziell für das Modell Priority – im fünf-Kilohertz-Bereich leicht angehoben wurde, um Gesangsaufnahmen präsenter erscheinen zu lassen. Außer für die menschliche Stimme soll sich Priority laut dem deutschem Pearl-Vertrieb P.o.E. SARL auch für akustische Gitarre, als Schlagzeug-Overhead, für Klavieraufnahmen oder als Raummikrofon eignen.Das Mikrofon ist vergleichsweise spärlich ausgestattet. Es verfügt weder über ein Hochpassfilter noch einen Dämpfungsschalter. Auch eine elastische Halterung suchen wir vergebens. Außer dem in einem Lederbeutel verstauten Priority ist lediglich ein einfacher Stativclip vom österreichischen Hersteller AKG in der vermeintlichen Whisky-Dose zu finden.

In der Praxis stellt sich heraus, dass der AKG-Stativ-Clip, der so gar nicht zur Breite und Konstruktion des Pearl-Mikrofons passen will und sich nur teilweise an dessen kurzem Schaft befestigen lässt, das Mikrofon dennoch sicher und stabil hält. Ein Punktabzug bleibt in diesem Fall natürlich aus.Das Innenleben des Priority selbst verbirgt sich in einem äußerst wertig anmutenden, zylinderförmigen Edelstahlgehäuse. Derart gestaltet fällt das neue Mikrofon unter den ansonsten ausnahmslos schwarzen Modellen des Herstellers – vier davon haben wir in Ausgabe 09/2012 getestet – aus dem optischen Rahmen. Eine grüne LED, die sich auf der Vorderseite der – durch den feingliedrigen Korb gut sichtbaren – Rechteck-Membran befindet, ergänzt das neue Design und gibt Auskunft über die Aktivität der Phantomspannung. Die in der Kapsel verbaute neue Pearl 2900 Einzelmembran wurde von Pearl-Chef Bernt Malmqvist eigens für das Priority entwickelt und ist ungewöhnlich groß. Ihre rechteckige Form geht auf eine Pearl-Entwicklung aus den 1960er-Jahren zurück, die im Laufe der Zeit immer weiter verbessert wurde. Im Vergleich zu runden Membranen besitzen die rechteckigen einen insgesamt gleichmäßigeren Frequenzgang, da durch ihre Konstruktion die für runde Großmembranen charakteristischen, mehr oder weniger stark betonten Resonanzen im Bereich von zwei bis zehn Kilohertz nicht auftreten. Die Resonanzen der rechteckigen Membran verteilen sich gleichmäßiger über das ganze Frequenzspektrum und fallen insgesamt vergleichsweise geringer aus. Dies führt in der Theorie zu einem ausgewogeneren Klangspektrum, das an den Klang eines Kleinmembran-Kondensator-Mikrofons erinnern kann. Anders als andere Modelle mit rechteckigen Membranen ist das Priority jedoch so konzipiert, dass es – wie bereits erwähnt – eine leichte Präsenzanhebung von zwei bis drei Dezibel im fünf-Kilohertz-Bereich besitzen soll. Diese Eigenschaft ist besonders bei Gesangsaufnahmen gefragt. Die Frequenzanhebung soll die Stimme klanglich weiter in den Vordergrund bringen, da das menschliche Ohr auf den Frequenzbereich um fünf Kilohertz besonders empfindlich reagiert. Anders als andere Rechteck-Membranen des Herstellers liegt die Pearl 2900 Einzelmembran frei und verfügt über kein perforiertes Messingblättchen, das als Schutz vor dem direkten Eintreffen des Schalls dient und ein kontrolliertes Schwingen der Membran gewährleistet. 
Wie sich diese Eigenschaften auf den Gesamtklang des Mikrofons auswirken, erproben wir zunächst anhand einer Reihe unterschiedlicher Gesangsstücke. Dazu nehmen wir mehrere Takes in klassischer Technik mit viel Vibrato, in einer klaren Folktechnik und einer eher kräftig rockigen Singweise auf. Zum Vergleich werden sämtliche Stücke mit möglichst ähnlicher Stimmgebung noch einmal mit unserer Kleinmembran-Referenz, dem Schoeps MKH2/CMC 6U, und der Røde-Großmembran NT-1A aufgezeichnet.

Das Priority gefällt schon vom ersten Abhören an. Es hat einen präsenten, frischen und klaren Gesamtklang, der bei der Aufnahme unserer mittleren Frauenstimme von angenehm präsenten Hochmitten sowie sehr offenen und glänzenden Höhen dominiert wird. Hinzu kommen angenehm runde und ausgewogene Mitten und Tiefmitten. Die Dynamik der klassischen Stimmgebung – als Teststück dient Franz Schuberts Frühlingsglaube – kann das Priority sehr gut abbilden. Die Tonübergänge klingen sanft konturiert, aber dennoch präzise. Das Mikrofon besitzt keinen wahrnehmbaren Nahbesprechungseffekt, den wir im Test dank der ausgewogenen Mitten und Tiefmitten auch nicht vermissen. Insgesamt klingt sowohl das klassische, als auch das folkig und das rockig angestimmte Stück frisch, präsent, ausgewogen und kräftig. Für Mund- und Atem-Geräusche ist das Mikrofon durchschnittlich anfällig. Vorsicht ist jedoch bei sehr hohen, vibrierenden Tönen geboten, die im Forte schon einmal klirren können und vom Mikrofon vergleichsweise laut aufgenommen werden – diese Problematik weisen unsere beiden Vergleichsmikrofone hingegen nicht auf. Für Aufnahmen von hohen, anschwellenden Vibrato-Tönen ist das Priority daher unserer Meinung nach nicht geeignet. Im Direkt-Vergleich zum Schoeps KH2/CMC 6U klingt das Priority etwas weniger plastisch,  in den Höhen nicht ganz so hell und in den Mitten nicht ganz so rund, hat aber tatsächlich große klangliche Ähnlichkeiten mit der Kleinmembran-Referenz. Verglichen mit dem Røde NT-1A erscheint der Klang des Priority etwas feiner, edler und konturierter. In Offenheit und Präsenz sind sich die beiden Großmembranen hingegen sehr ähnlich. 
Um heraus zu finden, wie sich das Priority mit der menschlichen Sprechstimme verträgt, rezitieren wir einen lateinischen Text aus der Carmina Burana, den wir überdeutlich artikulieren und siehe da, das Priority lässt sich – einen guten Poppschutz vorausgesetzt – auch sehr gut für die Aufnahme von Sprechstimmen einsetzen. Die Stimme klingt natürlich, frisch, stimmig, präsent und konturiert. Für Popp- und Atem-Geräusche ist das Mikrofon aufgrund der großen Membran etwas anfälliger als das Røde NT-1A, aber nicht übermäßig empfindlich. Zischlaute klingen trotz der offenen Höhen angenehm und nicht überbetont.

Im Messlabor kann das Priority mit sehr guten Werten glänzen. Der Frequenzgang zeigt wie vom Hersteller konzipiert eine deutliche Anhebung der Frequenzen im Bereich zwischen drei und sieben Kilohertz, die mit sechs Dezibel bei sechs Kilohertz ihren Höhepunkt erreicht. Mit 23,9 mV/Pa ist das Priority verhältnismäßig empfindlich. Ein hoher Empfindlichkeitswert hat den Vorteil, dass der Mikrofonverstärker nicht weit aufgedreht werden muss, sondern im Optimalbereich arbeiten kann und so kein vom Verstärker hervorgerufenes Rauschen zu erwarten ist. Der Geräuschpegelabstand von 77,6 Dezibel ist ebenfalls ein sehr guter Wert, wenn er auch nicht ganz an die hervorragenden 83 Dezibel des Røde NT-1A heranreicht. Rauscharmen Aufnahmen steht hier von Seiten des Mikrofons nichts im Wege. 

Fazit

Insgesamt zeigt sich das Priority als erlesene Klangspirituose, die sich besonders für die Aufnahme von Gesang und Sprache qualifizieren kann. Einzig bei hohen und druckvollen Signalen zeigt sich die Membran etwas anfällig.

Erschienen in Ausgabe 09/2013

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 708 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut