Volle Röhre

Echter Röhrensound muss nicht unbedingt teuer sein. Dieser Meinung ist auch der österreichische Mikrofonspezialist AKG und tritt selbstsicher mit dem neuen Perception 820 Tube den Beweis an.  

Von Michael Nötges 

Hohe Qualität für kleines Geld ist die Devise der Perception-Serie (Test, 9/2008) von AKG. Zur Gilde der edlen Preisbrecher gehörten bislang drei Großmembran- (Perception 120, 220 und 420) sowie das Kleinmembran-Mikrofon Perception 170. Preislich liegen die stahlblauen Mikrofone zwischen 118 und 356 Euro und markieren damit das untere bis mittlere Preissegment der AKG-Studiomikrofone. Was bisher aber in der Perception-Familie fehlte, war ein bezahlbares Röhren-Brüderchen.

Doch das hat sich jetzt geändert: Auf der Musikmesse 2009 in Frankfurt stellten die Österreicher mit dem Perception 820 Tube den langersehnten Nachwuchs vor. Das Großmembran-Röhrenmikrofon erweitert die Serie um ein Spitzenmodell, das mit gut 700 Euro zwar das teuerste Perception ist, bei dem aber auch eine ganze Menge Aufwand betrieben wurde. 
„Röhrenmikrofon der unteren Preis-Range klingen oft sehr steril und ähneln dann herkömmlichen Kondensatormikrofonen“, erklärt uns Thomas Stubics, Produkt Marketing Manager bei AKG. Dann ergänzt er: „Wir wollten dem Perception 820 Tube einen echten Vintage-Röhrencharakter geben. Die ersten Prototypen waren noch relativ neutral und uns war klar, da muss klanglich noch mehr drin sein – und wie man jetzt hört, war es das auch.“ Entscheidend sei am Ende sowieso der Klang, für den sich die Entwickler mächtig ins Zeug gelegt hätten. Auf die Frage, wie dem hohen Qualitätsanspruch bei geringem Verkaufspreis Rechnung getragen werde, erklärt Stubics: „Das Perception 820 Tube ist in Österreich entwickelt worden und bei der Auswahl der Bauteile und Röhren legen wir großen Wert auf geringe Toleranzen. Gefertigt wird in China, aber nach unseren genauen Vorgaben. Um das hohe Qualitätsniveau zu erreichen, sind einige Mitarbeiter zur Kontrolle ständig vor Ort.“ Bei der Wahl des Röhrenherstellers legt sich AKG offensichtlich nicht fest. Verwendet werden Doppeltrioden (ECC83/12AX7), die derzeit von zwei Zulieferern stammen, wie uns Stubics erklärt. Welche das sind, will er uns aber nicht verraten, versichert uns aber, dass alle Röhren bestimmte Messwerte erfüllen müssen und daraufhin akribisch geprüft werden. 

Seine Zugehörigkeit zur Perception-Familie macht das 820 Tube optisch sofort klar. Es steckt, wie seine Geschwister, in einem Perception-typischen, blau-eloxierten Alu-Gehäuse. Es bringt bei einer Länge von rund 21 Zentimetern und einem Durchmesser von 53 Millimetern stolze 870 Gramm auf die Briefwaage. Die Doppelmemrankapsel (25,4 Millimeter) des Druckgradientenempfängers schützt ein stabiler, mehrlagiger Korb, der den insgesamt sehr robusten Eindruck verstärkt und keine Zweifel an der Live-Tauglichkeit aufkommen lässt. „Wir verwenden für die Kapsel spezielle Materialien“, erklärt Stubics etwas geheimnisvoll, „die verhindern, dass die Luftfeuchtigkeit an den Membranen kondensiert, wenn sich die klimatische Umgebung ändert. Das kann bei den Aufnahmen zu lästigem Knistern führen. Andere Mikrofone brauchen bis zu einen Tag für die Akklimatisierung, das 820 Tube ist sofort einsatzbereit.“ 

Ausgeliefert wird das Perception 820 Tube mit einer schmucken Fernsteuerungseinheit, die das Umschalten der Richtcharakteristik (Kugel bis Acht) in neun Stufen ermöglicht. Zwei Kippschalter auf der gebürsteten Alu-Frontplatte dienen zur Aktivierung der Vorbedämpfung um 20 Dezibel und des Trittschallfilters (12 dB/Oktave bei 80 Hertz). Durch die Änderung der Polarisationsspannung der beiden Kapseln ergeben sich die unterschiedlichen Richtcharakteristika. In puncto Verarbeitung liefert auch die Fernsteuereinheit eine überzeugende Vorstellung. Der fein geriffelte Aluminium-Wahlschalter für die Richtcharakteristika rastet satt und sicher auf den jeweiligen Positionen ein, die leicht versenkten Kippschalter wirken wertig und solide. Auch die Ein- (7-polig) und Ausgangsbuchse (XLR) sind fest mit dem Gehäuse verschraubt und machen einen viel versprechenden und langlebigen Eindruck. Etwas fummelig ist der rückseitige Ground-Lift-Taster, der seine Funktion zwar erfüllt, sich beim Hineindrücken aber etwas kratzig und grob anfühlt. Dagegen sehr positiv sind die rutschfesten Gummifüße, die der Steuereinheit festen Halt auf glatten Oberflächen bietet.

Was das Zubehör angeht, ist das Perception Tube sehr gut ausgestattet und von Sparmaßnahmen kann hier gewiss nicht die Rede sein. Es wird im gleichsam schmucken, wie robusten Alu-Koffer ausgeliefert, der neben dem Mikrofon unterschiedliche Netzkabel (US-/UK-Typ), ein acht Meter langes Verbindungskabel vom Mikrofon zur Fernsteuerung, Manual sowie die Spinne beinhaltet. Diese ist überaus funktional und ermöglicht durch ein zusätzliches Gewinde das feste Verschrauben mit dem Mikrofon. Dadurch ist es möglich, je nach Aufnahmesituation das 820 Tube auch kopfstehend zu installieren. Problematisch ist da eher, das Mikrofonstativ kippsicher aufzubauen. Immerhin bringen Spinne und Mikrofon gute 900 Gramm auf die Waage. Für die Arretierung der Spinne zum Verstellen des Winkels hat AKG aber praxisgerecht mitgedacht und kleine Rillen an den aufeinanderliegenden Flächen (Spinnen-Fortsatz und Kunststoffgelenk) hinzugefügt. Beim Verschrauben bleibt dadurch die einmal eingestellte Position, trotz des relativ hohen Gewichts, sicher bestehen.

Das erweist sich auch im Hör- und Praxistest von Professional audio als sehr hilfreich und komfortabel. Verschiedene Mikrofonpositionen für die unterschiedlichen Akustikgitarren-, Sprach- und Gesangsaufnahmen sind schnell realisiert und die Feinjustierung für den richtigen Winkel auch kein Problem. Zum Vergleich fertigen wir Aufnahmen mit dem Röhrenmikrofon Røde Classic II (Test, 6/2007) und einem AT 4040 von Audio Technica (Transistorbauweise) an. 
Bei den ersten Probeaufnahmen ist schnell klar: Das Tube 820 ist für ein Röhrenmikrofon, wie auch das Classic II (Empfindlichkeit: 14 mV/Pa) vergleichsweise leise. Seine Empfindlichkeit beträgt durchschnittlich 17 mV/Pa. Nur zur Orientierung: Ein Brauner Phantom AE, natürlich in einer ganz anderen Preisliga (Test, 11/2006), liefert 34 mV/Pa. Nur, dass wir uns nicht falsch verstehen: Die Empfindlichkeit allein ist noch kein wirkliches Qualitätskriterium, sondern stellt lediglich höhere Anforderungen an den Mikrofonvorverstärker. Bei einem schlechten Geräuschpegelabstand – davon kann aber beim 820 Tube mit durchschnittlich 77 Dezibel (siehe Tabelle) absolut nicht die Rede sein – sähe das schon anders aus. Denn bei heftiger Verstärkung leiser Schallquellen, wäre das Rauschen schneller hörbar. Im Test zeigte sich das 820 Tube aber als absolut rauscharmer Schallwandler. 
Was aber nicht heißt, dass das AKG neutral klingt. Bei den Sprachaufnahmen mit dem 820 Tube zeigt es seinen samtigen Vintage-Charakter. In den unteren Mitten dickt es den Sound geschmackvoll an und verleiht ihm dadurch insgesamt einen leicht komprimierten, gesättigten Klang. Klar ist, hier soll die Röhre nicht bloß linear verstärken, sondern dem Mikrofon gezielt einen griffigen Sound verleihen. Das gelingt auch sehr gut. Im Gegensatz zum AT 4040 zeigt es sich als edler Weichmacher, der sich geschmackvoll über das Timbre legt und es größer und runder erscheinen lässt. Ein Radiosprecher mit dünner Stimme wird sich freuen. Das 820 klingt  wie das Classic II sehr direkt und vordergründig, aber im Vergleich weitaus satter.
Bei den Akustikgitarren- und Gesangsaufnahmen bestätigt sich, was wir bei der Sprache schon vermuteten. Es erreicht nicht ganz die Auflösung des Røde-Boliden, der seinen Röhrencharme etwas dezenter in Szene setzt und gerade in den Höhen feiner auflöst. Das heißt nicht, dass das 820 Tube matt klingt. Im Gegenteil, durch die Höhenanhebung (siehe Messdiagramme) kommen die Anschlagsgeräusche sehr frisch und sowohl Männer- als auch Frauenstimmen druckvoll und durchsetzungsstark. Um neutrale Linearität geht es dem 820 Tube beim besten Willen nicht, sondern vielmehr um einen vollen Röhren-Sound, der universell einsetzbar jedem Instrument einen eigenen Esprit einhaucht. 

Fazit

Das Perception 820 Tube von AKG zeigt sich als praxistauglicher Profi mit ausgeprägtem Vintage-Charakter. In Anbetracht des insgesamt hohen Qualitätsniveaus stimmt auch bei einem Preis von 700 Euro die Perception-Devise: Qualität für kleines Geld. 

Erschienen in Ausgabe 08/2009

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 713 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut