Alles Lexicon
Der Name Lexicon gilt nach wie vor als Synonym für edlen Digital-Hall. Nach dem hervorragenden PCM Native Bundles folgt jetzt Lexicons Nachschlag in Form des Plug-in-Bundles Lexicon LXP Native Reverb Bundle.
Von Tim O’Connell
Der Hinweis, dass Lexicon edlen Nachhall herstellt, ist beinahe so überflüssig wie die Feststellung, dass Rolls Royce Luxusautos und Steinway Konzertflügel baut. In beinahe jedem größerem Studio findet sich die Taschenrechner-artige Fernbedienung der Reverb-Boliden Lexicon 480 und 960 L. Der weiche und edle Klang der Lexicon Geräte ist so berühmt, dass er bei vielen Musikern und Produzenten den zärtlichen Kosenamen „Wölkchenhall“ trägt. Angefangen hat alles im Jahr 1978. Der Hersteller Lexicon veröffentlichte damals die weltweit erste digitale Halleinheit mit dem Namen 224. Dieses Hallgerät und sein Nachfolger 224 XL wurden in den frühen 80er Jahren von dem bereits erwähnten Lexicon 480 L abgelöst: Mit ihrem natürlichen und als warm empfundenen Klang hat es tausende von Film- und Kinoproduktionen der 1980er- und 1990er-Jahre geprägt. Allerdings bewegte sich der Anschaffungspreis dieser Maschine locker im Bereich eines Mittelklassewagens. Vor zwanzig Jahren brachte der amerikanische Hersteller daher die sehr viel günstigeren und damit auch für weniger gut Betuchte erschwinglichen Prozessoren der PCM- und der LXP-Serie heraus, die sich bei Amateuren und Profis schnell zum Dauerbrenner entwickelten. In den letzten Jahren hat auch Lexicon die Zeichen der Zeit erkannt und erweiterte sein Angebot zunehmend in den Bereich der digitalen, Plug-in orientierten Musikproduktion. So bietet auch das Modell PCM 96 (Test in Heft 11/2008), obwohl ein 19-Zoll Hardware-Prozessor, wie ein Plug-in die Steuerungsoption direkt aus der DAW. Mit dem PCM Native Reverb Bundle kam im letzten Jahr das erste reine Plug-in-Bundle des Herstellers auf den Markt und transportierte den Lexicon Hall direkt und ohne Umwege in das virtuelle Rack des computerbasierten Studios. Lexicons jüngster, virtueller Spross heißt LXP Native Reverb Bundle und stellt sich dem Professional audio-Praxistest. Bereits das PCM Native Reverb Bundle (Test Heft 3 / 2010) sorgte bei vielen DAW Benutzern für Aufsehen – beziehungsweise Aufhorchen. Allerdings benötigt der Lexicon-Fan eine prall gefüllte Brieftasche, denn mit seinem Preis von rund 1.600 Euro ist dieses Plug-in-Bundle nicht für jedermann erschwinglich. Mit dem LXP Native Reverb Bundle ist der Lexicon-Sound wesentlich günstiger zu haben, wenngleich die 630 Euro, mit denen die Software zu Buche schlägt, nicht gerade ein Schnäppchenpreis ist. In diesem Zusammenhang gilt es aber zu bedenken, dass die Hardwarependants, die inzwischen nicht mehr hergestellten Prozessoren LXP-1 bis LXP-15II, je nach Modell auf dem Gebrauchtmarkt zwar unter dem Preisniveau des LXP Native Bundles liegen, der Hersteller für die alten Geräte aber keinen Support mehr leistet. Insofern lohnt sich die Beschäftigung mit der Softwareausführung mit Sicherheit.
Lexicon liefert mit dem Bundle insgesamt vier separat aufrufbare Plug-ins aus, die jeweils einen Algorithmus zur Verfügung stellen. Der Benutzer muss sich also schon vor dem Einsetzen als Insert- oder Send-Effekt für eine Raumcharakteristik entscheiden. Zur Auswahl stehen Chamber, Hall, Plate und Room. Unterstützt werden die gängigen Schnittstellen VST, RTAS und AU sowie eine maximale Samplingrate von 192 Kilohertz. Die Bedienoberfläche ist sehr nah an die Hardware angelehnt und als sehr übersichtlich zu bezeichnen. Über den Preset-Dialog wählt der Anwender eine Hall-Kategorie wie zum Beispiel „Small“ oder „Large“ aus und kann darauf folgend ein passendes Preset auswählen. Allen Plug-ins steht eine Stereo-Metering-Sektion zur Verfügung, um den Ein- und Ausgangspegel zu überwachen und interne Übersteuerungen zu vermeiden. Mittels eines Echtzeit-Displays erhält der Benutzer jederzeit Auskunft darüber, was im Plug-in gerade geschieht. Im Off-Modus wird nur der Name des Plug-ins angezeigt. Dieser Modus dient hauptsächlich dem Einsparen von Ressourcen. Ein Klick in das Fenster offeriert den Multiband-Modus. In diesem Modus wird das Signal in fünf verschiedenen Frequenzbändern auf der X (Frequenz)- und Y (Zeit)-Achse angezeigt. Die Frequenzbänder sind dabei farblich unterteilt: Blau (12,8 kHz), Hellblau (3,2 kHz), Grün (800 Hz), Orange (200 Hz) und Rot (50 Hz). Damit lassen sich frequenzabhängige Änderungen visuell kontrollieren. Gerade bei der Bearbeitung tieffrequenter Signale wird der Anwender dieses Feature sehr zu schätzen lernen. In der Praxis erweist sich dieses Display in der Tat als sehr nützliches Tool, um den Nachhall oder den Raum optimal an das Audioevent anzupassen. Ein weiterer Klick in das Display ruft einen waschechten Real-Time Analyser auf, der Amplituden in Echtzeit in einem Frequenzbereich von 12,8 Kilohertz bis hinab 50 Hertz anzeigt. Ein weiterer Modus zeigt die Wellenform des Signals während der Bearbeitung an. Die Auswirkung jeder Parameteränderung lässt sich in diesem Modus direkt an der Wellenform ablesen. Damit ist auch dieses Tool in der Praxis ein wertvolles Helferlein, da jede Parameteränderung neben der auditiven Wahrnehmung auch optisch kontrollierbar ist. Im Hauptbedienfeld finden sich, genau wie schon beim PCM-Bundle, als erstes die sechs beleuchteten „Soft Row“-Drehregler. Vorteil: Die Funktionen dieser Macro-Regler sind nicht fest vorgegeben. Der Benutzer kann sich durch den Soft Row-Dialog seine Lieblings-Parameter selbst auswählen und auf die Regler programmieren. Somit hat er die Möglichkeit, direkt und ohne Umwege auf seine wichtigsten Parameter zugreifen zu können. Das erspart sehr viel Zeit und Umstand. Viele Anwender werden außer den gewählten Soft Row-Parametern keine weiteren Eingriffsmöglichkeiten brauchen, da sie schon ab Werk mit den wichtigsten Parametern wie Predelay, Nachhallzeit und Raumgröße belegt sind. Gleichwohl stehen dem geübten Tüftler und dem ambitionierten Klangschrauber jede Menge Parameter zu Verfügung, um in die Tiefen der Hall-Algorithmen einzutauchen.
Editieren lässt sich in der Tat beim LXP so ziemlich alles, angefangen vom Predelay, über Shape, Spread Diffusion, Reflection eins und zwei bis zu Bass RTF und Rollover. Für eine vollständige Liste sei auf die finale Tabelle verwiesen, denn die Erwähnung jedes einzelnen Parameters würde den Rahmen dieses Testberichts sprengen. Beim Editieren muss sich der Anwender erfreulicherweise nicht durch hunderte von Menüs und Untermenüs klicken, sondern erreicht jeden gewünschten Parameter durch einen Mausklick im unteren Bedienfeld. Dieses ist übrigens wesentlich übersichtlicher aufgebaut als das des PCM Bundle, hinzu kommt eine virtuelle LED, die den Tonschaffenden zu jeder Zeit informiert, in welchem Menü er sich gerade befindet. Jede Editierung lässt sich selbstverständlich in einer eigenen User-Kategorie abspeichern, wobei das Abspeichern im Plug-in über eine eigene Verwaltung und damit Daw-unabhängig geschieht. Vorteil: Die selbst erstellten Presets stehen somit auch Plattform-übergreifend zur Verfügung. Absolut erfreulich, dass diese gerade für den Praktiker wichtige Funktion jetzt auch mit den Magix Sequenzern Samplitude und Sequoia funktioniert, was beim PCM Bundle nicht immer problemlos möglich war. An weiteren Verwaltungs-Funktionen bietet das LXP-Bundle noch eine „Compare“-Funktion, womit sich die Presets vergleichen lassen. Auch ein komplettes Zurücksetzen aller Parameter ist über die „Restore“- Funktion sehr bequem möglich. Das Plug-in Bundle stellt, wie bereits erwähnt, vier verschiedene Algorithmen mit jeweils individuellen klanglichen Eigenschaften zur Verfügung, die im Folgenden näher beschrieben werden:
LXP Chamber: Dieser Effekt stellt den klassischen Hall-Chamber Effekt dar. Ein kleiner bis mittlerer Raum mit unregelmäßigen Wänden und einer hohen Anzahl an Erstreflexionen. Dieser Nachhall zeichnet sich durch eine sehr große Dichte und eine hohe Anzahl an “Wall-Slaps“ aus. Im Praxistest gefällt uns LXP Chamber besonders in Schlagzeug- und Gitarrenspuren. Aber auch Streicherarrangements profitieren vom LXP Chamber, indem sie eine fast greifbare Plastizität erhalten. Auch zeichnet sich dieser Effekt durch eine angenehm, natürliche Wärme aus, was ihn zur ersten Wahl für die Bearbeitung akustischer Instrumente macht.
LXP Hall: Der klassische Lexicon “Wölkchenhall“ mit mittlerer bis langer Nachhallzeit und eine klare Reminiszenz an die klassischen Lexicon-Geräte der 1980er Jahre. Dieser Hall besitzt eine sehr charakteristische Nachhall-Modulation, wie man sie bei anderen Geräten selten bis überhaupt nicht findet. Gerade der Popmusik der achtziger und neunziger Jahre drückte dieser Hall seinen unnachahmlichen Stempel auf und versüßte die klassischen Pop- Alben von A-ha bis zu den Simple Minds. Gerade für Drums und Gesang ist der LXP Hall ein Muss für Musik nicht nur in dieser Stilistik: Die irische Folk / New Age Sängerin Enya setzt diesen Halleffekt beispielsweise auf ihren CDs fast schon als Instrument ein und verleiht ihren Kompositionen dadurch eine fast schon unwirkliche Tiefe. Dieser spezielle Hall eignet sich für einen vordergründigen, dichten Hall. Für natürlich klingende Sounds ist er weniger gut geeignet, da der LXP Hall-Algorithmus dafür zu höhenlastig und künstlich klingt. Im Vergleich zu den alten Lexicon Klassikern klingt dieser Hall allerdings weniger körnig und wesentlich sauberer, was daran liegen könnte, dass die aktuellen D / A Wandler doch wesentlich akkurater arbeiten als noch ihre Vorfahren aus den achtziger Jahren.
LXP Plate: Dieser Hall ist von seiner hohen Diffusion und einem sehr hellen Gesamtsound gekennzeichnet. Angewendet auf Snare und Gesangsspuren eignet er sich hervorragend, um dem Signal einen eigene, fast intime Aura zu verleihen. Im Test optimieren wir einen Snaresound, indem wir das Predelay auf circa 60 Millisekunden bei einer Nachhallzeit von etwa 1,6 Sekunden einstellen und erhalten einen krachenden und durchsetzungsfähigen Snare-Klang à la Mel Gaynor, dem langjährigen Drummer der Simple Minds.
LXP Room: Der Room-Effekt stellt einen kleinen bis mittleren Raum mit weniger Dichte und Diffusion, aber einer hohen Anzahl von Erstreflexionen dar. Im Test zeigt sich dieser Effekt als echter Allrounder und passt grundsätzlich zu jedem Signal. Perfekt präsentiert sich der LXP Room allerdings in Drumloop- und Synthesizerspuren. Gerade für Signale, die vordergründig präsent und daher mit viel Predelay zu versehen sind, eignet sich dieser Algorithmus hervorragend. Denn der Effekt ist nur sehr subtil hörbar, verleiht dem Signal jedoch sehr viel Charakter und Frische. Wir versehen im Test einen knackigen Drumloop und eine pulsierenden Synthbass-Spur mit einem moderatem LXP Room Effekt. Das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen. Beide Instrumente stehen für sich alleine und erhalten dreidimensionale Tiefe, ohne verwaschen zu klingen oder im Mix an Druck und Durchsetzungsfähigkeit zu verlieren. Auch bei dieser praktischen Anwendung erweist sich der Multiband Modus als extrem hilfreich bei der Kontrolle des tieffrequenten Bereiches des Arrangements.
Klanglich ist der Lexicon LXP, wie auch schon seine Hardware-Kollegen in der Highend-Liga anzusiedeln. Das Plug-in bietet zwar nicht ganz so viele Algorithmen wie das PCM-Bundle, jedoch ist die enthaltene Auswahl völlig ausreichend und dürfte somit für jede Anwendung den passenden Hall oder Raum liefern. Schade nur, dass der grafische Equalizer vom PCM Bundle nicht mit an Bord ist. Denn damit wäre der LXP noch einmal deutlich flexibler. Der im Editieren von Hall-Parametern noch ungeübte Anwender ist wohl schon mit dem üppigen Fundus an praxistauglichen Presets absolut zufrieden. Der Klangfrickler ist beim LXP – durchaus vergleichbar mit dem großen Bruder – selbstverständlich herzlich zum Experimentieren mit den einzelnen Parametern eingeladen. Es lohnt sich wirklich beim LXP auch mal in die Tiefen der Algorithmen abzutauchen. Denn als Belohnung erhält der arrivierte Anwender exotische Hallfahnen und Räume, die trotzdem niemals allzu künstlich klingen oder gar aufdringlich scheppern. Der Klang der Algorithmen ist nämlich in jedem Fall sehr nahe am Hardware-Original und steht damit in bester Lexicon-Tradition. Bei kurzen und sehr kurzen Nachhallzeiten mit großer Dichte neigen einige Hall Plug-ins gerne mal zum Scheppern. Nicht jedoch der Lexicon: Gerade in diesem Bereich kann der bullige Amerikaner seine Stärken voll ausspielen und arbeitet dabei so subtil und unauffällig, dass der Anwender ihn erst bemerkt, wenn er den Bypass-Button betätigt. Der LXP Hall mit seinen mittleren bis großen Hallräumen geht dabei saftig und kraftstrotzend, aber immer wohlklingend und samtig zu Werke. Wie auch dem PCM Native Bundle, ist auch dem Lexicon LXP Bundle der typisch hochwertige Lexicon Sound zueigen, der bei vielen Studiobesitzern immer noch als ungeschlagen gilt. Beim Durchhören der sehr praxisorientierten Presets, stellt sich jederzeit das berühmte „Lexicon-Gefühl“ ein. Gemeint ist ein äußerst weicher und cremiger Nachhall, der alle Attribute hat, die der Benutzer mit einem Lexicon-Hall in Verbindung bringt. Ein Vergleich für diese Klasse zu finden, ist nicht gerade einfach. Ganz oben wird die Luft bekanntlich dünn. Klanglich kommt der Reverb aus dem Sony Oxford Bundle in die Nähe, bietet aber weitaus weniger Parameter und schneidet vor allem bei den kurzen Räumen deutlich schlechter ab. Waves kann in puncto Klanggüte mit seinem IR1 durchaus mithalten. Dieses Plug-in ist aber ein Faltungshall und weist systembedingt nicht mal einen Bruchteil der Bearbeitungsoptionen des LXP-Plug-ins auf. Anderen, auf Algorithmen basierenden Plug-ins ist das LXP Native Reverb Bundle alleine schon durch seinen einzigartigen Klang unseres Erachtens haushoch überlegen. Ein echter Lexicon eben.
Fazit
Was soll man sagen? Dem Hersteller Lexicon ist mit dem LXP Native Reverb Bundle wieder ein großer Wurf gelungen. Der Klang ist über jeden Zweifel erhaben und liegt erfreulich nah am Original der nicht mehr hergestellten LXP-Hardware-Prozessoren. Vor allem die Chamber- und Room-Effekte können regelrecht begeistern. Allerdings sollte das LXP-Bundle nicht wie sein Vorgänger als Rundum-Sorglos-Paket betrachtet werden, sondern als perfekte Ergänzung mit eigenem Charakter. Durch den verhältnismäßig günstigen Anschaffungspreis bietet er vor allem weniger betuchten Anwendern die Möglichkeit, an den berühmten Lexicon-Klang zu gelangen – und das ohne Wenn und Aber.
Erschienen in Ausgabe 11/2010
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 629 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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