In der Halle des Bergkönigs
Mit dem TSAR-1 betritt die renommierte Plug-in-Schmiede Softube erstmals das Terrain der Raumsimulationen. Dabei gehen die Entwickler ganz eigene Wege in Sachen algorithmischer Hall-Erzeugung.
Von Tim O’Connell
Die Frage, ob der Software-Markt unbedingt ein weiteres Hall-Plug-in benötigt, hat der schwedische Software-Hersteller Softube kürzlich mit einem lauten und vernehmlichen „Ja“ beantwortet und dies mit seinem jüngsten Streich, dem TSAR-1 kräftig unterstrichen. Die Abkürzung steht hierbei für „True Stereo Algorithm Reverb“, die somit die Haupt-Wesenszüge des Softube-Neulings knapp zusammenfasst. Damit stellt sich der Hersteller bewusst in Opposition zu den populären Faltungshall-Prozessoren, was jedoch nicht ohne Hintergedanken geschehen ist. Denn den algorithmischen Hall-Plug-ins wird oft eine höhere Musikalität zugesprochen. Ob sich diese Qualitäten auch im rund 290 Euro kostenden Softube-Hall finden, haben wir im wie immer akribischen Praxistest für Sie herausgefunden. Besonderheit: Der TSAR-1 emuliert kein Hardware-Vorbild, auch wenn die täuschend echt wirkende Bedienoberfläche, die entfernt an die Fernbedienung des legendären Lexicon 960L Prozessors erinnert, dies suggeriert. Die enthaltenen Hall-Algorithmen sind also eine völlig eigenständige Entwicklung. Ziel des Herstellers ist es dabei, einen möglichst edel und natürlich klingenden und dennoch einfach zu bedienenden Hall auf den Markt zu bringen. Das TSAR-1 Plug-in kommt gleich in zwei Versionen daher: Zum einen der TSAR-1 und zum anderen der TSAR-1R, welcher mit nur je zwei Fadern und Drehreglern auskommt, sonst aber auf denselben Algorithmen basiert wie sein großer Bruder. Abseits dessen macht das Interface des TSAR-1 einen sehr aufgeräumten Eindruck. Das Repertoire an Bedienelementen und einstellbaren Parametern ist rasch erfasst. Trotz überschaubarer Einstellmöglichkeiten sind Räume dennoch vielgestaltig ausformbar.
Den Parameter-Reigen eröffnen die Erstreflexionen, die primär Einfluss auf den Eindruck der emulierten Raumgröße nimmt. Drei Größen stehen zur Auswahl – Small, Medium und Large – , die durch Klick auf die LEDs wahlweise aktivierbar sind. Weiter geht es mit einem Mix-Regler, der das Lautstärkeverhältnis zwischen Erstreflexionen und Nachhall definiert. Für die Streuung des Halls (Diffusion) in den Raum stehen ebenfalls drei Grundeinstellungen zur Auswahl: Low, Medium und High. Eine hohe Streuung macht den Klang des Signals dabei etwas weicher, während eine niedrigere Streuung die Ortung des Signals im Raum deutlich verbessert. Für die Modulation des Halls, respektive der Hallfahne stehen ebenfalls drei Einstellungen zur Verfügung. Dieser Parameter emuliert, ähnlich wie in den Lexicon-Prozessoren, natürliche Schwankungen in einem Raum, wie zum Beispiel Luftbewegungen oder Temperaturänderungen in verschiedenen Zonen des Raumes, was gleichzeitig mit einem lebendig klingenden Nachhall einhergeht. Über die großen Fader auf der Oberfläche des Plug-ins sind die üblichen Parameter Predelay, Time, Density, Tone und High-Cut präzise regulierbar. Der Clou: Im TSAR-1 sind extrem große Predelay-Zeiten von bis zu einer Sekunde möglich, was wiederum in extremen Einstellungen einen interessanten Effekt zur Folge hat, da das Hallsignal erst sehr spät generiert wird und primär Sounddesigner ansprechen dürfte. Der Time Parameter bestimmt die Nachhallzeit und somit die Tiefe des Raumes, während die Parameter Density und Tone für die Färbung des Raumes zuständig sind. Mit Hilfe der beiden letztgenannten Parameter lassen sich Materialeigenschaften des virtuellen Raumes nachempfinden, seien es Steinhöhlen, metallische Tunnel oder Betonwände. Über den High-Cut-Fader können erwartungsgemäß die Höhen des Hallsignals bedämpft werden was ihn somit wärmer klingen lässt. Der Parameterreigen wird schließlich durch einen Mix- und Output-Regler beschlossen mit dem das Verhältnis zwischen trockenem und verhalltem Signal, beziehungsweise die Lautstärke des Halls geregelt werden kann. Die eingestellten Werte sind allesamt auf dem großzügigen Display gut abzulesen, das bei näherer Betrachtung ein pfiffiges Zusatz-Feature bereitstellt. Denn dem Anwender werden nicht nur die momentan eingestellten Werte angezeigt, sondern auch in Klammern die maximal und minimal möglichen Werte. Durch einen Doppelklick auf den Parameter im Display springt der Wert hin- und her, was dem Nutzer rasch einen A/B-Vergleich ermöglicht. Der abgespeckte TSAR-1R Prozessor wartet demgegenüber lediglich mit Drehreglern für Mix und Output, zwei Fadern für Predelay und Time sowie einem Colour-Parameter auf, der per Button die drei Klangfarben dark, neutral und bright offeriert. Hinter diesen Optionen verbergen sich sozusagen drei fest eingestellte Presets des Density-, Tone- und High-Cut-Parameters. Sehr schön: Außer der nochmals vereinfachten Bedienung wartet die 1R-Version mit einem deutlich niedrigeren Ressourcen-Verbrauch auf. Dieser Verbrauch ist im großen TSAR-1 in der Tat nicht von schlechten Eltern. Mehr als zwei Instanzen sind bei einem etwas betagten Rechner (Athlon Sempron 2800 mit 2GB Ram) absolut nicht drin. In diesem Punkt ist der stämmige Schwede aber mit vielen Konkurrenten in bester Gesellschaft.
Für den Anwender, der sofort zu ansprechenden Ergebnissen gelangen will, steht in beiden Plug-in-Versionen eine Fülle praxisnaher Presets bereit, die grob in die Haupt-Kategorien Modern und Vintage unterteilt sind. In der Modern-Abteilung schlummern sehr viele, direkt auf die jeweiligen Instrumente zugeschnittene Presets. Wer klassische Hallsounds à la EMT Plattenhall oder liebliche Lexicon-Hallfahnen sucht, wird hingegen in der Vintage-Sektion fündig. Hierbei handelt es sich logischerweise weniger um hundertprozentige Emulationen der jeweiligen Geräte, sondern vielmehr um klangliche Anleihen mit ganz eigenem Charme. Im Hör- und Praxistest stellen wir den TSAR-1 als erstes in einer Gesangsaufnahme auf die Probe, der die Stimme mit einem vollen, warmen aber nicht zu aufdringlichen Hall veredeln soll. Da das Arrangement schon ziemlich dicht ist, sollte sich der Hall zwar gut durchsetzen, darf aber nicht zu lang gewählt werden. Auf der Suche nach einem passenden Sound werden wir im Modern Bereich beim Preset “Vocal Chamber“ fündig. Anteilig zugemischt kann sich das Ergebnis schon ohne irgendeine Nachjustierung hören lassen. Mit leichter Nachregelung des Predelays erstrahlt die Gesangsspur schließlich in völlig neuem Glanz. Der Hall kling warm, transparent und zugleich fein aufgelöst und sauber. Unangenehmes Scheppern oder ein gerade den algorithmischen Hallgeräten oft zugesprochenes Flattern ist nicht zu hören. Noch besser: Der oft bei Hallgeräten vernachlässigte Mittenbereich kommt im Softube-Hall sehr markant zur Geltung. Der Gesang wirkt sehr präsent und vordergründig. Er verliert sich auch bei einer Vergrößerung des Hallraums nicht im Klangbrei. Als nächstes wollen wir aus einer tighten aber irgendwie dünn klingenden Snaredrum eine große Rocksnare mit saftigem 80er Jahre Flair machen. Als Ausgangsbasis nehmen wir das Preset „Drum Stage“ vom kleinen TSAR-1R. Das Predelay stellen wir synchron zum Tempo des Songs ein. Et Voilà: Auch in dieser Disziplin schlägt sich das Plug-in hervorragend. Die einst dünn klingende Snare verwandelt sich auf der Stelle in eine krachende Beatmaschine mit ordentlichem Punch. Viele Hallgeräte erzeugen in diesem Szenario einen etwas verwaschenen Sound. Nicht so der TSAR-1R. Das Originalsignal bleibt transparent und tight. Schließlich verhallen wir ein ganze Rhythmusgruppe, bestehend aus Drums und E-Bass. Da alle Komponenten des Drumkits und der Bass einzeln per Direktabnahme aufgenommen wurden, fehlt es den Signalen deutlich an Rauminformation. Für diesen Zweck nutzen wir wiederum den TSAR-1R. Über den Return Weg im Sequenzer-Mixer mischen wir also den Hall den einzelnen Instrumenten zu, die wir vorher individuell im Panorama verteilt haben. Die Bassdrum bleibt dabei in der Mitte, während der E-Bass leicht nach rechts gelegt wird. Besonderes Augenmerk legen wir auf das Predelay, das etwas höher eingestellt wird, um Bassdrum und E-Bass vom eigentlichen Hall-Effekt minimal zu entkoppeln. Diese Instrumente sollen ja im Raum sehr vordergründig stehen. Mit dem Preset „Drum Chamber“ liegen wir innerhalb dieser Anwendung goldrichtig. Die Drums klingen auf einmal extrem lebendig und bilden mit dem E-Bass eine solide Einheit, ohne das sich eine scheppernde Hallfahne nervig in den Vordergrund drängt. In diesem Beispiel setzt sich die True Stereo-Fähigkeit des Softube-Halls eindrucksvoll in Szene. Beide Kanäle berechnet der TSAR-Prozessor unabhängig voneinander, weshalb die einzelnen Instrumente dadurch präzise im Stereofeld ortbar sind, was der Rhythmusgruppe eine fast schon dreidimensionale Plastizität verleiht. Auch bei dieser Anwendung sorgt die starke, aber nie aufdringliche Mittenpräsenz für eine naturgetreue und warme Rauminformation. Die Rhythmusgruppe verschmilzt zu einer Einheit, ohne das sich ein Einzel-Instrument in einer übertriebenen Raumtiefe verliert.
Fazit
Das TSAR-1/TSAR-1R-Plug-in überzeugt in seiner Preisklasse mit einem ausgewogenen und transparenten Klang, der sonst nur in weit höheren Preisregionen anzutreffen ist und geht dabei mutig ganz eigene Wege. Die Klangbearbeitungsmöglichkeiten mit High-Cut- und Tone-Regler mögen etwas reduziert sein und dürften längst nicht jedem Anwender behagen, erweisen sich in der Praxis aber als ausreichend flexibel einsetzbar. Die Ortung der Signale im Hallraum gelingt dank True-Stereo hervorragend und hebt den Softube Hall eindeutig von der Masse ab. Wer einen erstklassigen Allround-Hall sucht und wenig Lust auf großartige Parameterschrauberei hat, der sollte sich den TSAR-1 einmal genauer anschauen. Wer allerdings auf der Suche nach einem authentischen Hall der Marken EMT, Lexicon oder TC Electronic ist, sollte sich lieber bei den zahlreich angebotenen Faltungshall Plug-ins umschauen.
Erschienen in Ausgabe 03/2011
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 287 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut – sehr gut
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