Blick zurück nach vorn
Sie schätzen an alten analogen Synthesizern nicht nur den Klang, sondern auch die Bedienmöglichkeiten? Sie haben von Plug-ins genug? Dann versuchen Sie es doch mal mit dem jüngsten Produkt von Creamware: Prodyssey ASB.
Von Georg Berger
Mit der Authentic Sound Box-Serie (ASB) haben sich die Sieg-burger Klang-Experten von Creamware (siehe Firmen-Porträt in Heft 11/2006) vorgenommen, das Beste aus Vergangenheit und Gegenwart in einem Gerät zu vereinen. In den Instrumenten der ASB-Reihe arbeitet eine moderne Klangerzeugung auf Basis von DSPs, die mithilfe der so genannten Circuit Modelling Technologie den Klang klassischer Synthesizer simuliert. Und das kombiniert mit dem Look and Feel begehrter Geräte der Synthesizer-Geschichte. Auf Software-Ebene werden dabei sämtliche Einzelbausteine des Vorbilds virtuell reproduziert.
Bislang sind bei Creamware drei Klangerzeuger in Form edel wirkender Desktop-Geräte entstanden. Auf den ersten Blick scheint es, das Gehäuse sei komplett aus Holz gefertigt; tatsächlich schützt aber ein in schwarz beziehungsweise dunkelgrau lackiertes Metallgehäuse mit weißer Beschriftung das wertvolle Innere. Die Seitenteile und Leisten aus braunem Wurzelholz dienen nur Verzierung des metallenen Gehäuses und verleihen den ASB-Produkten ein markantes Aussehen.
Das trifft auch auf den jüngsten Spross der Serie zu, den Prodyssey ASB. Er soll die Klangerzeugung und auch die Bedienoberfläche des Analog-Synthesizers ARP Odyssey exakt nachbilden. Die Entwickler haben sich dabei an der letzten Baureihe dieses Synthesizers orientiert (siehe Kasten). Als Vor-lage diente ihnen ein Plug-in gleichen Namens, das auf der Creamware DSP-Recording-Plattform Scope lauffähig ist. Doch hier geht es nicht bloß um die Adaption in ein separates Gehäuse. Denn der Prodyssey ASB enthält Erweiterungen und Eigenschaften, die weder das Original noch das Plug-in bieten. Dazu zählen die Umschaltmöglichkeit zwischen ARP- und Minimoog-Filter, eine zwölfstimmige Polyfonie, eine integrierte Effektsektion mit Chorus/Flanger und Delay, sowie eine Anschlagsdynamik- und Aftertouch-Funktion. Besonderes Merkmal: Wie bei den anderen ASB-Produkten lässt sich der Prodyssey sowohl über die MIDI-Buchsen als auch über die integrierte USB-Schnittstelle ansteuern. Eine mitgelieferte Remote-Software erlaubt zusätzlich die Programmierung und Verwaltung der Presets am Computer und die Einstellung einiger Zusatzfunktionen. Mit knapp 1.100 Euro ist das ganze Paket dabei um die Hälfte billiger als der analoge Urahn. Im Vergleich zu einem Plug-in mag das zwar teuer erscheinen, doch die Vorteile sind offensichtlich. Der Prodyssey ist auch für Nutzer ohne Scope-Plattform zugänglich, ein zusätzlicher MIDI-Controller zur Editierung wird nicht benötigt und beim Live-Einsatz können Sie auf einen absturzfreudigen Rechner verzichten. Im Studio schont solch ein Gerät überdies wertvolle Computer-Performance und liefert einen hochwertigen Klang.
Zur Kommunikation mit der Außenwelt verfügt das Instrument auf seiner Stirnseite über diverse Anschlüsse. Neben den be-reits erwähnten USB- und MIDI-Buchsen – drei Stück – finden sich Stereo-Ein- und Ausgänge mit asymmetrischen 6,3 Milli-meter Klinkenbuchsen. Die Klangerzeugung arbeitet jedoch mono. Einzig die am Ende der Signalkette stehende Effektsektion ist stereo ausgelegt und splittet den Klang quasi wieder auf. Die analogen Eingänge gestatten den Einsatz des Prodyssey als Luxus-Effektgerät. Externe Signale werden direkt auf die Filtersektion geleitet, die beispielsweise einer angeschlossenen Gitarre mit Hilfe von Filtermodulationen einen wandlungsreichen Wah-Wah-Effekt verpasst. Schließlich gibt es noch zwei Klinkenbuchsen zum Anschluss eines Fußtasters und eines Schwellerpedals, einen Netzschalter und die Buchse für das Netzgerät.
Die imposante Oberfläche mit ihren 75 Bedienelementen, die sich auf einer Breite von knapp zwei DIN-A4-Seiten verteilen, wirkt anfangs überladen und verwirrend. Zum Formen der Klänge dienen 35 angenehm gleitende Fader und 25 Drucktaster mit präzisen Druckpunkten und integrierter Status-LED, die ihre Herkunft aus dem Bereich hochwertiger Messtechnik nicht verhehlen. Kenner des ARP Odyssey bemerken sofort das originalgetreue Layout der Bedienele-mente und ihrer Beschriftung und können unmittelbar mit der Programmierung loslegen. Anfänger müssen sich jedoch mit der Anordnung erst einmal vertraut machen.
Am unteren Ende befinden sich, abgetrennt durch eine Holz-leiste, 14 Kipptaster, die auch für Nutzer des originalen ARP-Instruments neu. Mit ihnen lassen sich Sounds aufrufen und abspeichern, der MIDI-Kanal und die Gesamtlautstärke einstellen sowie die Effekte editieren. Links davon gibt eine dreistellige Siebensegment-Anzeige mit rot leuchtenden Ziffern Auskunft über die Werte der gerade angewählten Funktionen und Parameter. Ein Endlos-Drehregler mit Rastung direkt daneben erlaubt die Änderung von Werten.
So sehr sich der Prodyssey vom Äußeren her der Tradition verpflichtet fühlt: Die dreistellige Anzeige ist ein Rückschritt, der an Zeiten erinnert, als LC-Displays noch nicht entwickelt oder zu teuer waren. Das hätte nicht sein müssen. Denn die Anwahl beispielsweise von Presets verkommt dadurch zu einer krypti-schen Nummern-Revue, was im Gegensatz zu den Möglichkeiten der Remote-Software steht, in der sich Sounds mit Namen abspeichern lassen. Darunter fällt auch die Programmierung der Effekte. Ein gutes Nummerngedächtnis ist erforderlich, um zu wissen, welchen Effekt und Parameter man gerade verändern möchte. Schön wäre also ein LC-Display, das zusätzlich zum Wert auch den Namen des Parameters zeigt. Allerdings haben sich die Entwickler eine angenehme Ein-stellhilfe zum Auffinden der Original-Position von Reglern innerhalb eines Presets ausgedacht: eine Siebensegment LED-Kette; wenn die mittlere Diode aufleuchtet, ist die Originaleinstellung erreicht.
Insgesamt 128 Presets sind im Prodyssey enthalten. In der User-Bank zum Speichern eigener Kreationen finden ebenso viele Einträge Platz. Dank der Remote-Software lassen sich darüber hinaus bequem riesige Klangbibliotheken erstellen, ver-walten und ins Gerät übertragen.
Im Praxistest von Professional audio Magazin konzentrieren wir uns zunächst auf die Hardware und nehmen uns die gespei-cherten Werks-Presets vor. Von altbekannten Brot-und Butterklängen bis hin zu exotisch anmutenden Klangtexturen überzeugt der Prodyssey auf ganzer Linie. Das Herumschrauben an den Reglern verändert den Klang sofort und macht Lust auf Experimente. Schon nach kurzer Zeit kommen wir mit dem ungewöhnlichen Layout und Programmier-konzept bestens zurecht. Jede Reglerbewegung und Schalteränderung schafft neue überraschende Klangfarben. Eine Einschränkung, die schon im Original vorhanden war, die aber nicht unbedingt in diesen Nachbau hätte einfließen müssen: Bei Anschluss des Fußschwellerpedals wird der Sample and Hold-Generator aus dem Signalweg der Frequenzmodulation des zweiten Oszillators und des Tiefpassfilters abgeschaltet. Dadurch wird ein wichtiges E-lement der Klangerzeugung im Prodyssey entfernt. Besser wäre es gewesen, zumindest in der Remote-Software eine Wahlmög-lichkeit zu bieten, die eine kontinuierliche Wertänderung des Pedals ohne Sample and Hold oder die Steuerung des Sample and Hold-Generators über das Pedal vorsieht.
Abgesehen von diesem Manko lernen wir beim weiteren Aus-probieren der Klänge recht schnell die klanglichen Eigenheiten des ARP-Sounds kennen. Im Vergleich zum Minimoog überlässt der Prodyssey in Sachen Druck und Klangvolumen seinem Konkurrenten das Feld. Der Grund-Klang lässt sich eher als fein, gläsern, brillant und filigran bezeichnen. Die Domäne des Prodysseys liegt im oberen Mittenbereich und in den Höhen. Diese Eigenschaft wird durch die digitale Simulation des Klangs sogar noch verstärkt. Wer den teils verrauschten Sound echter analoger Synthesizer kennt, oder sich über digitales Rauschen oder Aliasing bei so manch einem Plug-in aufregt, wird vom Prodyssey verwöhnt. Ein absolut sauberes Signal erzeugt den Eindruck, dass die ohnehin vor-handene Brillanz noch zusätzlich verstärkt wird. Es lassen sich durchaus auch wuchtige Bass-Sounds erstellen, die allerdings nicht die vordergründige Aggressivität wie die Äquivalente im Minimoog besitzen. Das hängt zwar auch von den Oszillatoren ab, ist aber in erster Linie auf das eher subtil arbeitende ARP-Tiefpassfilter zurückzuführen. Im Vergleich zum Moog-Pendant verzichtet es auf die typischen harmonischen Verzerrungen und liefert ein sauber gefiltertes Ergebnis. Um dennoch ein wenig mehr Druck zu erzeugen, sind die Creamware Entwickler auf die geniale Idee gekommen, über eine Umschaltmöglichkeit am Prodyssey zusätzlich auf die Simulation des Minimoog-Filters zurückgreifen zu können. Mit dieser Filtercharakteristik erhalten auch die Prodyssey-Bässe bei Bedarf einen gehörigen Schub.
Die wahre Stärke des Prodyssey besteht in seinen reichhaltigen Modulationsmöglichkeiten. Synthesizer in der Art eines Mini-moogs lässt er in diesem Bereich um Längen hinter sich. Mit Hilfe von Frequenzmodulationen der Oszillatoren und des Filters sowie dem Ringmodulator erhalten wir kreischende oder metallisch klingende Spektren, die überdies durch die umfangreichen Modulationsverknüpfungen mit dem Sample and Hold Generator, den Hüllkurven und dem LFO in völlig neue Richtungen abdriften. Mit nur wenigen Handgriffen wandeln wir einen bestehenden Klang von Grund auf. Der Prodyssey ist ein wahres Effektklang-Wunder. Wer es blubbern, fiepen und kreischen lassen will, ist mit dem Prodyssey aufs Beste bedient. Experimentierfreudige Musiker nutzen mit diesem Instrument eine bedienfreundliche und vor allem kompakte Alternative zu modularen Systemen bei gleichzeitig hoher klanglicher Flexibilität.
Im Vergleich zum beeindruckenden Klangspektrum fallen weitere Features des Prodyssey nicht sofort auf. Dazu zählt die Envelope Velocity, mit der die Sounds anschlagsdynamisch spielbar werden. Zusätzlich haben die Creamware-Entwickler den Oszillatoren jetzt einen Oktavwahlschalter spendiert, mit dem sich zumindest die Fußlage bequem im Bereich einer Oktave ändern lässt. Die Grundtonhöhe muss jedoch immer noch manuell über die Grob- und Feinstimmungs-Regler eingestellt werden. Ein kommendes Firmware-Update soll den Prodyssey zusätzlich mit einem 440 Hertz-Ton versorgen, mit dem sich die Oszillatoren elegant stimmen lassen.
Im Verbund mit einem Sequenzer arbeitet das Instrument zuverlässig und komfortabel. Sämtliche Reglerbewegungen nimmt der Sequenzer klaglos als Controller-Daten auf und reproduziert sie auch wieder. Ein Nachteil: Der Prodyssey verfügt über keinen MIDI-Multimode. Für ein Instrument dieser Art mag das vielleicht überflüssig erscheinen, da es sich gerade im Live-Einsatz hervorragend für Soli eignet. Wer aber im Studio eine Stimme für einen Bass-Sound, je eine weitere für einen Lead- und einen Effekt-Sound und den Rest für einen Flächensound einsetzen will, muss dies im Sequenzer nacheinander einspielen und digitalisieren. Ein simultanes Abhören dieses Arrangements ist nur über Umwege möglich.
Bei aller Beschäftigung mit der Hardware lohnt auch ein Blick auf die im Lieferumfang enthaltene Remote-Software. Neben der Hauptseite, die nochmals virtuell die Bedienoberfläche zeigt und die Programmierung des Prodyssey am Computer möglich macht, enthält die Software weitere Seiten zur Editierung zu-sätzlicher Parameter, die sich nicht über die Hardware einstellen lassen. So ist die Anschlagsdynamik separat für die beiden Hüllkurven regelbar. Die Bereiche und Intensitäten für das Pitchbend- und Modulationsrad, genauso wie das Aftertouch-Verhalten der Keyboard-Tastatur sind nur hier editierbar. Weiterhin wählt man dort den Spielmodus zwischen monofon und polyfon, was aus unserer Sicht nicht ausreicht. Wir vermissen ein Feature, das im analogen Ahnen vorhanden war. Denn monofon bedeutet, dass wirklich nur eine einzige Stimme erklingt und die restlichen elf Stimmen ungenutzt bleiben. Eleganter wäre eine zusätzliche Unisono-Funktion mit Verstimmungsmöglichkeit zwischen den Stimmen, die es nach und nach erlaubt, alle zwölf Stimmen gleichzeitig erklingen zu lassen, was erfahrungsgemäß monofon spielbaren Klängen eine beeindruckende Aufwertung in Sachen Druck und Wärme gibt. Weiterhin fehlt die im Original vorhandene Möglichkeit der duofonen Spielweise, bei der die beiden Oszillatoren durch Druck auf zwei unterschiedliche Keyboard-Tasten in unterschiedlicher Höhe erklingen. Gerade wenn die Oszillatoren durch den Ringmodulator geschickt werden, ergeben sich durch die dynamische Eingabe unterschiedlicher Intervalle zusätzliche Effekte, die in der jetzigen Form nicht möglich sind. Über ein entsprechendes Firmware-Update sollte dieser Schönheitsfehler von den Creamware Entwicklern leicht zu beheben sein.
Die Remote-Software enthält noch eine Reihe weiterer komfortabler und wichtiger Funktionen. So gestattet es die Add-Page, die Effekte schnell zu programmieren. Die Verwaltung, sowie der Im- und Export von Soundbänken lässt sich über den Preset-Dialog kinderleicht erledigen, und ein virtuelles Keyboard erlaubt das Abspielen von Sounds mit der Maus. Die Remote-Software ist ebenfalls für das Updaten der Firmware zuständig. Sie stellt damit eine sinnvolle Ergänzung zur Hardware dar, die die Funktionalität des Instrumentes noch erhöht. Der Prodyssey hinterlässt bei uns einen sehr positiven klanglichen Eindruck, der mit dem immensen Spaß beim Herumschrauben am Gerät einhergeht.
Fazit
Alle, die ein Faible für den Klang und die Bedienung analoger Klassiker haben, aber keine Unsummen für die begehrten Originale ausgeben wollen, werden den Prodyssey ASB ins Herz schließen. Durch seinen charakteristischen Grundklang und die im Vergleich zum Großteil der Analog-Synthesizer umfangreichen Modulationsmöglichkeiten, wird er ambitionierte Klangschrauber ebenso begeistern. Mit dem Prodyssey ASB haben die Siegburger aufs richtige Pferd gesetzt und einen Klassiker der Synthesizer-Geschichte naturgetreu wiederaufle-ben lassen. Durch die DSP-basierte Klangerzeugung und die Möglichkeit von Updates wird der Prodyssey ASB auf lange Sicht aktuell bleiben.
Erschienen in Ausgabe 12/2006
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1080 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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