Perfekte Symbiose

Wer sagt eigentlich, dass ein Mikrofonhersteller jedes Bauteil seiner Schallwandler selbst fertigen muss? Für sein C617 verwendet David Josephson eine Verstärkereinheit aus eigener Fertigung und eine MK 221-Kapsel von Microtech Gefell. Das Ergebnis dieser Sym¬biose ist ein Spitzenmikrofon ohne Wenn und Aber.  

Von Harald Wiitig 

Hinter dem amerikanischen Kleinstunternehmen Josephson Engineering steht ein Mann gleichen Namens: David Josephson, der auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung im Mikrofonbau zurückblickt. In den USA – und nicht nur im heimatlichen Santa Cruz – genießen Josephson-Mikrofone bereits Kultstatus. Die Anhänger sagen den Schallwandlern hervorragende elektro-akustische Eigenschaften nach und eine Klangqualität, die mit den besten Mikrofonen der Welt konkurrieren kann.

Bei US-Profis ist beispielsweise das Kleinmembran-Mikrofon e22S, das speziell für Schlagzeug-Aufnahmen  entwickelt wurde, sehr beliebt. Das gleiche gilt für die Twin-Großmembran-Mikrofone der eigenen  Serie 7, von denen Josephson Engineering mehrer Varianten anbietet: Diese Mikrofone haben in der Regel zwei Kapseln, im Falle des  C700A sogar derer drei, wobei die Signal-Anteile der Kapseln – hier allesamt von Josephson selbst entwickelt und gefertigt – separat aus den Mikrofonen herausgeführt werden. Die verschiedenen Richtcharakteristiken erzeugt der Toningenieur final beim Mischen. Derzeit gibt es übrigens ein limitiertes Jubiläums-Modell der Serie Sieben: Es nennt sich C720 und präsentiert erstmals einen neu entwickelten Schutzkorb, der kaum Reflexions-Flächen aufweisen und damit jegliche Verfärbungen praktisch ausschließen soll. 
Josephson-Mikrofone sind bislang noch die großen Unbekannten in Europa und erst seit kurzer Zeit – dank des deutschen Pro-Audio-Vertriebs Adebar Acoustics – hierzulande erhältlich. 
Dass die wahren Juwelen im Mikrofonbau immer noch aus Europa, namentlich aus Deutschland kommen, steht für viele Kenner und auch Entwickler außer Frage. Gerade ein vermeintlicher Newcomer hat einen sehr schweren Stand gegen die bundesdeutsche Konkurrenz, die regelmäßig in unseren aber auch in den Tests anderer Fachmagazine Spitzenbewertungen bekommen. Im Falle des ersten Testkandidaten aus dem Hause Josephson, dem Kleinmembran-Kondensatormikrofon C617 regt sich allerdings auch das Interesse überzeugter Nationalisten. Wie bereits einleitend erwähnt, kommt das Herzstück dieses mit rund 1.900 Euro nicht eben billigen Mikrofons aus vornehmem Hause: Dabei handelt sich nämlich um die Messmikrofonkapsel MK 221 von Microtech Gefell. In Anbetracht der vorzüglichen Mikrofone des thüringischen Traditionsherstellers mit echten Neumann-Genen (siehe die Tests von M 930 und 950 in Ausgabe 7/2007 und des M990 art in Ausgabe 2/2009) schürt das hohe Erwartungen an die Klangqualität, die – soviel sei bereits verraten – dieses Mikrofon deutsch-amerikanischer Abstimmung ohne Weiteres erfüllt.In Zeiten, wo nicht wenige Mikrofonmanufakturen schon mal damit werben, die Kapseln von den ganz Großen im Mikrofonbau zu beziehen, erscheint es nicht unbedingt außergewöhnlich, dass David Josephson und die Microtech Gefell GmbH eng zusammenarbeiten. Das Besondere an der Beziehung zwischen Josephson und Gefell – beide Seiten sprechen tatsächlich von Freundschaft: Sie besteht schon bald zwanzig Jahre. Nach Auskunft von Udo Wagner von Microtech Gefell, hat David Josephson kurz nach dem Mauerfall Kontakt mit dem ostdeutschen Mikrofonhersteller, dessen Produkte er stets hoch geschätzt hat, aufgenommen.   Dies führte unter anderem dazu, dass Microtech Gefell für Josephson, genauer für die Mikrofon-Verstärkereinheiten seiner Serie 6 Kapseln baut. Wesen dieser Baureihe ist nämlich ihr Modular-System. Mit anderen Worten: Die Kapseln sind austauschbar und  bei den älteren Serie-6-Mikrofonen vertraute Josephson noch auf Brüel & Kjaer-Kapseln. Diese Mikrofone haben sich in den USA übrigens einen Kultstatus erspielt und manche Anwender handeln sie höher als die aktuellen DPA-Mikrofone. Derzeit wird bereits heftig diskutiert, ob das noch recht neue C617 mit seiner Gefell-Kapsel genauso gut – oder gar besser – ist.
David Josephson selbst hält jedenfalls große Stücke auf die MK 221. Das wundert einen nicht, immerhin muss der Mann diese Kapsel in und auswendig kennen: Sein Unternehmen erledigt nämlich bereits seit 1993 den Vertrieb und den technischen Support für die gesamte Test- und Messmikrofon-Produktlinie von Microtech Gefell in den USA.

Als Druckempfänger hat die MK 221 selbstverständlich Kugel-Charakteristik (vergleiche hierzu ausführlich Teil 1 der Mikrofonierungs-Serie in Ausgabe 6/2008). Der Kapseldurchmesser beträgt mit der abnehmbaren Schutzkappe 13,2  Millimeter, es handelt sich also um eine Kleinmembran. Obwohl ein Mikrofon grundsätzlich sehr klein sein sollte, um eine ideale Kugelcharakteristik, die bekanntlich den Schall aus allen Richtungen gleichmäßig aufnimmt, zu verwirklichen, ist eine Kleinstmembran mit einem Durchmesser von vielleicht fünf Millimetern für Studio-Anwendungen problematisch: Solche Miniaturkapseln, die bekanntesten Hersteller sind DPA und Earthworks, können, aufgrund ihres geringen Wirkungsgrads und der dadurch notwendigen hohen Verstärkung, deutlich hörbar rauschen. Deswegen bevorzugen Kleinmembran-Spezialisten wie Schoeps, Neumann/Sennheiser und auch Microtech Gefell größere Kapsel- und Membran-Durchmesser. Damit müssen die Hersteller zwar in Hinblick auf die ideale Kugel gewisse Abstriche machen, gleichzeitig haben solche Mikrofone aber einen studiotauglichen Störspannungsabstand. Der Anwender muss nur darauf achten, ein Mikrofon wie das C617 exakt auf die Schallquelle auszurichten, denn bei seitlichem Schalleinfall kommt es zu Höhenverlusten. Wobei eine Kleinmembran-Kapsel wie die MK 221 hier wesentlich toleranter ist als eine Großmembran – also kein Grund zur Panik.
Die Verstärkereinheit des C617 ist eine Eigenentwicklung von Josephson Engineering. Es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung des älteren Transistor-Verstärkers C606. Dabei basiert der Verstärker auf einer KaskodenSchaltung mit Bipolar Transistoren, es handelt sich also um eine zweistufige FET-Verstärkerschaltung. Der Vorteil einer solchen Schaltung, die eine Kombination der Emitter- (erste Stufe) und der Basisschaltung (zweite Stufe) darstellt: Damit wird der sogenannte Millereffekt unterdrückt, der bei einfachen Emitter- beziehungsweise Source-Schaltungen deren Einsatz auf niedrige bis mittlere Frequenzen begrenzt. Folglich ergibt sich aus der Kaskoden-Schaltung eine höhere Bandbreite durch eine erhebliche Erhöhung der oberen Grenzfrequenz. Zudem verbessern beziehungsweise erhöhen sich mit dieser Schaltung die Eingangs- und Ausgangsimpedanz und die Gesamtverstärkung.
Die Symmetrierung des Ausgangssignals geschieht beim C617 – wie bisher auch – auf elektronischem Wege, also trafolos. Grundsätzlich bringt eine „eisenlose“ Ausgangsstufe eine verbesserte Höhenauflösung, was mit ein Grund ist, dass die Mikrofonhersteller bei ihren Transistor-Mikrofonen die elektronische Symmetrierung bevorzugen.
Zumindest die im Messlabor ermittelte Empfindlichkeit  von sage und schreibe 55 mV/Pa scheint ein Verdienst der Kaskoden-Schaltung zu sein. Das C617 ist damit ein außergewöhnlich lautes Mikrofon. Tatsächlich ist es das bisher lauteste, das wir jemals getestet haben. Was bedeutet das in der Praxis: Der Mikrofon-Vorverstärker muss kaum arbeiten, sollte allerdings über sehr feinstufige Gain-Regler verfügen, denn allzu schnell übersteuert dieses Power-Mikrofon die Eingangsstufe. Sollte der Anwender Verzerrungen bemerken, kommen die ausweislich unserer Testläufe vom Preamp, nicht vom Mikrofon. Zumal die MK 221-Kapsel zu den pegelfestesten Kondensator-Kapseln überhaupt gehört, was nebenbei erwähnt auch andere Mikrofonhersteller, wie zum Beispiel Schoeps, ohne Zögern bestätigen.  Bei dieser Verstärker-Power spielt der mit 76,4 Dezibel durchschnittliche Geräuschpegelabstand kaum eine Rolle. Entwarnung an Misstrauische: Auf unseren Test-Aufnahmen ist keinerlei Rauschen auszumachen.

Dass im Hause Josephson bei der Fertigung seiner Mikrofone sehr penibel gearbeitet wird, zeigt sich auch bei der Messung eines zweiten C617: Die Messwerte dieser ausdrücklich nicht gematchten Mikrofone sind praktisch deckungsgleich. Das gilt auch für die ermittelten Frequenzgänge gilt (siehe die Diagramme auf Seite 71), die völlig linear sind. Die zu erkennenden, vereinzelten Welligkeiten beruhen auf Reflexionen von Mikrofonstativ und Kabel und sind getrost vernachlässigbar.
Vorzügliche Bauteile und hervorragende Messwerte sind eine Sache. Wie steht´ s mit dem Klang des C617? Auf den Punkt gebracht: Dieses Mikrofon ist Spitze. Es ist ein Vorbild an Neutralität, färbt also praktisch überhaupt nicht, dabei sind Auflösungsvermögen und Impulsverhalten auf einem Niveau, das wir bisher nur bei Top-Kleinmembranen wie dem Schoeps MK2H/CMC 6Ug und dem DPA 4006-TL (getestet in Ausgabe 12/2006) – beides ebenfalls Druckempfänger – gehört haben. Das C617 liefert eine so präzise Abbildung des Klanggeschehens, das sich vor seiner Kapsel abspielt, die in Ermangelung eines treffenderen Eigenschaftswortes als „fotorealistisch“ zu bezeichnen ist. Anders ausgedrückt: Wenn es darum geht, den Klang eines Solisten (Stimme oder Instrument) oder eines Klangkörpers einzufangen, ist dieses Mikrofon eine ausgezeichnete Wahl. Wir haben auch diesmal eine Soundfile erstellt: Dabei handelt es sich um ein SoloStück für Konzertgitarre. Das Instrument haben wir mit beiden C617, montiert auf einer Stereoschiene, mikrofoniert, als Preamp kommt – wie üblich – die Professional audio Magazin-Referenz, der Lake People Mic-Amp F355 zum Einsatz. Die A/D-Wandlung mit 24Bit/48kHz übernimmt der redaktionseigen Lynx Aurora 8. Wir haben die One-Take-Aufnahme lediglich mit ein wenig Send-Hall angereichert, ansonsten ist alles naturbelassen – also keine Dynamikbegrenzer oder Equalizer.  Sie finden das Klangbeispiel in der Soundbank, den Freischalt-Code auf Seite 71 der Print-Ausgabe. 
Dass der Aussagegehalt von Klangbeispielen eingeschränkt ist – immerhin weiß der Hörer nicht, wie das Instrument in natura klingt ¬– ist uns bewusst. Aus diesem Grunde eine kleine Klangbeschreibung der verwendeten Gitarre, eine Altamira N 600 S: Dieses vollmassive Mittelklasse-Modell steht klanglich in spanischer Gitarrenbau- und Klangtradition, klingt also tendenziell dunkel mit kräftigen Bässen und einem ausgeprägten Mittenbauch. Das Höhenspektrum ist zugunsten eines betont warmen Klanges zurückgenommen. Allerdings sorgt die Fichtendecke für eine gute Trennung. Das homophone Stück steht dem Instrument sehr gut.  Das C617 fängt den Grundklang des Instruments, den Anschlag des Spielers und die Klangfarben hervorragend ein. Aufgrund der gnadenlosen Auflösung sind auch Neben- und Atemgeräusche zu hören. Daraus ergibt sich umgekehrt, dass dieses Mikrofon auch feinste Modulationen in Ton und Klangfarbe übersetzt. Gerade Tonmeister, die der reinen Klanglehre folgen und im Klassik- und/oder Akustik-Bereich arbeiten, werden Freude an diesem Mikrofon haben, denn es ist das Äquivalent eines hochfeinen Gehörs.

Fazit

Das Josephson C617 mit MK 221-Kapsel von Microtech Gefell  ist ein Spitzenmikrofon, dass mit hochfeiner Auflösung, sehr gutem Impulsverhalten und optimaler Signaltreue punktet. Für puristische Aufnahmen, die ein exaktes Abbild der Klangwirklichkeit darstellen sollen, ist es eine ausgezeichnete Wahl.

Erschienen in Ausgabe 03/2009

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1887 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut