Der Meisterschüler
Um an heiß begehrte Studiogeräte mit legendärem Klang zu gelangen, bedarf es viel Glück und Geld. Doch wenn es um Unikate wie den legendären EMI RS 124 Kompressor geht, nützen weder Glück noch Geld etwas. Doch mit dem Frust darüber ist ab sofort Schluss, denn der Klang des Kompressors ist seit kurzem für Jedermann zugänglich in Form eines Plug-ins. Wie das reproduzierte Stück Tonstudio-Geschichte klingt und was sich damit anstellen lässt, haben wir für Sie herausgefunden.
Von Tom O’Connell
Es gibt wohl kaum ein Tonstudio, um welches sich mehr Legenden ranken als um die Londoner Abbey Road Studios. Seit den frühen 60er Jahren gilt dieses Topstudio als absolute Klangreferenz und Hitfabrik. Der gute Ruf kommt dabei nicht von ungefähr und ist zu einem nicht unerheblichen Teil dem dort installierten Studio-Equipment zu verdanken. Der Mythos verstärkt sich sogar noch, denn ein Großteil dieser Hardware wurde von den EMI Technikern exklusiv nur für dieses Studio gebaut. Für Normalsterbliche sind diese Geräte daher bis heute nicht zu erstehen, da sie nie in Serie gegangen sind. Seit einiger Zeit hat es sich das Studio jedoch zur Aufgabe gemacht, ihre legendäre Hardware in Bits und Bytes zu gießen, sprich: Ihre beliebtesten EQs, Kompressoren und Limiter als Software Plug-in der großen Gemeinschaft der DAW-User zugänglich zu machen. Emulationen wie der Kompressor/ Limiter TG 12413 oder das Brilliance Pack zeigen, mit welcher Präzision die Programmierer von Abbey Road dabei vorgehen. Im Zentrum ihrer neuesten Schöpfung steht die Reproduktion des EMI RS 124 Kompressors, der gleich mit drei wählbaren Modell-Varianten aufwartet und die ihrerseits mit jeweils individuellen Regelverhalten und Klang-Charakteristika ausgestattet sein sollen (siehe Kasten auf Seite 78).
Unser Testkandidat ist mit 314 Euro für die native und 525 Euro für die TDM-Version zwar nicht wirklich als Schnäppchen zu bezeichnen, aber man muss dabei auch bedenken, dass sich ein Name wie Abbey Road nun mal auch im Preis niederschlägt. Dafür verspricht der Neuling kompromisslos den legendären Klang des Originals mit sämtlichen ihm innewohnenden Ecken und Kanten. Mit seiner Optik erregt der EMI RS 124 bereits auf den ersten Blick Aufmerksamkeit. Selten war eine derart detailgetreue und fotorealistische Oberfläche auf einem Plug-in zu sehen. In diesem Punkt können da nur die Produkte des schwedischen Software-Produzenten Softube mithalten, wie etwa mit dem CL 1B Plug-in (Test in Heft 02/2010), dessen Bedienoberfläche ebenfalls sehr authentisch gestaltet ist. Durch einen Mausklick auf die Typenbezeichnung lässt sich zwischen den unterschiedlichen Modell-Varianten mit den Seriennummern 60050A, 61010B und 60070B wählen. Diese drei Serientypen unterscheiden sich nur geringfügig im Aussehen, dafür aber massiv im Regelverhalten und Klang. Später dazu mehr. Wie beim Original gibt es auch in der virtuellen Version des RS 124 auffällige Besonderheiten bei der Ausstattung und den Bedienmöglichkeiten. So gibt es keine separaten Regler für Attack, Release und Threshold. Einen Ratio-Regler sucht man ebenfalls vergeblich. Das Arsenal an einstellbaren Parametern setzt sich lediglich aus einem Input- und Output-Regler sowie einen mit „Hold/Recovery“ bezeichneten Drehschalter zusammen. Nach dem Studium der knappen aber informativen Bedienungsanleitung ist das Geheimnis hinter der spartanischen Ausstattung jedoch schnell gelüftet. Der RS 124 Prozessor nutzt zur Dynamik-Reduktion eine Röhre – Stichwort: Vari-Mµ – die in Abhängigkeit zur Signalstärke die Kompressionskennlinie dynamisch reguliert und einen Ratio-Regler daher überflüssig macht. Eine weitere heiß begehrte Studio-Legende wie der Fairchild-Kompressor nutzt dieses Prinzip übrigens ebenfalls und in beiden Geräten sorgt die Röhre für ein besonders organisches und lebendiges Regelverhalten, dem sie nicht zuletzt deswegen ihren Legenden-Status zu verdanken hat. Doch zurück zum RS 124: Über den Input Control-Parameter regulieren wir die Eingangsempfindlichkeit und somit auch in welcher Signalstärke die (virtuelle) Röhre versorgt wird, was letztlich nichts anderes darstellt als eine Threshold-Funktion. Über den Output Attenuator-Regler gleichen wir erwartungsgemäß die auftretende Pegelreduktion wieder aus. Auffällig: Im Test ist der Ausgang des Plug-ins nicht sonderlich hoch ausgelegt. Lautmacher sind die Plug-ins von Abbey Road wahrlich nicht. Diesen Anspruch wollen sie aber auch nicht erfüllen, sondern vielmehr als feinmechanisches Werkzeug den anliegenden Klang behutsam verfeinern. Der Grad der Pegelreduktion ist über ein großes VU Meter ablesbar. Das Geheimnis hinter dem Hold/Recovery-Schalter ist ebenfalls rasch gelüftet. Über diesen Parameter lassen sich verschiedene fest eingestellte Attack- und Release-Zeiten wählen. Dies geschieht allerdings auf eine ganz und gar ungewöhnliche Art und Weise. Anders als im Fairchild-Kompressor, der ebenfalls per Drehschalter ein Ändern der Attack- und Releasezeiten gemeinsam realisiert, ist dies im RS 124 lediglich separat möglich, also entweder nur Attack oder Release. Die schwarz gekennzeichneten Stellungen markieren dabei die Relasezeiten und die roten das Attack. Auf Nachfrage nach der dahinter arbeitenden Technik und den vorgegebenen Zeiten hüllt sich der Hersteller allerdings in Schweigen. Doch es geht noch weiter: Ein Feature, das nicht im Original RS 124 enthalten ist, ist die sogenannte Super Fuse Funktion. Sie ist durch Klick auf die Kontrollleuchte rechts neben dem Output Attenuator Regler aktivierbar und stellt Attack und Release auf denselben Wert ein. Gleichzeitig wird der eingestellte Recovery / Hold Wert außer Kraft gesetzt. Der hörbare Effekt dieser Funktion ist entfernt vergleichbar mit dem sogenannten All Button Mode des Urei 1176 Kompressors. Besonderheit: In den drei Modell-Varianten fallen die voreingestellten Attack-Werte in diesem Modus sehr unterschiedlich aus, weshalb ihre charakteristischen Klangeigenschaften mit aktivierter Super-Fuse-Funktion am deutlichsten zum Vorschein kommen.
Damit nicht genug, offeriert das RS 124 Plug-in durch Druck auf den Balance-Button eine Art Auto-Gain-Funktion, die den Output-Regler außer Kraft setzt und im Test durchweg höhere Pegel realisiert als von uns praxisgerecht per Regler eingestellt. Verglichen mit einem Brickwall-Limiter ist der RS 124 in diesem Modus jedoch immer noch ein Leisetreter. Im Test ist der Umgang mit dem Hold/Recovery-Schalter anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Davon abgesehen, ist der Klang des edlen Briten über jeden Zweifel erhaben. Benutzer modern ausgestatteter Kompressoren werden mit Sicherheit etwas zurückschrecken, denn der RS 124 macht eigentlich alles was ein moderner Kompressor nicht darf. Der graue Giftzwerg pumpt, schmatzt und färbt dass sich die Balken biegen, aber genau dafür wird er ja auch geliebt. Während das Ursprungsmodell 60050A noch etwas dezenter und transparenter klingt, geben seine Kollegen 61010B und 60070B mächtig Gas und zeigen sich als Klangschmeichler im besten Sinne. Alle drei Versionen überzeugen durch ein exzellentes musikalisches Regelverhalten und ein angenehmes Verschmelzen der Frequenzbereiche. Ebenso wie das Original ist das virtuelle Modell 60050 A dafür prädestiniert, seinen Dienst als Summen- oder Bus-Kompressor auszuüben. In dieser Rolle komprimiert er bei entsprechender Einstellung einen Mix sehr sanft vor und sorgt für eine leichte Anhebung im unteren Mittenbereich, während die Höhen zart beschnitten werden was, wiederum für einen sehr noblen und warmen Klang sorgt. Die anderen Modelle lassen sich durch ihr höher gewähltes Attack vor allem als Kanalkompressor nutzen. Eine Bassdrum wird in ihrem Attack kaum beschnitten, bekommt aber ungemein Präsenz und Druck. In einer Bassgitarrenspur sorgt der RS 124 für ein sehr musikalisches Atmen und Pumpen bei gleichzeitiger Anhebung des Mittenbereiches. Bei diesem Sound fällt uns spontan der knochige Basssound im Intro von Pink Floyds „Echoes“ ein. Auch akustische Gitarren profitieren vom angenehmen Regelverhalten des Plug-ins. Die Ausschwingphase wird in Recovery/Hold-Stellung vier deutlich verlängert und somit setzt sich die Gitarre hervorragend im Mix durch, ohne jedoch aufdringlich zu wirken. Als echte Bereicherung zeigt sich die Super Fuse Funktion. Einmal eingeschaltet, weist die rote Kontrollleuchte darauf hin, dass in diesem Betrieb Schluss mit lustig ist. Dynamische Peaks werden brutal nach unten gedrückt während die Ausklingphase nur leicht verlängert wird. Für einen charakteristischen Vokalsound a là Lenny Kravitz ist dieses Feature wie geschaffen. Die Bedienung erfordert aber wie bei allen Plug-ins der Abbey Road Studios eine längere Gewöhnungsphase und ein umfassendes Auseinandersetzen mit Vintage-Equipment. Die fehlenden Skalen kann man dabei nicht als Schwachpunkt anlasten, da das Plug-in den Anspruch hat, das Original mit allen Ecken und Kanten zu reproduzieren. Der Benutzer muss sich ausschließlich auf sein Gehör verlassen, wie es die Produzenten des Abbey Road Studios in den 60ern auch getan haben. Dann allerdings lassen sich die drei Modelle extrem effektiv einsetzen.
Fazit
Mit dem RS 124 hat die Software-Abteilung der Abbey Road Studios mal wieder bewiesen, dass sie ein Händchen für unnachahmliche und authentische Sounds haben. Wie auch bei den anderen Plug-ins der Abbey Road Studios bekommt man beim RS 124 ein weiteres Stück klingender Tonstudio-Geschichte direkt auf die Rechneroberfläche serviert. Wenn es überhaupt einen Vergleich geben kann, dann mit dem Bus-Kompressor des Waves SSL Bundles. Dieser ist aber als Teil eines Bundles um einiges teurer und in seinem Klang und Regelverhalten längst nicht so charakteristisch. Anwender die nach einem transparenten und unauffälligen Dynamikbegrenzer suchen, werden beim RS 124 nicht fündig. Abgesehen von der etwas ungewöhnlichen Bedienung, sollte das Plug-in eher als Klangformendes und färbendes Element gesehen werden, dessen Klang doch recht speziell ist. Liebhaber des Abbey Road Sounds werden bei allen drei Modellen aber ein wahres Schatzkistchen vorfinden.
Erschienen in Ausgabe 10/2010
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 314 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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