POLARLICHT

In Lettland ist es zwar im Winter bitter kalt, doch das neuste Kondensatormikrofon des lettischen Mikrofonherstellers Violet Design The Wedge trotzt der klirrenden Kälte, denn es schmeichelt den Ohren mit wohliger Wärme.

Von Harald Wittig

Es kommt nicht allzu häufig vor, dass ausländische Mikrofone gegen die formidable deutsche Konkurrenz bestehen oder gar eine echte Alternative zu all den Schoeps, Sennheisern, Neumännern und Microtech Gefells darstellen. Im Falle der Schöpfungen von Juri Zarins, seines Zeichens Chef und Kreativkopf des lettischen Mikrofonherstellers Violet Design, ist das anders: In Ausgabe 12/2007 traten das  Amethyst Vintage und Zarins Flaggschiff, das Röhrenmikrofon Flamingo, praktisch als Außenseiter zum Test an – und überzeugten rundum. An diesen beiden ausgezeichneten Großmembran-Kondensatormikrofonen hatten wir weder messtechnisch noch klanglich auch nur das Geringste auszusetzen. Spiel, Satz und Sieg sozusagen und vor allem das Amethyst Vintage schloss die Redaktion richtiggehend ins Herz: So -einen feinen, warmen Klang, gepaart mit praktischer Rauschfreiheit zu einem, mit knapp 1.100 Euro erschwinglichen Preis, haben die wenigsten Mikrofonmanufakturen im Angebot.

Seit dem Test der beiden Spitzenmikrofone, die glücklicherweise nach wie vor erhältlich sind und ihre noch kleine, aber fest eingeschworene Fangemeinde haben, ist über ein Jahr vergangen. Wie haben schon lange vor, noch weitere Violet Designs zu testen, immerhin umfasst die Produktpalette des 1988  gegründeten Unternehmens inzwischen 14 verschiedene Modelle. Die Qual der Wahl ließ uns allerdings lange zögern, doch mit der Neuvorstellung des heutigen Testkandidaten, dem Kondensatormikrofon The Wedge erleichterte uns Juri Zarins die Entscheidung. Und da ist er nun, der neue Schallwandler aus Lettland, kostet erschwingliche 660 Euro und soll auch höchste Ansprüche in puncto Klang, Impuls- und Nebengeräuschverhalten zufriedenstellen.

Mit seiner sehr eigenwilligen Formgebung, namentlich wegen des fast rechteckigen, großen Drahtschutzkorbes, kann sich The Wedge schon mal der neugierigen Blicke sicher sein. Was wie ein – je nach Betrachtungsweise – gelungener oder misslungener Gestaltungseinfall aussieht, hat gute akustische Gründe. Für Juri Zarins´ Mikrofone gilt, so abgefahren sie teilweise auch aussehen mögen, dass die äußere Gestaltung stets einen praktischen Nutzen bringen muss. Im Falle von The Wedge soll der eigentümlich geformte Schutzkorb nicht nur wie immer die empfindliche Kapsel behüten, sondern gleichzeitig Plosivlaute, Wind- und Atemgeräusche vermeiden helfen. Das tut er in der Tat in gewissen Grenzen, vielleicht sogar besser als die gängigen Konstruktionen der Konkurrenz, nur: Einen Popschutz ersetzt er definitiv nicht. Das behaupten die Letten auch nicht und empfehlen für professionelle Sprach- und Gesangsaufnehmen gleich den ebenfalls neuen Metall-Popschutz WPF aus eigener Fertigung.
Hinter dem feinmaschigen Drahtgitter, das es aber in puncto Verarbeitungsgüte und Stabilität kaum mit dem Schutzkorb eines Microtech Gefell M 990 art (Test Seite 34) aufnehmen kann, sitzt, abgesetzt von der Verstärkereinheit, die Seele des Mikrofons, seine Kapsel. Bei dieser handelt es sich um eine Neukonstruktion mit goldbedampfter Mylar-Membran. Das Besondere: Der Membran-Durchmesser beträgt nur 21 Millimeter, liegt also unter den für Großmembranmikrofone typischen Ein-Zoll- Membranen (25,4 Millimeter). Damit gerät die Membran selbstverständlich leichter und kann – zumindest in der Theorie – impulshaften Schallereignissen schneller folgen. So bewirbt Violet Design The Wedge unter anderem ausdrücklich als Mikrofonierungs-Spezialist für Perkussion, Snare Drum, als Overhead-Mikrofon  oder andere vergleichbar transiente Signalquellen. Daneben eigne es sich, führt der Hersteller fort,  gleichermaßen für akustische und elektrische Gitarren, Blech- und Holzbläser sowie Gesang. Na, da bleibt kaum mehr etwas übrig, anscheinend ist das Neue ein echter Allrounder mit dem alleine ganze Produktionen gefahren werden können. Das widerspricht ein wenig dem Credo von Juri Zarins, der eigentlich – so steht es auch im Katalog zu lesen – bestimmte Mikrofon für ausgesuchte Anwendungen empfiehlt und allgemein dem Tonschaffenden eine gut sortierte Sammlung hochwertiger Schallwandler ans Herz legt. Nun, wir werden im Praxistest sehen, was die wahre Domäne von The Wedge ist.

Die Kapsel selbst ist vibrations- und resonanzsicher gelagert und dem scharfen Testerblick offenbart sich eine sehr saubere Verarbeitung, die sich auch bei der Verstärkerelektronik, untergebracht im unteren Gehäuseteil, fortsetzt (siehe Foto auf Seite 95). Der Transistorverstärker ist in diskreter Class-A-Schaltung aufgebaut und kommt ohne Ausgangsübertrager aus. Der Hersteller setzt also wie zahlreiche Mitbewerber auf eine elektronische, „eisenlose“ Symmetrierung, was bei Kondensatormikrofonen, zumindest in der Theorie, die Höhenauflösung begünstigt.
Geliefert wird das Mikrofon im violett eingefärbten Holzetui, das ein wenig billig wirkt – so machen die Blechscharniere nicht gerade einen langzeitstabilen Eindruck und der Deckel sitzt nicht bündig auf dem Kistchen, in das The Wedge gebettet ist. Das klingt jetzt nach kleinlicher Nörgelei, aber ein – wie wir sogleich sehen werden – so gutes Mikrofon verdient unserer Meinung nach ein hochwertigeres Etui. Dafür ist die Stativhalterung aus Messing wirklich gut verarbeitet und in der Handhabung völlig unproblematisch. Gleichgültig ob das Mikrofon hängend oder aufrecht stehend montiert sein soll: Nach wenigen Handgriffen ist die Justage erledigt. Wer eine elastische Halterung bevorzugt, wird im Zubehör-Katalog von Violet Design fündig. Empfehlenswert ist beispielsweise die VSMD genannte elastische Halterung, die der deutsche Vertrieb For-Tune (www.for-tune.de) für rund 95 Euro anbietet.

Im Messlabor beweist The Wedge, dass Juri Zarins wirklich etwas vom Mikrofonbau versteht, denn wie schon das Amethyst Vintage und das Flamingo glänzt die Neuschöpfung des Meisters mit exzellenten Messwerten. Der ermittelte Wert für den Geräuschpegelabstand beträgt ausgezeichnete 83 Dezibel, dieses Mikrofon rauscht also praktisch nicht. Zusammen mit einer durchschnittlich hohen Empfindlichkeit von 19,3 mV/Pa stellt The Wedge eher den Vorverstärker und andere Geräte in der Signalkette auf die Probe. Wenn es auf der Aufnahme hörbar rauscht, ist das Mikrofon bei der Ursachenforschung als Störquelle getrost auszuschließen.
Etwas abenteuerlich sieht dagegen der ermittelte Frequenzgang aus: Während die leichte Welligkeit teilweise auf Reflexionen des langgestreckten Gehäuses zurückzuführen sind, ist die deutliche Absenkung zwischen zwei und vier Kilohertz zumindest bemerkenswert. Sie beträgt im tiefsten Punkt bei drei Kilohertz immerhin etwas über acht Dezibel. Diese Senke wirkt sich klanglich aus und es handelt sich dabei vermutlich um eine bewusst eingesetzte klanggestalterische Maßnahme.

The Wedge ist nämlich – insoweit liefert der ermittelte Frequenzgang bereits einen Hinweis – kein neutral klingendes Mikrofon. Es hat nicht nur ein markantes Äußeres, es klingt auch eigen: Der Klang ist nämlich tendenziell sehr warm und geht ausgesprochen angenehm ins Ohr. Nicht wenige werden diesen Klang fälschlich mit Röhrenmikrofonen –, siehe auch den Beitrag über Röhrentechnik auf Seite 88 – oder zumindest mit dem kaum präzise definierbaren „warmen Vintage-Sound“ assoziieren. Den Praktiker kümmert das in der Regel nicht und statt umständliche Vergleiche an den Haaren herbeizuziehen, setzt er The Wedge, erfreut über sein warmes Grundtimbre,  mit Gewinn für Aufnahmen ein. Zur Mikrofonierung einer akustischen Gitarre mit Stahl- oder Nylonsaiten empfiehlt es sich beispielsweise nachhaltig, denn bereits Monoaufnahmen besitzen eine eigentümliche Fülle und auch ein sehr präsenter Anschlag erfährt eine angenehme Glättung. In gewisser Weise beschönigt The Wedge also ein wenig, wobei diese Eigenschaft allerdings nicht zu stark ausgeprägt ist. Denn dank seines hohen Auflösungsvermögens entgehen dem lettischen Schallwandler praktisch keine Details. Wer schlampig spielt, erhält die gnadenlose Quittung, der Könner legt sich tüchtig ins Zeug, um einen bestmöglichen, also optimal klingenden Take einzuspielen.
Die Bässe sind für einen Druckgradientenempfänger recht klar, wenngleich das Mikrofon kaum die Souveränität eines Microtech Gefell M 930 oder eines Brauner Valvet X erreicht, deren ungewöhnlich straffe, präzise Bässe in die Nähe von in dieser Disziplin unschlagbaren Druckempfängern kommen. Der für diese Kapselbauweise typische Nahbesprechungseffekt ist im Falle von The Wedge etwas stärker ausgeprägt als beim Amethyst Vintage, dennoch eignet es sich gut für Nahmikrofonierung, wobei der Anwender einen Abstand von 20 Zentimetern zur Schallquelle allenfalls geringfügig unterschreiten sollte. Dann wird niemand den fehlenden Hochpassfilter, auch bei Sprach- und Gesangsaufnahmen, vermissen.
Die Höhen erklingen stets fein aufgelöst, so dass das Obertonspektrum guter Instrumente auf der Aufnahme detailliert abgebildet ist. Damit besitzt das Mikrofon auch eine Qualifikation als Schlagzeug-Overhead zur Mikrofonierung der Becken. Hierbei kommt ihm eine weitere Eigenschaft zugute: Das Impulsverhalten von The Wedge ist nämlich in der Tat sehr gut: Versuchsreihen, bei denen wir verschiedene Perkussionsinstrumente wie Cajon oder Marschtrommel mikrofonieren, bestätigen, dass dieses Mikrofon auch kurzen, schnellen Schallereignissen ohne Mühe folgen kann. Auch vor einem Gitarrenverstärker macht es eine gute Figur, allerdings sollte der Abstand zum Lautsprecher bei On-Axis-Ausrichtung am Besten etwa 35  bis 50 Zentimeter betragen. Anderenfalls kann die Kapsel dem naturgemäß hohen Schalldruck kaum standhalten. Aber probieren geht über Studieren und gerade Toningenieure und Musiker, die bisher auf dynamische Mikrofone bei der Amp-Mikrofonierung beharrt haben, sollten ein schnelles, warm klingendes Kondensatormi-
krofon mit fein aufgelöstem Höhenbereich wie eben The Wedge antesten. Zumal das Mikrofon durchaus einen gewissen Druck macht  – auch bei rein akustischen Aufnahmen übrigens. Alle aufgenommenen Signale erklingen durchsetzungsstark und kommen gut nach vorne. Damit hat The Wedge unter dem Strich schon Allrounderqualitäten und ist allen, die sich nur wenige Mikrofone leisten wollen, zu empfehlen.

Fazit

The Wedge des lettischen Mikrofonherstellers Violet Design ist ein messtechnisch und klanglich absolut überzeugendes Kondensatormikrofon, das auch noch zu einem moderaten Preis angeboten wird. Aufgrund seines angenehm warmen Grundklangs, der hohen Auflösung gerade im Höhenbereich und dem sehr guten Impulsverhalten, empfiehlt es sich für eine Vielzahl von Anwendungen.        

Erschienen in Ausgabe 02/2009

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 661 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut