Scheinzwerge mit Nehmerqualitäten
Neu bei DPA sind die Stäbchenmikrofone 2012 und 2015, welche die gewohnte DPA-Präzision mit echten Nehmerqualitäten verbinden wollen. Ob sich die kleinen Schwarzen als Scheinzwerge mit Riesenklang entpuppen?
Text und Fotos von Harald Wittig


Vergangenes Jahr feierte die dänische Mikrofonmanufaktur DPA ihr 30-jähriges Bestehen – und die DPA-Macher dürfen auf eine wahre Erfolgsgeschichte zurückblicken, die wir an dieser Stelle aber nicht erzählen wollen. Fakt ist, dass die Mikrofone von DPA zu den weltbesten gehören und auch im „Mikrofon-Wiewunderland Deutschland“ – herzlichen Dank an Fritz Frey vom Studiomagazin für diesen wundervollen Ausdruck – zahlreiche treue Anwender haben und hohen Respekt bei den hochrenommierten Mitbewerbern genießen. Für uns sind DPA-Tests immer eine aufregende Sache, denn nach unseren zahlreichen Erfahrungen mit den meisterhaft konzipierten und handgefertigten Mikrofonen ist von DPA – die Abkürzung stand ursprünglich für „Danish Pro Audio“ – nur Topqualität zu erwarten. Spannend bleibt im Einzelfall wie sich ein Mikrofon in seinem von den Entwicklern vorgesehenen Anwendungsbereich darstellt. Besonders interessant sind insoweit die beiden neuesten Mikrofone, das Modell 2012 und sein Geschwister, das 2015. Es handelt sich beides mal um Kondensatormikrofone in Kleinmembranbauweise, die nach dem Druckgradientenempfängerprinzip arbeiten. Das 2012 hat Nierencharakteristik, das 2015 dagegen die Richtcharakteristik Breite Niere. Das ist per se schon bemerkenswert, denn Mikrofone mit dieser Richtcharakteristik kommen vergleichsweise seltener zum Einsatz. DPA hat für seine neuen Sprößlinge auch direkt Anwendungsbereiche vorgesehen: So soll das 2015 wegen seiner besonderen Richtcharakteristik vor allem bei der Mikrofonierung von Instrumentengruppen mit breiterem Abstrahlverhalten oder als Overhead fürs Schlagzeug Verwendung finden. Dabei soll das 2015 – idealerweise im gematchten Stereoset – den Raumklang optimal einfangen können. Das 2012 hingegen ist mit seiner Nierencharakteristik vor allem für die Instrumentenabnahme vorgesehen. DAP betont die besonders hohe Pegelfestigkeit – dazu später mehr – des Mikrofons, weswegen es sich insbesondere auch für die Nahmikrofonierung sehr lauter Instrumente wie den üblichen Verdächtigen der Blechbläserfamilie oder der Gitarrenamp-Abnahme eigne. Beide Modelle sind zudem für den Bühneneinsatz konzipiert worden. Inwieweit sich das konstruktiv darstellt, werden wir demnächst erläutern. Zuvor die üblichen Angaben zu den erhältlichen Varianten und Preisen der dänischen Stäbchen.
Beide Mikrofone sind einzeln erhältlich und kosten dann jeweils 625 Euro. Wer ohnehin in Stereo hört und denkt, kann auch gematchte Pärchen bekommen. Die Stereopaare kosten günstige 1190 Euro, was, sofern es das Budget hergibt, ein sehr gutes Angebot ist. Immerhin sind die Mikrofone jeweils paarweise selektiert und abgeglichen, was im Hause DPA in äußerst engen Toleranzen geschieht. Faktisch heißt das: Eines wie das andere. Im allerbesten Sinne. Für diesen Test haben wir auch direkt ein 2012er sowie ein 2015er-Stereoset geordert und unters Testermikrofon gelegt. Womit einleitend auch genug gesagt wäre. Schauen wir uns die dänischen Stäbchen jetzt aus der Nähe an.
Understatement à la DPA
Beide Mikrofone gehören zu den eher kleinwüchsigen Vertretern der Kleinmembran-Familie, sind nicht mal zehn Zentimeter lang und liegen mit ihrem Gewicht von knapp 90 Gramm satt in der Hand. Die mattschwarz verchromten Messinggehäuse – als Fotograf muss ich spontan an Leicas denken – machen einen ausgesprochen robust-funktionalen, gleichzeitig edlen Eindruck. Zweckorientiertes Industriedesign verströmt nunmal ein vornehmes Understatement und eben darauf versteht sich DPA bestens. Dass die XLR-Anschlüsse der Impedanzwandler vergoldete Kontakte haben – geschenkt. Da erwarten wir nichts anderes. Goldfarben sind auch die Aufdrucke für den Herstellernamen, die Modellnummer und die Richtcharakteristik-Symbole.
Die Herzstücke beider Schallwandler, ihre Kapseln, sind bombenfest mit den Impedanzwandlern verschraubt. Sollte ein Mikrofon gewartet werden müssen, kommt nur ein erfahrener Techniker mit entsprechendem Werkzeug an die Kapseln. Mikrofon-Tuner würden allerdings ohnehin nicht zu einem DPA-Mikrofon greifen. Denn da gibt es in der Regel nur zu verschlimmbessern.
Beide, selbstverständlich sorgfältig von kundiger Hand gefertigten Kapseln sind Neuentwicklungen, wobei die jahrzehntelange Erfahrung im Kapselbau, konkret auch mit den exzellenten DPA-Mikrofongranden wie dem berühmten 4011 mit Nierencharakteristik oder dem Modell 4015 – das ist die Breite Niere –, eingeflossen sind. Die Durchmesser der ultraleichten Mylar-Membranen sind mit jeweils 17 Millimetern vergleichsweise um immerhin zwei Millimeter kleiner als bei den genannten Klassikern, sodass beide Mikrofone für ein herausragend gutes Impulsverhalten beste Voraussetzungen mitbringen.
Hochinteressant, gerade auch im direkten Vergleich mit den Vettern 4011 und 4015, sind die Werte für Empfindlichkeit und Grenzschalldruckpegel: Das 2012 ist mit gerade mal 8 mV/Pa eher niedrig empfindlich, was aber volle Absicht ist. Immerhin sollen mit diesem Mikrofon richtig laute Schallquellen mikrofoniert werden und da kann ein lautes Mikrofon eher mal Probleme machen. Dass das Eigenrauschen mit 20 dB(A) gegenüber den 18 dB (A) des 4011 geringfügig höher ist, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Grund zur Sorge besteht nicht: Für ein Kleinmembranmikrofon rauscht des 2012 sehr wenig. Herausragend ist der Grenzschalldruckpegel des 2012: Der beträgt nach DPA-Angabe satte 156 dB, ist damit auf sehr gutem Tauchspulenmikrofon-Niveau und damit tatsächlich prädestiniert, auch der Lautsprechermembran eines Gitarrenverstärkers sehr nah zu kommen.
Maßgeschneiderte Mikrofone
Anders aufgestellt ist das 2015. Im Vergleich mit seinem nächsten Verwandten, dem 4015, ist es mit 12 mV/Pa zwei Millivolt empfindlicher und als solches ein mittellautes Kleinmembranmikrofon. Das erscheint uns sehr sinnvoll, wenn wir an typische Aufnahmeszenarien wie die Stereoaufnahme eines Flügels oder einer Gruppe aus Saiteninstrumenten in ORTF-Anordnung denken. Im Unterschied zum nur äußerlich gleichen Geschwister 2012 wahrt das 2015 üblicherweise mehr Abstand zu den Signalquellen, die es abnehmen oder aufzeichnen soll. Da muss es auch etwas empfindlicher sein. Sein Eigenrauschen ist auf dem Niveau des 4015 – was bezogen auf seine vorgesehenen Anwendungsbereiche einmal mehr höchst sinnvoll ist.
Ausweislich der Polardiagramme für beide Mikrofone sind ihre Richtcharakteristiken vorbildlich gleichmäßig. Das ist eine Eigenschaft, die DPA-Mikrofone im Allgemeinen auszeichnet. Dazu gehört ein besonders linearer Off Axis-Frequenzgang, weswegen außeraxiale Signale auf natürliche Weise aufgenommen werden. Ihr solltet immer bedenken, dass auch ein gerichtetes Mikrofon dreidimensionale Aufnahmeeigenschaften hat und seine Klangeigenschaften von der Art und Qualität der Dämpfung seitlich eintreffenden Schalls abhängt. DPA verspricht für 2012 und 2015 eine absolut reine und transparente Audioqualität, wobei sich die Niere und die Breite Niere durchaus unterscheiden sollen. Wie die Unterschiede ausfallen, werden wir im Rahmen des Praxistests klären. Die axialen Frequenzgangschriebe beider Mikrofone sind sich sehr ähnlich und ansonsten unauffällig. Beides mal ist eine geringfügig stärkere Höhenanhebung – beim 2012 allerdings etwas ausgeprägter als beim 2015 – bei etwa zehn Kilohertz als bei den Modellen 4011 und 4015 erkennbar. Die kann, gerade in belebter Umgebung – Bühne ist das Stichwort – oder innerhalb eines vielstimmigen Ensembles für mehr Brillanz und Durchsetzungsstärke sorgen. Wie immer gilt aber: Der Frequenzgang alleine ist vergleichsweise weniger aussagekräftig. Wer ein Mikrofon erfahren will, muss es in der Praxis testen und hören.
Soweit zu den Mikrofonen als solchen. Die beiden Pärchen werden in stabilen, mit Schaumstoff gepolsterten Transportköfferchen geliert. Zum Lieferumfang gehören Windschütze sowie Stativhalterungen eigener Machart. Die sind grundsätzlich auch klasse, haben allerdings im Rahmen unseres Tests für leichte Nervosität gesorgt. Denn die DPA-Klemmen lassen sich partout nicht auf der bei uns sehr oft zum Einsatz kommenden „Stereobar“ von Røde fixieren. Für die Stereoaufnahmen dieses Testes verwenden wir deswegen eine „custommade“ Stereoschiene, die so edel wie ultrarobust ist und damit auch am Besten zu den Dänen-Stäbchen passt.
Viel versprochen, noch mehr gehalten
Es ist nunmehr an der Zeit, dass die DPAs ihr Klangfarbenbekenntnis abzulegen haben. Folgerichtig nehmen wir mit beiden Paaren auf, wobei wir diesmal verschiedene Szenarien durchspielen. Das Aufnahme-Equipment besteht jedes Mal aus unserer bewährten Combo bestehend aus Lake People Mic-Amp F355 und Mytek 8X192 ADDA-Wandler, der seine AES-Signale an den Mutec MC3+USB weiterreicht. Der fungiert als Reclocker und USB-Interface für das MacBook Pro 16 auf dem Logic Pro in Aufnahmebereitschaft der Schallereignisse harrt, die da kommen sollen.
Beginnen wir mit dem 2012er-Pärchen und machen zunächst Aufnahmen mit einer sehr schön ausgewogenen Flamencogitarre. Die beiden Mikrofone sind in XY-Anordnung im Abstand von etwa 50 Zentimetern zum Instrument ausgerichtet. Dass es sich bei den beiden Nierenmikrofonen um vergleichsweise leise Schallwandler handelt, wird schon beim Einpegeln klar. Aber was Gainreserven angeht haben wir’s reichlich dank unseres extrem rauscharmen Preamps. Also alles bestens. Das gilt dann auch für die Aufnahmen. Denn grundsätzlich folgt auch das 2012 – solo oder paarweise gruppiert – dem DPA-Credo, dass ein Mikrofon möglichst detailgenau die Schallquelle einfangen und abbilden soll. Der Klang ist klar und detailliert, das Instrument und des Spielers Ton ist sehr gut erfasst. Der Nahheitseffekt spielt bei diesem Aufnahmeszenario keine Rolle, generell lässt sich aber sagen, dass er im Falle des 2012 recht gering ausgeprägt ist. Die erkennbare Höhenanhebung in den Frequenzgangschrieben ist tatsächlich hörbar. Sie äußert sich in einer gewissen Knackigkeit – oder Brillanz -, die schon einen Schritt von der absoluten Neutralität entfernt ist, ist nicht ohrenfällig. Das berühmte 4011 ist sicherlich noch neutraler, dafür klingt das 2012 eine Spur frischer und Musikalität hat das Mikrofon aufgrund seiner vornehmen Herkunft ohnehin in den Genen.
Als nächstes muss das Paar ganz nah ran – und zwar an einen Fender Concert II-Röhrenverstärker. Dem ist der Fender Blackface-Klang zu eigen und er mag tatsächlich Kondensatormikrofone sehr viel lieber als die üblichen Dynamiker à la Shure SM57. Erwartungsgemäß stecken die beiden 2012er auch lautstarke Impulse locker weg. Als nativ schnelle Mikrofone folgen sie perkussiven Funk-Licks auf den Anschlag und scheinen breit zu grinsen, wenn die Hallspirale des Amps erzittert. Für glasklare Cleansounds können wir uns kaum eine besseres Mikrofon/Mikrofon-Paar vorstellen. Geht es um verzerrte Sounds gefällt uns der typische SM57-Schub indes besser. Das ist aber wirklich Geschmackssache. Das 2012 kann so viel und wer sich auf seine Möglichkeiten einlässt, wird bestimmt reich belohnt.
Könnerschaft ist auch seinem Geschwister, dem 2015 zu eigen. Das Pärchen kommt zunächst ebenfalls für eine Flamenco-Gitarrenaufnahme in XY-Anordnung zum Einsatz. Der Unterschied zum 2012 ist beim Abhören eindeutig: Dieses Mikrofon ermöglicht räumlichere, wenn Ihr so wollt dreidimensionalere Aufnahmen. Die Nähe zur Kugelcharakteristik ist klar erkennbar und interessanterweise reagiert es klanglich eher wie ein Druckempfänger. Die Tiefenwiedergabe ist nämlich präziser als beim 2012, außerdem erscheint das 2015 eine Spur weniger Brillanz zu haben. Das ist aber nicht mit Sicherheit zu sagen, denn wegen der unterschiedlichen Richtcharakteristik finden sich mehr Signalanteile in den Aufnahmen.
„Soweit so gut…“ denken wir und gehen einen großen Schritt weiter. Für die ultimative Feuerprobe beider Stereo-Paare packen wir das MacBook sowie eine Universal Audio Apollo (-Interface ein und suchen einen befreundeten Pianisten heim, um in dessen gut klingenden Übungs- und – Unterrichtsraum – eher ein Salon als ein Raum – seinen Bösendorfer aufzunehmen. Wir entscheiden uns für eine ORTF-Mikrofonierung im Instrument, also recht nah an den Saiten, denn diese Art der Aufnahme schlägt DPA selbst vor. Die guten Ergebnisse – ein herzlicher Dank an Tom, den Klaviervirtuosen – sind schnell beschrieben: Mit dem Nierenpärchen tönt es direkter, in gewisser Weise trockener, während die Breite Niere ein offeneres, größeres und farbigeres Klangbild liefert. Die Unterschiede sind dabei auch für weniger erfahrene Hörer auffällig. Summa summarum hat uns das 2015er-Stereoset am Meisten beeindruckt. Denn es erweist sich mit seiner klanglichen Größe bei der Kleinheit seines Gehäuses als wahrer Scheinzwerg. Doch auch das 2012 kann viele Pluspunkte einheimsen: Als feiner Druckgradientenempfänger mit Nierencharakteristik, der vor allem als Geheimwaffe for lauten Cleanamps amerikanischer Provenienz regelrecht gleißt.
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