Resonant
Wer meint, dass zum Thema Konzertgitarre alles gesagt ist, kennt die Instrumente von Philipp Neumann nicht, der mit seiner Bassreflexgitarre konstruktiv und klanglich neue Wege beschreitet.
Von Michael Nötges
Gedankenverloren blickt Gitarrenbaumeister Philipp Neumann aus dem Fenster seiner Werkstatt in Leipzig. Während er die roten Backsteinmauern der ehemaligen Baumwollspinnerei betrachtet, überlegt er, wie die klanglichen Möglichkeiten von Konzertgitarren zu erweitern sind. Diese Überlegungen spielten schon während seines Studiums zum Diplom-Designer/Musikinstrumentenbau an der FH in Markneukirchen eine entscheidende Rolle. Anders als im traditionellen Gitarrenbau, sollten eben nicht einfach Modelle bekannter Meister angepasst und modifiziert werden. Stattdessen galt es, einen Schritt weiter zu gehen und die gesamte Konstruktion der Gitarre neu zu überdenken. Während einer Semesterarbeit kam Neumann daher die Idee, eine klassische Gitarre spanischer Bauart mit Bassreflex-Prinzip (siehe Kasten) zu konstruieren. Eine Idee, die sich als so erfolgreich erwies, dass Neumann sie auch heute noch umsetzt und in seinen aktuellen Modellen, der Bassreflexgitarre und der WaveGuitar, weiterentwickelt. Bei unserem Testkandidaten handelt es sich um das Bassreflex-Modell des Jahrgangs 2007 von Philipp Neumann, bei dem die wesentlichen Formen einer klassischen Gitarre unverändert sind und somit die Spielhaltung nicht beeinflusst wird. „Das Instrument“, erklärt Neumann „sieht von hinten aus, wie eine Dreadnought, behält optisch aber von vorne die klassische Acht-Form.“ Verantwortlich dafür sind die beiden steifen Doppelzargen aus ostindischem Palisander, die am Unter- und Oberklotz aufeinanderstoßen. Außen- und Innenzarge fungieren dann als Wandung für die beiden unauffälligen Schalllöcher (Bassreflexkanäle) in Höhe der Taille. „Die Zargen selbst bestehen jeweils aus zwei aufeinander geleimten, zirka 1,5 Millimeter starken Hölzern. So wird die Zarge sehr steif und passend für die fragile Konstruktion der Schalllöcher“, erklärt Neumann. Die hohe Steifheit der Doppelzargen, so der Konstrukteur weiter, führe zu gerichteter, frontseitiger Abstrahlung, was sich gerade bei Konzerten als sehr hilfreich erweise. Gleichzeitig hat die Bassreflexgitarre bei einer Standard-Mensur von 65 Zentimetern eine größere schwingende Fläche, da die Decke aus 30 Jahre alter, massiver Alpenfichte nicht durch ein mittiges Schallloch unterbrochen ist. Bei gleicher Deckenstärke – üblicherweise zirka 4,7 mm – sollen auf diese Weise ein längeres Sustain, eine bessere Bassabstrahlung und mehr Klangfarben erreicht werden. Eine Veränderung zum ursprünglichen Prototyp ist das zusätzliche kleine Dreiecks-Schallloch am Ende des Griffbretts. Da es mit einer fein gearbeiteten Lochplatte aus Ebenholz abgedeckt ist, fällt es optisch zunächst kaum auf. „Klanglich bewirkt es eine Verbesserung der Mitten, die anfangs noch etwas unterbelichtet erschienen“, erklärt Neumann.
Die Verarbeitung des komplett handgefertigten Instruments ist insgesamt vorzüglich. Auch wenn Neumann auf kunstvolle Verzierungen verzichtet, wirken die Bindings aus Palisander-, Mahagoni- und Ahorn-Schichten zurückhaltend edel und sehr geschmackvoll. Die Schellack-Lackierung ist dabei das hochwertige i-Tüpfelchen. Der 25 Millimeter dicke Hals in flacher U-Form besteht aus dem lateinamerikanischen Laubholz Cedro. Dieses stammt aus der Familie der Mahagonihölzer, auch wenn der Name verwirrender Weise eher auf eine Zedern-Art schließen lässt. Der Hals-Korpus-Übergang liegt am 12. Bund, wobei das Griffbrett aus Ebenholz mit 19 sauber entgrateten Bünden aus Neusilber zur besseren Bespielbarkeit nicht direkt auf der Decke aufliegt, sondern um zirka vier Millimeter aufgebockt ist (siehe Foto) und zum Steg hin leicht abfällt. „Der Halsfuß ist typisch spanisch“, erklärt der Gitarrenbauer und präzisiert: „ Es handelt sich um Schlitze im Oberklotz, in denen die Zargen stecken. Das sichtbare Dreieck auf der Rückseite ist ein Markenzeichen meiner Gitarren.“ Die Kopfplatte ist – auch wieder typisch spanisch – flach aufgeplattet, was aber außer der extrem stabilen Verbindung keine besondere Bedeutung hat. Die hochwertigen Mechaniken vom amerikanischen Spezialisten Sloane sind mit Ebenholz-Flügeln bestückt. Diese laufen angenehm zäh und ermöglichen sehr präzises Stimmen der Gitarre. Der sauber eingepasste Sattel und die Auflage des Stegs sind – wie es sich für eine Meisterinstrument gehört – aus Rinderknochen gefertigt. Die angenehme Saitenlage – gemessen am 12. Bund – beträgt durch die pingelig genau abgefeilte Konstruktion des Stegs drei Millimeter für die hohe und sechs Millimeter für die tiefe E-Saite. Beim Steg hat sich Neumann eine kleine Finesse ausgedacht. Die mit der Decke verleimte Palisanderkonstruktion ist mit einem Spalt hinter dem Auflagepunkt der Saiten versehen. Das ermöglicht es, die beiden Lochbohrungen zur Befestigung der Saiten sehr tief vorzunehmen. Vorteil: Durch den konstanten Winkel der Saitenführung wird der Steg fester auf die Decke gepresst, was zu einer besseren Schwingungsübertragung führt. Außerdem sind die Saiten durch die Zwei-Loch-Konstruktion eleganter und sicherer am optisch sehr leicht wirkenden Steg zu montieren. In der Praxis erweist sich die Bassreflexgitarre als ein charaktervolles Meisterstück. Die Bespielbarkeit ist ausgezeichnet, auch wenn Barrées in den unteren Lagen für saubere, schnarrfreie Klänge einen gewissen Kraftaufwand erfordern. Die Intonation – immer ein kritischer Punkt bei akustischen Gitarren – ist durchweg exzellent. Auch in höheren Lagen und bei offenen oder tiefen Stimmungen gibt es keine tonalen Ungereimtheiten. Die einzelnen Töne lassen sich durch das schnelle Ein- und lange Ausschwingverhalten zudem sehr geschmackvoll modulieren. Selbst das häufig auftretende G-Saiten-Problem – ab der fünften Lage fehlt etwas die Durchsetzungskraft – hat Neumann in den Griff bekommen. Dadurch klingt die Gitarre über das gesamte Griffbrett, sehr ausgewogen. Der typisch spanische Mittenbauch und die damit verbundene dunkel-warme Klangfärbung sind allenfalls dezent vorhanden. Vielmehr zeigen sich die Bässe sehr vollmundig, während Mitten und Höhen etwas indirekter und zurückhaltender erscheinen, was zu einem fast lautenähnlichen Klangbild führt.
Eine besondere Stärke sind die Basstöne. Sie kommen sehr präzise und kraftvoll, ohne dabei das Klangbild zu verschmieren. Besonders bei lockeren Bossa Nova-Grooves oder Walking-Bass-Linien setzten sie sich knackig und dezent durch, ohne sich unangenehm in den Vordergrund zu spielen. Selbst bei heftigem Flamenco-Daumenanschlag bleiben sie trocken und überzeugen mit einem angenehm runden Ton und der erfreulichen Abwesenheit von Schnarrgeräuschen. Aber auch bei Stücken von J. S. Bach wie dem Bourée in E-Moll (BMV 996) oder der Gigue (BMV 1009) kann die Bassreflex Gitarre punkten, da die Bassbewegungen der Polyphonie sich sehr schön von der Melodie- und Mittestimme absetzen. Auch in hohen Lagen verliert die Bassreflexgitarre nicht an Durchsetzungskraft, und die Töne erscheinen im reichhaltigen, charaktervollen Obertongewand, auch wenn zunächst der Diskant für unseren Geschmack etwas mehr Frische vertragen könnte. Dieser Eindruck lässt sich allerdings bei der Aufnahmesession nicht bestätigen. Wir verwenden unterschiedliche Mikrofone (Microtech Gefell M 930, Shoeps MK4/CMC6ug und Oktava MK-012-01) und stellen fest, dass der Höreindruck beim Spielen ein etwas anderer ist. Insgesamt klingt die Bassreflexgitarre immer noch extrem ausgeglichen und zurückhaltend, aber besonders der Mitten- und Höhen-Bereich strahlt jetzt sehr elegant und offen.
Fazit
Die Bassreflexgitarre von Philipp Neumann ist ein professioneller Allrounder. Sie klingt sehr ausgewogen und hat insgesamt einen etwas lautenähnlichen, zurückhaltenden Charakter. Dabei überzeugt sie durch einen exzellenten, konturierten Bass, ein obertonreiches Klangspektrum sowie ausgezeichnete Intonation und Bespielbarkeit. Sie ist meisterhaft verarbeitet und an hochwertigen Materialien wurde nicht gespart. Handmade in Germany, kostet die Bassreflexgitarre inklusive Artonuskoffer 4.200 Euro, was in Anbetracht des hohen Qualitätsniveaus durchaus angemessen ist.
Kurzportrait Philipp Neumann
Seit 2004 ist Philipp Neumann selbständiger Zupfinstrumentenmachermeister in Leipzig. Voran ging ein turbulentes Jahr 2003, in dem Neumann sowohl seinen Abschluss mit dem besten Gesamtprädikat des Jahrgangs als Diplom-Designer (FH), als auch seine Meisterprüfung absolvierte. Während des Studiums für Angewandte Kunst mit dem Schwerpunkt Musikinstrumentenbau in Markneukirchen sammelt der gelernte Schreiner aber nicht nur jede Menge theoretisches Wissen, sondern reiste – gewissermaßen back to the roots – auch ins Mutterland der Gitarre – nach Spanien. Dort, genauer gesagt in Granada, schaute er während eines Praxissemesters dem Gitarrenbauer Rolf Eichinger – bekannt für seine exzellenten Meistergitarren – über die Schulter. Neumann fütterte sein Gehirn immer weiter mit essentiellem, praktischem Know-how. Dazu gehört auch ein Gitarrenbaukurs bei Paco Santiago Marin in Cordoba, dessen hochwertige und sehr teuren Meistergitarren Künstler wie Manuel Cano, Camelo Martinez oder Eliot Fisk bevorzugen. Nicht zu unterschätzen sind aber auch seine einschlägigen Forschungsarbeiten am Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig, bei denen Neumann Gitarren von Gennaro Fabricatore (18. Jahrhundert), Louis Panormo (19. Jahrhundert) oder Matteo Sellas (15. Jahrhundert) genauestens unter die Lupe nahm. Im Händelhaus Halle führte er zudem Restaurierungsarbeiten an einer „Chittara battente“ durch, wodurch er sich auch mit der italienischen Gitarrenbaukunst vertraut machte. Heute baut Neumann im seinem Atelier in Leipzig neben hochwertigen klassischen Konzertgitarren traditioneller Bauart, seine eigenen Entwicklungen. Mit der sogenannten Bassreflexgitarre – eine patentierte Philharmonika – und deren Weiterentwicklung, der WaveGuitar bietet er neuartige Instrumente, die durch bauliche Finessen die Klangwelt der Zupfinstrumente erweitern. Neumann erhielt für seine Innovation 2005 den Bayerischen Staatspreis der Handwerkskammer München und wurde auf der Internationalen Handwerksmesse mit dem Talente-Preis für Technik ausgezeichnet.
Das Bassreflex-Prinzip im Gitarrenbau
Eigentlich stammt das Bassreflex-Prinzip aus dem Lautsprecherbau. Das Ziel der Bassreflex-Öffnung ist es, einen höheren Wirkungsgrad im Tiefton-Bereich und eine tiefere Grenzfrequenz der Lautsprecher zu erreichen. Dabei bildet stark vereinfacht gesagt die Luftmasse des Bassreflex-Kanals zusammen mit dem Gehäusevolumen einen sogenannten Helmholtz-Resonator, der die Schallabstrahlung im Bereich einer bestimmten Serienfrequenz erhöht. Diese, zu verstärkende Frequenz, lässt sich durch Veränderung der Länge und der Querschnittsfläche des Kanals dem Gesamtsystem anpassen. Bei Lautsprechern liegen die Vorteile der Bassreflex-Bauweise in einem höheren Schalldruckpegel im Bereich der untersten Oktave, einer Erweiterung der Leistungsbandbreite um 1,1 Oktaven und einer kräftigeren Basswiedergabe. Genau das ist es, was sich Neumann bei seinen Bassreflexgitarren zunutze macht. Die Gitarrendecke ist im übertragenen Sinn die Lautsprechermembran, die über den Anschlag der Saiten und die Auflagefläche des Stegs in Schwingung versetzt wird. Die Gitarre verstärkt aber lediglich die Frequenzen der Saiten aufgrund ihrer Resonanzeigenschaften. Was viele nicht wissen: Herkömmlich konstruierte Gitarren sind dadurch nicht in der Lage, den Grundton der Basstöne zu verstärken, da das Frequenzspektrum einer klassischen Gitarre erst oberhalb der tiefsten Töne beginnt. Das E der großen Oktave – tiefe E-Saite der Gitarre – entspricht einer Schwingung von 82,41 Hertz. Die erste Resonanz der Gitarre liegt aber bei zirka 90 bis 200 Hertz. Somit kann eine traditionelle Gitarre die Bassgrundtöne unterhalb der Eigenresonanz nicht wiedergeben. Was man hört, ist das Obertonspektrum, aus dem das Gehirn des Zuhörers den fehlenden Basston ergänzt. Durch das Bassreflex-Prinzip gelingt es, auch beim Gitarrenbau die Hohlraumresonanz ohne Vergrößerung des Volumens, sprich des Gitarrenkorpus, tiefer in den eigentlich benötigten Bassbereich zu verlegen. Mit Hilfe von Messungen des FFT-Spektrums und durch Veränderung der Bassreflex-Kanäle, lässt sich so die Hohlraumresonanz der Gitarre exakt auf die Basstöne abstimmen. Neumann hat für diesen Zweck bei der Entwicklung der Gitarre zunächst die Bassreflexkanäle länger gelassen und den Boden der Gitarre nur provisorisch aufgeleimt. Durch wiederholtes Anpassen der Kanäle und ständiges messtechnisches Überwachen mittels FFT-Analysen, ergab sich am Ende eine Hohlraumresonanz von 82,5 Hertz.
Erschienen in Ausgabe 05/2009
Preisklasse: Oberklasse
Preis: 4200 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: gut
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