Feindynamische Referenz

Wer meint, dass zum Thema „Dynamische Kopfhörer“ alles längst gesagt ist, kennt den brandneuen K812 von AKG noch nicht.

Von Harald Wittig

Zu den bedeutendsten Herstellern von Kopfhörern gehört unzweifelhaft das österreichische Unternehmen AKG, dessen Spitzenmodelle seit Jahrzehnten in der Gunst der wohlklangverliebten Tonschaffenden Musikliebhaber ganz weit oben stehen. Wie auch mit den eigenen Weltklasse-Mikrofonen haben die Wiener im Laufe der über 65-jährigen Unternehmensgeschichte stets außergewöhnliche Entwicklungen präsentiert: Zu nennen wäre da der heute kultisch verehrte und immer noch heiß begehrte K1000, jener höchst eigenwillige und eigenständige Kopfhörer, der als Konstruktion sui generis Kopfhörergeschichte geschrieben hat. Zum Quasi-Standard im Studio avancierten die geschlossenen und halboffenen dynamischen Kopfhörer, vor allem das bewährte Model K271, der als echter Studio-Allrounder bei Musikern und Toningenieuren weltweit ebenso beliebt ist wie Sennheisers HD 25 bei den Filmtonmeistern am Set.

Mit dem Modell K702 hat AKG im Jahr 2009 einen der besten dynamischen Kopfhörer in offener Bauweise geschaffen, der seit dem Test in Ausgabe 6/2009 der Liebling der Kopfhörerfans im Professional audio-Team ist. Zu unserem Referenz-Kopfhörer, an dem sich alle Testkandidatenmessen lassen müssen, kürten wir dann die Sonder-Edition des K702, die AKG sich und den überzeugten Kopf-Hörern zum 65. Geburtstag schenkte. Mit dem K712 PRO, den wir in Ausgabe 9/2013 ausführlich vorstellten, verbaute AKG eine spezielle Variante der seit langem bestens bewährten DKK45-Kapsel und erreichten damit entwicklungstechnisch deren Endpunkt und letztmögliche Ausbaustufe. Bereits im letzten Jahr hatte AKG einen neu entwickelten Kopfhörer angekündigt, der nach dem Willen seiner Schöpfer nichts weniger als Referenzqualitäten haben würde. Auf der diesjährigen Musikmesse war der Neue namens K812 dann erstmals zu bewundern und sorgte am Stand des deutschen Vertriebs Audio Pro Heilbronn für einiges Aufsehen und Aufhorchen. Auch bei uns, weswegen wir den neuen AKG-Star auch direkt auf die Testgeräte-Wunschliste setzen ließen. Hier ist er nun in seiner ganzen Schönheit, rund 1.600 Euro schwer, also teuer, und stellt sich unserem ausgiebigen Hörtest.

Zuvor wollen wir uns jedoch mit den Konstruktionsdetails des neuen Stars im AKG-Programm befassen. Der K812 ist wie seine Cousins K702, K612 und K712 ein dynamischer Kopfhörer in offener Bauweise. Dass sich dieses Bauprinzip inzwischen zu klanglichen Höhen aufgeschwungen, die lange Zeit fest in der Hand der Elektrostaten waren, wissen Kenner schon länger: Da fällt uns neben den AKG-Modellen K702 und K712 immer auch der Sennheiser HD 800 ein, der in der Disziplin Raumabbildung einer der besten Kopfhörer ist, den wir bislang hörten. AKG lässt insoweit nichts anbrennen und schreibt dem K812 selbst „klangliche Fähigkeiten der weltbesten Elektrostaten“ zu.

Dafür haben die Entwickler im wunderschönen Wien für den Neuen einen Wandler konstruiert, der mit einigen Ausnahmezutaten aufwarten kann: Den Antrieb besorgt ein besonders starker Neodymium-Magnet, mit einer magnetischen Flussdichte von 1,5 Tesla. Diese außergewöhnliche magnetische Kraft kann die neuartigen Schwingspule aus kupferbeschichtetem Aluminium, einem Materialmix von vorzüglicher Leichtigkeit bei sehr guter Leitfähigkeit, kontrolliert antreiben. Das schafft optimale Voraussetzungen für den Antrieb der Membran des K812-Wandlers, sodass der Neue bestens aufgestellt ist, dem Musiksignal, vor allem auch impulshaften Schallereignissen, sprich Transienten, ohne Mühe zu folgen. Selbstverständlich wissen die AKG-Spezialisten, dass ein dynamischer Kopfhörer, der mit Spitzen-Elektrostaten wetteifern soll, ein exzellentes Impulsverhalten benötigt. Dazu bedarf es aber auch einer leichten, schnell auslenkbaren Membran, die idealerweise gleichmäßig und unkontrolliert schwingt. Bei den Cousins des K812 hat die patentierte AKG Varimotion-Technik einen Löwenanteil hieran, im Falle des Neuen ist eine in hochpräziser Fertigung ausgeklügelt geformte, aufwändig neu berechnete Membran aus Verbundmaterial. Mit einem Durchmesser von 53 Millimetern ist diese Membran außergewöhnlich groß, was aber wie bei Lautsprecher-Chassis Vorteile bei der Basswiedergabe bringt. Laut AKG reiche der K812 in den allertiefsten, schon Mariannengraben-schwarzen Basskeller von fünf Hertz hinab. Zum Vergleich: Der K712 PRO, der auch nach unserer Erfahrung bisherige Bassspezialist schafft tiefstenfalls zehn Hertz. Der K812 sei aber auch in der Lage, sich in schwindelerregendste Höhen emporzuspielen. Dass die angegebenen maximalen 54 Kilohertz sehr, sehr weit über der menschlichen Hörschwelle liegen, sollte Sie nicht dazu bringen, müde abzuwinken. Denn diese höchsten Frequenzen prägen die Klangfarbe, das Timbre eines Tones im musikalischen Sinne, der genau genommen ein Klang, also ein Gemisch aus vielen Teiltönen darstellt. Je mehr Teiltöne ein Wiedergabesystem darstellen kann, umso komplexer, schillernder und letztlich lebendiger erscheint der Klang für die Ohren.

Wer das gleichwohl für Aberglauben hält, wird aber zumindest insoweit beipflichten, als dass eine erweiterte, besonders feine Höhenauflösung vom Tonschaffenden ebenso selbstverständlich vorausgesetzt wird wie präzise tiefe Bässe und ein vollumfänglich dargestellter Mittenbereich. Dazu passt, dass die Formgebung der Membran einerseits und die offene Bauweise andererseits die Wiedergabe verfälschende Partialschwingungen und Reflexionen verhindern. Der K812 erhebt also den Anspruch ein besonders signaltreu aufspielender Kopfhörer zu sein. Nun, was der Österreicher draufhat werden wir im Rahmen des finalen Hörtests ermitteln.
Zuvor gibt es noch einiges vom K812 zu berichten: Ungewöhnlich für einen offenen Studio-Kopfhörer ist seine mit 36 Ohm vergleichsweise niedrige Nennimpedanz. Ob sie es glauben oder nicht, aber AKG hat damit tatsächlich den Betrieb an Unterwegs-Zuspielern wie MP3-Playern oder den immens populären Smartphones mit ihren schwachbrüstigen Kopfhörerverstärkern im Sinn. Dass auch für den persönlichen Alltags-Soundtrack ein erhöhtes Klangqualitätsbewusstsein zu begrüßen ist, steht unserer- und sicher auch Ihrerseits außer Frage. Ob allerdings ein so edler und teurer Kopfhörer wie der K812 dafür als Klangverbesserer Verwendung finden wird, ist eher zu bezweifeln. Wahrscheinlicher ist da schon, dass der mobile Tonprofi den Kopfhörer als unbestechliche Kontrollinstanz oder für abendliche Vormischungen im Hotelzimmer im Gepäck hat. Dafür ist es selbstverständlich praktisch, dass der K812 nicht wie sein legendärer Großonkel K1000 nach einem dezidierten Kopfhörerverstärker mit anpassbarer Verstärkung verlangt.
Dank Der K812 wiegt fast 400 Gramm, trägt sich aber ausgesprochen angenehm. AKG hat zwar auf das geniale selbstjustierende Kopfband verzichtet. Das luftdurchlässige Echtleder-Kopfband des Neuen lässt sich gleichwohl mühelos feinanpassen. Danach ist der Hörer nicht mehr zu spüren – höchstens bei ruckartigen Kopfbewegungen. Zu diesem sehr hohen Tragekomfort tragen auch die ergonomisch geformten Ohrpolster, die mit wunderbar weichem Leder bezogen sind, bei. Dank einer kardanischen Aufhängung mit exakt gefertigten Aluminium-Drehgelenken passen sich die Ohrmuscheln perfekt an den Kopf an. Wir, die wir immerhin vom K702 verhätschelt sind, kommen nicht umhin in der wichtigen Disziplin Tragekomfort den K812 mit der Höchstnote „Eins mit Doppelstern“ zu ehren.

Nun ist an der Zeit, dass der K812 Klangfarbe bekennt. Zu diesem Zwecke hören wir uns Musik aus Klassik, Jazz, Rock und Pop sowie eigene Aufnahmen an. Wir betreiben den K812 an unserem Referenz-Kopfhörerverstärker Violectric V200, der seinerseits mit dem Mytek Digital Stereo192- DSD DAC verbunden ist.

Wir beginnen mit Klassik und der sehr empfehlenswerten Live-Einspielung von Chopins erstem Klavierkonzertes des jungen polnischen Pianisten Rafal Blechacz mit dem Royal Concertgebouw Orchestra für die Deutsche Grammophon. Schon bei der langen orchestralen Einleitung machen unsere Ohren Stielaugen, denn das Orchester mit seinem eigenen, ausgesprochen warmen Klang breitet sich in seiner ganzen Pracht in dem berühmten Amsterdamer Konzertsaal aus. Die Raumdarstellung des K812 übertrifft die des K702 und ist fast schon eine ganze Klasse besser. Sobald der Solist einsetzt, gehören ihm ganz die Bühne und des Hörers Aufmerksamkeit, denn das Orchester hat bei Chopin nur begleitende Funktion. Wenn dann aber doch ein unterstützendes Motiv in den Hörnern oder eine Begleitstimme in den Celli hervortritt, dann geht unser Blick fast automatisch in die doch nur erhörte Richtung. Der K812 ist bei der Raumdarstellung kein Trickser, der durch eine Präsenzanhebung die Raumabbildung puscht. Denn, schon sind wir beim nächsten, sehr wichtigen Kriterium: Der K812 ist, wie von AKG versprochen, sehr neutral abgestimmt und gibt folglich das wieder, was ihm angeboten wird – im Guten wie im Schlechten. Um beim Guten zu bleiben: Der farbige Flügelklang von Blechacz, der im ersten Satz das heroische erste Thema voller Selbstsicherheit und damit ebenso überzeugend darstellt wie die Legato-Lyrik des anschließenden zweiten Themas, ist in seiner ganzen schillernden Farbenpracht zu hören.
Das Impulsverhalten des K812 ist exzellent: Oscar Petersons Furioso-Interpretation von „Someone to Watch Over Me“ auf dem legendären Soloalbum „My Favorite Instrument“ präsentiert der Kopfhörer mit all der krachenden Brillanz, die so typisch für den großen Jazz-Pianisten war. Ein guter Kopfhörer folgt bei solchen Musiken den Transienten auf den Anschlag und genau das hat der K812 voll drauf. Alternativ hören wir uns mal Al Di Meolas Brillanz auf der Nylonsaitengitarre an wie sie auf dem Titel „Morocco“ zu hören ist und erfreuen uns an dem knackigen Ton des Saitenvirtuosen. Das Stück bietet jede Menge begleitende Perkussion, die – selbstredend – vollumfänglich an unsere Ohren kommt. Zudem können wir erstmals über einen dynamischen Kopfhörer eine Synthiebass-Stimme, die gerne mal untergeht, klar heraushören.

Dies gelingt dem AKG dank seiner trennscharfen Feinauflösung, die gelungene Aufnahmen erst richtig glänzen lässt, Murks jedoch gnadenlos aufdeckt. Beispielsweise die Verzerrungen einer schlampig digital remasterten Analog-Aufnahme – der Name ist der Redaktion bekannt – oder, glücklicherweise behebbare, Phasenprobleme bei einem unserer eigenen Projekte. Zugegeben, dafür bedarf es nicht notwendig eines solchen Kopfhörers, er erleichtert das Arbeiten nur deutlich und hilft Zeit zu sparen.

Aber vor allem macht der K812 richtig Spaß, wenn er uns mit den crèmigen Bässen einer mit dem Royer Labs R-121 PLAT (siehe die Seite XX dieser Ausgabe) angefertigten Gitarrenaufnahme umschmeichelt oder uns mit dem sonoren tiefen „E“ eines gestrichenen Kontrabass vibrieren lässt. Jawohl, der K812 führt den Hörer hinab in den dunkelschwarzen Basskeller wo der echte Tiefbass, nicht etwa eine aufgedunsener Effekthascherbass lebt. Deswegen setzt der AKG den Ohren niemals undefinierbaren Soundbrei, sondern – sofern Arrangement, Aufnahme und Mischung es hergeben – klar durchgezeichnete Kompositionen mit Bass-, Mitten- und Oberstimmen. Gute Musik ist per se und immer das reine Vergnügen, ist sie kompetent eingespielt und nach den Regeln der Kunst aufgenommen worden, beschert der K812 als echter Spitzenkopfhörer das reichhaltige Hörerlebnis für den audiophilen Gourmet. Der übrigens nicht notwendig Klassiker-Liebhaber oder eingeschworener Anhänger akustischer Musik sein muss. Auch im Elektro-Bereich gibt es bekanntlich erstklassige Produktionen, die über den K812 auch wirklich glänzen können.

 

Fazit

Der AKG K812 ist ein fantastischer Kopfhörer, der mit hochfeiner Auflösung, hervorragender Trennschärfe, exzellentem Impulsverhalten bei bemerkenswerter Signaltreue das aktive Klangschaffen und das bewusste Musikgenießen zum besonderen Erlebnis macht.

Erschienen in Ausgabe 06/2014

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1590 €
Bewertung: überragend
Preis/Leistung: gut