Ohrenschmaus

Erst mit einem Kopfhörerverstärker der Spitzenklasse wird das Hören über Kopfhörer zum Ohrenschmaus. Drei neue Spezialisten versprechen feinste Klangkost. 

Von Harald Wittig 

Im Frühjahr dieses Jahres hatten die Kopfhörerverstärker von Violectric auf der High-End-Messe in München Premiere und sorgten für einiges Aufhorchen, was für eine bis dahin völlig unbekannte Marke auf den ersten Blick nicht selbstverständlich ist. Allerdings steht hinter dem Namen Violectric der deutsche Hersteller Lake People, dessen Produkte in der Pro-Audio-Welt einen ganz hervorragenden Ruf genießen. Lake People-Geräte wie beispielsweise der vorzügliche Mikrofon-Vorverstärker Mic Amp F355 – immer noch die unangefochtene Referenz bei Professional audio –, die Wandler des Konstanzer Unternehmens und nicht zuletzt auch die ausgezeichneten Kopfhörerverstärker haben zahlreiche Anhänger unter den anspruchsvollen Tonschaffenden. Mit der Marke Violectric soll nach dem Willen von Lake People-Chef Fried Reim der HiFi-/High End-Markt bedient werden. Violectric-Geräte sind also zunächst für den Consumer-Bereich, genauer für die traditionell sehr anspruchsvolle Gruppe von Audiophilen, konzipiert und entwickelt worden. Dass die ersten Geräte die Kopfhörerverstärker  V90, V100 und V200 sind kommt nicht von ungefähr, denn in der Entwicklung und der Herstellung dieser Geräte liegt die Kernkompetenz von Lake People. Das erste Gerät der Konstanzer, das vor rund 20 Jahren das Licht der Pro-Audio-Welt erblickte, war auch ein Kopfhörerverstärker. Unter dem Label Lake People gibt es auch noch wie vor sehr gute bis herausragende Kopfhörerverstärker wie beispielsweise den Phone-Amp F339 D (Test in Ausgabe 7/2006) oder den zweikanalige Phone-Amp G100, der sich im Rahmen des Kopfhörerverstärker-Klangvergleichstests in Ausgabe 6/2009 gegenüber namhaften Konkurrenten locker durchsetzte und es sich auf dem Spitzenplatz gemütlich machen durfte.

Der G100 erfährt auch einige Wertschätzung bei HiFi-Fans, denn das Thema Kopfhörer-Hören ist wieder sehr aktuell, zumal die renommierten Kopfhörerhersteller in der letzten Zeit mit ausgezeichneten Hörern das zuvor etwas schlafmützige Produkt-Segment wieder erweckt haben. Es sei in diesem Zusammenhang an Sennheiser Meisterwerk, den HD 800 erinnert, der sich bei unserem großen Kopfhörertest in Ausgabe 6/2009 das Prädikat „Spitzenklasse sehr gut – überragend“ redlich verdiente. Auch AKG hatte mit dem seinerzeit zweitplazierten K 702 Studio seine Kompetenz in Bau und Entwicklung von Kopfhörern unter Beweis gestellt. Derzeit ist der K 702 Studio übrigens Professional audio-Referenz, wann immer wir Kopfhörer oder Kopfhörerverstärker testen.

Es ist kein Geheimnis, dass erfahrene Toningenieure und Tonmeister, wie beispielsweise Andreas  Spreer, Chef des Klassik-Labels „Tacet“ oder Martin de Boor vom niederländischen Mastering-Studio „The Masters“ gerne mit Kopfhörern arbeiten. Solchen Könnern ist bewusst, dass ein guter Kopfhörer alleine schon die halbe Miete ist, aber erst im Zusammenspiel mit einem dezidierten Kopfhörerverstärker kann er seine Klasse voll ausspielen. Insofern ist es auch für den Praktiker interessant, wenn  neue Modelle wie die Violectrics erscheinen, die den Anspruch haben, in puncto Klangqualität die Mitbewerber erblassen zu lassen.

Es gibt derzeit drei Modelle – ein viertes ist bereits in Vorbereitung – wobei sich V90, V100 und V200 konzeptionell sowie in Bezug auf den technischen Aufwand teilweise beträchtlich unterscheiden: Der V90 ist mit rund 450 Euro das günstigste Gerät des Trios und als Basismodell konzipiert. Der empfohlene Verkaufspreis mag auf den ersten Blick sehr hoch erscheinen. Allerdings sei allen Unmutigen gesagt, dass alle Violectric-Geräte ausschließlich in Deutschland produziert werden und nur hochwertige Bauteile von hiesigen Zulieferern Verwendung finden, was die Endpreise zwangsläufig in die Höhe treibt. Wie seine mit knapp 650 (V100) beziehungsweise 850 Euro (V200) teureren Kollegen lassen sich am V90 zwei Kopfhörer betreiben, hinzu kommt ein kanalgetrennter Aufbau für beide Signalwege. Die Lake People-Entwickler setzten hierbei in der Vorstufe auf selektierte Operationsverstärker, wobei jeweils einer für das linke beziehungsweise rechte Signal zuständig ist. Im Gegensatz zu den gebräuchlicheren Doppel-OPs mit zwei Operationsverstärkern in einem Gehäuse lassen sich damit kleinste Signalstörungen vermeiden.

Im Unterschied zum V100 und V200 hat der V90 nur unsymmetrische Cinch-Eingänge. Davon abgesehen handelt es sich bei ihm laut Hersteller um einen „aufgemotzten Lake People G95“. So ist der V90 mit einer doppelseitigen, durchkontaktierten Platine, einem Ringkerntrafo, hoher Siebkapazität im Netzteil, gepufferten Line-Ausgängen, präzisen Widerständen und last not least „musikalischen Kondensatoren“ im Signalweg ausgestattet. Diese sollen für einen besonders angenehm-audiophilen Klang sorgen. Wobei der V90  – ganz im Stil der Studiogeräte von Lake People – sich jeglicher Schönfärberei entziehen und sich grundsätzlich der klanglichen Neutralität verschrieben  haben soll. Der V90 verfügt zusätzlich über unsymmetrische Ausgänge, die dazu dienen, die Eingangsignale verlustfrei an ein nachgeschaltetes  Gerät weiterzureichen. Dieser Durchschliff erfolgt aktiv mit sogenannten Pufferverstärkern geschieht, um die Signale zu entkoppeln. Der Grund hierfür: Um Störungen und Instabilitäten, die wegen unterschiedlicher Eingangswiderstände und Eingangskapazitäten bei einer rein passiven Verbindung zweier Geräte auftreten können, machen die Pufferverstärker die Signale elektronisch verträglich und stellen sie niederohmig zur Verfügung.

Bei allen drei Kopfhörerverstärkern wurde der Frequenzgang bewusst auf 200 Kilohertz begrenzt, ab hier erfolgt ein Abfall um sechs Dezibel. Diese Begrenzung dient dazu, um hochfrequente Einstreuungen von vorneherein auszusperren, eine Lake People  typische Maßnahme, die auch bei den eigenen High-End-Mikrofon-Vorverstärkern – im Gegensatz zu einigen namhaften Mitbewerbern – angewandt wird. Nach unten ist der Frequenzgang des V90 wie auch des V100 und des V200 nicht begrenzt. Die drei können also auch Gleichspannungen und sehr tiefe Frequenzen übertragen, denn sie sind DC-gekoppelt. Das kann allerdings problematisch sein und  beispielsweise den angeschlossenen Kopfhörern schaden. Aus diesem Grund lässt sich der Frequenzgang auch nach unten begrenzen. Hierfür gibt es zwei „LO-CUT“-Schalter im Gehäuse, direkt neben dem Lautstärkeregler die in Stellung „AC“ einen Hochpassfilter aktivieren, der bei 12 Hertz ansetzt. Ab Werk ist dieses Filter bereits aktiviert, von einem Umsetzen der LO-CUT-Jumper rät der Hersteller übrigens auch ab. Das mit Nextel beschichtete Aluminium-Gehäuse mit seiner schwarz eloxierten Frontplatte des V90 scheint dem ersten Eindruck nach für die Ewigkeit gebaut. Es unterscheidet sich bewusst von den nüchternen Edelstahlgehäusen der Lake People-Kopfhörerverstärker und ist ein Tribut an die HiFi-Kunden, die bei ihren Wiedergabe-Geräten gerne das Auge mithören lassen.

Das gilt auch für die erheblich aufwändiger gebauten Brüder V100 und V200: Die ebenfalls  mit Nextel beschichteten Aluminium-Gehäuse mit ihren vergoldeten Standfüßen und der im Vergleich zum V90 mehr als doppelt so starken – acht statt drei Millimeter – Frontplatte wirken teuer und pflegen gleichwohl ein gewisses Understatement. Wer es wirklich noch edler – oder richtig protzig – haben möchte, kann demnächst V100 und V200 mit Frontplatten in Eloxal-Silber, Eloxal-Gold, vernickelt oder vergoldet bekommen. Abgesehen von solchen Oberflächlichkeiten, sind V100 und V200 einiges aufwändiger als der V90 konstruiert und bekamen noch bessere Bauteile als ihr kleiner Bruder spendiert. Beginnen wir mit dem V100: Der ist ein sehr naher Verwandter des Phone-Amp G100, wie dieser ist er mit XLR- und Cinch-Anschlüssen ausgestattet. Ab Werk sind die Cinch-Buchsen als Eingänge geschaltet, sie können aber auch als Ausgänge dienen, um die Signale, die an den symmetrischen Eingängen anliegen, durchzuschleifen. Wie beim V90 erfolgt der Durchschliff aktiv, allerdings sind dafür Jumper im Gehäuseinneren umzusetzen. Zumindest im Studio-Einsatz, wo aus klanglichen Gründen  – Stichwort Störsignale – ohnehin die symmetrischen XLR-Eingänge Priorität haben, ist die Jumper-Umsetzung eine einmalige Aktion, die rasch von der Hand geht.

Großen Wert legt der Hersteller  auf hochwertige Lautstärkeregler, folgerichtig kommen bei allen drei Violectrics Potentiometer von ALPS, des Spezialisten für elektromechanische Komponenten zum Einsatz. Im V100 und im V200 ist ein RK27 verbaut, das Kenner gerne zusammen mit dem RK40 als die Spitze des technisch Machbaren bezeichnen. Auch der kleine V90 hat ein ALPS-Poti, allerdings „nur“ das Modell RK14, dennoch stellt auch dieses Potentiometer eine deutlich hochwertigere Ausstattung dar als namenlose Billig-Potis, von eher minderwertigen elektronischen Schaltungen mal ganz abgesehen.  Die Endstufe des V100 ist mit Transistoren aufgebaut: Pro Kanal besteht sie aus den Kleintransistoren BC456 und BC556 und den Leistungstransistoren 2SA1606 und 2SC4159, dieses Ensemble wird durch einen NE5534 gesteuert, der nicht invertierend arbeitet, die Gesamtverstärkung ist auf acht Dezibel eingestellt.

Durch die unüblich hohe Betriebsspannung kann diese aufwändig konstruierte Endstufe eine sehr hohe Ausgangsspannung bereit stellen, was vor allen Dingen notwendig ist, um hochohmige (ab 200 Ohm) Kopfhörer zu betreiben.  Bekanntlich unterscheiden sich Kopfhörer hinsichtlich Impedanz und Empfindlichkeit mitunter beträchtlich: Niederohmige Kopfhörer mit Impedanzen von 25 bis 55 Ohm benötigen weitaus weniger Leistung als mittelohmige oder hochohmige Kopfhörer. Bestes Beispiel sind extrem niederohmige und gleichzeitig hochempfindliche Kopfhörer wie der Sennheiser HD 25 auf der einen und sehr hochohmige Hörer wie das frühere AKG-Flaggschiff K1000 auf der anderen Seite. Auch der neue Star von Sennheiser, der HD 800, ist ein mit 300 Ohm Eingangsimpedanz schon hochohmig, den sehr guten Beyerdynamic DT 880 gibt es wahlweise mit 250 oder 600 Ohm (siehe hierzu den großen Kopfhörertest in Ausgabe 6/2009). Diese Kopfhörer benötigen eine hohe Betriebsspannung, folgerichtig liefert der überdimensionierte Ringkerntrafo des V100 wie auch des V90 und des V200 ±30 Volt an die Endstufen, was übrigens weniger dem reinen Lautstärkegewinn, sondern in erster Linie der sauberen Darstellung von Transienten dient. Ein auf ±15 Volt begrenzter Verstärker kann bei einem schnellen Impuls nämlich sehr schnell an seine Grenzen kommen.

Mit dem V100 ist bezüglich der Verstärkerleistung noch nicht Schluss, denn das derzeitige Violectric-Topmodell, der  V200, hat nach Aussage von Lake People-Chef Fried Reim einen „absolut überdimensionierten“ Verstärker. Pro Kanal arbeiten in der Endstufe des V200 acht Transistoren: Je zwei BC546 und BC556 Kleintransistoren sowie zweimal die Leistungstransistoren 2SA1606 und 2SC4159, wiederum angesteuert von einem NE5534.  Daraus ergibt sich für hochohmige Kopfhörer eine wohl kaum mehr zu übertreffende Spannung, für niederohmige Genossen gibt es Leistung ohne Ende, der Dämpfungsfaktor ist gegenüber der Endstufe des V100 von 400 auf 800 verdoppelt. Interessanterweise orientierte sich das Entwicklerteam bei der Konzeption und Konstruktion an der alten, mittlerweile in HiFi-Zirkeln Kaltstatus genießenden Nakamichi 600 Endstufe. Laut Fried Reim ist die des V200 eine „angepasste Kopie“ der Japanerin aus den 1970er-Jahren.

Von diesem gleichwohl sehr wichtigen Herzstück abgesehen, gleichen sich V100 und V200 bis aufs Haar, erst ein genauerer Blick auf die Rückseite offenbart ein weiteres Ausstattungsdetail, des exklusiv dem V200 vorbehalten ist: Der hat nämlich noch zusätzlich einen USB-Anschluss mit integriertem D/A-Wandler, was den V200 zumindest theoretisch auch für Anwender attraktiv macht, die gerne Musik über den PC hören. Allerdings bringt der V200 kaum die Leistung eines Benchmark DAC1 HDR (Test in dieser Ausgabe, Seite 78), denn der Wandler orientiert sich am 16-Bit-CD-Standard, die maximale Abtastrate ist auf 48 Kilohertz begrenzt. Das Handbuch macht keinen Hehl daraus, dass der USB-Anschluss wegen der Begrenzung auf 16 Bit-Wortbreite keine High-End-Lösung ist und sich auch für das Anhören sogenannter HD-Files   nicht eignet. Ob der USB-Anschluss, der laut Hersteller „leichte Einbußen„ in puncto Klangqualität bringt, wirklich sein muss, erscheint uns etwas fragwürdig. So recht passt diese Option nicht zu dem aufwändig konstruierten Kopfhörerverstärker, zumal es mit dem DAC V800 demnächst einen hochwertigen Wandler mit offener 24Bit/96 Kilohertz USB-Schnittstelle geben wird.

Soweit zu den wesentlichen Unterschieden und wichtigsten Merkmalen von V90, V100 und V200. Kehren wir wieder zu den Gemeinsamkeiten zurück und einer gerade für die Praxis wichtigen Funktion: Diese nennt sich PRE-GAIN und dient der Anpassung der Verstärker an die verwendeten Kopfhörer. PRE-GAIN ist keine Exklusivität von Lake People, denn auch der Lehmann Black Cube Linear (Test in Ausgabe 11/2008) verfügt über eine ähnliche Schaltung, um sich an die mitunter sehr unterschiedlichen Impedanzen und Wirkungsgrade der verschiedenen Kopfhörer anzupassen. Bisher – so im Falle des Lake People Phone-Amp G100 – konnte die Vorverstärkung nur etwas umständlich mittels Steckbrücken im Innern des Gerätes erfolgen. Jetzt gibt es auf den Gehäuserückseiten für den linken und rechten Kanal je ein Vierergrüppchen von Dip-Schaltern die unmittelbar auf die Vorverstärkung des Eingangssignals einwirken. Damit lässt sich es sich in Sechs-Dezibel-Schritten und in vier Stufen verstärken oder abdämpfen. Damit ist gewährleistet, dass der griffige Ganzmetalllautstärkeregler auch bei wirkungsgradarmen Kopfhörern nicht auf Vollanschlag stehen muss, sondern auf der empfehlenswerten Stellung zwischen Zwölf- und Drei-Uhr bleiben kann. Obwohl Pre-Gain an und für sich nur die Wirkungsgrad-Unterschiede zwischen verschiedenen Kopfhörermodellen ausgleichen soll, haben wir festgestellt, dass alle drei Verstärker die besten klanglichen Ergebnisse liefern, wenn der Lautstärkeregler etwas weiter aufgedreht ist. In Sieben-Uhr-Stellung bei Verwendung eines besonders lauten Kopfhörers verschiebt sich das Klangbild und erscheint trotz genügender Abhörlautstärke enger. Insofern lohnt es sich, mit verschiedenen Pre-Gain-Stellungen zu experimentieren, was angesichts der einfachen, benutzerfreundlichen Bedienung und der instruktiven Beschriftung auch Technikmuffeln leicht fällt.
       
Das Professional audio-Messlabor kann für alle drei Geräte bestätigen, dass Pre-Gain keinerlei Einfluss auf die Frequenzgänge und die Klirrfaktoren nimmt, außerdem entsprechen die Pegel-Angaben der Mäuseklaviere exakt den wahren Pegelwerten. Auch bei allen anderen Standardmessungen können V90, V100 und V200 glänzen und beweisen, dass sie aus gutem Hause kommen. Interessanterweise führt der vermeintlich einfache V90 nach unseren Messergebnissen die Troika an: Das Labor ermittelt hervorragende 102,5 und 99,9 Dezibel für Geräusch- und Fremdspannungsabstand bei einem Gesamtklirrfaktor von 0,002 Prozent. Dagegen bringen es V100 und V200 „nur“ auf 99,4/94,6 beziehungsweise 100,1/93,5 Dezibel, wobei es sich selbstverständlich um Topwerte handelt. Die Unterschiede sind marginal und eigentlich nur von akademischem Erbsezählerinteresse. Für die Praxis gilt für das Trio, dass jeder einzelne Kopfhörerverstärker praktisch rausch- und klirrfrei ist. Auch die FFT-Spektren belegen, dass Lake People wie bei seinen Studio-Geräten auch bei den Violectric-Verstärkern höchsten Wert auf unverfälschte Signaltreue legt: Während bei V100 und V200 keinerlei harmonische Oberwellen erkennbar sind, bleiben die die winzigen K2- und K3-Spitzen im Falle des V90 deutlich unter -100 Dezibel, sind damit praktisch unhörbar und getrost vernachlässigbar.
                                    
Für den eigentlichen Klangtest verbinden wir die Violectrics mit unserem Referenzwandler,  dem  Lynx Aurora 8 und hören uns verschiedenes Material an: Zum einen die aktuellen, unter Sonar 8 erstellten Gitarren-Aufnahmen zum Test der Haun-Mikrofone, das Stück „Bookends“ aus dem schönen Album „Sometime Ago“ des Konzertgitarristen Manuel Barrueco und den „Kontrapunktus 1“ aus der vorzüglichen Tacet-Produktion „Die Kunst der Fuge“, eingespielt von dem fantastischen Pianisten Evgeni Koroliov. Im Falle der Baruecco- und der Koroliov-Aufnahme dient der NAD M 5 SACD-Player als Zuspieler, der über den AES3-Ausgang mit dem Lynx verbunden ist. 

Das Basismodell, der V90 erweist sich als ein hochklassiger Kopfhörerverstärker, der für sich alleine betrachtet mit feiner Auflösung und hoher Detailverliebtheit aufwartet. Zusammen mit dem Sennheiser HD 800 bildet er ein sehr gutes und bereits sehr penibles Team, das eine Fülle von Klanginformationen liefert. Das bedeutet allerdings auch, dass der „Kopfhörer„ speziell bei Aufnahmen sehr leiser Instrumente wie der Konzertgitarre einen hohen Nebengeräuschanteil in Kauf nehmen muss, von Atemgeräuschen oder leisestem Stuhlknarre ganz zu schweigen. Die Kombination V90/HD 800 deckt die außermusikalischen Geräusche gnadenlos auf, lässt aber gleichzeitig auch die Musik und die Könnerschaft von Topsolisten wie Barrueco und Koroliov bei der Tonbildung aufblühen.Grundsätzlich gehört der V90 zu den neutralen Vertretern seiner Zunft, er weist aber auch eine ganz leichte Tendenz zum Schönfärben auf: So betont er ein wenig die Bässe und Tiefmitten, was sich in klanglicher Hinsicht in einem dezenten Schuss angenehmer Wärme äußert.

Der V100 steht wie gesagt in der Tradition des Lake People G100. Klanglich gleichen sich beide bis zur Achtelpause. Hier ist also Neutralität oberstes Gebot, im Guten wie im Schlechten. Zusammen mit dem HD 800 erklingen die Aufnahmen mit einer Detailfülle, die schon fast überwältigt: Hier rücken sämtliche Klanginformationen zum Greifen nahe ans Hörerohr, nichts wird verschluckt. Für Unerfahrene kann das schon fast zuviel des Guten sein, der Praktiker freut sich über diesen Fotorealismus und kann gezielte Klangkorrekturen vornehmen, zumal der Eigencharakter eines Raumes plastisch nachgezeichnet ist. So kann der Tonmeister die klangliche Internaktion zwischen der aufzunehmenden Klangquelle und dem Raum genau erhören und die optimale Mikrofonposition nach Gehör finden. Beim späteren Mischen und Mastern hilft eine solch vornehme Kombination aus HD 800 und V100 beim Schneiden oder der finalen Abrundung einer Aufnahme durch dezenten, punktgenauen Equalizer-Einsatz.

Ist ein Spitzengerät wie der V100 noch zu übertreffen? Ist der V200 das Nonplusultra bei den Kopfhörerverstärkern? Tatsächlich gibt es klangliche Unterschiede zwischen V100 und V200, diese sind aber so subtil, dass vom Tester-Team höchste Konzentration abverlangt wird. Im direkten Vergleich mit dem V100 wirkt zumindest bei der Kombi V200/HD 800 das Klangbild noch opulenter, mit einem Quäntchen mehr Tiefenschärfe, einem Fünkchen mehr an Detailtreue und eine noch höhere Impulsfestigkeit: Da hört der Aufmerksame beispielsweise einen dezenten Schnaufer mehr oder ein fast perfekt unterdrücktes Gleitgeräusch auf den Bass-Saiten der Gitarre. Hervorragend ist auch das Impulsverhalten des V200: Bei unsrer Aufnahme sind zum Beispiel die Bassnoten sofort da, das schafft in dieser Souveränität nicht mal der V100. Dennoch ist es sehr, sehr schwer, den klanglichen Mehrgewinn, den der V200 bietet, in Worte zu fassen. Vielmehr ist es eher so, dass wir, nachdem wir uns auf den  V200 eingehört haben, diesen nicht mehr missen wollen. Der V200 macht nach längerem Gebrauch abhängig und bietet – wohlgemerkt zusammen mit einem Spitzenkopfhörer – bei exzellenten Aufnahmen audiophilen Gourmetklang. Wenn eine die Aufnahme über einen AKG K 702 oder – noch besser – einem Sennheiser HD 800 gut klingt, dann ist alles im immergrünen Bereich.

Fazit

Die drei Violectric-Kopfhörerverstärker sind allesamt echte Spitzengeräte, die zusammen mit Top-Kopfhörern für echten Ohrenschmaus sorgen. Wer es gnadenlos ehrlich und neutral möchte, ist mit dem V100 sehr gut bedient. Wer noch mehr Detailtreue und ein kaum mehr zu übertreffendes Impulsverhalten verlangt, kommt allerdings um den V200 nicht herum, denn der ist in jeder Hinsicht der beste Kopfhörerverstärker, den wir bislang getestet haben.

Erschienen in Ausgabe 11/2009

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 449 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: gut