Unschlagbar

Lauter, Fetter, breiter – das ist der Wunsch eines jeden Mastering-Engineers. Wenn das Endergebnis dann auch noch musikalisch–dynamische Qualitäten aufweist, gilt der heilige Gral als entdeckt. Mit Brainworx´ neustem Plug-in verkürzt sich die Gralssuche für Jedermann.     

Von Tom O’Connell

Über den Hersteller Brainworx und deren Entwicklung im Bereich der M / S Technik muss wahrlich nicht mehr viel referiert werden. Geschäftsführer Dirk Ulrich startete seine Karriere zunächst mit einer Musik Produktionsfirma und arbeitete im Zuge dessen mit Musikergrößen wie James LaBrie (Dream Theatre), sowie mit Fernsehsendern wie Sat.1 und RTL II zusammen. Wenig später gründete er die Firma Brainworx, die sich vor allem durch die Entwicklung des M/S-EQ-Konzeptes einen Namen gemacht hat. Mit der Realisierung des bx-1 Modells im Jahre 2002 verlagerte sich die Firmenausrichtung von Brainworx immer mehr zur Entwicklung von Hard- und -Software für die Audioproduktion in M / S Technik. Basierend auf dieser Technik entstanden Plug-ins wie der M / S Equalizer bx_digital (Test in Heft 6 / 2007) und der bx_dynEQ, die sich in der Pro-Audio-Szene schnell etablierten. Das Brainworx-Entwicklerteam beschränkt sich jedoch nicht auf die Entwicklung von Mastering-Applikationen, sondern wartet immer wieder mit spezialisierten Plug-ins, wie dem bx_boom zum Bearbeiten von Bass-Drumsounds oder dem bx_shredspread (Test Heft 9 /2010) auf. Mit seiner neusten Entwicklung geht Brainworx allerdings wieder in den reinen Mastering-Bereich. Der bx_XL stellt sich als eine gelungene Kombination aus einem Multiband- und einem M/S-Limiter vor und verspricht dem Benutzer eine Lautheit, wie sie in vielen Major – Produktionen zu hören ist, aber gleichzeitig Dynamik und Musikalität eines Mixes bewahren soll. Wer das nicht glauben kann, sollte unbedingt weiterlesen, denn der bx_XL hat tatsächlich die Fähigkeit, diese sich scheinbar unvereinbaren Anforderungen zusammenzubringen.

Wie auch schon der bx_digital ist auch der bx_XL in puncto Ausstattung kompromisslos auf High-End-Mastering getrimmt und richtet sich an alle Anwender, die noch ein wenig mehr aus ihrem Master herausholen möchten. Mit 355 Euro liegt der Preis für dieses Edel- Plug–in zwar noch im moderaten Bereich, ein Schnäppchen ist es gleichwohl nicht. Immerhin kommt Brainworx seinen treuen Kunden entgegen und bietet den bx_XL für preisgünstigere 236 Euro für Nutzer anderer Brainworx Applikationen an. Die Software unterstützt die üblichen Schnittstellen VST, AU und RTAS und eine maximale Samplingrate von 192 Kilohertz. Laut Hersteller wird bereits an einer TDM Version gearbeitet, deren Veröffentlichung allerdings noch in den Sternen steht. Gleich vorweg: Der extrem komplexe Algorithmus der Software verlangt dem Rechner einiges an Leistung ab. Eine Mastering-Kette mit mehr als  vier leistungshungrigeren Plug-ins plus dem bx_XL verlangt schon nach reichlich Rechnerleistung, erst recht, wenn der Nutzer mit höhere Samplingraten als 48 Kilohertz arbeitet.  Die Bedienoberfläche gestaltet sich, wie bei Brainworx üblich, sehr aufgeräumt. Der Anwender findet alle Funktionen auf einen Blick und muss nicht irgendwelche versteckten Funktionen in noch versteckteren Untermenüs suchen. Dafür nimmt die Oberfläche aber auch den ganzen Bildschirm ein – eine Verkleinerungsmöglichkeit gibt es nicht.   Die reichhaltig ausgestattete Input-Sektion gibt sich gut sehr sortiert und ist mit einigen unüblichen Features ausgestattet. So lassen sich beispielsweise der rechte und der linke Eingangskanal getrennt in der Eingangslautstärke regeln, was ein Indiz dafür ist, dass in diesem Gerät beide Kanäle separat bearbeitet werden. Beide Eingangsregler lassen sich über die Link-Funktion miteinander verknüpfen. Direkt unter der Input-Sektion befindet sich die Ausgangs-Sektion. Die Position ist für ungeübte Benutzer sicher ein wenig verwirrend, da sie sich im Signalweg hinter der Master-Sektion befindet. An dieser Stelle lässt sich mittels zweier Drehregler noch einmal das Verhältnis von Mitten- und Seiten-Signal nachregeln. Der Master Out-Regler ist dann für die Endlautstärke zuständig.  Unter den drei edel anmutenden virtuellen VU-Metern, die den Benutzer über die Pegel des Mitten- und des Seiten-Signals sowie die Korrelation informieren, finden sich die Kanalfader für „Mid Lo“, „Mid Hi“, Side und der Masterfader. Mit diesen lässt sich sowohl die Lautstärke des jeweiligen Bandes durch den Boost-Fader, als auch der Schwellwert der Begrenzung durch den Threshold-Fader regeln. Bei flüchtigem Hinsehen erinnert das fast schon an reichhaltig ausgestattete Kanalzüge eines Mischpultes und bietet dem Nutzer vollkommen neue Möglichkeiten der Mitte/Seite-Bearbeitung – doch dazu später mehr. Unter den Kanalfadern finden sich in vertikaler Richtung zwei weitere Fader. Einer dient dem Einstellen der Crossover Frequenz zur Trennung der Lo Mid- und Hi Mid-Einsatzfrequenz, der Zweite gehört zum sogenannten Mono_Maker, einem Feature, das den Benutzern des Shredspread-Plug-ins bekannt vorkommen dürfte. Der Mono_Maker-Fader regelt die Frequenz, ab welcher der bx_XL das Signal auf Mono setzt. Das mag etwas merkwürdig erscheinen, ist in der in der Praxis aber durchaus sinnvoll, da tieffrequente Signale ab einer bestimmten Frequenz nicht mehr stereo-ortbar sind. Ein weiterer vertikaler Fader ist für den Sidechain-Mix zuständig.

Der Sidechain kann wahlweise auf einen oder auf alle der drei Kanäle geschaltet werden. Als Triggersignal für den Sidechain fungiert das Mid Lo-Signal, das Mid Hi-Signal, eine Zusammenschaltung von beiden, das Seitensignal oder ein extern eingespeistes Signal, was den bx_XL damit zum idealen Partner für mehrkanalige Projekte macht – Stichwort Multichannel Kompression  à la Michael Brauer: Bei dieser Technik werden die Einzelspuren auf fünf Subgruppen geroutet und getrennt voneinander bearbeitet. Neben den Kanalfadern befinden sich zwei Drehregler zum Einstellen von Attack und Release und der sogenannten XL-Funktion. Die Attack-Zeit ist mit 0,1 bis 1,5 Millisekunden relativ kurz gehalten, was aber für einen Limiter nicht unüblich ist. Schließlich ist der im ursprünglichen Sinne dazu da, auch schnelle Pegelspitzen abzufangen, um Übersteuerungen und Verzerrungen zu vermeiden. Die Release-Zeit deckt mit 0.01 bis 999 Millisekunden einen moderaten Bereich ab und ist für jegliches Audiomaterial geeignet. Ein Highlight offenbart sich hinter dem XL-Schalter. Beim Betätigen werden dem Signal, ähnlich wie bei einem Enhancer, harmonische Obertöne beigefügt. Dieser Effekt ist per Drehregler in einem Bereich von Null bis 100 Prozent regelbar. Diese Funktion findet sich auch in der Master-Sektion wieder und wirkt dort nicht nur auf das Mitten- oder Seitenband sondern die ganze Summe. Darüber hinaus gibt es im Master-Bereich ebenfalls einen global wirkenden Threshold- und Gain-Boost-Regler. Mit diesem lässt sich das Material noch einmal auf  Lautheit trimmen. Wenn man so will, ist der bx_XL fast schon ein richtiges Mastering-Mainframe, da, abgesehen vom Dithering, keinerlei achfolgende Bearbeitung, beispielsweise durch einen abschließenden Brickwall-Limiter, mehr notwendig ist. Ebenfalls in der Master-Sektion befinden sich die umfangreichen Solo-Funktionen. An dieser Stelle kann zur Kontrolle der rechte Kanal, der linke Kanal, das Mitten- und Seiten-Band sowie der Sidechain solo abgehört werden. Fast schon nebensächlich, aber ungemein hilfreich ist die Tatsache, dass am Pegelmeter in der Master-Sektion nicht nur der vorhandene Spitzenpegel (Peak), sondern auch die durchschnittliche Lautheit (RMS) ablesbar ist. Ein Feature, was längst nicht überall zu finden ist.  Selbsterstellte Presets lassen sich, typisch für Brainworx, über die „Copy und „Paste“-Funktion auf vier sogenannte Settings ablegen. Firmeneigene Presets gibt es allerdings keine. Dafür aber eine sehr praktische Undo-Redo-Funktion, die das Abrufen  vorheriger Einstellungen gestattet.   Wer den bx_XL erwirbt, kann einen absoluten High-End-Klangformer sein eigen nennen. Allerdings verlangt das Plug-in vom Benutzer ein wenig Einarbeitungszeit in puncto M/S-Technik. Als erstes betätigen wir im Praxistest den XL-Button der Kanäle ohne jede Signalbearbeitung. Schon bei 20 Prozent Wirkungsgrad erhält das Signal in den Höhen und den oberen Mitten eine hörbare Auffrischung. Halt. Moment. Diesen Effekt kennen wir doch. Richtig: Der Vitalizer von SPL klingt beim Betätigen seines Process-Reglers sehr ähnlich – im Falle Brainworx allerdings mit dem Unterschied, dass dieser Effekt wahlweise nur auf das jeweilige Band oder auf alle Bänder einwirkt. Als wirklich cleveres Feature erweist sich der Mono-Maker. Gerade opulente Arrangements, die vor Spuren fast überlaufen, profitieren ungemein von dieser Funktion. Warme Keyboardflächen und mehrfach gedoppelte Gitarren können dadurch ihre ganze Schönheit entfalten, ohne im Stereo-Mulm unterzugehen. Allerdings gilt auch hier die Regel: Das beste Mastering der Welt erfordert den besten Mix der Welt. Grobe Fehler im Bass-Management kann selbstverständlich auch der Mono-Maker nicht ausbügeln, eine Hilfe zur Erzielung von Plastizität und Transparenz des Mixes ist er aber allemal. Widmen wir uns im Folgenden den beiden Mittenbändern.  Diese können, wie bereits erwähnt, über die Crossover-Frequenz in ein tiefes und ein hohes Mitten-Band aufgeteilt werden.

In der Praxis  ist das von unschätzbarem Wert. So lassen sich Bassdrum- und Snaredrum-Signale, die sich vornehmlich in der Mitte finden, getrennt voneinander bearbeiten – und das wohlgemerkt beim Mastering. Dementsprechenden aufgeräumt und gut sortiert klingt der Mix schon jetzt. Danach geht es an das Seiten-Signal. An diesem Band kann jetzt beherzt die Dynamik eingegrenzt werden, ohne dass der Benutzer Angst haben muss, dass ihm ein energiereiches Bass-Signal den Limiter „dicht“ machen und zum Pumpen anregen würde. Absichtliches rhythmisches „Pumpen“´, wie es bei Musikstilen wie zum Beispiel French-House üblich ist, ist aber dennoch möglich. Der bx_XL regt durch seine Konzeption in der Bandaufteilung in der Tat zu unkonventionellen Experimenten ein – doch zurück zur Klangbeschreibung. Haben wir Mitten- und Seiten-Signal eingehend bearbeitet, lässt sich der Arbeitspunkt des Limiters zusätzlich noch durch ein Sidechain- Triggersignal steuern. Dadurch lässt sich beispielsweise das Mid Hi Band durch das Mid Lo Band  – oder umgekehrt – triggern, alternativ triggert eines der beiden das Seiten-Band. Auch die Möglichkeit eines externen Steuersignals ist im Sidechain gegeben. Das nennen wir flexibel. Auch wenn die Beschreibung auf einen völlig abgedrehten Klangkosmos schließen lässt, stellt sich in der Praxis als durchaus konventionelles Klangergebnis vor. Dieses mutet nur ein wenig kultivierter und differenzierter an, als das, was der Anwender von seinen bisherigen Arbeiten kennt. Komplexe Arrangements sind mit Hilfe des Plug-ins von jetzt an nicht mehr ausschließlich mit viel Geduld zum rundum zufriedenstellenden Endergebnis zu bringen. Mit der Brainworx-Software sind vielstimmige Arrangements mit wenigen Handgriffen unter Kontrolle gebracht. Selbst der Einsatz des bx_XL in Einzelspuren ist sinnvoll. Einen vertrackten Drumloop können wir mithilfe des Tools sehr wirkungsvoll bändigen, so dass er sich nunmehr hervorragend in das vorhandene Arrangement einfügt. Das gilt ebenso für spacige Keyboardflächen, die, ob ihrer Präsenz in sämtlichen Frequenzen, ihr Dasein nun endlich nicht mehr im Hintergrund fristen müssen. In der Disziplin Flexibilität gibt es dafür eine glatte Eins. Es gibt auf dem Markt nicht viele Plug-ins, die dem bx_XL das Wasser reichen können. Zu ausgefuchst ist das dahinterstehende Konzept. Einen etwas ähnlichen Ansatz verfolgt das Plug-in cl1ms-xl des Herstellers ArtsAcoustics (Test Heft 8 /010). Auch bei diesem Gerät können Mitten- und Seiten-Signal getrennt voneinander komprimiert werden. Allerdings klingt der ArtsAcoustics bei weitem nicht so transparent wie das Brainworx-Plug-in, sondern bedient klanglich eher die Vintage-Abteilung. Auch die mit dem bx_XL zu erreichende sucht ihresgleichen. In diesem Punkt macht selbst der „Krachmacher“ L2 von Waves schlapp. Der Hersteller hat sich mit der Aussage: „So laut wie jede Major-Produktion“ nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, trotzdem bleibt das Klangergebnis immer schön dynamisch und ausgewogen – kaum zu glauben, aber wahr. 

Fazit

Mit dem bx_XL ist den Entwicklern um Dirk Ulrich abermals ein großer Wurf gelungen. Viele Anwender, die sich mit dem Thema „Kreatives Mastering“ beschäftigen, finden mit diesem Plug-in ein neues Lieblingswerkzeug. Dabei ist bx_XL im Vergleich zu manch sündhaft teurer Hardware sogar noch erschwinglich. Unterm Strich ist das Brainworx-Plug-in trotz einiger weniger Kritikpunkte ein unschlagbares Tool, mit dem wirklich jeder in seinem Kämmerlein charttaugliche Musik produzieren kann.   

Erschienen in Ausgabe 12/2010

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 355 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut