Klang: Zero, Zero

Gibt es einen nicht klingenden Klang? Wir versuchen dieses Paradoxon für sie zu lösen und stoßen in Grenzbereiche der neutralen Signalübertragung vor. 

Von Michael Nötges 

Absurd erscheint im ersten Moment die Prämisse der Konstanzer Firma Lake People, dass ein Mikrofon-Vorverstärker nicht klingen soll – schließlich geht es im Audiobereich letztendlich doch immer um den Klang. Auf der Suche nach dem perfekten Abbild des Originals, hat die Neutralität der Signalverstärkung aber oberste Priorität und mit der seit 1986 konsequent verfolgten Idee des Anti-Klangs, ist hier die möglichst exakte Signalübertragung und keine bloße Stille gemeint. Der F355 wird von  den Partnern für professionelle Audioelektronik, als gut ausgestatteter Purist angepriesen, dessen Aufgabe lediglich darin besteht Signale zu verstärken, sie dabei ansonsten aber nicht zu verändern. Es geht um ein Präzisionswerkzeug, das schon in der Standardversion für 1.450 Euro Linearität und Neutralität verspricht, ohne wichtige Bedienelemente zu vergessen. Wer ein  kreatives Spielzeug sucht, sollte es besser mit anderen Produkten probieren. Wer aber auf der Suche nach Perfektion und professionellem Werkzeug ist, dem ist dieser Test wärmsten zu empfehlen. 

Der F355 ist ein Mikrofon-Vorverstärker, der optisch nicht als inspiratives Studio-Equipment auffällt. Sauber verarbeitet, präsentiert sich das unscheinbare 19 Zoll Gerät in schlichtem Grau mit weißer Beschriftung. Die Frontplatte aus Edelstahl wartet förmlich nur darauf, in ein Rack eingebaut zu werden, um das wertvolle Innenleben vor mechanischen Einflüssen von außen schützen zu können.  Ein weiterer Vorteil des Gehäuses ist die hohe elektrische Leitfähigkeit, die Störungen durch externe elektromagnetische Felder verhindert. Nur die Frontpartien der Drehregler und die LED-Anzeigen bringen Farbe in das sonst eher etwas triste Spiel. Der F355 ist kein Blickfang,  sondern zeichnet sich durch seine praktische und übersichtliche Schlichtheit aus. Die Regelungseinheiten sind für Kanal eins und zwei völlig identisch aufgebaut. Der Gain-Coarse-Drehschalter ist für die grobe Einstellung des Eingangspegels zuständig. Über einrastende Positionen in  6dB-Abständen, ist der Grad der Verstärkung wählbar. Über den stufenlos wirkenden Gain-Fine-Drehknopf ist eine weiter Feinjustierung möglich. Da diese von -5dB bis +5dB reicht, ist durch die Kombination beider Elemente, einfaches, lückenloses Einpegeln kein Problem. Das, über einen weiteren Drehregler bedienbare  und auch abschaltbare Low-Cut-Filter, ist in der Lage, tiefe Frequenzen ab zehn Hertz bis 250 auszublenden. Sechs fingerspitzengroße Taster entscheiden über die Wirksamkeit der verschiedenen Funktionen, deren Aktivität durch verschiedenfarbige LEDs angezeigt wird. Rote LEDs leuchten beim Einschalten der Phantomspeisung, der PAD-Funktion, die den Eingangspegelbereich um -12dB dämpft und der Mute-Funktion. Ist die Phase um 180 Grad gedreht leuchtet eine gelbe LED über dem dazugehörigen Schalter. Die Taster für das Hinzuschalten der Regelungsstufen-Elektronik von Filter- und Feinjustierung, sind an den grünen LEDs zu erkennen. Um sich den Kritikern entziehen zu können und trotzdem nicht auf diese, von Zeit zu Zeit wichtigen Features, verzichten zu müssen, sind die jeweiligen Schaltungsteile im deaktiven Zustand vollständig aus dem Signalweg ausgeschlossen. Die Optionen der Feinjustierung und des Low-Cut-Filters stellen eine praxisnahe Erweiterung der Ausstattung dar. Wie der Test zeigt, ist die Feinjustierung sehr hilfreich, um ein optimales Einpegeln der Mikrofonsignale bei Aufnahmen zu gewährleisten. Die dreifarbige Pegelanzeige für den Output-Level bildet, bogenförmig angeordnet und in 16 Segmente unterteilt, den oberen optischen Abschluss des jeweiligen Kanalbereichs. Sie ist auch aus größerer Entfernung gut ablesbar und bietet, nicht zuletzt durch ihre feine Auflösung, gute Kontrolle über die Signalpegel. Eine Besonderheit dieser Anzeige ist, dass sie sich individuell, über die Meter-Adjust-Schraube, kalibrieren lässt. Mit einem kleinen Schraubenzieher kann der Trimmregler, der über der LED für 0dBr liegt, eingestellt werden. Dieser hat  Einfluss auf die Empfindlichkeitsregelung und damit auch auf die LED-Anzeige. Durch ein kleines Loch in der Frontplatte ist die Kalibrierung bewusst unkomfortabel zu handhaben, damit die einmal vorgenommenen Einstellungen, keine Änderungen durch versehendliches Berühren eines Drehreglers, erfahren. Die Pegelanzeige ist relativ zu verstehen – deswegen ist sie auch mit dBr anstatt mit dBu beschriftet –, da sie sich dem Ausgangspegel des angeschlossenen Gerätes anpassen lässt. Je nach dem, welches Signal am F355 anliegt, kann durch dieses Feature die Anzeige für die eigenen Bedürfnisse optimiert werden. Die Clip-Anzeige warnt vor interner Übersteuerung des Gerätes und befindet sich rechts über dem Gain-Coarse-Drehschalter. So wie die Regelungselemente auf der Vorderseite, sind auch die Anschlussmöglichkeiten auf der Rückseite für beide Kanäle identisch konzipiert. Über den symmetrischen XLR-Eingang  auf der Rückseite des Gerätes lassen sich jeweils symmetrische, als auch unsymmetrische Signale einspeisen. Jeder Kanal verfügt zudem über zwei separate Ausgänge im XLR-Format, deren Anschluss-Pins für die optimale Signalübertragung vergoldet sind.

Der F355 ist neben der Standardversion, in der beide Kanäle als so genannte Instrumentenverstärker in Form eines hierfür optimierten ICs konzipiert sind, mit drei weiteren optionalen Ausstattungen erhältlich. So lassen  sich die Ausgänge mit einem aktiv rückgekoppelten Trafo (75 Euro pro Stück) ausrüsten, der die dynamischen Werte der Ausgänge nochmals verbessert. Die zweite Option ist es, eine GP-I/O-Schaltung [g] (100 Euro pro Kanal) zu integrieren. Dem Einsatz dieser praktischen Funktion sind kaum Grenzen Gesetzt. Das Prinzip ist immer das gleiche: das Ein- und Ausschalten der Mute-Funktion steuert andere externe Funktionen fern. Mutet der Produzent am Ende einer Aufnahme-Session das Vorverstärkersignal, um das Aufgenommene in Ruhe abhören zu können, erlischt beim Betätigen des Mute-Tasters gleichzeitig die Signallampe an der Aufnahmekabine. Nimmt er die Arbeit wieder auf, hält das rote Leuchten Störenfriede ab, den Aufnahmeprozess zu unterbrechen. Umgekehrt kann auch der F355 angesteuert werden. Es lässt sich einrichten, dass beim Bewegen des Masterfaders am Mischpult – wenn dieser ein Steuerungssignal ausgeben kann – der Vorverstärker automatisch aus dem Mute-Zustand erlöst wird, um eine  Sendung oder Aufnahme fortzuführen. Die Steuerungsmöglichkeiten können sehr flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse des Users angepasst werden. Die letzte Möglichkeit besteht darin den Vorverstärker in einer diskret aufgebaueten Class-A-Variante (250 Euro Aufpreis) zu erhalten, so wie es bei unserem Testgerät der Fall ist. 

Der Klirrfaktor der gemessenen Class-A-Variante liegt unter sehr guten  0,005 Prozent und das über das ganze gemessene Frequenzspektrum. Von wahrnehmbarem Rauschen kann definitiv nicht die Rede sein, da der Geräuschspannunsabstand bei ausgezeichneten 91,7 dBu liegt. Einen etwas besseren Wert (94,8 dBu) erreicht im Vergleichstest nur der HV-3C der Firma Millenia (siehe Ausgabe 7/06). Als ebenso überzeugend erweist sich das Ergebnis der Frequenzgangmessung. Im Bereich bis 100 Kilohertz zeigt sich der F355 in Bestform: absolut Schnurgerade zieht sich die Kennlinie durch die Frequenzbereiche und offenbart eine sehr gute Breitbandverstärkung und exzellentes Impulsverhalten. Der wahre Purist wird jetzt gespannt sein, ob sich der Frequenzgang beim Hinzuschalten des integrierten Trittschallfilters ändern wird. Die erste Kurve zeigt den Frequenzgang mit eingeschaltetem Trittschallfilter bei 152 Hertz, die zweite bei 31 Hertz. Beide Absenkungen geschehen mit unterschiedlicher Intensität aber reduzieren doch sanft die Tiefen ab der ausgewählten Frequenz. Der Frequenzgang bleibt ansonsten weiterhin auf Nullkurs. Auch die Gleichtaktunterdrückung ist makellos. Zum einen liegen die Werte insgesamt unter -90dB und die minimalen Abweichungen, die ab einem Kilohertz zu sehen sind, können in diesem Bereich absolut vernachlässigt werden. Bei diesen Kurven gibt es einfach nicht viel zu diskutieren.

Für den Hörtest nehmen wir verschiedene Spuren unter Logic Ppro 7.1 (192 kHz Samplingfrequenz) und Cubase SX 3 (96kHz) auf. Zum Einsatz kommt eine Ricardo Sanchis Carpio 1AF Flamenco-Gitarre, ein Sennheiser MKH 40, das Microtech Gefell M 300 und ein Stereopaar Røde  NT5. Wir achten darauf, dass die Aussteuerung der Pegel und die Positionierung der Mikrofone so genau und identisch wie möglich geschieht. Durch das Abhören der in mono aufgenommenen Signale, fällt der F355 als neutraler Klangüberträger auf, der weder klingen soll noch will. Zu hören bekommen wir die Klangcharakteristika, sowohl der Flamenco-Gitarre, als auch der verschiedenen Mikrofone. Als sehr interessant, stellt sich die Aufnahme über das MKH 40 heraus. Der eigentlich eher etwas dünne und obertonreiche Klang der Gitarre, wirkt durch das Sennheiser Mikrofon größer und voller. Diese Charakteristik wird sehr schön durch den F355 wiedergegeben, ohne dass Frequenzbereiche addiert oder vermieden werden, um  einen bestimmten Höreindruck zu erzeugen. Die gnadenlos ehrliche Auflösung des Vorverstärkers zeigt, wie unter dem Mikroskop betrachtet, die Präsenz feinster Rutschgeräusche oder unsauberen Greifens.

Es  wird nichts beschönt, sondern selbst das kaum hörbare Schnaufen des Interpreten bleibt deutlich erhalten. Bei den Stereo-Spuren verwenden wir die Kombination MKH 40 (Steg) und M 300 (Schalloch und Steg) und die beiden Rødes in der gleichen Anordnung. Auch hier sind die Ergebnisse überzeugend. Die klangestaltende Wirkung der unterschiedlichen Mikrofon-kombinationen kann sehr gut nach empfunden werden. Während  die beiden Rødes den brillanten Klang der Gitarre deutlich hervorheben, erzielt die Sennheiser-Mikrotech-Kombination  einen Klang, der genau zwischen Flamenco- und Konzertgitarre liegt. Es zeigt sich, dass der F355 für diese Zwecke ausgezeichnet geeignet ist. Durch seine Neutralität kann exakt mit den Charakteristika der Mikrofone experimentiert werden, um bestimmte Klänge zu kreieren. Um bei der Einordnung des Vorverstärkers sicher zu gehen, kommen wir um eine vergleichende Aufnahme nicht herum. Hier dient uns der Millenia HV-3C, wegen seines überragenden Klanges als Referenz (siehe Ausgabe 07/06). Die Unterschiede sind hauchdünn und nur sehr schwer auszumachen, aber schließlich doch festzustellen. Beide Pre-Amps spielen in derselben Liga und sind absolut mustergültig in ihrer Neutralität. Über den gesamten Verlauf des Frequenzgangs erweisen sich beide als präzise und detailverliebt. Dennonch: der Millenia ist bei der Darstellung feinster dynamischer Nuancen ein Quäntchen exakter. Alles klingt um eine Winzigkeit lebendiger und plastischer, so dass im Klang ein Hauch mehr an Tiefe und Dreidimensionalität festzustellen ist. Der F355 zeichnet zwar ein kantenscharfes durchaus photorealistisches Bild des Klanges von Instrument und Mikrofonen, aber gleichzeitig reizt er Kontur und Körper nicht in allerletzter Konsequenz  aus. Es bleibt aber bei diesem Vergleich zu bedenken, dass es sich hier wirklich um subtile Unterschiede und Feinheiten von Klangbildern handelt und die Kritik wirklich auf sehr hohem Niveau stattfindet.

Fazit

Der F355  von Lake People hält, was er verspricht. Das Bild des Drahts mit Verstärkung als erstrebendwertes Ideal puristischer Klangphilosophie, kann als Charakterisierung des unscheinbaren Pre-Amps, bedenkenlos angeführt werden. Die makellosen Messwerte und der neutrale Klang, Respektive der nicht vorhandene Klang, lassen keine Diskussion über qualitative Mängel zu. Für ein  Präzisionswerkzeug dieser Güte ist 1.450 Euro  ein angemessener Preis und eins steht am Ende definitiv fest: wenn es schlecht klingt, liegt es nicht am F355.

Erschienen in Ausgabe 08/2006

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1700 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut