Klang-Malkasten

Das Äußere des Advocis ist sicherlich Geschmackssache, gibt aber einen subtilen Hinweis auf die klangliche Wandlungsfähigkeit des Vorverstärkers. 

Von Harald Wittig 

Der Advocis MIC Pre Amp, wie er mit vollem Namen heißt, ist der erste Mikrofon-Vorverstärker des jungen, in Brandenburg ansässigen  Unternehmens KID Broadcast. Gegründet im Jahre 2004 von dem Medientechniker Dirk Frohne und dem Medienpädagogen Ingolf Bender – beide noch junge Anfangdreißiger – entwickelten und fertigten die beiden Bastler aus Leidenschaft im Auftrag von Profi-Studios und Rundfunkanstalten zunächst Spezialanfertigungen wie Mikrofon-Vorverstärker, Mischpulte, Steckerbuchsen, Signalverteiler und noch einiges mehr. Inzwischen sind die Jungunternehmer und ihr Unternehmen längst im Rundfunkbereich etabliert: Zu den Auftraggebern von KID Broadcast gehören neben zahlreichen anderen der RBB, Sat 1, Disneyland Paris und das Berliner Olympiastadion. 2008 wurden Beder und Frohne bei den 24. Deutschen Gründer- und Unternehmertagen als „Gründungschampions 2008 in Brandenburg„ ausgezeichnet, in Jahr zuvor erhielten sie den Wirtschaftsförderpreis des Landkreises Havelland.
Mittlerweile beschäftigen Beder und Frohne zehn feste und drei freie Mitarbeiter, außerdem noch drei Auszubildende und sind seit Kurzem dazu übergegangen, bestimmte Produkte in Serie zu fertigen. Dazu gehören beispielsweise die ultrakompakten Picolino-DI-Boxen, die bei unserem großen DI-Boxen-Vergleichstest in Ausgabe 7/2008 sehr gut abgeschnitten haben sowie – ganz aktuell – der Mikrofon-Vorverstärker Advocis, der Gegenstand dieses Tests ist. Mit dem komplett in Deutschland gefertigten, rund 1.500 Euro teuren Einkanaler wollen die Brandenburger die Profi-Studios erobern, gleichzeitig stellt der Advocis in gewisser Weise auch eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln dar, denn Beder und Frohe arbeiteten jahrelang als Musikproduzenten im eigenen Tonstudio. 

Der Advocis entstand in Kooperation mit Dipl. –Ing. Bernhard Imsande, einem erfahrenen Entwickler hochwertiger Pro Audio-Geräte, der unter anderem lange Zeit für den Mikrofonhersteller Neumann und Sony Classical tätig war. Der aufmerksame Beobachter weiß jetzt, was es mit dem Aufdruck „Im Sande“ auf der schneeweiß-orangenen Frontplatte des Geräts auf sich hat. Tauchen wir direkt ins Innere des Advocis, denn in Abwandlung eines bekannten Werbespruches das Besondere  am Advocis ist das Besondere darin.  Die Verstärkereinheit arbeitet, obwohl er zur Mono-Fraktion gehört, mit zwei unabhängig und eigenständig aufgebauten Signalwegen mit jeweils eigenem Klangcharakter. Über den sogenannten Charakter-Regler sind die beiden Signalwege entweder alleine – dann steht der Regler auf Links- beziehungsweise Rechtsanschlag – anwählbar oder lassen sich vom Anwender je nach Gusto stufenlos zusammenmischen. Das Grundprinzip ist in ähnlicher Form durchaus bekannt von einigen Mitbewerbern auf dem Vorverstärker-Markt, wobei zumeist eine Transistor- und eine Röhre-Stufe kombiniert sind. Beispielhaft ist die Gain Station 1 von SPL zu nennen, die es dem Klangschrauber gestattet, das reine Transistorsignal mit der Röhrenstufe mehr oder weniger subtil einzufärben. erlaubt. Im Falle des Advocis sind jedoch die beiden Signalwege in Transistorschaltung ausgelegt. Der erste Weg ist über Bipolar-Transistoren komplett diskret aufgebaut und soll eine vorbildlich neutrale, praktisch unverfälschte Verarbeitung des Mikrofonsignals bieten. Anders ausgedrückt: Stufe 1 macht den Advocis nach dem Willen der Entwickler zum „Draht mit  Verstärkung“. Wer zur bewussten Klanggestaltung, abgesehen vom Aufnahmeraum, nur das Mikrofon einsetzt, dreht denn Charakter-Regler ganz nach rechts in Stellung „T“ wie Transistor. 

Der zweite Weg ist ebenfalls diskret, jetzt aber mit Feldeffekt-Transistoren, kurz FET genannt,  aufgebaut. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von unipolaren Transistoren, bei denen im Gegensatz zu den Bipolar-Transistoren nur ein Ladungstyp am Stromtransport beteiligt ist. Obwohl das Grundprinzip sehr alt ist – die erste konkrete Beschreibung geht auf Julius Lilienfeld, der als geistiger Vater des FET angesehen wird, im Jahr 1925 zurück.  Es dauerte rund 40 Jahre, bis FETs außerhalb von Laboratorien eingesetzt wurden, denn sie ließen sich zunächst nicht wirtschaftlich fertigen. So erschien beispielsweise der berühmte und zu seiner Zeit bahnbrechende FET-Kompressor UREI 1176 erst im Jahr 1967.  
FETs sagen Eingeweihte, die sich auskennen, ein der Röhre ähnliches Klangverhalten nach: So schwört beispielsweise Stewart Ward, Chef des britischen Gitarrenverstärker-Herstellers Award Session auf FETs und schafft es damit, röhrig klingende Voll-Verstärker und Preamps zu konstruieren. Tatsächlich fahren FETs weicher in die Sättigung als Bipolar-Transistoren. Allerdings sorgt die FET-Schaltung des Advocis nicht, wie vielleicht vermutet, zu einem mehr oder weniger hohen Anteil an geradzahligen harmonischen Oberwellen. Stattdessen bewirkt der FET-Signalweg bei Linksanschlag beziehungsweise Stellung „FET“ des Charakter-Reglers eine gleichmäßige Anhebung oberhalb drei Kilohertz. Das ist sehr gut auf dem auf Seite 21 abgedruckten Frequenzgang-Diagramm anhand der blauen Messkurve zu erkennen. Zum Vergleich zeigt die Grafik mit der roten Messkurve den völlig linearen Frequenzgang  der Bipolar-Transitorstufe. Der spezielle Verlauf des FET-Frequenzgangs erinnert an gewisse Equalizer-Einstellungen, die gerne instruktiv „Vocal Lift“ benannt sind. In der Tat sorgt die FET-Stufe für eine hörbare Auffrischung des Eingangssignals. Der Name des Brandenburger Preamps passt in soweit wie die Stimmgabel aufs Gehörknöchelchen, denn „ad vocis“, die Humanisten wissen es längst, bedeutet im besten Musiker-Küchenlatein „für Gesangsstimme“. Wobei sich der Einsatz der FET-Schaltung keineswegs auf Gesangsstimmen beschränkt: Auf unserer Website, www.professional-audio-magazin.de finden Sie im Downloadbereich als Klangbeispiel eine kurze Gitarren-Aufnahme, als Soundfile 1 bezeichnet, bei dem wir die FET-Stellung genutzt haben, um den Klang des Bändchenmikrofons MXL R144 (siehe Kompakttest) aufzufrischen. Der Effekt ist verblüffend – hören Sie selbst.

Die auf die beiden diskret aufgebauten Transistor-Stufen folgende Schaltung verwendet allerdings ICs, also integrierte Schaltkreise, was, auch wenn verbissene Anhänger des diskrteten Schaltungsdesigns das anders sehen mögen, heutzutage keine klanglichen Nachteile mehr bringt (siehe hierzu den Test des Schoeps VSR-5 in Ausgabe 12/2009). Im Falle des Advocis kommen, wie es sich für ein Gerät mit High End-Anspruch gehört, selbstverständlich nur hochwertige ICs zum Einsatz, die außerdem weitaus weniger klangentscheidend sind als die beiden Transistor-Verstärkerstufen.      
Auch sonst hat der Advocis noch einige weitere, erwähnenswerte Besonderheiten zu bieten: An erster Stelle ist das Hochpassfilter zu nennen, das nicht etwa auf bestimmte, einzelne Einsatzfrequenzen festgelegt ist, sondern stufenlos im weiten Bereich von 20 bis 200 Hertz regelbar ist. Das Filter arbeitet ausweislich unserer Messungen mit einer Steilheit von 12 dB/Oktave, was exakt der Herstellerangabe entspricht (siehe hierzu die Messdiagramme auf Seite 22). Der Pegelsteller beziehungsweise Gain-Regler steuert eine 14-Stufige Relaisschaltung, die in 3 dB-Schritten fein gerastet ist, Verwendung finden hier Panasonic NAiS Industrie-Relais aus der TQ2-Serie. Zur Feineinstellung des Arbeitspegels gibt es den TRIM-Regler, der in „0“-Stellung eine Mittenrastung hat, ansonsten aber eine stufelose Regelung im Bereich von ±6 dB erlaubt. Alle Potentiometer kommen aus dem Hause ALPS, dem anerkannten Spezialisten für elektromechanische Komponenten, auf die auch andere Hersteller von Studio-Equipment setzen. Die 10-Segment-LED-Pegel-Anzeige stellt eine absolut verlässliche Hilfe beim Einpegeln dar und bietet auch bei Aufglimmen der beiden roten LEDs, die vor Übersteuerung warnen, noch einen genügend hohen Sicherheits-Headroom. Wenn der Advocis mit einem nachgeschalteten A/D-Wandler verbunden ist, sollte allerdings nur eine der Warn-LEDs bei vereinzelten Pegelspitzen leuchten, sonst besteht die Gefahr,  dass der Eingang des Wandlers übersteuert.    
Der in seiner Funktion bereits ausführlich erläuterte Charakter-Regler hat zwar eine, übrigens äußerst feine, Rastung, erlaubt aber auch Zwischenstellungen und dem Anwender damit praktisch ein stufenloses Mischen der jeweiligen klanglichen Eigenschaften der beiden Vorverstärkerstufen. 
Ausgangsseitig verfügt der Advocis über zwei parallele XLR-Ausgangsbuchsen, wobei der „LINE OUT A“ genannte Ausgang der Hauptausgang ist. Am LINE OUT A besorgt die Symmetrierung des Signals ein hochwertiger Übertrager aus dem Hause Haufe, am LINE OUT B erfolgt die Symmetrierung elektronisch, also übertragerlos. Für die eigentliche Aufnahme beziehungsweise die Verbindung mit nachgeschalteten Geräten wie A/D-Wandlern sollte der Hauptausgang Verwendung finden, während der zweite Ausgang in erster Linie fürs Monitoring gedacht ist.
Der Hersteller hat auch schon an eine künftige digitale Erweiterung gedacht, dementsprechend findet sich auf der Rückseite bereits Platz für den Ausgang eines künftigen Digital-Moduls, das parallel zu den Analog-Ausgängen das digitalisierte Signal im AES3-Format ausgeben wird. Derzeit ist das Wandler-Modul noch in der Entwicklungsphase, könnte aber  laut Hersteller noch dieses Jahr zur Serienreife gelangen.

Bevor wir dem Advocis klanglich auf den Zahn fühlen, hat der Preamp wie alle Testgeräte den obligatorischen Auftritt im Professional audio-Messlabor zu absolvieren. Dass der Brandenburger für den professionellen Anwender konzipiert und konstruiert ist, belegen auch die weiteren Messwerte, die der Audio Precision-Messcomputer ermittelt: Der Preamp bietet mit einem maximalen Eingangpegel von -3,8 dBu bezogen auf +4 dBU am Ausgang genügend Übersteuerungsreserven, um auch den Signalen sehr hochpegeliger Mikrofone gewachsen zu sein. Die gemessene Empfindlichkeit des Mikrofoneingangs von -54 dBu erlaubt auch den Anschluss von leisen Tauschspulen- oder Bändchenmikrofonen, zumal die sehr guten Werte für Geräusch- und Fremdspannungsabstand von 89,2 beziehungsweise 86,3 Dezibel den Advocis als sehr rauscharmen Preamp ausweisen.  Gemessen bei Linksanschlag oder FET-Stellung des Charakter-Reglers, ist                         die Gleichtaktunterdrückung oder Unsymmetriedämpfung für ein Topgerät und im Vergleich zu den übrigen Messwerten nur durchschnittlich: Das Messdiagramm auf Seite 22 zeigt die Messkurve mit typischer „Wannencharakteristik“,  die im Maximum -52 Dezibel beträgt. Außerdem stellen wir fest, dass in FET-Stellung der Noisefloor erhöht ist. Faktisch gibt es eine Spitze bei 150 Hertz, die bei -85 Dezibel liegt und auf einen kleinen Anteil Netzteil-Brummen schließen lässt. Interessanterweise bleiben Störgeräusche in   „T“-Stellung standhaft unter sehr guten -95, in Mittelstellung des Charakter-Reglers und -92 Dezibel.

Ein übersichtlicher, einkanaliger Preamp wie der Advocis verlangt vom Benutzer kein Ingenieurs-Studium: Mikrofon anschließen, ausrichten, einpegeln und aufnehmen. So lautet die Devise zumindest in „T“-Stellung des Charakter-Reglers. Wie bereits erwähnt, ist das die richtige Einstellung, wenn der Advocis nichts weiter tun soll, als das Mikrofon-Signal, ohne selbst eigenklanglich in Erscheinung zu treten,  zu verstärken. Tatsächlich ist der Advocis bei alleiniger Nutzung der Bipolar-Transistorstufe ein grundehrlicher Vertreter der Verstärkerzunft, der sehr nahe an unseren Referenz-Preamp, den Lake People Mic-Amp F355 herankommt.  Damit auch Sie vergleichen können, haben wir sowohl mit dem Bändchenmikrofon MXL RI44 (Test auf Seite 86) als auch mit dem in dieser Ausgabe auf Seite 24 getesteten Instrumenten-Mikrofon JZ BT-301 Aufnahmen mit einer sogenannten Selmer-Style-Akustik-Gitarre – auch bekannt als Gypsy-Gitarre – erstellt. Die entsprechenden Vergleichsfiles finden Sie wie immer im  Downloadbereich.
Auf den Soundfiles 2 und 3 hören Sie jeweils das JZ BT-301, jeweils verstärkt mit dem Lake People beziehungsweise dem  Advocis. Beide Vorverstärker geben sich nichts und sind somit auf Ohrhöhe, soweit es um die Darstellung des fein aufgelösten Höhenspektrums des Instruments, das vom Mikrofon sehr gut eingefangen ist, geht. Das gilt ebenso für den Mittenbereich, wo beide Preamps nüchtern-sachlich verstärken. Lediglich bei den Bässen klingt der Avocis eine Spur fülliger als der Referenz-Vorverstärker. Aber Vorsicht: Das kann auch am Spiel des Interpreten liegen, der sich trotz gleicher oder sehr ähnlicher Passagen und Notenfolgen die Freiheit heraus nimmt, mal mehr oder mal weniger beherzt anzuschlagen. Denn auf den Soundfiles 4 und 5 – hier gibt es das Bändchen-Mikrofon zu hören – ist praktisch kein Unterschied zu hören. Wir stellen selbst im Verlauf des Hörtests fest, dass es ganz wichtig ist, die Klangbeispiele nacheinander im Ganzen zu hören. Ungeduldiges Umschalten zwischen den Spuren kann allzu leicht zu Fehlurteilen führen. Unterm Strich stellen auch die Tester fest, dass der Advocis zumindest in der „T“-Stellung dem Lake People praktisch ebenbürtig ist – und das will was heißen, denn abgesehen vom Schoeps VSR-5 (Test in Ausgabe 12/2009) konnte noch kein Preamp den F355 in puncto Auflösung übertreffen – und der Schoeps ist insoweit auch nur um Nuancen besser.
Dank des Charakter-Reglers kann der Advocis auch anders. Mit der schon genannten Soundfile 1 können Sie selbst hören, wie die Stellung „FET“ den Klang des MXL R144 auffrischt. Mit den Soundfiles 6, 7 und 8 ist zusätzlich unsere Kleinmembran-Referenz, der Druckempfänger Schoeps MK 2H/CMC 6Ug zu hören, wobei der Charakter-Regler einmal in Stellung „T“ (Soundfile 6), einmal auf Linksanschlag, also Stellung „FET“ (Soundfile 7) und schließlich in Mittenposition verharrt (Soundfile 8). Dabei ist auffällig, dass der Charakter-Regler, zusätzlich  zu dem bereits beschriebenen Luftigkeits-Effekt,  das Signal, abhängig davon, wie weit er nach links gedreht ist, zusätzlich verdichtet.  Soll heißen: Der Klang des Kugelmikrofons erscheint gerichteter und die in „T“-Stellung noch gut hörbaren Rauminformationen treten immer weiter in den Hintergrund. Damit geht einher, dass das Signal direkter und griffiger klingt. Dieser Effekt ist auch bei gerichteten Mikrofonen, die üblicherweise für Gesangsaufnahmen Verwendung finden, zu hören. Folgerichtig kann, je nach Einstellung des Charakterreglers beziehungsweise Mischungsverhältnisses der beiden Verstärkerstufen eine Gesangsstimme im Mix förmlich nach vorne kommen und sich auch in dichten Arrangements absetzen. Eingedenk der Tatsache, dass es dafür nur eines guten Mikrofons und des Advocis bedarf, sollte sich das jeder Tonschaffende in Ruhe auf der Zunge zergehen lassen und den Brandenburger zumindest einmal antesten. In jedem Fall lässt sich festhalten: Dieser Preamp erschließt dem Anwender einige Möglichkeiten zur Klanggestaltung. Passionierte Klangschrauber seien allerdings gewarnt: Der Charakter-Regler kann regelrecht süchtig machen.

Fazit

Der Advocis überzeugt: Dank seiner beiden Verstärker-Stufen und des genialen Charakter-Reglers kann dieser Einkanaler absolut neutral klingen, aber auch einige kräftige Farben in die Aufnahme einbringen – ganz wie es die Situation oder der persönliche Geschmack des Anwenders erfordert. Sicher, er ist nicht eben billig, angesichts der verwendeten Bauteile und der inländischen Fertigung, nicht zuletzt wegen seiner Klangqualitäten ist er sein Geld in jedem Fall wert. 

Erschienen in Ausgabe 03/2010

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1499 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut