Klangmaler

Auch wenn die meisten Produzenten wegen des besseren Workflows auf die Digital-Technik setzten, beim Klang wünschen sich viele die alten Analog-Zeiten zurück. Folgerichtig setzten die Hersteller bei neuen Outboard-Geräten immer öfter auf scheinbar anachronistische Schaltungen. So auch Candler Limited bei ihrem neuesten Baby, dem Germanium, der die Transistor-Schaltung der wilden Sechziger in die digitale Zukunft bringt. 

Von Harald Wittig 

Chandler Limited residieren im US-Bundestaat Iowa und sorgten mit den Geräten der TG-Serie, die vor rund sechs Jahren vorgestellt wurden, für Aufruhr in der Pro-Audio Szene. Bei den drei Geräten – ein Kompressor, ein Mikrofon-Vorverstärker und ein Channel-Strip – handelt es sich um Komponenten oder Kombinationen aus der EMI TG-Konsole, die ab 1968 in vier Serien produziert wurde und in den berühmten Abbey-Road-Studios unter anderem den Sound der letzten Beatles-Alben entschiedend prägte . So kombiniert beispielsweise der TG-Channel mehrere klassische TG-Schaltungen, die aus einem ganz besonderen TG-Pult, der TG12310-Konsole, besser bekannt als das „Abbey Road Beatles Pult“, stammen. Damit ist klar, was bei den Amerikanern als Motto über allen Produkten steht: Vintage-Sound at it´s best – und der ist bei namhaften Produzenten und Musikern wie beispielsweise Michael Wagner (Metallica, Ozzy Osbourne), David Kahne (Sir Paul McCartney, Stevie Nicks), Flea (Red Hot Chili Peppers) und Lenny Kravitz besonders angesagt. Kein Wunder, dass die genannten Klangtüftler und noch viele andere prominente Tonkünstler zu den eingeschworenen Fans der TG-Serie gehören.
Allerdings beschränkt sich die Manufaktur nicht auf Repliken analoger Schätzchen. Es gibt auch eigene Designs, die sich zwar an großen Vorbildern orientieren, aber auf eigenen Schaltungen basieren. Hierzu gehört auch das jüngste Gerät aus dem Hause Chandler, der hier getestete Germanium Pre-Amp, ein einkanaliger Mikrofon- und Instrumenten-Vorverstärker, der ganz bewusst als klingen-des, also gerade nicht neutrales Gerät konzipiert ist und dessen Schaltungskonzept so eigen wie besonders ist.

Der Germanium ist ein Transistor-Verstärker in einer Class-A, trafosymmetrischen Schaltung, was zunächst kaum jemanden beeindrucken wird. Das Besondere an dem Vorverstärker: Die Schaltung, für die Chandlers Chef-Entwickler Wade Goeke höchst selbst verantwortlich zeichnet, basiert auf Germanium-Transistoren. Eingeweihte wissen, dass das Halbmetall Germanium lange Zeit erste und einzige Wahl als Halbleiterelement für Transistoren war – gewissermaßen das Material für den Urvater aller heutigen Halbleiter-Bauelemente. Heute wird Germanium in erster Linie in der Infrarotoptik für Fenster und Linsensysteme verwendet, bei Transistoren wurde es weitgehend von Silizium verdrängt.

Da fragt es sich, weshalb Goeke auf eine scheinbar überholte Halbleiterschaltung setzt. Die Antwort ist einfach: Aus klanglichen Grün-den. Germanium-Transistoren wird ein eigener, ganz besonderer Klang nachgesagt, der viel weicher und runder sei, als der gerne als sprö-de und gläsern beschriebene von Silizium-Transistoren. Nun ja, hierüber lässt sich trefflich streiten und derlei Urteile sind als pauschale Aussage eben so wenig wert wie die nicht ausrottbare Legende vom „warmen Röhrensound“, ein Prädikat, mit dem fast jedes Röhrengerät voreilig, also oberflächlich ausgezeichnet wird. Fakt ist andererseits, dass Germanium-Transistoren die Basis einiger Geräte sind, die bis heute wegen ihres Klanges Kultstatus genießen, wie beispielsweise die Neve-Konsolen 1053, 1055 und 1057 oder die EMI TG12345 MKI. Bis heute werden diese Legenden der Tontechnik, die für unzählige Produzenten die Hitmaschinen waren und sind, wegen ihres warmen und weichen Klanges hochgeschätzt.

Hier setzte Woeke an und entwickelte, inspiriert von den berühmten Vorbildern, wobei er seine Erfahrungen mit der TG-Serie nutzen konnte, das spezielle Schaltungskonzept des Germanium. So soll der neue Vorverstärker zwar ebenfalls an-genehm weich und warm – eben vintagemäßig im allerbesten Sinne – klingen. Gleichzeitig soll er aber auch ein hohes Maß an klanglicher Eigenständigkeit besitzen. Es handelt sich also beim Germanium um ein Gerät eigener Art, das einerseits die Vergleiche mit den alten Schätzchen nicht scheut, andererseits den Anwender aber auch neue Klangwelten erschließen lasse. Wie er das bewerkstelligen möchte, offenbart die eingehende Betrachtung seiner recht raffinierten Schaltung.

Beim Blick auf die Frontplatte fallen die beiden griffigen, altmodisch geformten Drehregler mit ihren charakteristischen Nasen für „Gain“ und „Feedback“ auf. Zusammen mit den ebenfalls anachronistischen Riesen-LEDs haben Chand-ler Limited ihren Vorverstärker konsequent in ein Vintage-Kleid gehüllt, so dass der Germanium auch optisch die alten Zeiten heraufbeschwört. Die Funktions- und Arbeitsweise von „Gain“ und „Feedback verdient eine detaillierte Beschreibung, denn die beiden Regler sind maßgeblich für den Klang des Vorverstärkers verantwortlich: Während der Gain-Regler natürlich für das Einpegeln des Instrumenten- oder Mikrofon-Signals zuständig ist – wobei sich das Ein-gangsignal bereits sanft übersteuern lässt (Bereich „Drive“) – , regelt „Feedback“ zunächst den Ausgangpegel. Seine Benennung beschreibt die Schaltung: Im Gegensatz zu so genannten „Geradeaus-Verstärkern“ weist der Germanium eine Gegenkoppelung, auch als negative Rückkopplung oder Negative-Feedback-Schleife bezeichnet, auf. Grundsätzlich dient die Gegenkopplung der Linearisierung der Transistor-Kennlinie, was Signalverzerrungen vermeiden hilft. Beim Germanium ist dieses Prinzip allerdings erweitert worden: So bestimmt der Benutzer über den Feedback-Regler die Klangfarbe des Vorverstärkers, denn „Gain“ und „Feedback“ beinflussen sich gegenseitig. Ist der der „Feedback“-Regler nur wenig aufgedreht – Reglerstellung „2“ bis „3“, soll der Klang klar bleiben und das Signal werde nur behutsam eingefärbt. Nach links gedreht wird das Ausgangssignal nicht einfach lauter, sondern werde gleichzeitig schrittweise um harmonische Verzerrungen angereichert. Zusätzlich werde eine Pegelanhebung im Bassbereich bei 30 Hertz hinzuaddiert. Damit ergeben sich alleine schon zahlreiche Klangfarben-Variationen, wer es besonders fett möchte, kann Gain- und Feedbackregler auch auf Linksanschlag bringen, Übersteuerung nach geschalteter Geräte lassen sich über den Pad-/Dämpfungsschalter vermeiden. Schließ-lich diene der so genannte Thick-Schalter noch zur zusätzlichen Andickung und Abrundung des Signals: Ausweislich unserer Messungen (siehe Messdiagramm Seite XX) bewirkt der Thick-Schalter eine zusätzliche sanfte Anhebung ab den unteren Mitten bei etwa 250 Hertz bis hinunter zu 30 Hertz, was dem Klang einen zusätzlichen Schuss Wärme geben soll.
Die weitere Ausstattung des Germanium ist schnell abgehandelt: Er verfügt über einen ho-chohmigen (100 Kilo-Ohm) Instrumenten-Eingang, ideal für passive E-Gitarren und Bässe, einen Mikrofon-Eingang einschließlich 48-Volt-Phantomspannungs-Wahlschalter und Phasenumkehrschalter. Diese Schalter sind von hoher Qualität, bieten der Fingerkuppe genügend Auflage und rasten mit einem sanf-ten Klicken ein. Die zehnstufige LED-Aussteuerungsanzeige, arbeitet in der Praxis durchaus zufrieden stellend, solange sie eher als optische Ergänzung zum Gehörten verwendet wird. Beim Test sind wir jedenfalls nachhörbar auf der sicheren Seite, wenn auch bei Transienten die letzte rote LED nie auf-leuchtet.
Der Germanium benötigt eine separates Netzteil und arbeite laut Hersteller mit allen Chandler-Netzteilen, also auch denen der TG-Serie, klaglos zusammen. Die Amerikaner empfehlen für den Vorverstärker das PS-U-1 MKII-Netzteil, das uns allerdings zunächst wenig Freude bescherte, denn es brummte neben dem Germanium heftig. Erst nachdem wir es weiter entfernt hinter unser Rack gestellt haben, herrscht Ruhe. Zum Glück ist auf unseren Testaufnahmen kein Brummen zu hören, dennoch wünschen wir uns einen besser abgeschirmten Transformator, was für die Chandler-Ingenieure sicher ein Leichtes wäre. So lassen sich die unerfreulichen Störgeräusche mit einem angemessenen Sicherheitsabstand zwischen Netzteil und Vorverstärker dank des langen Verbindungskabels minimieren, aber so ganz das Gelbe vom Ei ist das nicht. Das ist aber auch der einzige Wermutstropfen, ansonsten gibt es an der Verarbeitung des blau-gelben Schweden – Pardon: Amerikaners – nichts auszusetzen.

Die Messwerte belegen, dass Chandler Limited mit der Konstruktion des Germanium ein spe-zielles Klangdesign umgesetzt haben: Stehen beispielsweise Gain und Feedback jeweils auf „7“, ermittelt der Audio Precision Mess-Computer einen deutlichen Pegelanstieg bei etwa 30 Hertz – ganz so, wie es der Hersteller versprochen hat. Je nach Stellung des Reglers kann der Pegel hier noch um maximal 20 Dezibel angehoben werden. Wird Gain aufgedreht, erfolgt ein mehr oder weniger starker, gleichzeitig konstanter Anstieg ab fünf bis hinauf zu etwa 40 Kilohertz. Bei niedrigen Gain-Einstellungen verläuft die Kurve hingegen bis 20 Kilohertz sehr gleichmäßig, erst danach erfolgt ein steter Abfall. Die jeweiligen Abweichungen im Frequenzgang in Abhängigkeit zur Reglerstellung verrät, dass der Germanium eine umfangreiche Palette an Klangfarben bereithält, die den Kreativen inspirieren können.

Der Gesamt-Klirrfaktor des Germanium liegt durchweg höher als bei anderen Vorverstärkern: So liegt er im Bereich zwischen einem und zwei Kilohertz zwar noch bei guten 0,06 Prozent, steigt aber ab 60 Hertz konstant auf 0,5 Prozent. Für einen als neutral angepriesenen Pre-Amp wäre dies ein beschämender Wert, der Germanium soll aber gerade nicht ultra-clean sein. Daher offenbart sich auch hier das Sounddesign der Chandler-Entwickler: Der Blau-Gelbe soll nicht „Draht mit Verstärkung“ sein, sondern ein Musikinstru-ment, mit ganz eigenem Klang.

Nach seinem viel versprechenden Auftritt im Messlabor sind wir gespannt, was der Germanium klanglich drauf hat. Daher nehmen wir zunächst ein Fingerpicking-Stück mit Steelstring-Gitarre auf, denn für klassische Zupfmusik ist der Germanium nicht der Richti-ge, derlei bleibt die Domäne der nicht-klingenden Pre-Amps. Neben einer Lakewood D-18 Westerngitarre verwenden wir das extrem rauscharme Röhren-Mikrofon MA-200 von Mojave Audio (Test in dieser Ausgabe, Seite XXX) und nehmen unter Sonar 6 auf. Die wortgetreue Übersetzung der Klänge von Instrument, Mikrofon und Vorverstärker übernimmt das Referenzteam von Lynx, der Aurora 8-Wandler und die AES 16-Karte im Studio-PC. Wir nehmen vier Takes mit unterschiedlichen Einstellungen am Germanium auf, achten peinlichst darauf, dass die Position von Instrument und Spieler möglichst nicht abweicht, der Gitarrist selbst bemüht sich, die Takes so ähnlich wie möglich, also mit vergleichbarer Dynamik und Klangfarbe zu spielen.
Beim Abhören der Takes, wird ohrenfällig, dass der Hersteller nicht zu viel versprechen hat. Take Eins, mit der Einstellung Gain und Feedback „7“ und aktiviertem Thick-Schalter knallt sehr direkt und fett aus den ADAM S3A-Monitoren. Die für den Thick-Schalter charak-teristische Anhebung der unteren Mitten macht den Klang sehr warm und rund, steht allerdings unserer sehr bass-starken Gitarre nicht gut zu Gesicht: Die Bässe klingen je nach Anschlagsstärke allzu vordergründig und überdecken Mitten und Höhen. Allerdings können eher präsente, nasal klingende Gitarren von dieser Einstellung sehr profitieren. Für unser Instrumentarium (Gitarre und Mikro-fon) passt dieselbe Gain/Feedback-Einstellung ohne Thick-Effekt. Höre da: Der Sound klingt voll, dabei erstaunlich körperhaft, mit ganz fei-nem Crunch in den Höhen. Ein Klang, der Erinnerungen an die britischen Akustik-Helden Bert Jansch und John Renbourn (Pentangle) wach ruft und unserer Aufnahme mit einem warmen Sepia-Anstrich überzieht. Steht Gain auf „7“ und Feedback auf „3“ ist der Klang kla-rer, bleibt aber eigentümlich warm. Dagegen klingt ein Vergleichstake mit dem Lake People Mic Amp F355, ebenfalls mit dem MA-200 aufgenommen, kühler und letztlich sauberer, denn der Germanium fügt auch hier ein Quäntchen an Verzerrung hinzu. Die klingt aber nicht hässlich, nach der berüchtigten Transistor-Kreissäge, sondern angenehm weich. Diese Beispiele zeigen es: Es ist schon toll, was wir mit nur einem Mikrofon und bei einer schlichten Mono-Aufnahme an Klangfülle und Tiefe erreichen. Der Germanium lädt zum Klangmalen ein und es lohnt sich, die unterschiedlichsten Einstellungen auszuprobieren, denn die Farbpalette des Vorverstärkers scheint schier unbegrenzt und 
Ein Ergebnis, das sich noch erhärten lässt, als wir zum Schluss noch einen E-Bass und eine Fender-Strat einstöpseln. Der Bass klingt auch bei moderaten Einstellungen wie Gain auf „5“ und Feedback auf „3“ bereits schön knurrig und satt, stehen Gain und Feedback in der so genannten britischen Einstellung (Linksanschlag) ist es Rock ´n ´Roll pur: Ein fetter, angecrunchter Tiefbass, nichts für die Funk-Fraktion mit Donnerdaumen, aber klasse für Plektrum-und Finger-Spieler auf den Spuren von Who-Bassist John Entwistle. Die Strat wiederum bekommt mehr Wärme und verliert ihren Neunziger-Jahre Draht-Sound, was zumindest für bestimmte Songs seinen Reiz hat: Wer bisher vergeblich versucht hat, George Harrisons Solo-Sound auf „Nowhere Man“ auf seiner modernen Strat nachzahmen und dabei verzweifelt aufgegeben hat, sollte mal den Germanium antesten, der bringt eben diesen Ton verblüffend authentisch rüber. Somit erübrigt sich nicht nur in diesem Fall die Anschaffung einer sündhaft-teueren Vintage-Strat – der Einkanaler aus den USA trimmt auch moderne Instrumente auf alt.

Fazit

Der Germanium von Chandler Limited gehört zur geschätzten Gruppe der Klangmaler unter den Vorverstärkern, der über eine breite Palet-te von Klangfarben gebietet. Er macht sich hervorragend bei allen rock-, blues- und folknahen Stilistiken, wenn Produzenten dem Sound der wilden Sechziger ganz nah kommen möchten. Klinisch reine Aufnahmen sind seine Sache nicht und für akustische Hochglanzpro-duktionen, die nichts als den Primärton von akustischen Instrumenten einfangen, sollte er nicht erste Wahl sein. Aber dafür ist er nicht gemacht, der Germanium will rocken – und genau das kann er hervorragend.

Erschienen in Ausgabe 03/2007

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 1200 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut – sehr gut