Espresso Lungo
Was dem Espresso-Gourmet die richtige Bohne, ist für so manchen Klangenthusiasten der analoge Vintage-Sound. Professional audio Magazin kostet, ob Great River Electronics mit dem ME-1NV die richtige Röstung gelungen ist.
Von Michael Nötges
Dan Kennedy, Mitbegründer und Chefentwickler der nordamerikanischen Firma Great River Electronics, steht vor einem technischen wie auch ästhetischen Problem: Die ihm vorliegenden Orchesteraufnahmen klingen zwar ausgezeichnet, doch das leise Grundrauschen ist unter professionellen Gesichtspunkten unakzeptabel. Die verwendeten Bändchenmikrofone klingen trotz ihrer geringen Eingangsempfindlichkeit hervorragend, aber die für diese Aufnahmen verwendeten Mikrofon-Vorverstärker sind den hohen Anforderungen der sensiblen Schallwandler scheinbar nicht gewachsen. Also macht sich der pfiffige Techniker und Entwickler – so jedenfalls die Firmengeschichte –ans Werk und beginnt mit der Konzeption eines maximal transparenten Pre-Amps mit hohen Verstärkungsreserven. Das ist jetzt über zehn Jahre her und war der Grundstein für die zunächst in einem Keller in South Saint Paul gegründete eigene Firma Great River Electronics. Seither bedienen sich die Mannen vom großen Fluss – gemeint ist übrigens der Mississippi – eines Zitats von Albert Einstein, um die Firmenphilosophie mit einem geistreichen Satz auf den Punkt zu bringen: „Mache die Dinge so einfach wie möglich – aber nicht einfacher.“
Der einkanalige Mikrofon-Vorverstärker ME-1NV ist in Anlehnung an den analogen Sound großer, britischer Konsolen aus den frühen 1970er-Jahren konzipiert. Das Design sei ein gewollter Kompromiss, so Kennedy, aus den klanglichen Vorzügen analogen Vintage-Equipments, wie beispielsweise dem legendären Channel-Modul 1073 von Neve, jedoch entschärft und optimiert in Bezug auf Transparenz und Rauschfreiheit durch moderne Bauteile und minimalistische Schaltkreise. Es wundert bei solchen Vorbildern nicht, dass der ME-1NV über zwei diskrete Verstärkerstufen (Ein- und Ausgang) in Class-A-Bauweise und hochwertige Sowter-Transformatoren verfügt. Der kompakte Pre-Amp hat für rund 1.350 Euro aber noch einiges mehr an Bord, was den filigranen Sounddesigner freuen wird und den ME-1NV zu einem viel versprechenden analogen Frontend für DAW-basierte Studios macht.
Das solide verarbeitete Gerät im schlichten Schwarz-Weiß-Design findet sich mit seinen rutschfesten Gummifüßen auf glatten Oberflächen genauso gut zurecht, wie fest verschraubt im Studiorack. Zur die Montage dient das spezielle Rack Kit RK-1 (77 Euro) von Great River für 9,5-Zoll-Geräte.
Bis auf den separaten Hi-Z-Eingang (6,35-mm-Klinke) mit einer Impedanz von 1,2 Megaohm für direkte Instrumentenaufnahmen befinden sich die Anschlüsse auf der Rückseite: ein trafosymmetrischer Mikrofon-Ein- und Line-Ausgang im XLR-Format, sowie eine Insert-Buchse und ein zusätzlicher unsymmetrischer Ausgang im 6,35-mm-Klinken-Format. Der Instrumenteneingang ist mit einem schnellen Anpassungsverstärker (ein FET und ein BFT ) bestückt, der für die optimale Anpassung des Signals an den folgenden Eingangs-Transformator sorgen soll. Der Insert-Weg nimmt sich der externen Effekte an. Der Zusatzausgang hingegen (Eingangs-Soll-Spannung: -10 dBv) hat einen doppelten Nutzen. Zum einen dient er als Monitoring-Weg, um das Signal bei der Aufnahme 100 Prozent latenzfrei mithören zu können, zum anderen greift er das Signal bereits vor der Ausgangsverstärkerstufe ab. Will heißen, dieser klangfärbende Schaltkreis wird umgangen, um das Signal neutraler aufnehmen zu können. Nachteil: dieser Ausgang liefert keinen Line-Pegel von +4 dBu und muss unter Umständen zusätzlich verstärkt werden.
Der ME-1NV verfügt über zwei unabhängig regelbare regelbare Verstärkerstufen. Die Eingangsstufe lässt sich mit Hilfe des großen durch die geriffelte Oberfläche angenehm griffige Metallregler in zwölf satt rastenden Stufen (in Fünf-Dezibel-Schritten) von -3 bis +52 Dezibel einstellen. Der schlankere, stufenlose Ausgangspegel-Regler hat einen Wirkungsbereich von -22 bis +10 Dezibel, auch wenn die weißen Ziffern auf der Frontplatte einen anderen Eindruck erwecken (-10 und +10). Steht dieser Regler auf der CAL-Position (+8 dB) dann stimmt die Beschriftung des Eingangsreglers (5 bis 60) mit dem am Ausgang anliegenden Pegel überein. Eine praktische Besonderheit ist das so genannte Dual-Metering. Zwei dreifarbige Pegelanzeigen aus acht übereinander angeordneten LEDs informieren über den Pegel vor und nach der Ausgangsstufe. Damit ist nicht nur das optimale Einpegeln des Mikrofon- oder Instrumentensignals, sondern auch die adäquate Ansteuerung – im Messlabor ermittelten wir einen maximalen Ausgangspegel von 27,7 dBu – des angeschlossenen Aufnahme-Devices sicher gestellt.
Neben den Funktionen für Phasenumkehr und dem obligatorischen Zuschalten der Phantomspannung, bietet der MA-1NV zwei interessante Zusatzfeatures: Der Impedance-Button – ähnliche Funktionen bieten auch der ISA 428 von Focusrite, der M-Audio von Tampa oder die Gain Station von SPL (Test Heft 6/2006) – setzt die Impedanz des Mikrofoneingangs, und des Ausgangs des Hi-Z-Anpassungsverstärkers von 1200 Ohm auf 300 Ohm herab. Spitzfindige Technikprofis werden jetzt sofort aufschreien: „Im Idealfall sollte aber die Eingangsimpedanz des Vorverstärkers mindestens fünf bis sechs Mal größer als der Innenwiderstand des Mikrofons sein – am besten sogar zehn Mal.“ Das ist richtig aber auch wieder nicht ganz.
Je mehr sich die Nennlastimpedanz des Vorverstärkers an die Nennimpedanz des Mikrofons annähert, sich also der Dämpfungsfaktor verkleinert, desto schlechter ist die Spannungsanpassung. Das ist richtig. Das Ergebnis: Das Mikrofon wird zunehmend belastet, was klangliche Auswirkungen hat und vor allem zu einer schwächeren Basswiedergabe führt. Um aber ein etwas dumpf und röhrig klingendes Aufnahme-Setup (beispielsweise hochohmiges Bändchenmikrofon vor einem Gitarrenverstärke-Cabinet) etwas schlanker zu gestalten, kann der gezielte Einsatz der Nennlastimpedanz-Verringerung die ideale Lösung sein. Tipp: Kaputt gehen kann beim Versuch nichts, also einfach probieren und hören ob es besser klingt.
Der so genannte Loading-Button schaltet am Ausgang per Relais zusätzlich einen 600 Ohm Widerstand in den Signalweg. Das Ergebnis soll eine nuancierte Abschwächung hoher Frequenzen sein. Grund: Der Ausgangstrafo hebt gewollt den Frequenzgang zwischen 50 und 60 Kilohertz an (siehe Kurve). Dieser inhärente Peak ist sowohl abhängig von den Kabellängen, als auch einer perfekten Spannungsanpassung zwischen Pre-Amp und folgendem Device. Der Pre-Amp ist nun so konzipiert, dass der Frequenzgang mit der Terminierung von 600 Ohm linear verläuft – Bedingung ist natürlich eine hohe Eingangsimpedanz des folgenden Eingangs. Durch Ausschalten (Normalzustand) des Terminierungswiderstands aus dem Signalweg will der Entwickler crispere Höhen und ein klanglich „griffigerer Mittenbereich“ verwirklichen. Der ausführliche Hörtest von wird’s zeigen, aber vorher werfen wir noch einen Blick auf die Ergebnisse aus dem Messlabor.
Der Frequenzgang des ME-1NV ist weitestgehend linear, sinkt unterhalb von 100 Hertz um zirka 1,5 Dezibel ab und steigt oberhalb von 10 Kilohertz mit Terminierungswiderstand um ein Dezibel an. Ohne Terminator steigt der Frequenzgang deutlich rapider an und erreicht sein Maximum von +12 Dezibel bei 60 Kilohertz. Dadurch wird auch der hörbare Bereich (bis 20 Kilohertz) sehr feinfühlig beeinflusst, was zu dem, als frisch prognostizierten Hörerlebnis führen soll. Der Frequenzgang des Hi-Z-Eingangs über den unsymmetrischen Ausgang gemessen, weist einen sehr ähnlichen, aber in den Absenkungen stärker ausgeprägten Verlauf auf. Die Bassabschwächung beginnt schon bei 200 Hertz (Dämpfung um 2 Dezibel bei 20 Hertz). Zwischen einem und zehn Kilohertz ist die Absenkung mit maximal 1,5 Dezibel allerdings wesentlich deutlicher als beim Mikrofoneingang (siehe Kurve).
Der Klirrfaktor liegt bei ausgezeichneten 0,007 Prozent und steigt, üblich für Equipment mit analogem britischen Sounddesign und Trafoübertragern, ab den unteren Mitten (hier ab 600 Hertz) bis auf 0,25 Prozent an. Ähnliche Charakteristiken haben wir auch beim 1073 DPD von AMS Neve (Test Heft 13/2006), dem Portico 5012 beziehungsweise 5016 von Rupert Neve Designs (Test Heft 12/2006 und 5/2007) oder dem Germanium von Chandler Limited (Test Heft 3/2007) gemessen. Geräusch- und Fremdspannungsabstand liegen bei sehr guten 87,2 und 84,1 Dezibel. Die Eingangsempfindlichkeit des Mikrofoneingangs von -66,6 dBu bietet auch für die meisten Bändchenmikrofone genügend Verstärkungsreserve.
Während der aufwendigen Recording- und Abhör-Session von Professional audio Magazin vergleichen wir zunächst den Grundsound des ME-1NV mit unserer neutralen Referenz, dem F355 von Lake People. Für die Aufnahmen verwenden wir sowohl dynamische Mikrofone wie das RE20 von Electro Voice oder das M201 von Beyerdynamic (Test Seite 40) als auch das sehr neutrale und fein auflösende Kondensatormikrofon MK 2 H/CMC 6Ug von Shoeps (Test Heft 12/2006). Alle Takes wurden über den Lynx Aurora 8 Wandler mit 96 Kilohertz und 24 Bit in Cubase 4 aufgezeichnet.
Für die beiden dynamischen Mikrofone (Empfindlichkeit RE20: 1,4 mV/Pa; M201 1,1 mV/Pa) müssen wir den Eingangsregler auf maximale Verstärkung und den Ausgangspegelregler auf zirka fünf Uhr stellen, um einen adäquaten Aufnahmepegel zu erreichen. Hier bleibt dem ME-1NV sogar genügend Luft für Mikrofone mit noch geringerer Emfindlichkeit wie beispielsweise dem Bändchenmikrofon M160 von Beyerdynamic mit 0,9 mV/Pa (Test Heft 2/2007). Trotz der maximalen Verstärkung kommen die aufgenommenen Signale aber glasklar. Die Höhen klingen silbrig und sehr schön weich, wirken dadurch aber keineswegs zurückhaltend sondern bringen das Signal unauffällig zum Strahlen. Gleichzeitig werden die aufgenommenen Akustikgitarrensignale gerade in den unteren Mitten kräftiger ohne dabei zu dröhnen. Der ME-1NV löst sehr fein auf, so dass die nuancierten Unterschiede der verschiedenen Mikrofone deutlich auszumachen sind – so lässt es sich trefflich arbeiten. Der Sound erinnert an den des AMS Neve 1073 DPD: etwas bass- und mittenbetont aber immer britisch zurückhaltend. Im direkten Vergleich zum F355 von Lake People wird der Charakter des ME-1NV noch einmal klarer: Er kommt an die Räumlichkeit und Präzision des F355 nicht ganz heran und rundet die Höhen ein wenig ab. Gleichzeitig bringt er die unteren Mitten und den Bassbereich deutlich kräftiger als der Lake People. Ist die Nennlastimpedanz des Mikrofoneingangs auf 300 Ohm reduziert, klingt der Great River minimal schlanker und direkter, so dass die Höhen deutlicher hörbar werden. Diese Einstellung ist in Kombination mit dem M201 von Beyerdynamic für Steelstring-Gitarren sehr zu empfehlen, da die Saiten und Anschlagsgeräusche sehr schön zum Vorschein kommen.
Ist der Terminierungswiderstand aktiviert verliert das Signal an Frische und wirkt zurückhaltender – sehr Praktisch bei schrillen Flötentönen oder nervenden Overheads. Der direkte Vergleich mit dem separaten unsymmetrischen Ausgang zeigt: Wer es eine Spur neutraler mag, kommt auf diesem Weg auch auf seine Kosten. Der Sound eines E-Basse über den Instrumenteneingang bekommt eine ganz eigne Würze. Wir nutzen das mögliche Sounddesign voll aus, indem wir die Ausgangsstufe zurück und den Eingangspegel so weit es geht aufdrehen. Jetzt kommt der analoge Sound richtig zum Tragen: Alles klingt rund, satt und ist voller neuer Energie. Mit niedriger Eingangsimpedanz kommen noch leichte Verzerrungen hinzu, die den Bass etwas aggressiver klingen lassen.
Fazit
Der ME-1NV reiht sich problemlos in die Riege hochwertiger Mikrofon-Vorverstärker ein und steht dabei klanglich seinen britischen Vorbildern der 1970er-Jahre in nichts nach. Ganz im Gegenteil: er ist transparent und rauscharm, löst fein auf und eignet sich damit speziell für Aufnahmen mit dynamischen Mikrofonen. Für die optimale Pegelkontrolle dient die praktische Dual-Meter-Anzeige und wem die Klang-Röstung eine Nuance zu hell oder dunkel erscheint, der kann sich gewieft mit der Impedance- oder Loading-Funktion aus der Affäre ziehen.
Erschienen in Ausgabe 09/2007
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1345 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: gut
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