¡Caramba!
Unverhofft kommt oft, aber aus Mexiko kommt analoges Röhrenequipment fürs
Studio-Rack doch eher selten. Das wird sich möglicherweise bald ändern, denn mit dem VTP-100 versucht der mexikanische Hersteller Edax zu beweisen, dass High-End-Sound nicht unbedingt krachteuer sein muss.
Von Michael Nötges
Was fällt Ihnen zum Stichwort -Mexiko ein? Sengende Hitze, mannshohe Kakteen, Nachos mit feuriger Salsa und Hängematten zwischen Palmen? Oder vielleicht eher Sombreros, aufdringliche Fliegen, Chilis, Tequila oder warmes Bier? Wenn ja, schauen Sie zu viel fern und haben scheinbar noch kein Produkt von Edax in den Händen gehabt. Daran würden Sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach erinnern – vorausgesetzt. Sie interessieren sich für analoges Röhrenequipment – und die 1998 von Chefentwickler Benjamin A. Mellibovsky gegründete Firma Edax Audio Labs in ihre Assoziationskette zu Mexiko aufnehmen. Zumindest, soviel vorab, ging es uns so, nachdem wir uns ausgiebig mit dem Testkandidaten beschäftigt hatten.
Zum Testen haben wir einen der ersten in Deutschland verfügbaren VTP-100 ergattert. Der einkanalige Mikrofon-Vorverstärker ist in diskreter Class-A-Röhrenschaltung mit zwei Doppeltrioden des Typs ECC82 konzipiert. Edax hat dem VTP-100 einen eigens entwickelten Ringkerntrafo spendiert und auf Übertrager komplett verzichtet. Die Ein- und Ausgänge sind elektronisch symmetriert. Er ist aufgrund seiner Anschlüsse als Mikrofon-, Line-, Instrumenten- und Re-Amping-Verstärker zu gebrauchen – zu den Anschlüssen später mehr. Im Innern arbeiten, das wird schon beim ersten Einschalten klar, verschiedene Relais, die eine Aktivierung bestimmter Funktionen, wie etwa Soft-Start, mit hellem Klicken quittieren. Auf diese Weise wird der Ausgang beim Anschalten erst nach etwa 30 Sekunden freigegeben. Erst dann also, wenn der VTP sozusagen hochgefahren ist. Bereits dieses kleine Zusatzfeature beweist uns, die Entwickler haben praxisgerecht mitgedacht. Die Tatsache, dass der überaus schicke Röhren-Pre-amp außerdem mit Phantomspannung, PAD, regelbarem Trittschallfilter, Phasen-umkehr-Funktion und einem üppigen VU-Meter bestückt ist, runden den positiven ersten Eindruck ab. In Anbetracht dieser üppigen Ausstattung ist der Preis ebenso erfreulich: Der VTP-100 kostet 750Euro.
Der schmucke Vorverstärker ist so breit, dass zwei Mono-Geräte nebeneinander ins Studio- oder Live-Rack passen. Um einen VTP-100 als Mono-Frontend zu installieren, dient das sogenannte SR-1-Kit. Wer sich für die Stereo-Variante, sprich zwei Geräte, entscheidet bekommt das Montage-Kit SR-2 mitgeliefert. Dieses ermöglicht das Verschrauben zweier VTP-100 zu einer 19-Zoll-Einheit. Roadies werden sich darüber nicht unbedingt freuen, da die Kombination gute 9,5 Kilogramm auf die Waage bringt. Ansonsten ist das Konzept zur Stereo-Erweiterung praxisgerecht durchdacht, wobei einem das genaue Einstellen der Regler auf identische Positionen nicht erspart bleibt. Entscheidet man sich für die Desktop-Variante und möchte den VTP-100 freistehend auf einem Studiomöbel oder anderem Equipment drapieren, sind Filzaufkleber zu empfehlen, da die aus der Unterseite ragenden Schraubenköpfe zwar stilvoll abgerundet sind, aber dennoch Holz- und Lackoberflächen mit garstigen Kratzern verunstalten.
Alle Anschlüsse befinden sich auf der Rückseite: Der Eingang ist als Kombibuchse ausgelegt. Mikrofon- und Line-Sig-nale teilen sich die XLR-Buchse, der Klinkeneingang ist für Instrumentensignale reserviert. Durch den hochohmigen (ein Megaohm) Hi-Z-Eingang kann der VTP-100 also auch als hochwertige
DI-Box mit Röhrenschaltung verwendet werden. Es gibt drei Ausgänge – und zwar einen Hauptausgang via XLR-Buchse, einen regelbaren Kopfhörer-Ausgang für praktisches Direct-Monitoring und einen sogenannten High-Z-Ausgang – beide im 6,35-mm-Klinken-Format. Dieser ist für das Re-Amping von bereits aufgenommenen Instrumental-Tracks (E-Gitarre oder E-Bass) gedacht und bringt das Line-Signal in puncto Pegel und Impedanz auf das Niveau eines hochohmigen Instrumentensignals. Dadurch kann ein bereits aufgenommener Track zur Veredelung zunächst durch die Röhren-Schaltkreise des VTP-100 geschleust und dann an einen Instrumenten-Verstärker angeschlossen werden. Zur Aktivierung des Re-Amping-Wegs muss allerdings der PAD-Kippschalter auf -20dB stehen. Wie auch beim Kopfhörer-Ausgang, kann der Pegel mit einem griffigen Aluminium-Drehregler angepasst werden. Bemerkenswert ist: Selbst auf der Rückseite hat Edax keine billigen Knöpfe verbaut, sondern konsequent hochwertige Aluminium-Regler mit gefräster Positionsmarkierung verwendet. Das ist auch bei deutlich teurerem Equipment lange nicht Standard.
Edax schöpft weiter aus dem Vollen: Das rot hinterleuchtete und fast Bierdeckel große VU-Meter bestimmt das Design der stabilen Frontplatte im weinrotem Finish. Außerdem gibt es eine edle Abdeckung für die Bullaugen-Pegelanzeige, die mit vier Imbusschrauben bombensicher mit der Frontplatte verbunden ist und eine Glasabdeckung zum Schutz des Messinstruments sicher fixiert. Ein von außen zugänglicher Trim-Regler für die Kalibrierung des Zeigers fehlt nur denen, die sich auch auf das Einmessen analoger Geräte verstehen. Per Dreh-Wahlschalter, der auf vier Positionen satt einrastet, sind die unterschiedlichen Anzeige-Modi des VU-Meters abrufbar. Je nach individueller Arbeitsweise und Aufnahmesituation bietet Edax je eine PPM- oder VU-Darstellung des Ein- oder Ausgangspegels an. Zum Schutz vor Übersteuerung der Eingangsstufe dient eine rote Kontroll-LED, die mit einem Head-room von drei Dezibel vor unliebsamen Verzerrungen warnt. Die ist allerdings auch dringend vonnöten, zeigt das VU-Meter lediglich Line-Pegel ab -20 Dezibel an, so dass ein Mikrofon-Signal mit Hilfe der roten LED – diese sollte nicht leuchten – und der Ausgangsanzeige eingestellt werden muss. Eine Besonderheit ist der Peak-Hold-Modus. Diese Funktion kennt man eigentlich eher von Anzeigen aus LED-Ketten, oder digitalen Lösungen. Für ein analoges VU-Meter, das aufgrund seiner Trägheit nicht die Exaktheit eines LED-Ketten- oder Lichtzeiger-Pegelmessers hat, somit eine prima Sache. Während einer Gesangs-Session hilft es, nach einem Take sicher zu gehen, dass keine Pegelspitze im kritischen Bereich lagen.
Die Drehregler und Kippschalter sehen nicht nur edel aus, sondern überzeugen durch ihre benutzerfreundliche sowie ergonomische und übersichtliche Anordnung. Außerdem bieten die griffigen Knöpfe ein angenehm sicheres Bediengefühl, das sich beim Pegeln durch die zäh laufenden Poti-Wellen verstärkt. Der Eingangspegel-Regler bietet elf Positionen in Vier-Dezibel-Schritten mit einer maximalen Verstärkung von 44 Dezibel an. Das Einstellen ist aufgrund der exakten Rasterungspunkte sehr komfortabel und reproduzierbar möglich. Dienen zwei
VTP-100 bei Aufnahmen als Stereo-
Preamp, können die Pegel unkompliziert auf Gleichstand gebracht werden. Die Feinjustierung geschieht über den Ausgangspegelsteller, der weitere Verstärkungsreserven – die Eingangsempfindlichkeit beträgt insgesamt -56,6 Dezibel – bereit hält und fließende Pegelanpassun-
gen ermöglicht. Damit ist – soviel vorab zu den Messwerten – auch die optimale Verstärkung von dynamischen und den meisten Bändchen-Mikrofonen kein Problem. Bei sehr lauten Schallquellen hilft die PAD-Funktion mit einer Dämpfung von 20 Dezibel, um übersteuerungsfreie Aufnahmen anzufertigen. Um die Phase umzukehren, gibt’s den passenden Kippschalter. Die Entwickler haben auch an ein -flexibles Trittschall-Filter mit einer Flankensteilheit von zwölf Dezibel pro Oktave gedacht. Die Einsatzfrequenz lässt sich in Zehn-Dezibel-Schritten zwischen 20 und 250 Hertz einstellen, um tieffrequente Rumpelgeräusche gezielt zu eliminieren.
Spannend wird es im Messlabor von Professional audio Magazin: Zunächst schauen wir uns das FFT-Spektrum (siehe Kurve), über den Mikrofon-Eingang gemessen, an. Sehr schön zu erkennen sind die angenehm klingenden harmonischen Verzerrungen. Wobei die Anteile gerader Ordnung wie k2 (-44 Dezibel) und k4 (-70 Dezibel) den Ton angeben und die ungeraden wie k3 (-82 Dezibel) oder k5 (-92 Dezibel) deutlich weniger zum Vorschein kommen. Mit zum Sound-Design des VTP-100 gehören wohl auch Verzerrungen unterhalb der Anregungsfrequenz von einem Kilohertz, wobei die beiden tieffrequenten Peaks bei 150 (-76 Dezibel) und 50 Hertz (-58 Dezibel) auf unliebsame Einstreuungen und Netzbrummen hinweisen. Wobei sie immer noch so bedämpft sind, dass es wohl kaum hörbar sein wird. Dem FFT-Spektrum entsprechend liegt der Klirrfaktor, wofür sich in erster Linie k2 verantwortlich zeichnet, mit 1,8 Prozent sehr hoch. Zwar sind Werte oberhalb von 0,5 Prozent bei Outboard mit Röhrenschaltung und gewollt eigenem Sound keine Seltenheit – das beweisen die Tests des Tube-Tech MEC 1A (in Ausgabe 10/2007) oder des Tube Recording Channels von Tegeler (in Ausgabe 8/2006) –, allerdings setzt Edax mit diesem Messergebnis noch einen drauf. Natürlich wirkt sich das auch auf den Geräusch- und Fremdspannungsabstand (75,2 und 60,9) aus. Diese deutlichen Unterschiede zu den Prospektwerten, dort werden Klirrwerte von 0,02 Prozent versprochen, kommen uns zunächst merkwürdig vor und wir kontaktieren den Chefentwickler und Firmengründer Benjamin Mellibovski, der daraufhin antwortet: „Hören Sie Brummen oder Rauschen bei normalen Pegeln oder geht es lediglich um die Messwerte? Glauben Sie mir, der VTP-100 verfügt über Besonderheiten, die der Audio Precision nicht anzeigt. Außerdem gibt es da draußen eine Menge Outboard, das zwar messtechnisch hervorragende Werte liefert, aber fürchterlich klingt.“ Das zeugt zwar von Selbstbewusstsein, aber etwas mehr -Realitätssinn wäre vor der Definition der Spezifikationen hilfreich gewesen.
Für den Hör- und Praxistest haben wir uns auf Akustikgitarren und Gesangsaufnahmen konzentriert. Wir verwenden ein M 930 von Mikrotech Gefell und ziehen zum Vergleich den F355 von Lake People als Neutralitäts-Referenz heran. Der Lynx Aurora 8 A/D-Wandler bringt in gewohnt vorbildlicher Qualität die Aufnahmen mit 24 Bit und 88,2 Kilohertz auf die Festplatte unseres Studiorechners.
Der VTP-100 ist intuitiv zu bedienen und vor allem laden die angenehmen Drehknöpfe zum Anfassen und Regeln ein. Etwas gewöhnungsbedürftig ist lediglich, dass der Einganspegel bei Mikrofon- und Instrumenten-Aufnahmen nur mit der roten LED kontrolliert werden kann. Das VU-Meter ist nicht hilfreich, da es, wie gesagt, erst ab einem Line-Pegel von -20 Dezibel ausschlägt. Trotzdem macht es einfach Spaß, mit dem VTP-100 zu arbeiten, weil vom Anschalten (Soft-Start) bis zur fertigen Aufnahme alles völlig unkompliziert gelingt. Im Handumdrehen ist die Eingangsempfindlichkeit justiert – wir achten auf die Overload-Anzeige – und den letzten Feinschliff, um einen optimalen Pegel auf die Festplatte zu bannen, erledigt der Ausgangspegelsteller. Über den Kopfhörer-Ausgang kontrollieren wir den Klang und überprüfen, ob übersteuerungstechnisch alles stimmt. Dabei klingt der Kopfhörer-Verstärker übrigens ausgezeichnet. Das Signal kommt druckvoll und transparent und selbst bei leisen Schallquellen und hoher Verstärkung bleiben nerviges Rauschen oder Brummen aus, hier hat Mellibovski nicht zu viel versprochen.
Zunächst hören wir uns die Gitarrenaufnahmen an und vergleichen sie mit denen des F355. Ergebnis: Der VTP-100 kann sich wirklich hören lassen. Das Klangbild ist druckvoll, transparent und von einer klaren Neutralität, die an den Sound eines Avalon VT-737 SP (Test in Ausgabe 8/2007) erinnert. Dabei hat der Mexikaner zwar seinen eigenen Charakter, der aber sehr edel und dezent zum Vorschein kommt. Er färbt den Klang nicht rücksichtslos ein oder manipuliert ihn, sondern überzieht das Signal lediglich mit einer feinen, kaum merklichen Kuvertüre, die insgesamt zu einem runden und sehr harmonischen Gesamtklang führt. Dabei ist der VTP-100 ausgewogen, direkt und klingt sehr organisch und natürlich. Anschlags- und Rutschgeräusche sind etwas weniger präsent als beim F355. Zeigt sich der Lake People gewohnt erbarmungslos und imponiert wieder einmal durch sein hervorragendes Impulsverhalten und seine detailtreue Feinauflösung, versteht es der VTP-100, dem Klang geschmackvoll zu schmeicheln und liefert das leckere -Sahnehäubchen.
Das gefällt besonders bei den Gesangsaufnahmen. Bringt der F355 die Stimme etwas zu direkt und nüchtern, liefert der VTP-100 in etwa das, was Viele wohl -unter dem modernen amerikanischen Sound verstehen. Besonders überzeugend ist auch hier Transparenz, Natürlichkeit und der angenehm runde Gesamtklang. Das Timbre kommt dabei sehr schön organisch und Details wie Schmatz- und Atemgeräusche lebendig und angenehm zurückhalten. Der Unterschied zum F355 wird besonders bei den Zischlauten deutlich, die der VTP-100 sehr vornehm behandelt und den Takes damit eine wohlige Intimität verleiht, wohingegen der F355 etwas rücksichtslos zu Werke geht – manchmal ist die nackte Wahrheit eben nicht das, was man hören will.
Natürlich testen wir auch den Instrumenteneingang, stöpseln einen E-Bass ein und hören uns das Ergebnis über Kopfhörer an. Auch hier macht der VTP-100 eine sehr gute Figur. Die Bässe kommen satt und rund, Anschlagsgeräusche präzise und das Schnarren der Saiten auf dem Griffbrett sehr schön rotzig und natürlich. Der Klang ist lebendig, rauschfrei und transparent. Seinen angenehmen Charakter kann und will der VTP-100 allerdings auch hier nicht verbergen. Dieser schleicht sich unvermittelt ein, erhöht den Spielspaß und liefert einen stilvoll veredelten Bass-Sound.
Fazit
Edler Sound muss nicht teuer sein, das beweist Edax mit seinem einkanaligen Röhren-Vorverstärker VTP-100 für 750 Euro. Er bietet alles, was man von einem professionellen Preamp erwartet. Dabei klingt er nicht nur transparent, direkt und verleiht dem Signal einen angenehmen Schimmer, sondern der feurige Mexikaner lässt sich auch noch intuitiv und sehr komfortabel bedienen. Wer auf der Suche nach einem praxisgerechten und sehr gut klingendem Front-End für seine DAW ist und dabei auf dezenten Röhrensound und schickes analoges Design steht, der sollte den VTP-100 in jedem Fall einmal antesten – es lohnt sich.
Erschienen in Ausgabe 11/2008
Preisklasse: Oberklasse
Preis: 750 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
Hinterlasse einen Kommentar