Hummelflug

Das Hummel-Paradoxon ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Demnach sollen die pelzigen Albatrosse der Insektenwelt, mit dem Lateinischen Namen Bombus, nach aerodynamischen Gesetzen gar nicht fliegen können. Mit dem Lautsprecher-Paradoxon, dass kleine Boxen nicht in der Lage sind, auch tiefe Frequenzen ordentlich wieder zu geben, verhält es sich ähnlich. Den Beweis treten die O 110 der Firma Klein + Hummel an, mit verblüffendem Ergebnis.   

Von Michael Nötges

Während ein Hummelvolk bloß einen Sommer überlebt, hat die renommierte Firma Klein + Hummel schon viele gute Sommer erlebt. Weit zurück reicht die Erfolgsgeschichte aus der niedersächsischen Wedemark. Die Firmenphilosophie wurde bereits 1935 durch das prägende Zitat des jungen Walter Hummel bestimmt: „Die Wiedergabe muss so gut sein, dass sie besonders in der Klangfarbe der Originaldarbietung entspricht. Deshalb reden wir von Wiedergabetreue.“ Zusammen mit dem zweiten Firmengründer Horst Klein bringen die beiden Unternehmer nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine Audio-Manufaktur auf den Weg, die bis heute weltweit einen ausgezeichneten Ruf genießt. Ende der 1970er Jahre verabschiedet sich Klein + Hummel aus der bis dahin erfolgreich mit gestalteten HiFi-Szene – legendär sind heute noch die Tuner FM 2002 und FM 3003 – und konzentriert sich auf die Bereiche ELA und Studiotechnik. Unter dem Deckmantel der Sennheiser Gruppe, arbeiten die Mitarbeiter weiterhin fleißig wie die Bienen an exzellentem Studioequipment. Der aktive Nahfeldmonitor O 110 ist ein Resultat jahrzehntelanger Entwicklung und Forschung und das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Das anthrazitfarbene Äußere aus dem neuartigen Komposit Werkstoff LRIM (Low Resonance) erzeugt einen eleganten und zweckmäßigen Eindruck. Lediglich das rot beleuchtete K+H-Logo, in der unteren rechten Ecke der Schallwand, bringt etwas Farbe in das zurückhaltende Grau. Auf dem Kunststoff Polyurethan (PUR) basierend, ist das Gehäuse aus einem Guss gefertigt. Die Oberfläche zeigt sich matt und griffig durch eine Mikrostruktur, die an feine Raufasertapeten erinnert.

PUR-Hartschäume zeichnen sich durch ihre flexibel bestimmbaren Werkstoffeigenschaften aus. Laut Hersteller sind diese für den Monitoreinsatz optimiert, so dass sowohl eine gute Durchgangsdämpfung erreicht, als auch das Mitschwingverhalten des Gehäuses minimiert wird. Insgesamt ist die Vorderseite der O 110 nur unwesentlich größer als ein DinA5-Blatt im Hochformat. An den beiden oberen Ecken befinden sich die Bassreflexöffnungen, deren Röhrenquerschnitt die Form eines rechtwinkligen Dreiecks mit konkav geformter Hypotenuse aufweist. Direkt darunter sitzt ein elliptisch geformtes Horn, wie ein kleiner Vulkankrater, in dessen Zentrum der Hochtöner thront. Es fungiert als Wave-Guide, um optimales Abstrahlverhalten zu gewährleisten und um die Energieanteile beider Chassis, gerade im kritischen Bereich der Trennfrequenz, auszugleichen. Hintergrund: Große Lautsprechermembranen bündeln das abgegebene Signal bei steigender Frequenz zunehmend. Liegt die Trennfrequenz zwischen einem Tiefmittel- und einem Hochtöner bei vier Kilohertz, ist der Abstrahlwinkel des Tieftonsystems schon dort deutlich verengt. Der Abstrahlwinkel des Hochtonsystems bricht an diesem Übernahmepunkt aber wieder auf 180 Grad auf. Dieser Tannenbaumeffekt führt in Umgebungen mit Raumreflexionen – und die gibt es in jedem Abhörraum –dazu, dass am Übernahmepunkt plötzlich mehr Energie in den Raum abgestrahlt wird. Durch die Addition von Direkt- und Diffusschall, wird dieser Frequenzbereich betont. Da dies stark von den gegebenen Raumbedingungen abhängt, ist es schwierig diese Ungleichmäßigkeiten im Vorfeld auszuräumen. Das Wave-Guide der O 110 gleicht nun das Abstrahlverhalten der beiden Chassis an, so dass bei der Übernahmefrequenz das Niveau der homogenisiert ist. Dies führt zu einem gleichmäßig bündelnden Abstrahlverhalten und einem kontinuierlichen Verlauf der seitlich abstrahlenden Energie. Die tonale Balance der Lautsprecher ist damit nicht mehr so abhängig von den jeweiligen Raumreflexionen. Die Alternative den Pegel durch Filterung an der Trennfrequenz im Vorfeld abzusenken ist zwar möglich, führt aber zu einer Verfälschung des Verhältnisses von Direkt- und Diffusschall. Dies hat negativen Einfluss auf die Präzision und die Beurteilung der wichtiger Rauminformationen. In räumlich beengten Arbeitssituationen, wie kleinen Regieräumen oder Übertragungswagen, kann der O 110 durch das Wave-Guide auch auf der Seite liegend platziert werden, ohne dass er seinen Klangcharakter verändert. Was sich auch im Hörtest bestätigt.

Die Seitenwände des Gehäuses sind nicht planparallel angeordnet, das Gehäuse ist hinten etwas höher als vorne. Dies soll der Unterdrückung von stehenden Wellen im Innern des Gehäuses dienen und das Abklingverhalten und somit auch das Impulsverhalten verbessern.

Der im Zentrum des Wave-Guide liegende Hochtöner mit einem Kalotten-Durchmesser von 25 Millimetern, besteht im Wesentlichen aus einem konvexen Titan-Dom, der von einer Gewebesicke umgeben ist. Durch die Verwendung des festen und trotzdem dehnbaren Leichtmetalls, soll die Wiedergabe hoher Frequenzen begünstigt werden. Die Kombination mit dem dämpfenden Gewebe, minimiert dabei das Aufbrechen hoher Frequenzen in Partialtöne, die bei zunehmender Lautstärke entstehen. Rund um die Öffnung des Tieftonsystems erhebt sich eine Art Schutzwall, drei Millimeter aus der Schallwand. Der Konuslautsprecher in Mitten dieses Rings, zeichnet sich durch einen sehr großen linearen Hub aus. Nur so können bei einem Membrandurchmesser von 145 Millimetern auch tiefere Frequenzen wieder gegeben werden. „Durch das spezielle Polypropylengemisch wird das Aufbrechen in Partialschwingungen verhindert.“, erklärt Markus Wolff, Leiter der Lautsprecherentwicklung bei K+H und hebt außerdem hervor, dass man im Hause Klein + Hummel besonderes Augenmwerk auf möglichst geringe Verzerrungen legt. Die zusätzlich eingebaute Fluxkompensation soll das nicht-lineare Schwingen des Tieftöners bei mittleren und höheren Frequenzen reduzieren. Die unkontrollierten Teilschwingungen und dadurch auftretenden Verzerrungen sollen so ausgeglichen werden.

Der XLR-Eingang auf der Rückseite des Monitors ist in zwei Versionen lieferbar. Er kann je nach Ausführung elektronisch- oder trafosymmetriert ausgeführt sein. Direkt unter dem Anschluss befindet sich ein schmaler Drehregler mit Justierungskerbe, über den sich die Lautstärke des Lautsprechers um maximal 24 Dezibel dämpfen lässt. Daneben sind die versenkten und etwas schmaleren Pendants für die Raumanpassung zu finden. Währen der Lautstärkeregler stufenlos verstellbar ist, sind hier jeweils vier Positionen für die Bass- (0, 1, 2, 3) und Mittenkorrektur (0, A, B, C) vorgegeben. Je nach Aufstellung können die Bässe und die unteren Mitten des Monitors überbetont werden. Bei freier Aufstellung ist keine Korrektur nötig, der Regler steht auf Null. Die anderen Presets stellen vorgefertigte Basskorrekturen für Aufstellung vor einer Wand (-2,5 dB), an einer Raumkante (-5 dB) und in einer Raumecke (-7,5 dB) bereit. Der Equalizer für die Mittenanpassung ist im selben Stil konzipiert und hält die Mittenabsenkung für die freie Aufstellung, die Positionierung auf einer Tischfläche (-1,5 dB), freistehend auf der Meter-Bridge (-3 dB) und in einer Wand eingebaut (-5 dB), bereit. Um hier die richtige Einstellung zu finden. Kommt man um fleißiges Probieren nicht herum. Am besten sollte natürlich der Raum ausmessen werden, um die Monitore optimal darauf anzupassen.

Die O 110 sind zusätzlich mit einer Schutzschaltung ausgestattet. Ein Limiter wird aktiv, sobald der Eingangspegel in Bereiche kommt, die zur Beschädigung der Lautsprecher führen könnten. Bei einer solchen Überlastung fängt das sonst durchgängig beleuchtet K+H-Logo zu blinken an und signalisiert damit die sanft einsetzende Dynamikreduktion. Gut durchdacht ist die Variante, das Einsetzen der Schutzschaltung nicht nur optisch darzustellen. Durch Umstecken eines internen Jumpers, reagiert der Limiter so extrem, dass das Signal bei zu hohem Pegel abbricht. Beim Mischen kann es so nicht passieren, dass der zugeschaltete Limiter unerkannt bleibt und der Mix dem entsprechend falsch angepasst wird. Die mmeisten Bauteile sind nach dem SMD-Prinzip (Surface Mounted Device) direkt auf der Elektronik-Platine verlötet. Mit diesem Verfahren lässt sich zwar auch kompakter bauen „aber was viel wichtiger ist“, erklärt Wolff, „dadurch werden parasitäre Effekte, die sich auf den Klang auswirken, vermieden.“ Weiter erklärt Wolff: „Dazu kommt, dass die von uns verwendeten Bauteile schon vorselektiert sind. Trotzdem gibt es gerade bei den Kondensatoren immer nur einen bestimmten Tolleranzbereich, der vom Hersteller angegeben wird. Häufig zerren diese mehr als unsere strengen Auflagen der Endkontrolle zulassen und dann müssen wir durch Messungen solange selektieren, bis die Werte in Ordnung sind.“ Diese Qualitätssicherung soll neben guten Werten auch die annähernde Gleichheit aller Lautsprecher einer Serie gewährleisten. Ein Blick auf die Frequenzgangmessung hilft zur besseren Einordnung der Aussagen.

Der Frequenzgang der O 110 zeigt keine nennenswerten Abweichungen. Die leichte Erhöhung zwischen 300 und 600 Hertz kann durch die Raumanpassung elegant entschärft werden, so dass wir auf den Hörtest gespannt sein können.

Beeindruckend, was die kleinen Regielautsprecher von sich geben. Als erstes fällt die ausgezeichnete Ortbarkeit, sowohl im Stereopanorama, als auch in der Tiefenstaffelung auf. Punktgenau sind die Instrumente in ihrer Platzierung im Mix auszumachen. Eine Aufnahme erscheint wie ein klangliches Hologramm zwischen den beiden Lautsprechern. Diese werden bei längerem Hören gar nicht mehr wahrgenommen, sondern nur noch die einzelnen Instrumente und Stimmen, die es abzumischen gilt. Insgesamt präsentiert die der O 110 das Klanggeschehen recht nah, will heißen, schiebt den imaginären Raum etwas nach vorne. Alle Frequenzbereiche werden analytisch wieder gegeben. Höhen und Mitten zeigen sich klar unt äußerst konturiert. Selbst tiefe Frequenzen von Contrabass- oder Orgelklängen, erscheinen sauber und mit erstaunlich gutem Impulsverhalten. Bei geschlossenen Augen passt die reale Größe der O 110 mit der klanglichen Größe und Überzeugungskraft nichtzusammen: sie wirkt akustisch deutlich erwachsener. Außerdem kann sie erstaunlich tiefe Bässe reproduzieren, denen es allerdings bei heftigen Attacken ein wenig an Präzision fehlt. Das Impulsverhalten in den Mitten und Höhen ist zwar ohne Fehl und Tadel, doch ganz unten fehlt es etwas an Souveränität. Das ist bei einem derart kompakten Lautsprecher aber auch nicht anders zu erwarten. Insgesamt überzeugt die absolut ehrliche Übertragung der O 110, die detailgetreu das wiedergeben, was vorhanden ist. Selbst den klanglichen Unterschied zweier Mastering Recorder (Alesis Masterlink, Fostex CR500, siehe Test Seite 78 ff.), die wir zur Wiedergabe verwendet haben, führt sie uns schonungslos vor.

Fazit

Die O 110 bestechen durch ihr überragendes Preis-Leistungs-Verhältnis. Für gute 800 Euro pro Monitor bieten sie alles, was von einem professionellen Studio-Regielautsprecher dieser Größe erwartet wird: gutes Impulsverhalten, hervorragende Ortbarkeit und einen sehr ehrlichen Klang. Wer vor dem Kauf eines Monitors in dieser Preiskategorie steht muss, nach Meinung der Redaktion des Professional audio Magazins, unbedingt seinen eigenen Hummelflug antreten und die O 110 in die engere Auswahl einbeziehen.

Erschienen in Ausgabe 10/2006

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 815 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut – überragend