Big Hero (M)6
Was hat ein Schraubengewinde, eine Kamera und eine britische Autobahn mit dem jüngsten Wurf aus dem Hause MOTU zu tun? Sie hören alle auf den Namen M6. Das bislang größte Audio-Interface der M-Serie kommt mit mehr Anschlüssen daher und will sich für flexible Anwendungsszenarien empfehlen. Wie das geht und was es kann, haben wir für Euch herausgefunden.
von Georg Berger

Lasst uns klein anfangen und uns anschließend stetig steigern. So oder so ähnlich könnte die Strategie des amerikanischen Pro-Audio-Unternehmens MOTU bei der Entwicklung seiner kompakten M-Serie lauten. Nach den Modellen M2 und M4 ist das M6 die momentan größte Ausbaustufe, wobei die Modellbezeichnung Auskunft über die verfügbaren Eingangskanäle der USB-Audio-Interfaces gibt. Beim Kauf ruft der Hersteller einen Preis von rund 500 Euro auf.
Im Lieferumfang finden sich zwei USB-Kabel und ein Netzgerät. Nach der Anmeldung auf der Hersteller-Seite und der Registrierung des Interfaces gibt’s obendrein noch die DAW’s MOTU Performer Lite und Ableton Live Lite sowie ein umfangreiches Paket an Sounds und Loops zum Download geliefert. Der obligatorische Treiber für Windows-Systeme wird ebenfalls über die Herstellerseite bezogen. Mac-User können den Treiber bei Bedarf ebenfalls installieren. Nötig ist das aber nur für den Loopbackbetrieb. Später dazu mehr.
Die Verbindung zu Rechnern oder iOS-Geräten geschieht über die mittlerweile zum Standard avancierte USB-C-Schnittstelle. Samplingraten bis maximal 192 kHz bei 24 Bit Wortbreite sind möglich. Wer am (Klapp-)Rechner über einen USB-C-Anschluss verfügt, kann das M6 im Bus-Powered-Betrieb fahren. Wer jedoch nur USB-A-Buchsen zur Verfügung hat, muss das mitgelieferte Netzteil einsetzen, denn USB A liefert nicht genügend Saft für das M6, was einen Mobilbetrieb schwierig macht. An dieser Stelle muss ich weiter meckern. Denn mit rund einem Meter Länge sind mir die Kabel viel zu kurz. Zwei Meter wären besser gewesen, gerade wenn das M6 auf einem Tisch steht und mit einem Tower-PC verbunden ist, der unter dem Tisch steht.
Bedienung und Einstellung ausschließlich am Gerät
Bemerkenswert: Nach der Installation des Treibers gibt es im Rechner lediglich einen Dialog, der zum Einstellen von Samplerate und Sample-Buffer einlädt. Eine virtuelle Mixer-Anwendung zum Managen der Ein- und Ausgänge, wie sie bei vielen Mitbewerbern zu finden sind, gibt es beim M6 nicht. Die Einstellung erfolgt also ausschließlich an der Hardware und in der DAW, was diejenigen begrüßen dürften, die auf Kriegsfuß mit solchen Extras stehen und eine einfache und intuitive Bedienung schätzen. Doch genug mit Treibern, Rechnern und Computerschnittstellen. Kommen wir als nächstes zur Ausstattung des M6.
Bemerkenswert ist die Verarbeitung des M6, die sich nur mit den Worten „Rock-Solid“ umschreiben lässt. Das Gehäuse mit den abgerundeten Ecken besteht aus einem Stück Metall, wobei die metallene Front- und Rückseite eingeschraubt ist. Die Knöpfe der Drehregler sind ebenfalls aus Metall, was das M6 sehr wertig macht. Hinzu kommt, dass die Anschlüsse – hier vor allem die Klinkenbuchsen – bündig und passgenau in die Blenden eingesetzt sind. Da wackelt rein gar nichts, beim Ein- und Ausstöpseln von Steckern, was selbst bei Geräten in höheren Preisregionen nicht selbstverständlich ist.
Schauen wir uns als Nächstes die Ausstattung auf der Rückseite an. Vier Combo-Buchsen – Kanäle eins bis vier – laden zum Anschluss von Mikrofonen oder elektrischen Instrumenten ein. Links davon erlauben zwei servosymmetrische Klinkenbuchsen (= Kanal fünf und sechs) das Einspeisen von Signalquellen mit Line-Pegel. Zwei weitere Pärchen Klinkenbuchsen führen Signale aus dem Interface heraus, um etwa zwei Monitorpaare mit Signalen zu speisen oder um in andere Geräte geleitet zu werden. Zwei klassische Fünf-Pol-MIDI-Buchsen, die USB-C-Schnittstelle sowie der Netzgeräteanschluss nebst Schalter beschließen den Rundgang auf der Rückseite. Digitale Anschlüsse wie ADAT, S/PDIF oder Wordclock sind Fehlanzeige. Das M6 konzentriert sich primär auf die wichtigsten Anwendungsszenarien: Aufnahme und Wiedergabe von akustischen und MIDI-Signalen.
Pfiffige, nicht alltägliche Features integriert
Die Bedienelemente auf der Frontplatte sind rasch erfasst. Unumstrittener Hingucker ist das farbige LC-Display. Es begeistert auf luxuriöse Art mit blitzschnell reagierenden, mehrfarbigen Pegelsäulen, die Auskunft über die anliegenden Ein- und Ausgangspegel geben. Vorbei sind die Zeiten von einsamen Clipping-LEDs, die mehr oder weniger präzise ihren Dienst in vielen Interfaces verrichten. Die Ausstattung der ersten vier Kanäle ist identisch: Per Drehregler stelle ich die Verstärkung ein und hinterleuchtete Drucktaster erlauben mir das kanalweise Aktivieren der Phantomspannung sowie der Monitor-Funktion, die das Eingangssignal direkt auf den Ausgang des M6 routet. Mithilfe des Input/Playback-Reglers kann ich zwischen den zuvor per Monitortaster direkt durchgeschleiftem Eingangssignal und DAW-Signal – Stichwort: Latenzfreies Aufnehmen – nahtlos überblenden. Der Druck auf den Monitor 5/6-Button schaltet diese Eingänge ebenfalls direkt auf den Ausgang.
Sehr pfiffig: Wer an die vier Ausgänge je ein Monitorpärchen angeschlossen hat, kann über den A/B-Taster rasch zwischen den Lautsprechern umschalten, um Mixe in verschiedenen Abhörszenarien zu beurteilen. Solch eine Funktion, die eher bei Monitorcontrollern anzutreffen ist, ist selbst bei höherklassigen Interfaces nicht selbstverständlich und wird dann meist über die korrespondierende Mixer-Software realisiert.
Ähnliches bieten auch die beiden separat justierbaren Kopfhöreranschlüsse. Ein Druck auf den 3/4-Taster routet die Signale, die an den Ausgängen drei und vier anliegen, auf den linken Kopfhöreranschluss, was ebenfalls nicht alltäglich ist. So lässt sich darüber zum Beispiel ein alternativer Mix abhören, etwa für Aufnahmen von Vokalisten und Instrumentalisten, ohne den Hauptmix dafür anrühren zu müssen. Zuguterletzt wird die Lautstärke an den Ausgängen eins und zwei über den großen Drehregler rechts vom Display eingestellt.
Souveräne Vorstellung im Praxistest
Für den Praxis- und Hörtest erstelle ich mit dem M6 eine Reihe von Mikrofonaufnahmen und Aufnahmen elektrischer Instrumente. Die Ergebnisse vergleiche ich mit Aufnahmen, die auf dem guten alten RME Fireface 400 entstanden sind und das sich durch einen ehrlichen, ungefärbten Grundklang auszeichnet. Beim Einpegeln der Signale zeigt sich rasch, dass das M6 über kraftvolle Gain-Reserven verfügt. Der Hersteller verspricht satte 60 Dezibel. Kondensatormikrofone sind im Test in Stellung 12 bis 13 Uhr optimal verstärkt. Elektrische Instrumente sind bereits in zehn- bis elf-Uhr-Stellung des Reglers ausreichend verstärkt. Mit dieser Gain-Ausstattung dürften selbst unempfindliche dynamische Mikrofone ausreichend zur Geltung kommen. Dabei können wir gefühlvoll und kontinuierlich das Gain regulieren. Sprünge in der Verstärkung oder das Ausbleiben beim Drehen der Regler sind Fehlanzeige. Dies ist insofern bemerkenswert, weil es in der Vergangenheit mitunter Interfaces der Mitbewerber gab, bei denen das nicht selbstverständlich ist. Da hieß es dann, Einstellungen auf dem letzten Drittel des Regelwegs im Mikrometerbereich vorzunehmen.
In Sachen Latenz befindet sich das M6 auf Augenhöhe zum Fireface 400. Die Gesamtlatenz des M6 ist zwar ein wenig höher, aber im Test sind bei identischen Samplerate- und -buffer-Einstellungen keine signifikanten Unterschiede hörbar. So liefert das M6 bei 44,1 kHz und einem Buffer von 128 Samples eine Eingangslatenz von 3,5 Millisekunden. Ausgangsseitig sind es 8,2 Millisekunden. Das Fireface wartet eingangsseitig mit 3,9 und ausgangsseitig mit 5,0 Millisekunden auf.
Im Hörtest gibt das M6 ebenfalls eine eindrucksvolle Vorstellung. Der Grundsound ist kraftvoll und im Vergleich zum Fireface dank einer ganz leichten Betonung im unteren Mittenbereich sehr schmeichelnd und gefällig. Das dürfte vielen Anwendern gefallen. So etwas habe ich auch schon von anderen US-amerikanischen Interfaces gehört. Die Auflösung nach oben ist ebenfalls sehr gut. Doch in Sachen Plastizität und Detailfreude muss sich das M6 dem Fireface geschlagen geben. Fingergeräusche beim Gitarrenspiel und subtile Rauminformationen fängt das Fireface im Vergleich zum M6 ein wenig besser ein und liefert in der Hinsicht filigranere Ergebnisse. Zugegeben, das ist Jammern auf hohem Niveau, denn die klanglichen Unterschiede machen sich erst nach intensiven Hörvergleichen bemerkbar.
Modernes Extra: Die Loopback-Funktion
Zum Schluss sei auch noch kurz auf die integrierte Loopback-Funktion im M6 eingegangen, die auch die beiden kleineren Geschwister beherrschen und sich primär für das Aufzeichnen von Internet-Live-Streams, Podcasts, Videokonferenzen und weitere mediale Onlinedienste eignen. Bei der Treiberinstallation werden insgesamt vier Loopbackkanäle auf virtueller Ebene etabliert. Über die Kanalauswahl in der Recording-Software sind diese dann als Eingänge wählbar. Dabei wird das Audiosignal, das vom Rechner kommt gleichzeitig ans M6 ausgegeben und aufgenommen, weshalb während der Aufnahme die Spur stumm geschaltet sein sollte, um Feedbacks zu vermeiden. Wer dies auf einem Apfel-Rechner einsetzen will, muss spätestens an dieser Stelle auch den Treiber installieren, der diese Funktion realisiert. Im Test geschieht dies auf denkbar einfache Weise, um etwa Internet-Radio, ein Interview via Zoom oder einen Podcast aufzuzeichnen. Doch damit fängt der Spaß erst an. Durch Anwahl der „Loopback-Mix-Kanäle“ ist es überdies möglich, Audioquellen vom Rechner gemeinsam mit (Mikrofon-)Signalen, die am M6 gleichzeitig eingespeist werden, aufzunehmen. Damit lassen sich beispielsweise Software-Tutorials über dezidierte Programme wie etwa OBS Studio auf komfortable Weise realisieren. OBS Studio empfängt die Loopback-Mix-Kanäle des M6 und während die zu erklärende Software im Bild zu sehen ist und ihr Audiosignal durch das M6 aufgezeichnet wird, lässt sich jeder Vorgang in der Software via angeschlossenem Mikrofon simultan kommentieren, erläutern und aufnehmen, wobei das Computer- und Mikrofonsignal in eine Spur gemeinsam aufgenommen wird. Einfacher geht’s nimmer.
Fazit
MOTU präsentiert mit dem M6 ein robust konstruiertes USB-Audio-Interface, das durch einen schmeichelnden Grundsound sowie eine unkomplizierte, schnörkellose Bedienung besticht. Es kommt ohne digitalen „Schnickschnack“ wie S/PDIF oder ADAT aus und adressiert sich sowohl an Einsteiger als auch Routiniers, die „nur“ Audio und MIDI aufnehmen wollen. Mit nicht alltäglichen Extras wie Monitorcontrolling-Features am Gerät und der Loopback-Funktion sticht es unter den Mitbewerbern hervor. Gerade letzteres dürfte für Medienschaffende, die im Internet tätig sind, interessant sein.

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