Drei Bänder für ein Halleluja
Der Pro-Audio-Spezialist Drawmer stellt mit dem Modell 1973 einen vergleichsweise günstigen Multiband-Kompressor vor, der sich mit vornehmem, britischem Understatement sowohl in Verarbeitung, als auch Bedienung und Klang empfehlen will. Mit der Kraft von drei Bändern sollen auch problematische Signale souverän in den Griff zu kriegen sein.
Von Georg Berger
Es kommt nicht selten vor, dass ein Hersteller bei der Namensvergabe neuer Produkte einen mehr oder weniger deutlichen Bezug zu bestimmten Vorbildern, Ereignissen, Eigenschaften oder Verwendungszwecken herstellt, manchmal sogar mit einem durchaus heftigen Augenzwinkern und dem berühmten Schalk im Nacken. Bei der jüngsten Schöpfung aus dem Hause des britischen Pro-Audio-Herstellers Drawmer, dem Multiband-Kompressor 1973 stehen wir allerdings auf dem Schlauch. Wir versuchen uns an das Jahr 1973 zu erinnern, was immerhin 42 Jahre her ist und rund acht Jahre vor der Firmengründung von Drawmer liegt. 1973 war das Jahr der Ölkrise, die Watergate-Affäre erschütterte nicht nur die USA, Elvis Presley erreicht mit der per Satellit übertragenen Show „Aloha from Hawaii“ eine Milliarde Zuschauer, die Rocky Horror Show hat Premiere in London, in New York eröffnet der legendäre CBGB-Club, Pink Floyd veröffentlichten „The dark side of the Moon“ und Queen ihr Debut-Album. Mit einem Ereignis aus diesem Jahr hängt die Namensgebung des jüngsten Drawmer-Sprosses also nicht zusammen. Die Antwort ist viel banaler und zudem auch nachvollziehbar. Mit Produkten wie den Preamp/Kompressor-Kombis 1960 und 1969, dem Equalizer 1961 und dem Kompressor 1968 hat Drawmer schon seit langem eine Serie an 19-Zoll-Signalprozessoren, die allesamt mit Röhren betrieben werden und gemeinhin unter dem Schlagwort der 6er-Serie zusammengefasst werden. Der dreibandige 1973-Kompressor basiert hingegen auf FET-Schaltungen und kommt ohne die glühenden Glaskolben aus. Um ihn von den röhrigen Geräten entsprechend abzusetzen, hat Drawmer kurzerhand die 7er-Serie ins Leben gerufen, wobei dem 1973 alsbald weitere Modelle folgen sollen. Die Ziffer 19 ist hier wie dort ein Hinweis auf die Bauart des Prozessors und die Ziffer 3 verdeutlicht, dass es sich um ein dreibandiges Gerät handelt. So einfach ist das.
Dreiband-Kompressor? Da klingelt doch etwas im hintersten Eck des Gehirnstübchens. Richtig: Mit dem Highend-Mastering-Kompressor S3 – das „S“ steht für Signature-Serie – hat Drawmer bereits vor rund acht Jahren einen Multiband-Kompressor präsentiert (Test in Heft 8/2007). Tatsächlich hat der 1973 eine Reihe von Genen des seinerzeit rund 6.700 Euro kostenden Highend-Kompressors geerbt, der übrigens nicht mehr hergestellt wird. Überdies finden sich in Sachen Ausstattung und Bedienung auch eine Reihe von Parallelen zum Stereo-Röhrenkompressor 1968, der hingegen in einer MKII-Version immer noch hergestellt wird. Vorteil 1973: Er kostet nur rund 1.700 Euro und ist im Vergleich zum S3, aber auch zu manch anderem Multiband-Mitbewerber, etwa die Pendants von Tube-Tech oder Maselec, deutlich günstiger zu haben. Noch besser: Der 1973 ist unseres Wissens nach der zurzeit günstigste Hardware-Multiband-Kompressor am Markt. Wenn jetzt noch Klang, Regelverhalten und Einsatzmöglichkeiten stimmen, dann erhält der Anwender ein Gesamtpaket mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Doch das heben wir uns einmal mehr bis zum Schluss auf. Denn zuvor gilt es, dem 1973 in Sachen Ausstattung und Features auf den Zahn zu fühlen.
S3 + 1968 = 1973
Das Layout der Bedienelemente auf der Front ist auch ohne Studium des Handbuchs binnen weniger Augenblicke verstanden. Auffällig: Die Ausstattung der drei Kompressor-Sektionen ist (fast) identisch zu denen des S3 und 1968. Das Layout der Bedienelemente fällt lediglich etwas anders aus. Die beiden Passfilter, deren Frequenzwahl-Regler augenfällig zwischen den drei Kompressor-Sektionen integriert sind, fungieren als Frequenzweiche und teilen die eingespeisten Signale in drei Frequenzbereiche auf. Der Lowcut ist dabei stufenlos von 50 Hertz bis 1,4 Kilohertz einstellbar. Er definiert den Übergangspunkt zwischen Bass- und Mittenbereich. Der Highcut-Regler gestattet Einstellungen zwischen 1,4 und 14 Kilohertz und bestimmt die Grenze zwischen Mitten- und Höhenband. Beide Filter arbeiten mit einer Flankensteilheit von lediglich sechs Dezibel pro Oktave. Phasendrehungen, wie sie steilflankigere Filter aufweisen sind damit ausgeschlossen.
Die Dynamiksektionen der drei Bänder sind, wie erwähnt, mit identischen Bedienelementen versehen: Sie verfügen über je einen Threshold-Regler, zwei Drehschalter für Attack und Release sowie einen Make up Gain-Regler. Die Drehschalter bieten jeweils sechs Schaltpositionen. Das Attack ist einstellbar in den Werten 0,2 sowie zwei, fünf, zehn, 20 und 50 Millisekunden. Der Releaseschalter bietet außer den festen Zeiten von 0,08 und 0,3 sowie einer Sekunde drei programmabhängige Stellungen, in denen sich die Releasezeit automatisch zum eingespeisten Signal dynamisch ändert. Die Stellung Fast deckt einen Bereich zwischen 100 bis 500 Millisekunden ab, in Stellung Middle arbeitet das Release zwischen 300 Millisekunden bis zwei Sekunden. Die Slow-Stellung offeriert schließlich Zeiten zwischen 500 Millisekunden bis fünf Sekunden. Im Test lassen sich mit diesen Einstellmöglichkeiten alle denkbaren Signale sehr gut bearbeiten. Zusätzlicher Vorteil: Die Einstellungen sind bei Bedarf dank der Drehschalter problemlos reproduzierbar. Der Gain-Regler zum Einstellen der Aufholverstärkung besitzt einen Regelbereich von -5 bis +20 Dezibel, was etwas eingeschränkter ist als noch im S3. Seinerzeit im Test gab der höhere Verstärkungsbereich des S3 Anlass zur Kritik, da präzises Einstellen von Werten sehr fummelig geriet, nicht zuletzt aufgrund der linear arbeitenden Potis. Im 1973 lässt sich die Verstärkung um +6 Dezibel deutlich gefühlvoller in einem Bereich zwischen der zwölf- und drei-Uhr-Position einstellen.
Zwei klangliche Geheimwaffen: Air und Big
Eine Besonderheit findet sich mit den Air und Big bezeichneten Kippschaltern im Höhen- und Tiefenband, die auch im S3 zu finden sind: Diese Schalter funktionieren wie Shelvingfilter und heben die Pegel an den jeweiligen Bereichsenden an. Das Handbuch vermerkt jedoch, dass die Big-Funktion ähnlich einem Sidechain-Filter die Bass-Frequenzen aus der Kompression nimmt, so dass diese unprozessiert durchgelassen werden. Zur Air-Funktion schweigt sich der Hersteller jedoch aus. Im Test sorgen diese Features für einen Schuss Luftigkeit beziehungsweise Fundament im Klang. In der Praxis erweisen sich die Acht-Segment LED-Ketten in den Bändern als sehr nützlich. Geben sie doch hinreichend genau Auskunft über die jeweilige Pegelreduktion. Die Skala reicht von Null Dezibel bis -20 Dezibel. Einen Ratio-Regler sucht man indes vergebens. Der Grad der Kompression wird mit Einstellung des Threshold quasi in einem Aufwasch mit erledigt. Hierbei gilt einmal mehr: Je niedriger der Schwellenwert eingestellt ist, umso stärker setzt die Kompression ein und die Kennlinie knickt ab. Besonderheit: Obwohl die Dynamik-Reduktion mit Hilfe der FET-Technik erfolgt, die für eine Hard-Knee-Charakteristik bekannt ist – Stichwort: Urei 1176 – soll der 1973 dennoch mit einer weichen Kompressionskennlinie aufwarten und Dynamik-Eingriffe entsprechend weich und organisch, um nicht zu sagen unhörbar gestalten. Doch zurück zur Ausstattung: Ein Kippschalter erlaubt es schließlich, die Bänder wahlweise stumm oder auf Bypass zu schalten. Diese vielleicht wichtigsten Bedienelemente am 1973 erlauben es, die einzelnen Kompressionsbänder separat zu aktivieren und ermöglichen so das isolierte Abhören.
Die Ausgangssektion wird von den beiden großen und gut ablesbaren VU-Metern beherrscht. Zwei Kippschalter erlauben die Skalierung der Anzeige. In Stellung „VU“ zeigen die Instrumente den RMS-Pegel, in „Peak VU“ Stellung erwartungsgemäß die Peak-Werte ausschließlich des Ausgangs-Signals an. Der zweite Kippschalter realisiert eine Änderung der Skalierung. In Stellung „VU“ liegt, wie unser Messlabor bestätigt, bei einer Anzeige von 0 dB am Ausgang ein Pegel von genau +4 dBu an. In Stellung +10 db Pad wird die Anzeige um zehn Dezibel unempfindlicher, so dass sich Signale mit hohem Pegel oder starken Transienten-Anteilen besser ablesen lassen. Der dritte Kippschalter erlaubt das Aktivieren eines globalen Hard-Bypass. Wir hätten uns, ebenso wie im S3, noch eine Möglichkeit gewünscht, wahlweise die Ein- oder Ausgangspegel auf die VU-Meter zu legen, gehört dies bei vielen Hardware-Kompressoren doch zur Selbstverständlichkeit. Am Ende der Signalkette findet sich schließlich der Hauptlautstärkeregler, dem, ganz auf der Höhe der Zeit, ein Mix-Regler zum Realisieren einer Parallel-Kompression zur Seite steht. Das haben zumindest der S3 und 1968 nicht zu bieten.
In Sachen Anschlüsse auf der Rückseite gibt sich der 1973 spartanisch-professionell. Je zwei XLR-Buchsen für Ein- und Ausgang sind dort zu finden. Servo-symmetrische Klinkenbuchsen als zusätzliche Alternative wären ein Plus hinsichtlich Ausstattung und Einsatzmöglichkeiten. Doch Drawmer bleibt sich mit seinem eigenen Anspruch in dem Fall treu.
Soft-Knee trotz oder gerade wegen FET
Im Messlabor zeigt der 1973, dass er es locker mit seinem Highend-Bruder S3 aufnehmen kann. Fremd- und Geräuschspannungsabstände liegen auf exzellenten 81,6 und 83,3 Dezibel und weichen nur unwesentlich vom S3 ab. Das FFT-Spektrum zeigt einen Noisefloor bei -100 Dezibel. Ein leichter Hub bei 50 Hertz auf knapp -92 Dezibel gibt einen Hinweis auf Brummfrequenzen, die aber so weit unten liegen, dass sie nicht ins Gewicht fallen. Auffällig sind die harmonischen Oberwellen bei k2 und k3, die bis hinauf auf -56 und -80 Dezibel reichen. In Sachen Klirrfaktor ist der 1973 ebenfalls ohne Fehl und Tadel. Die Verlaufskurve beginnt im Bass bei etwa 0,02 Prozent um im weiteren Verlauf leicht diagonal auf etwa 0,002 Prozent zu sinken. Beim Ermitteln der Kompressionskennlinie zeigt sich, dass Drawmer Wort gehalten hat. Die Kurvenverlauf ist äußerst weich und knick in einem weiten, runden Bogen ab. Insgesamt schneidet der 1973 mit einem Spitzenklasse-Ergebnis ab.
Im Hör- und Praxistest sind erste Ergebnisse nicht zuletzt durch die übersichtliche Ausstattung sehr schnell erzielt. Wichtigste Instrumente sind in der Tat die Bypass-/Mute-Schalter sowie die Gain-Reduktions-Anzeige. So schalten wir nicht benötigte Bänder einfach ab – Stichwort Deesser – und können durch stumm schalten von jeweils zwei Bändern kontrollieren, ob der gewählte Frequenzbereich und die Kompressions-Einstellungen unserer Vorstellung entsprechen. Den Ratio-Parameter vermissen wir zu keinem Zeitpunkt während der Testphase. Würde er vorhanden sein, hätten wir in jedem Fall mehr einzustellen und mehr Entscheidungen zu treffen, die uns nicht so rasch ans Ziel führen würden. Insofern fällt die Lösung von Drawmer, dies via Threshold gleich mit zu erledigen, sehr praxisgerecht aus.
Gleiches gilt auch für die Zeitparameter mit ihren sechs vorgegebenen Festwerten/-bereichen. Die Zeitwerte sowohl für das Attack, als auch das Release sind klug gewählt und einmal mehr bewahrheitet sich das Postulat vom weniger, das mehr ist. Sicherlich ist der 1973 keine Allzweck-Waffe, die auf sämtliche tontechnischen Herausforderungen die passende Antwort parat hält. Doch ausgehend von unserer Testpraxis kommt man schon sehr weit, wenn es darum geht, Ungleichgewichte im Frequenzspektrum lebendig auszugleichen.
Klanglich topp in Mix und Mastering
So zügeln wir ein allzu lautes Zischeln eines nur punktuell auftretenden Crash-Beckens in einer Drum-Subgruppe ohne klangliche Einbußen beim Ride und den Hihats in Kauf nehmen zu müssen. Überlaute Fingergeräusche auf einer Akustik-Gitarrenspur mildern wir frequenzselektiv im oberen Mittenbereich und auch als klassischer Deesser auf Gesangsspuren fungiert der 1973 hervorragend. Eine E-Bass-Spur, die deutlich zu mittig klingt und im Bassbereich etwas unterbelichtet ist, korrigieren wir, indem wir den 1973 ähnlich einem dynamischen Equalizer einsetzen und das Gain im Bass-Band so weit aufdrehen, bis der gewünschte vollmundige Klang ertönt, wobei wir im Gegenzug die Mitten etwas herausnehmen. Dabei klingt das Ergebnis nicht statisch, sondern wirkt sehr lebendig, nicht zuletzt dank klug gewählter Threshold-Einstellungen, die lediglich die Signalanteile zurückfahren, die herausstechen und den Rest unberücksichtigt lassen. Auffällig: Je nachdem wie stark der Threshold abgesenkt ist und wie transientenreich das Programmmaterial ist, reagieren die Teil-Kompressoren mal sehr weich und unauffällig. Das andere Mal packen sie aber auch kraftvoll zu. In Extremstellungen – hier: die kleinsten Attack- und Release-Zeiten – kann der 1973 auf Schlagzeugspuren auch als Klangfärber fungieren, indem er die typischen verzerrten Kompressions-Artefakte aus dem Hut zaubert. Je nach Einstellung und Repertoire stellt sich mitunter auch ein rhythmisches Pumpen ein. Wir erhalten den Eindruck, dass sich der 1973 auf intelligente Art und Weise den eingespeisten Signalen mal mit einer weichen, mal mit einer harten Kennlinie widmet, obwohl nachweislich unseres Tests tatsächlich nur ein Soft-Knee am Werk ist. Doch zumeist besticht der 1973 durch ein sanftmütiges, unauffälliges Regelverhalten, bei dem die Signalanteile subtil, aber dennoch merkbar verdichtet werden, nicht zuletzt auch bei Einsatz des Mix-Reglers, um parallele Kompressionen zu realisieren.
Mit der Air- und Big-Funktion bieten sich schließlich noch zwei Optionen zur Klangformung an, die ebenso wie im Test des S3 nur allzu verführerisch sind und aufgrund ihrer Wirkmächtigkeit dem Signal nochmals schmeichelt, aber oftmals zu viel des Guten sein kann. In Sachen Grundsound besticht der 1973 ohne Wenn und Aber durch Transparenz. Wie erwähnt, erfolgen Eingriffe ins Signal auf fast schon unhörbare Weise. Die im Messtest ermittelten harmonischen Oberwellen wirken in dem Fall eher in homöopathischen Dosen. Das Ganze wirkt schließlich noch feiner und unauffälliger, wenn schließlich per Mix-Regler Anteile des Originalsignals hinzugemischt werden. Klanglich ist der 1973 daher ein nüchtern arbeitender, unauffälliger Dynamik-Knecht, der, abgesehen von der Big- und Air-Funktion, nichts hinzufügt, aber auch nichts wegnimmt und eher wie ein präzise arbeitender Micro-Chirurg ans Werk geht. Der seidig schmeichelnde Highend-Sound ist nicht zuletzt aufgrund der Bauweise, dem Vorgänger S3 vorbehalten.
Fazit
Drawmer präsentiert mit dem 1973 einen Multiband-Kompressor zum Vorzugspreis, der sowohl im Mix, als auch im Mastering sehr gute Dienste leistet, wenn es darum geht, kritisches Programmmaterial auf lebendige, unhörbare Weise aufzuräumen und zu veredeln. Dank einfacher Bedienung lassen sich bereits nach kurzer Zeit wohlklingende Ergebnisse erzielen, wobei wie bei seinem Highend-Vorgänger S3 gilt, dass auch der 1973 quasi mit den Ohren eingestellt werden will. Aufgrund seines präzisen, transparenten Klangs und seines weichen, unauffälligen Regelverhaltens empfiehlt sich der 1973 mehr als subtil im Hintergrund agierendes Korrektur-Werkzeug, denn als oberflächlich-schmeichelnder Klangveredler oder gar als brachialer Sound-Verbieger.
Erschienen in Ausgabe 04/2015
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1585 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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