Wahrheitsliebender Nahfeldzwerg

Die Monitore der sächsischen Manufaktur Musikelectronic Geithain (MEG) stehen bei Profis wegen ihrer präzisen Wiedergabe ganz oben in der Beliebtheitsskala. Der kleinwüchsige RL 906 soll das echte Nahfeld in Geithain-Qualität erobern.   

Von Harald Wittig

Die RL-Reihe von MEG richtet sich an den Profi und anspruchsvollen Amateur, die nach einem verlässlichen Abhörpartner für die Produktion verlangen; denn das Kürzel RL steht für „Regielautsprecher“. Das Angebot umfasst inzwischen zwölf
Modelle unterschiedlicher Leistungsstärke; es reicht von den sogenannten Hauptregielautsprechern – wie den gewaltigen RL 900A und RL 901K, letzterer mit nierenförmiger Bassrichtcharakteristik –, bis hin zu unserem Testkandidaten RL 906, dem kleinsten Lautsprecher der Serie. Dabei soll er klanglich höchste Ansprüche befriedigen, wie die Geithainer um Chefdenker Joachim Kiesler versichern. Denn die Entwickler hätten ganz besonderen Wert auf ein einheitliches Klangbild aller RL-Lautsprecher gelegt. Diese selbstsichere Aussage macht den Kenner hellhörig. Immerhin stehen die Hauptregie- lautsprecher aus Sachsen in fast allen Rundfunkanstalten und gelten bei erfahrenen Praktikern als Referenz in Sachen Abhörmonitor.

Von der Qualität der Geithain-Monitore konnten wir uns beim Test des Nahfeldmonitors MO-2 in Ausgabe 10/2006 selbst überzeugen. Der kompakte Lautsprecher gefiel der Redaktion durch seine absolut ehrliche, neutrale Wiedergabe und verdiente sich im entscheidenden Klang-Urteil ein „sehr gut bis überragend“. Entsprechend hoch sind – zugegeben – unsere Erwartungen an den RL 906, der noch auf andere Weise auf sich aufmerksam macht: Mit rund 1.250 Euro ist er etwa 200 Euro günstiger als der größere MO-2.

Der RL 906 ist ein aktiver Zweiwege-Bassreflex-Lautsprecher, konzipiert für Nahfeldanwendungen. Letzteres sollte ernst genommen werden, denn bei MEG gilt: Es gibt nicht den Universal-Lautsprecher, der sich in jede Abhörumgebung einpasst, stattdessen ist jeder Geithain-Monitor für einen bestimmte Raumgröße und Hörentfernung optimiert. Deswegen wäre es kompletter Unfug, einen der Großmonitore wie den RL 900A in einem kleinen Raum zu betreiben. Dementsprechend sollte der RL 906 genau dort eingesetzt werden, wofür er konzipiert wurde: Im echten Nahfeld bei einer maximalen Entfernung von etwa 1,5 Metern. Insoweit unterscheidet er sich auch vom MO-2, der durchaus weiter vom Abhörplatz entfernt sein darf.

Die Abstimmung auf die unterschiedlichen Hörentfernungen geschieht bei MEG unter anderem über das Richtungs- und Bündelungsmaß. Beim RL 906 sei es so gestaltet worden, dass der Lautsprecher auch bei einer kleinen Basisbreite um die 80 Zentimeter nicht angewinkelt betrieben werden müsse.Er könne auch ohne dass es zu Nachteilen bei der Ortung und Klangverfärbungen kommt, beispielsweise parallel zum LCD-Monitor der DAW aufgestellt werden. Das klingt natürlich für den Homerecordler mit chronischer Platznot besonders verheißungsvoll, zumal der RL 906 weniger Raum einnimmt als zwei Bände der Grove-Musik-Enzyklopädie.

Typisch für Geithain-Lautsprecher, so auch beim RL 906, ist die koaxiale Positionierung von Hoch- und Tiefmitteltöner, wobei die auffällige asymmetrische Anordnung den Kammfilter-Effekt minimieren soll. Dabei geht laut Hersteller der Vorteil eines Koaxialsystems, dem theoretischen Ideal einer Punktschallquelle sehr nahe zu kommen, nicht verloren: Grundsätzlich ermöglicht diese Konstruktion eine hochpräzise Raumdarstellung mit exakter Ortung der Einzelstimmen bei Ausschluss interner Phasenverschiebungen.

MEG ist eine echte Manufaktur: Die Chassis werden im eigenen Hause gefertigt, das gilt selbst für die Massivholzgehäuse und für die Elektronik der beiden getrennten MOSFET-Endstufen mit aktiver Frequenzweiche und elektronischem Überlastungsschutz. Die Endstufe für den 130 mm Konus-Tiefmitteltöner hat eine Leistung von 80, die des 25 mm Kalotten-Hochtöners eine von 40 Watt, die Aufteilung der Frequenzbereiche erfolgt bei drei Kilohertz. Ergänzt wird die Elektronik-Abteilung um drei Potentiometer, die zur Anpassung an den Abhörraum ein Feintuning des RL 906 für den Hoch- und Tiefton-, sowie den Bereich um 300 Hertz ermöglichen. Von diesen Filtern sollte niemand Wunderdinge erwarten; den Eindruck einer akustisch optimierten Abhörumgebung können solche Regler nicht herbeizaubern. Andererseits sind gerade Nahfeldzwerge wie der RL 906 hier gegenüber Groß- und Midfield-Monitoren im Vorteil, da der Einfluss des Diffusschalls wegen der geringen Abhörentfernung weniger stark in Erscheinung tritt.

Auffällig sind die beiden Bassreflex-Öffnungen auf der Oberseite des im Übrigen sehr sauber verarbeiteten Gehäuses. Diese sollen das Strömungsgeräusch des doppelten Bassreflex-Rohrs, das nach oben abstrahlt, unhörbar machen. Aber
eigentlich handelt es sich laut Kiesler um „Aschenbecher, wobei ein Kosinus-Impuls für die gleichmäßige Streuung der Asche sorgt“. Bevor der geneigte Leser jetzt in dumpfes Brüten verfällt: Kiesler war in seinem bewegten Leben unter anderem langjähriges Mitglied einer Kabaretttruppe und das hat Spuren hinterlassen. Da kann es schon vorkommen – häufiger als es ein argloser Zeitgenosse erwartet –, dass eine ganz normale Frage in angemessen ernsthaftem Tonfall mit komplettem Unsinn beantwortet wird.

Dass Kiesler seine Arbeit und die Früchte derselben bei allem Schalk sehr ernst nimmt, wissen wir seit dem Test des MO-2. Auch der RL 906 ist ein Geithain-Monitor – und damit wäre für manchen schon alles gesagt. Aber ganz so einfach machen wir es uns dann doch nicht. Daher liefern wir Ihnen jetzt die gewohnt detaillierte Klangbeschreibung des kleinwüchsigen Sachsen.

Bei der ersten Abhörsitzung im Testlabor von Professional audio Magazin gefällt der RL 906 zunächst mit einer präzisen Raumdarstellung: Neben der äußerst genauen, aber keineswegs vordergründigen Phantommitte beeindruckt der Monitor mit einer ungewöhnlich exakten Breiten- und Tiefenstaffelung. Hier erweist er sich dem MO-2 – wohlgemerkt immer bezogen aufs echte Nahfeld – als absolut ebenbürtig. Zumindest ein Teil des Redaktionsteams ist spontan bereit, dem RL 906 wie schon dem MO-2 in dieser Hinsicht vorbildliche Leistungen zu bescheinigen, an denen sich auch teurere Mitbewerber zu messen haben. Das zugrunde liegende Hör-Material, ein für den Gitarren-Workshop in Ausgabe 8/2006 eingespielter Bossa nova, erklingt bekannt, denn dieses Stück erhielt seinen klanglichen Feinschliff seinerzeit mit Hilfe des MO-2. Rein spaßeshalber tauschen wir jetzt aber das durchaus gute XLR-Anschlusskabel mit Neutrik-Steckern gegen ein deutlich teureres Mikrofonkabel aus. (Ein ausführlicher Kabeltest ist für eine der nächsten Ausgaben geplant.) Und höre da: Es gibt einen klanglichen Unterschied, denn gerade der Bereich oberhalb zwei Kilohertz klingt nun eine Spur weicher und
runder, ohne dass hier Detailinformationen wegfielen. Außerdem kann der RL 906 bei der Raumdarstellung jetzt nochmals auftrumpfen, denn bei dem von uns jüngst live eingespielten Gitarren-Duo („Tears“ von Django Rheinhardt) können wir auch die unvermeidlichen Bewegungen der Instrumentalisten, die einen unterschiedlichen Winkel zum Mikrofon bedingen, hören – ohne dass dafür besondere Konzentration erforderlich wäre. Die für uns lehrreiche Erkenntnis des Kabeltauschs: Der Draht scheint weit mehr am klanglichen Geschehen beteiligt zu sein, als viele annehmen. Daher sind wir selbst auf den kommenden Kabeltest gespannt, wo wir uns seriös und jenseits esoterischen Blablas mit dem Thema Kabel in der Studio-Technik befassen werden.

Unter den nun noch weiter verbesserten Abhörbedingungen tauchen wir tiefer in den Klang des Lautsprechers ein: Bei den Bässen ist der Kleine sicher und präzise. Echte Tiefbässe wird niemand ernsthaft erwarten, im Rahmen des Möglichen ist der RL 906 aber souverän bei der Basswiedergabe – vor allem bleibt das auf elektronischem Wege erzeugte Bass-Pfund, mit dem meist günstigere Lautsprecher zu protzen versuchen, gänzlich außen vor. Das Mittenband ist ausgeprägt und fein gezeichnet, desgleichen der Höhenbereich: So klingen unsere Gesangs- und Konzertgitarrenaufnahmen mit der Traumkombination Lake People Mic-Amp F355 und Brauner VMX-Röhrenmikrofon einfach nur Klasse, denn der RL 906 bringt vor allem die außergewöhnlich seidigen Höhen des Referenzmikrofons dem Hörer näher.

Glücklicherweise kam der RL 906 gerade rechtzeitig, denn für den Workshop-Teil im Rahmen des Altiverb 6-Tests (ab Seite 40), wo es um die Realisierung eines konzertanten Klangbildes geht, bedarf es eines Monitors, der punktgenau präzise abbildet und jede noch so feine Veränderung des Standorts im virtuellen Raum nachhörbar macht. Genau das leistet der RL 906. Es macht einfach Spaß mit einem solchen Lautsprecher zu arbeiten, stundenlang im Abstand von einem Meter vor dem Pärchen zu sitzen und zu hören. Hier zeigt sich, dass auch bei paralleler Aufstellung der Lautsprecher mit gleichem Enderfolg gearbeitet werden kann. Wenn es überhaupt Unterschiede geben sollte, so sind diese so minimal, dass sie im Ergebnis nicht ins Gewicht fallen. Das Einzige, was den Spaßfaktor etwas mindert, ist die schonungslose Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe des RL 906: Die gesampelten Instrumente des Teststücks klingen einfach grauenhaft und sind jedem aufwändig aufgenommenen Naturinstrument weit unterlegen. Dagegen klingen gelungene Aufnahmen richtig gut – und das ist es doch, was ein Monitor respektive Regielautsprecher leisten soll.

Fazit

Der RL 906 behauptet sich als hochkompetenter Vertreter der Gattung Nahfeldmonitor. Bei geringen Abhörentfernungen eingesetzt, überzeugt er durch seine grundehrliche, wahrheitsliebende Wiedergabe, gepaart mit einer
exzellenten Raumdarstellung. Diese Qualität hat ihren Preis – und den ist der sächsische Nahfeldzwerg auf den Cent genau wert.

Erschienen in Ausgabe 05/2007

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 1251 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: überragend