Koaxial genial

Mit der Sceptre-Serie wagt sich Presonus erstmals an die komplizierte Entwicklung von koaxialen Studiolautsprechern. Wir haben für sie herausgefunden, ob sich die Anstrengungen klanglich ausgezahlt haben.

Von Sylvie Frei 

Eigentlich ist der Hard- und Software-Hersteller Presonus in der Professional audio Redaktion alles andere als ein Unbekannter. Schließlich hatten wir schon einige Produkte des kalifornischen Unternehmens in unserem Studio zu Gast – zuletzt den Spitzenklasse-Channelstrip ADL 700 (Test in Ausgabe 8/2013), der mit guten Test-Ergebnissen punkten konnte. In dieser Ausgabe haben wir es erstmals mit einem Presonus-Lautsprecher zu tun und sind daher gespannt, wie sich der umtriebige Hersteller in der Nahfeldmonitor-Kategorie schlägt.
Sceptre S6 und S8, die beiden Modelle der neuen Presonus Sceptre-Serie, sind aktive Zwei-Wege-Digital-Lautsprecher in Bassreflexbauweise für den Nahfeldeinsatz, die mit einem vergleichsweise seltenen Koaxial-Chassis ausgestattet sind. Für diese technisch aufwändige Entwicklung hat sich Presonus Hilfe beim US-amerikanischen PA-Lautsprecherhersteller Fulcum Acoustic und dessen Chef-Produktentwickler David Gunness geholt, seines Zeichens Experte für koaxiale Lautsprecher, die mit DSP-Filtern arbeiten. Ziel der gemeinsamen Entwicklung war es, studiotaugliche, digital optimierte Koaxial-Lautsprecher zu kreieren. Beide Lautsprecher sollen laut Hersteller über einen „erschreckend neutralen und nüchternen“ sowie „grundehrlichen“ Klang verfügen und – bauartbedingt – eine hervorragende Raumdarstellung besitzen. 
Mit einem Stückpreis von rund 750 Euro für den Sceptre S6 und rund 850 Euro für den Sceptre S8 sind die beiden vergleichsweise kompakten Modelle dennoch alles andere als Sonderangebotsartikel. Jedoch schlagen auch andere koaxiale Monitore, wie etwa der Emes Black tv HR active (Test in Ausgabe 6/2008) mit vergleichbaren Stückpreisen zu Buche.

Stellvertretend für die Sceptre-Serie ist bei uns der etwas kleinere Sceptre S6 zu Gast, der abgesehen von einem kompakteren Gehäuse und einer kleineren Tiefmitteltöner-Membran, genau wie das Brudermodell Sceptre S8 ausgestattet ist. Das koaxiale Chassis des Sceptre S6 – vom Hersteller CoActual getauft – setzt sich aus einem Konus-Tiefmitteltöner und einem in dessen Mitte angebrachten Horn-Hochtöner zusammen. Die Membran des Tiefmitteltöners besteht aus einer glasfaserverstärkten Papiermembran und misst 159 Millimeter, während der Durchmesser der Titan-Hochtöner-Membran 25 Millimeter beträgt. Beide Chassis-Elemente werden mit Hilfe zweier Class D-Endstufen mit jeweils stolzen 90 Watt im Bi-Amping betrieben. Um die beiden Endstufen vor Überhitzung zu schützen verfügt der Sceptre S6 außerdem über im Gehäuse integrierte Kühlkörper. 
Zur komfortablen Anpassung des Sceptre S6 an beengte Abhörumgebungen, persönliche Hörgewohnheiten oder zur Simulation von bassärmeren Systemen stehen dem Nutzer darüber hinaus drei mehrstufige Filterschalter zur Verfügung. Desweiteren geizten die Entwickler auch nicht an umfangreichen Schutzfunktionen. So ist der Sceptre S6 gegen hochfrequente Einstreuungen magnetisch abgeschirmt, verfügt über eine Überhitzungs-, Transienten- und Subsonic-Schutzschaltung sowie einen Ausgangsstrombegrenzer. 
Als Eingänge stehen praktischerweise sowohl eine XLR- als auch eine symmetrische Klinken-Buchse bereit. Digitale Anschlüsse jeglicher Art suchen wir trotz des digitalen Innenlebens vergeblich – von außen unterscheidet sich der Sceptre S6 also nicht von einem analogen Lautsprecher. Das bedeutet, dass eingehende Analogsignale zunächst eine A/D-Wandlung erfahren, bevor sie im integrierten Dual-Core-Signalprozessor des Sceptre S6 bearbeitet werden. 
Dort werden sie anschließend mit Hilfe unterschiedlicher Filteralgorithmen klanglich beeinflusst. Auf diese Weise sollen typische Probleme, die bei Koaxial-Lautsprechern und Horn-Hochtönern auftreten können, wie etwa Reflexionen und Phasenunterschiede, schon vor der Signalausgabe über das Lautsprecherchassis digital korrigiert werden. Die Temporal EQ (kurz TQ) genannten Filteralgorithmen wurden – so betont der Hersteller – schon während der Entwicklung exakt auf die baulichen Eigenheiten des Sceptre S6 angepasst und nicht erst als nachträgliches Korrektiv dem System hinzugefügt. 
Der integrierte DSP arbeitet mit einer Fließkommaauflösung von 32 Bit bei 48 Kilohertz. Bedenken wir, dass aktuelle Wandler mit einer Maximalauflösung von mindestens 96 Kilohertz arbeiten und gute Gründe dafür sprechen, eine Produktion auch mit 96 Kilohertz-Auflösung zu fahren, erscheint diese Abtastratenbegrenzung etwas fragwürdig. Ob sich dies in der Praxis, konkret beim Mischen, wirklich negativ im Sinne von Mischfehlern auswirkt, ist indes keineswegs zwingend. Beim Mastering mag das anderes sein – aber dafür sind die Sceptres nicht konzipiert.

Das Lautsprecher-Gehäuse des Sceptre S6 besteht aus vinylbeschichtetem MDF und besitzt zur Vermeidung von Gehäusereflexionen verrundete Ecken. Mit Maßen von rund 20 mal 25 mal 35 cm ist die Box noch kompakt genug, um sie auf einem Desktoparbeitsplatz zu positionieren. Doch Achtung: Der Sceptre S6 wiegt pro Box stolze achteinhalb Kilogramm – Computerinnenleben, Kühlkörper und Verstärker bringen einiges an Gewicht mit. Für das Gesamtgewicht von 17 Kilogramm muss also der Arbeitstisch selbst unerschütterlich solide sein. Ist dies nicht gegeben, empfiehlt sich die Anschaffung von massiven Lautsprecherkonsolen.
Auf der Frontseite des Sceptre S6 findet sich außer dem ins Gehäuse eingebetteten  Koaxialchassis auch die verrundete, schlitzförmige Bassreflexöffnung. Eine frontseitige Öffnung bei einem Zwei-Wege-System, bei dem der Tieftöner auch den Mitteltonbereich abdeckt, ist mitunter problematisch. Die Konstruktion kann durch Rohrreflexionen eventuell den Mittenbereich zusätzlich anregen, sodass es zu einer Überbetonung kommen kann. Dies ist allerdings nicht zwingend der Fall – wir werden beim Hörtest darauf achten.
Zu den rückseitig verorteten Bedienelementen zählt außer dem Netzschalter zunächst ein Drehregler, der nicht zur Lautstärkeeinstellung, sondern zur Anpassung der Eingangsempfindlichkeit dient. Im Idealfall sollte er laut Handbuch in der Mittelstellung U (= Unity Gain) stehen. So findet keine Verstärkung statt, der Eingangspegel des Signals entspricht exakt dem Ausgangspegel der Signalquelle. Ist das Signal hingegen zu leise oder zu laut kann der Drehregler Abhilfe schaffen. Außerdem kann dieser auch Lautstärkeunterschiede zwischen linkem und rechtem Lautsprecher ausgleichen. Der Reglerknopf ist allerdings ausgesprochen klein und zudem ungerastet, sodass es etwas Fingerspitzengefühl erfordert, beide Lautsprecher auf die richtige Stellung zu bekommen. Außerdem verstellt sich der Regler leicht durch eine versehentliche Berührung. Hierfür hätten wir uns eine andere Lösung, wie beispielsweise einen Schalter oder gerasteten Regler gewünscht.
Sehr viel leichter gelingt das Schalten der drei Filter, die jeweils über eine kleine Taste verfügen, die das Filter entweder auf linear oder auf einen von drei Stufen einstellen lässt. Jede Filterstufe wird durch eine LED-repräsentiert, sodass auch in schlecht beleuchteten Räumlichkeiten stets klar ist, welche derzeit aktiv ist. Das „Acoustic Space“ genannte Raum-Anpassungsfilter dient zur Bassabmilderung und senkt den Frequenzbereich unterhalb von 250 Hertz um wahlweise eineinhalb, drei oder sechs Dezibel ab. Auf diese Weise sollen sich Bassüberbetonungen, die durch wand- oder zimmereckennahe Aufstellung auftreten können, abmildern lassen. Das Anpassungsfilter für die hohen Frequenzen (HF Driver) dient hingegen zur Anpassung des Sceptre S6 an individuelle Hörgewohnheiten. Es lässt die Frequenzen oberhalb von zwei Kilohertz entweder um ein Dezibel anheben oder um eineinhalb oder vier Dezibel absenken. Das letzte Filter im Bunde, das Hochpassfilter (HP Filter), greift ab 60, 80 oder 100 Hertz mit einer Flankensteilheit von 24 Dezibel pro Oktave zu und blendet die darunterliegenden Frequenzen aus. Auf diese Weise lässt sich die untere Grenzfrequenz, die beim Sceptre S6 natürlicherweise bei 52 Hertz liegt, künstlich nach oben versetzen um beispielsweise Abhörsysteme zu simulieren, die weniger weit in die Tiefe reichen.
Befassen wir uns nun mal eingehend mit den Besonderheiten Sceptre S6. Zunächst steht die Frage im Raum, warum sich die Entwickler für eine koaxiale Bauweise entschieden haben. Das hat mehrere Gründe. Beim Koaxialchassis des Sceptre S6 sitzt der Hochtöner dort, wo in einem Konus-Tieftöner gewöhnliche die Staubschutzkalotte verortet ist. So entsteht eine einzelne, nahezu punktförmige Schallquelle, die sich ideal zur Stereoabbildung und Raumdarstellung eignet. Darin sind Koaxiallautsprechern denen in konventioneller Chassis-Anordnung überlegen. Die Raumdarstellung bleibt darüber hinaus auch dann stabil, wenn der Hörer den Sweet Spot verlässt. Außerdem fallen durch die koaxiale Bauweise störende Klangverfärbungen weniger ins Gewicht, da sich bei der Vertikalabstrahlung des Chassis ein gleichmäßigeres Reflexionsmuster des Raumschalls einstellt. Technisch betrachtet bleiben beide Elemente zwei einzelne Chassis mit getrennten Antrieben und benötigen eine Frequenzweiche. Die Übernahmefrequenz beim Sceptre S6 beträgt 2,2 Kilohertz.

Dass Presonus auf einen Horn-Hochtöner setzt, kommt nicht von ungefähr: Diese werden im Studiobereich gerne eingesetzt, da sie auch höchsten Schalldruck noch dynamisch und verzerrungsfrei übertragen können. Außerdem benötigen sie weniger elektrische Leistung und versprechen ein überdurchschnittlich dynamisches Klangbild. So verhindert der Horntrichter, dass Luftmoleküle zur Seite hin ausweichen und zwingt sie, der Membranschwingung zu folgen. Das Horn kann den Wirkungsgrad des Lautsprechers so bis um das zehnfache vergrößern. Allerdings besitzen Hörner einen mitunter recht welligen, resonanzartigen Frequenzgang, den es durch mitunter komplizierte Filterschaltungen auszugleichen gilt.
An dieser Stelle kommt im Sceptre S6 der DSP mit dem Temporal EQ zum Einsatz. Der TQ setzt sich aus unterschiedlichen Filteralgorithmen zusammen. Dazu zählen zunächst eine Reihe von IIR-Filtern (= Infinite Impulse Response) wie Hochpass, Tiefpass und Delay sowie parametrische Filteralgorithmen. Hinzu kommen FIR-Filter (= Finite Impulse Response), die detaillierter auf den Frequenzgang einwirken sowie präzise Zeitfilter, die Phasen- und Amplitudenunterschiede korrigieren. Dank der Filteralgorithmen gelinge es dem TQ außerdem, Hornreflexionen zu eliminieren noch bevor diese hörbar in Erscheinung treten. Insgesamt sorge der TQ für ein präziseres Stereobild, eine deutlichere Tiefenstaffelung und für mehr Trennung zwischen den Komponenten einer komplexen Mischung. Außerdem mache er das System resistenter gegen Rückkopplungen, kümmere sich um eine nahtlose Überblendung beider Chassis-Elemente und sorge trotz eines hohen Schalldrucks für weniger Ermüdungserscheinungen beim Hören. Ob das alles gelingt, lässt sich im Hörtest klären.
Wie im Handbuch beschrieben positionieren wir das Sceptre S6-Paar in einem gleichseitigen Dreieck, sodass die Horn-Hochtöner sich exakt auf Ohrenhöhe befinden. Als Material für den Hörtest dienen unterschiedliche CD-Produktionen aus dem Klassik-, Rock-, Folk- und Metal-Genre. Die Filter der Sceptres belassen wir beim Hören in Linearstellung. Aber Achtung: Die Sceptres haben eine sehr hohe Eingangsempfindlichkeit – daher ist etwas Vorsicht bei der Aussteuerung geboten.
Doch schon von den ersten Hörminuten an machen die Monitore klanglich einen sehr guten und sauberen Eindruck. Sie verfügen über eine starke Phantommitte und bilden Stereopanorama und Raumtiefe sehr gut ab. Beim Hören stellt sich sogleich ein dreidimensionaler Raumeindruck ein, der sich über den gesamten Hörraum erstreckt. Einzelne Klangkomponenten lassen sich außerdem sehr fein und differenziert orten. Die differenzierten Panning-Kunststücke des „Wish you where here“-Album von Pink Floyd lassen sich bis ins Detail nachvollziehen. Darüber hinaus besitzen die Sceptres bauartbedingt einen recht breiten Sweetspot, sodass der Hörer nicht wie angewurzelt auf einem Fleck verharren muss. Auch das Impulsverhalten der Sceptres ist über den ganzen Frequenzgang sehr gut. Selbst schwierige Signale wie Paukenschläge oder Trompeten klingen sehr sauber, präzise und konturiert. 
Der Frequenzgang der Sceptres wirkt insgesamt durchaus stimmig. Auch mögliche, durch die Bauart hervorgerufene Reflexionen machen sich zu keiner Zeit akustisch bemerkbar – die DSP-Filter leisten tadellose Arbeit. Besonders die Horn-Hochtöner können Eindruck schinden. Da sie jedes noch so leise Geräusch akribisch wiedergeben, lassen sich dank ihnen auch feinste hochfrequente Störelemente in einer Aufnahme enttarnen. Lediglich die Bässe der Sceptres sind vergleichsweise leise und reichen bauartbedingt nicht allzu weit in die Tiefe. Dafür klingen sie ausgesprochen sauber und präzise und ermöglichen trotz verhältnismäßig geringer Lautstärke eine differenzierte akustische Bewertung tieffrequenter Signale. Für die meisten Produktionen dürften die Sceptres daher gute Ergebnisse liefern. Wer jedoch viel mit starken und wuchtigen Bässen hantiert, mischt aufgrund der leisen Basswiedergabe womöglich zu viel des Guten hinzu – es ist also Vorsicht geboten. Es empfiehlt sich daher die Anschaffung eines Tieftonlautsprechers/Subwoofers. Vielleicht arbeitet Presonus bereits an einem solchen.

Fazit

Im Test zeigt sich der Sceptre S6 als präzises Klanganalyse-Werkzeug, das besonders mit seinem Raumdarstellungsvermögen, seinem präzisen Horn-Hochtöner und seiner Impulsfestigkeit glänzen kann. Kleinere Defizite, wie die geringe Basslautstärke und das etwas unpraktische Einstellen der Eingangsempfindlichkeit, werden von den klanglichen Vorzügen des Sceptre S6 überstrahlt. Die niedrige Abtastrate des integrierten DSPs bleibt hingegen fragwürdig.

Erschienen in Ausgabe 02/2014

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 749 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: gut