Alleskönner?
Mit der jungen französischen Firma Norand erstrahlt ein neuer Stern am Synthesizerhimmel. Bislang gibt es nur zwei Produkte: Der „Mono“ Synthesizer macht ordentlich Schlagzeilen, doch auf unserem Testtablett liegt nun erst mal eines von zwei ersten verfügbaren Exemplaren des neuen „Norand Morphos“ Eurorack-Oszillatormoduls. „Complex VCO with 3D Morphing“ verspricht die Werbung, „Mighty Morphin Norand Morphos“ titelt ein beliebtes erstes Testvideo hierzu im Netz. Wer mit Synths spielt, kann sich unter „Morphing“ vage etwas vorstellen, doch es lohnt sich, einen genaueren Blick darauf zu werfen, denn in dieser Form gibt es so etwas bislang noch nicht.
Von Heiner Kruse

Mit zwei analogen Oszillatoren, die sich via „Thru Zero“ FM gegenseitig modulieren können, großen Frequency-Drehreglern neben kleineren Detuning-Rädchen und einer Breite von 28 TE, erinnert mich Norand Morphos spontan an einen bekannten Oszillator-Klassiker, nämlich Make Noise’s analoges Flaggschiff „DPO“. Mit diesem kann der Morphos durchaus um den Platz im Rack kämpfen, lässt er sich von der Größe her doch 1:1 austauschen. Preislich ist Morphos allerdings deutlich günstiger, mit internen Modulatoren bzw. einer Kombination aus Preset-Speicherung, Modulationsprogrammierung und Morphing-Optionen vielleicht auch etwas moderner ausgestattet. Es gibt ganze acht interne LFO’s oder acht interne Hüllkurven. Morphos ist also durchaus ein kleiner Alleskönner – so etwas ist beliebt, spart Geld und Platz.
Presets und Preset Strips
Norand Morphos ist mit zwei Preset Strips ausgestattet. Diese haben jeweils vier achteckige Buttons/Slots, die das Speichern von Presets und somit auch das „Morphen“ zwischen Sounds beim Live Jamming ermöglichen. Presets können durch einfaches Drücken erreicht werden und man kann auf einfache und alternativ auf dreidimensionale Weise stufenlos zwischen ihnen „morphen“. Das funktioniert, indem man CV-Eingänge moduliert oder mit dem Finger und leichtem Druck auf die Preset Strips diese berührend „entlangfährt“. Die Preset Strips sind laut Manual „Gruppen aus vier speziell entwickelten FSR Sensoren“, die dreierlei Informationen erkennen und verarbeiten können: vertikale und horizontale Bewegungen sowie Druck.
Das ganze Konzept des Norand Morphos will durchaus erst einmal verstanden werden. Zunächst ist wichtig, dass man sich bewusst ist, dass aufgerufene Presets nicht immer gleich klingen, weil sie nur für jeweils einen der beiden Oszillatoren gelten. Es können sich aber beide Oszillatoren gegenseitig beeinflussen (vor allem via FM). Verändert man also den anderen Oszillator, der nicht von der Preset-Speicherung betroffen ist, ändert sich möglicherweise der Sound unabhängig von einer Preset-Speicherung. Es geht in Morphos nicht primär um „Total Recall“, sondern darum, Soundveränderungen leicht „performen“ zu können, zum Beispiel in einer Livesituation. Freilich kann man auch Presets beider Oszillatoren aufeinander abstimmen und gemeinsam speichern.
Es gibt nicht nur Presets, sondern auch Preset-Bänke und Preset Layer, so dass man mit Hilfe der Preset Strips in vier Bänken und je drei Layern jeweils vier Presets pro Oszillator abspeichern kann. Fangen wir mit den Basics an: Mit dem Layer Button schaltet man zwischen den Layern/Farben um und kann in drei farbigen Layern (außer dem weißen) je vier Presets laden oder abspeichern. Rot-Orange Beleuchtung kennzeichnet Layer X, grün Layer Y und blau Layer Z. Weiß ist ein multidimensionales Morph Layer.
Das Aufrufen eines Presets bzw. Zustands bewirkt freilich oft, dass die Reglerstellungen dann meist nicht mehr exakt zeigen, was im Sound eingestellt ist, so dass Reglerbewegungen zu Wertesprüngen führen können. Manche Programmierungen von Modulationen, die ebenfalls in Presets gespeichert sind, sind allerdings farblich gut erkennbar, hierzu später mehr.
Jede Bank hat vier eigene Layer. Will man Bänke umschalten, drückt man den Bank-Button und einen der vier Slots pro Oscillator. Macht 3 Layer x 4 Bänke x 4 Presets = 48 optionale Presets pro Oszillator. Man hält „Delete“ bzw. „Save“ und drückt auf einen Slot, um ein Preset zu löschen oder zu speichern.
Eine Anekdote aus dem Praxistest: Nach dem ersten Einschalten im Test waren Morphos‘ Preset Strips nicht wie in Demo-Videos beleuchtet, denn es waren noch keine Presets gespeichert. Irgendwas in mir wählte zunächst die weiße Layer-Taste an, das war unglücklich, weil man im weißen Layer Mode eben keine Presets speichern kann, in den anderen Modi aber schon. Das konnte ich dann mit Hilfe des guten Online-Manuals herausfinden.

Ist Modulation via CV Eingang vorgesehen, sind die Modulationsbuttons weiß – und auch die Parameter haben die zugehörige Beleuchtung
Klangerzeugung, TZFM, Theorie und Praxis
Jeder Oszillator hat vier Parameter: Wave, Frequency, TZFM (Through Zero Frequency Modulation) und Detune. Norand Morphos hat also eine einfach zu erstehende Struktur, die vor allem dank FM ein breites Spektrum an Klängen beherrscht.
Die analogen Oszillatoren sind digital kontrolliert und beherrschen laut Norand besonders „reine Obertöne“. Dabei wurde das Oszillatordesign vom bereits ziemlich erfolgreichen Norand Mono Hardarwa-Standalone-Synth übernommen (ca. 829 Euro Street Price) und für Morphos feinjustiert. Ein aktives Kalibrierungssystem hilft laut Hersteller auch bei hohen „Ratios“, Stimmungen über zehn Oktaven stabil zu halten. Der Wave-Regler bietet die vier Grundwellenformen in stufenlos veränderbarer Form. Ergänzend gibt es die „Hard Sync“-Option, wobei ein Oszillator den „Cycle“ des anderen „resettet“, wenn sein eigener durchlaufen ist. Hierdurch ergeben sich neue Wellenformen. Auf weitere Extras in der Klangerzeugung, die es anderswo mitunter gibt, wie etwa Wavefolding oder Pulsweitenmodulation, wurde allerdings verzichtet.

Mit Bank und Layer Buttons schaltet man zwischen Bänken und Layern um, um die 48 Oscillatorpresets zu erreichen
Thru Zero FM Modulation?
„Thru Zero“ kenne ich als Feature für Oszillatoren, z.B. von Doepfer. Hierbei kann man die Schwingung auf sehr tiefe Frequenzen herunterdrehen, bis sie bei 0 angelangt ist, was für Oszillatoren ungewöhnlich ist, dann weiterdrehen, die „Nullstellung“ durchlaufen (daher: „Thru Zero“) und man erhält eine „gespiegelte“ bzw. phasengedrehte Schwingung.
Das ist in Morphos ähnlich bezüglich der FM-Modulation: Ein Regler kann die Intensität der Modulation einstellen, mit der ein Oszillator die Frequenz des anderen moduliert. Bei „12“ Uhr gibt es eine „Nullstellung“, also keine Modulation, rechts davon gibt es eine mit zunehmender Intensität, je weiter man aufdreht, links davon ist diese „reversed“. Das wirkt auf mich allerdings nur wenig anders als bei Modulationsintensitätsreglern anderer Geräte oder bei FM-Modulation in DPO, wo man ebenfalls für Modulation positive und negative Werte einstellen kann. In einem Fachartikel wird auch insofern zwischen exponentialer, linearer und für gerade Stimmungen leichter handhabbarer Thru Zero FM-Modulation unterschieden, als der Zieloszillator dabei in der Lage sein sollte, durch eine Nullstellung zu gehen. Ähnlich lesen sich die etwas vagen Ausführungen im Manual von Morphos. Dies ist bei analogen Oscillatoren wohl seltener als Feature integriert, auch wenn verbreitete Clones des 3340 Chips dies erlauben. In der Sounddesign-Praxis fühlte sich die Nutzung des TZFM-Reglers in Morphos aber dennoch wie gesagt wie ein vertrauter Modulationsintensitätsregler an: Ist dieser in Mittelstellung, dann erklingt der betreffende Oszillator zunächst „unverfälscht“, d.h. ohne FM-Modulationseinfluss, in beide Richtungen gedreht erhöht sich dann die Modulationsintensität.
TZFM führt dann auf etwas andere Weise zu unharmonischeren Ergebnissen als z.B. in DPO, wo alternativ lineare und exponentiale Frequenzmodulation zu finden sind. Wobei FM in Morphos schnell krass genug klingen kann, nicht zuletzt, weil zusätzliche Modulationen möglich sind und der modulierende Oszillator in Morphos verschiedene Wellenformen annehmen kann, während ein modulierender Oszillator in DPO, wie auch in klassischen FM-Synths wie DX7, stets eine Sinuswellenform hat. Zudem ist Frequenzmodulation zusätzlich über Modulationsrouting möglich – und die Modulationssektion hat es wirklich in sich.
Modulation
In Norand Morphos hat jeder Parameter seine eigene, programmierbare Modulationszuweisung (optional mit eigener Hüllkurve oder eigenem LFO). Wer es einfach haben möchte und denkt“ bloß nicht schon wieder programmieren“, wird über ein clever gelöstes System erfreut sein. Man kann acht verschiedene LFO’s oder acht Hüllkurven nutzen.
Unter den Oszillator-Reglern finden sich vier Buttons für die vier Parameter Wave, Frequency, TZFM und Detune. Um die Modulation eines Parameters zu programmieren, drückt man auf dessen zugehörigen Button, der dann etwas heller leuchtet. Man kann dann mit dem Button zwischen verschiedenen Modi umschalten: Attenuverter (weiß), Modulation (orangerot) und Ping Envelope (blau). Welcher Modus aktiv ist, zeigen Farbe des Buttons und Hintergrundbeleuchtung am Parameterregler an. Intensität und Details der Modulation werden dann über die unten mittig angebrachte Mod-Sektion mit zwei Reglern (Rate, Amount) und zwei Buttons (Type, Wave) programmiert. Diese Einstellungen werden übrigens auch in den morphbaren Oszillatorpresets gespeichert. Nun versteht man den „Wert“ der Presets und ihrer „Morphbarkeit“ vielleicht besser. Dementsprechend gravierend kann sich der Sound beim Morphing verändern, weil plötzlich ganz andere Modulationen aktiv sein können.
Will man Morphos Klangpotenzial von Grund auf verstehen, probiert man nacheinander die Wirkung der Modulationen aus – insbesondere FM. Hierbei entfalten sich die Stärken des Moduls: Einerseits ein analoger Klang, andererseits eine sehr moderne und präzise Ansteuerung von Soundparametern.
Ein Preset-Strip erlaubt auch Morphing zwischen Presets und deren Parametern – auch auf mehreren Ebenen und Dimensionen und auch via X, Y und Z CV Ins
In Morphos „Attenuverter“ Mode (weiß) erfolgt die Modulation über die CV-Eingänge, die Intensität wird mit dem „Amount“ Regler justiert, der hier als „Attenuverter“ fungiert. „Attenuverter“ bedeutet eine Mischung aus „Attenuate“ (abschwächen) und „Invert“ (damit ist das Umdrehen der Polarität gemeint) – ähnlich, wie ich auch die Funktion des TZFM (Thru Zero Frequency Modulation)-Reglers verstehe. Die Wirkung der eingehenden CV-Spannung kann sich also in zwei Richtungen und verschiedenen Intensitäten auf den Parameter auswirken, je nach Stellung des Amount-Reglers.
Im „Modulation“-Modus (orangerot) stellt man mit Rate die Frequenz und mit Amount die Wirkung eines eigenen, internen Modulators nur für diesen Parameter ein. Ein solches Konzept ist natürlich beeindruckend und ein bisschen wie die Erfüllung kühnster Träume, man spart einiges an Modulen, die man sonst für eine sinnvolle Nutzung hinzukaufen und zusätzlich einbauen müsste. Als Modulator kann jeweils wahlweise ein LFO (0,1s-40s) oder VCO (8Hz – 8 kHz) Mode mit dem Type-Button gewählt werden, so dass theoretisch auch weitere Frequenzmodulation möglich ist. Im VCO-Mode folgt die Frequenz dem des Hauptoszillators.
Im Ping Envelope Mode kann eine Decay-Hüllkurve via CV In ausgelöst werden, deren Wirkungsintensität via Amount und Decay via Rate einzustellen ist.
Besonders interessant ist im Attenuverter Mode die Nutzung des dem Frequency-Regler zugeordneten V/Oct Eingangs. Die Stellung des Amount-Reglers erlaubt verschiedene Modi mit Quantisierungen/microtonalen Stimmungen. In Mittelstellung ergibt ein auf dem Keyboard höher gespielter Halbton auch eine Stimmung des Oszillators, die einen Halbton höher geht. Ist „Amount“ in anderen Stellungen (CCW = counterclockwise, CW = Clockwise), erfolgt die Stimmung des Oszillators in Achteltönen (4V/Oct, fully CCW), Vierteltönen (2V/Oct), Halbtönen (1V/Oct, in Mittelstellung), Ganztönen (0,5V/Oct) oder zwei Ganztönen (0,25V/Oct, fully CW) höher pro auf dem Keyboard höher gespieltem Halbton. Das ist möglich, weil der Norand Morphos so präzise gestimmt werden kann – hier werden die Vorteile der digitalen Steuerung konsequent für ein tolles Feature genutzt.
Morphing und Praxis
Man kann nun also via Morphing stufenlos zwischen Presets mit komplexen Settings überblenden. Diese beinhalten nicht nur die Einstellungen der vier Oszillatorparameter Frequency, Detune, Wave und TZFM (hierfür könnte man auch FM Amount sagen), sondern auch Modulationsprogrammierungen. Hierfür bräuchte man ohne die Morphing-Funktion mehr als zwei Hände, weil sich dabei viele Einstellungen gleichzeitig verändern können. Morphos unterscheidet zwischen 1D und 3D Morphing. Beim 1D Morphing blendet man zwischen verschiedenen abgespeicherten Presets über. Das einfache Morphing kann man durch einfache Fingerbewegungen in den Preset Slots oder Ansteuerung des X-Inputs realisieren.

Ist eine Modulation mit Hilfe eines internen LFO’s programmiert, erkennt man das auch an der Beleuchtung des Zielparameter-Regelknopfs (hier: rotorange)
Beim 3D Morphing (im weißen Layer) blendet man mit der X-, Y- und Z-Achse zwischen den Parametern sechs benachbarter Presets über. Dabei werden Reglereinstellungen, Modulationsart, -rate und -intensität berücksichtigt. Dieses 3D Morphing kann mit Hilfe der, wie oben erläutert, dreidimensional empfindlichen Preset Strips realisiert werden. Aber (präziser) geht das wohl via CV-Input Steuerung. Dafür bieten sich insbesondere ein Joystick oder Sequencer wie Make Noise Pressure Point oder 0-Ctrl an. Dabei ist zu beachten, welche Spannungen ein steuernder Regler ausgibt. So konnte ich mich im Test z.B. bei einer Morphing-Steuerung via CV mit Hilfe eines „Pressure Points“ Moduls nur durch einen Teil der Presets „durchmorphen“, während eine Steuerung mit Hilfe der Kanäle 2 und 3 aus Make Noise Maths (mit -/+ Reglern) oder alternativ mit Hilfe des Mutable Instruments „Shades“ Moduls im einfachen 1D Morphing alle vier Presets und im 3D Morphing mehr Variationen durchfuhr. Ein kleines Video dazu und zu Morphos habe ich unter www.sound.report erstellt. Im 1D Morphing bleiben die an den Y und Z CV-Inputs anliegenden Signale übrigens unberücksichtigt.
Drei Dimensionen kontrolliert anzusteuern ist mit „größeren“ Controllern logischerweise leichter oder besser kontrollierbar als via Morphos Presets Strips selbst, für die man ein wenig Gefühl entwickeln muss. Außerdem sollte man vorsichtig sein, versehentliche Berührungen des leichtgängigen Frequency-Reglers zu vermeiden. Auch das Manual empfiehlt die Nutzung eines externen Joysticks. Morphing lässt Morphos-Qualitäten als komplexer Oszillator also in ganz besonderem Maße erblühen. Nicht zuletzt für Basslines mit viel Bewegung ist das Modul besonders gut geeignet, aber auch für Sounds mit sehr langsamen und subtilen Veränderungen.
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