Britischer Hochadel

Dass aus England sehr gute Lautsprecher kommen, ist Eingeweihten schon lange bekannt. Zu den renommiertesten britischen Herstellern gehört ProAc, die ihr Erfolgsmodell, den Studio 100, gründlich überarbeitet haben. 

Von Harald Wittig

ProAc ist die Kurzform von „Professional Acoustics“ und war zunächst die Top-Produktlinie des Lautsprecherherstellers Celef und schon damals sorgte der Lautsprecher-Entwickler Stewart Tyler für Aufhorchen sowohl in der Studio- als auch in der HiFi-Szene. Nur wenige Jahre später wurde „Professional Acoustics“ im Rahmen einer Neugründung durch Tyler zu ProAc. Unter dieser Firma stellten die Briten vorzugsweise Lautsprecher für die professionellen Anwender und Tonstudios her, erspielten sich aber spätestens 1979 einen hervorragenden Ruf auch im HiFi-Lager.

Der Grund dafür nennt sich „Tablette“, ein kompakter Passiv-Monitor, der noch heute, über 30 Jahre nach seinem Debüt auf dem Studio- und Wohnzimmer-Parkett, unter dem Namen Tablette Reference 8 seinen festen Platz im Produkt-Portfolie von ProAc hat. Der Tablette war einer der ersten Kompakt-Monitore überhaupt und repräsentiert für viele Kenner neben den ebenfalls legendären BBC-Monitoren aus dem Hause Spendor den britischen Nahfeld-Monitor in Kompaktbauweise.

2010 ist ProAc ein fest im Sattel sitzendes Traditionsunternehmen, das mit großer Selbstsicherheit seinen guten Ruf genießt, dabei aber keine Anstalten macht, sich auf dem verdienten Lorbeer auszuruhen. Stattdessen präsentiert ProAc regelmäßig Neuentwicklungen oder grundlegend überarbeitete Lautsprecher. Dazu gehört auch unser Testkandidat, der Studio 100. Wie der Name schon unmissverständlich klar macht, handelt es sich bei diesem Lautsprecher um einen Monitor für Tonschaffende, der aber auch anspruchsvolle Musikhörer, sprich HiFi-Fans ansprechen soll. Im ProAc-Programm ist der Studio 100 schon seit 1990 und hat bereits kurz nach seiner Erstvorstellung im Jahr 1990 seinen triumphalen Einzug in die Studios und die Hörräume der HiFi-Enthusiasten gleichermaßen gefeiert. Für das Team um Stewart Tyler, der bei ProAc nach wie vor als Chef-Entwickler tätig ist, scheint das Gute und Bewährte nicht genug zu sein, folgerichtig wurde der Studio 100 jetzt gründlich überarbeitet, um dem bescheidenen Motto der Briten „perfectly natural“, also – sinngemäß – absolut neutral in der Wiedergabe – zu genügen. Mit einem empfohlenen Verkaufspreis von 1.425 Euro pro Stück ist dieser passive Lautsprecher oberflächlich betrachtet recht teuer. Allerdings setzt ProAc nach wie vor auf Inland-Fertigung in Handarbeit und verwendet nach eigener Aussage nur hochwertige Bauteile, was den, wie wir noch sehen werden, vermeintlich hohen Preis relativiert.

Der Studio 100 ist wie gesagt ein passiver Lautsprecher, genauer gesagt handelt es sich um eine Zwei-Wege-Konstruktion in Bassreflex-Bauweise. Das Gehäuse wurde gegenüber dem Vorgänger vollständig überarbeitet. Bei vergleichbaren Abmessungen sind die Gehäusewände jetzt unterschiedliche stark, zur Vermeidung von Innenresonanzen haben die Entwickler neues und deutlich effektiveres Dämpfungsmaterial eingesetzt. Die beiden Lautsprecher-Chassis sind ebenfalls eine komplette Neuentwicklung. Der neue Tief-Mitteltöner wird zwar nicht im Hause gefertigt, sondern in Dänemark bei Scan Speak, einem der renommiertesten Hersteller von Qualitäts-Lautsprechern. Es handelt sich allerdings nicht um ein Chassis aus den Regalen der Dänen, sondern um eine Sonderanfertigung nach den exakten Vorgaben von ProAc. Dieses Tief-Mittelton-Chassis ist auf eine besonders lineare Wiedergabe optimiert und soll tiefe, präzise Bässe liefern und vergleichsweise geringanfällig für Verzerrungen sein. Um die volle Dynamik des Chassis zu gewährleisten, ist auf dem Polstück eine Kappe aus Kupfer  angebracht, die der Hersteller reichlich verwirrend als „special center pole plug“ bezeichnet. Auf Nachfrage erklärt Steven Tyler, dass diese Kupferkappe neben der Unterdrückung von Wirbelströmen vor allem für eine besonders effektive Hitzeabfuhr  sorgt. Damit soll der Tief-Mitteltontreiber die volle Dynamik unabhängig von der Abhörlautstärke sicherstellen. Dass ein solcher Polstück-Aufsatz beileibe nicht außergewöhnlich ist und in ähnlicher Form auch von anderen Herstellern wie beispielsweise Klipsch aus den USA verwendet wird, sei nur am Rande bemerkt. Aber schließlich muss das Rad im Lautsprecherbau nicht jedes Mal neu erfunden werden. Was zählt, sind die Klangergebnisse.

Der Hochtöner ist ebenfalls eine Eigenentwicklung und wird wie der Tief-Mitteltöner aushäusig, diesmal vom ebenfalls hochgeschätzten Hersteller SEAS (Scandinavian Electro Acoustic Systems) aus Norwegen  gefertigt. Er besitzt eine besonders leichte – ProAc spricht von „federleicht“ – Gewebe-Kalotte mit einer speziellen Imprägnierung, die eine klare und verfärbungsfreie Hochtonwiedergabe garantieren soll. Um die Wärme von  der Schwingspule zum Magnetsystem abzuleiten und die Bewegung der Membran zu dämpfen, kommt beim Hochtöner Ferrofluid, das ist eine Flüssigkeit geringer  Viskosität – das ist das Maß für die Zähflüssigkeit eines Fluids – zum Einsatz. Um Ferrofluid-Hochtöner ranken sich einige Halbwahrheiten, die sich in der Regel auf schlechte Erfahrungen einzelner Anwender gründen. Richtig ist, dass Ferrofluid grundsätzlich nicht vor altersbedingter Verharzung oder Austrocknung gefeit ist. Nicht wenige der allerersten Kalotten-Hochtöner mit Ferrofluid-Kühlung wurden aufgrund der hohen Viskosität, also Zähflüssigkeit des Ferrofluids  nach wenigen Jahren unbrauchbar. Besitzt das Ferrofluid indes eine hohe Fluidität, ist die Verharzungs- gefahr äußerst gering und ein solcher Hochtöner profitiert von der gegenüber anderen Lösungen höheren thermischen Belastbarkeit. Ob Ferrofluid zu klanglichen Nachteilen führt ist – wie so oft im Zusammenhang mit Lautsprechern oder Wiedergabesystemen im Allgemeinen  – umstritten, aber objektiv nicht belegbar, weswegen wir uns auf diese Diskussion nicht einlassen.

Wir zoomen wieder zur Vollbildansicht und werfen einen Blick auf die Front des Studio 100. Die auffällige, asymmetrische Anordnung der beiden Chassis soll die Räumlichkeit der Abbildung entscheidend verbessern und eine Koaxial-Systemen ähnliche Abstrahlcharakteristik gewährleisten. ProAc nennt diese Anordnung „Mirror Image Offset“, was soviel wie „spiegelbildliche Anordnung“ heißt. Mit dieser Anordnung sind für die Aufstellung eines Paares im Stereo-Dreieck rechter und linker Lautsprecher definiert, denn vom Hörplatz aus gesehen müssen die Hochtöner nach innen zeigen. Es wird jetzt Zeit für eine Betrachtung der Rückseite des Studio 100, namentlich des Anschlussfeldes. Der Lautsprecher hat vier mit Rhodium, einem sehr harten Platinmetall beschichtete Schraubklemmen für den Anschluss der Lautsprecher-Kabel. Der Grund hierfür: Der ProAc ist Bi-Wiring-fähig, lässt sich also mit zwei Stereo-Sets Lautsprecherkabel betreiben. Entscheidend ist dabei, dass die beiden Chassis des Studio 100 intern mit separaten Kabeln an die Frequenzweiche und dann an das von außen zugängliche Anschlussterminal angeschlossen sind. Zumindest in der Theorie verbessert sich durch die getrennte Signalführung für Bass/Mittel- und Hochtonbereich die Klangqualität. Wobei sich auch hier die Geister und individuellen Hörer-Ohren scheiden. Eine objektiv hörbare Klang-Verbesserung gegenüber dem konventionellen Betrieb eines Bi-Wiring-fähigen Lautsprechers gründet sich häufig auf minderwertige Kurzschlussbrücken. Die auch bei teureren Lautsprechern verwendeten Billig-Blech-Brücken können nämlich durchaus für eine Klangverschlechterung sorgen, so dass ein solcher Lautsprecher im Bi-Wiring-Betrieb, also von den Blech-Brücken befreit, klanglich aufblüht. Der Studio 100 ist hingegen löblicherweise mit Rhodium-beschichteten, massiven Metallstiften ausgestattet. Ausweislich unserer Test- und Hörerkenntnissen klingt der ProAc im Bi-Wiring-Betrieb jedenfalls nicht deutlich besser – was selbstverständlich erstmal für die ProAc-Lösung spricht. Anders kann sich das schon im Bi-Amping-Betrieb, wo im Stereo-Set jeweils ein Lautsprecher mit zwei (Mono-)Endstufen betrieben wird, anhören. Das ist aber ein Thema für sich, denn hier kommt es logischerweise auf die Güte der insgesamt vier benötigten Endstufen an, die absolut vergleichbar, also praktisch gematcht sein müssen. Wir haben für dieses mal auf Bi-Amping verzichtet, werden aber bei künftigen Tests Bi-Wiring-/Bi-Amping-fähiger Lautsprecher die klanglichen Auswirkungen dieser Betriebsart  selbstverständlich untersuchen. Das setzt aber eine uns absolut zufriedenstellende Endstufen-Kollektion mit Referenz-Qualität voraus, die wir bislang noch nicht gefunden haben.

Für den Hörtest verwenden wir eine Vor-Endverstärker-Kombination vom badischen Hersteller HiFi Akademie, da beide Komponenten mit überragenden Messwerten (siehe die Mess-Diagramme auf Seite 40) und hoher Neutralität aufwarten. Für das Abhören eigener DAW-Projekte und einer Kollektion überragender Produktionen aus dem Klassik-, Jazz-, Pop- und Weltmusik-Bereich besorgt jeweils unsere bewährte Wandler-Referenz, der Lynx Aurora 8 die Digital-Analog-Wandlung. Bevor wir die Wiedergabeleistung des Studio 100 sezieren ein wichtiger Hinweis vorab: Wie jeder Lautsprecher muss auch der ProAc eingespielt werden, anderenfalls verkauft er sich unter Wert. Der Kompakte von der Insel hat immerhin eine Woche benötigt, bis er seine volle Leistungsfähigkeit ausspielen kann. Allerdings kann der Studio 100 schon von Beginn an spontan mit einem ausgezeichneten Stereo-Bild überzeugen. Neben einer starken, punktgenauen Phantommitte, die beispielsweise die in der Mischung mittig positionierte Gesangsstimme am vorgesehen Ort millimetergenau ertönen lässt, können wir den Einzel-Instrumenten/-Stimmen im jeweiligen Arrangement ihren Platz exakt zu weisen. Das funktioniert so gut, dass auch objektive, am konkreten Projekt nicht beteiligte Dritthörer mit dem Finger auf die um 25 Prozent nach links verschobene zweite Gitarre von insgesamt sechs Harmonie-Gitarren zeigen können. Dabei lösen sich einzelne Schallereignisse von den Lautsprechern, eine Eigenschaft, die nur wirklich hochwertigen Schallwandlern zu Eigen ist. Ebenfalls ausgezeichnet ist die Tiefenstaffelung und Raumauslotung des Studio 100-Pärchens. Die Darstellung von realen und virtuellen Räumen und die Verteilung der Instrumente beziehungsweise Instrumentengruppen bei Orchesteraufnahmen ist auf hohem Niveau und macht den Meistern in dieser Disziplin wie dem Geithain MO-2 oder dem PSI Audio A-215-M ernsthafte Konkurrenz. Bei der tonalen Abstimmung gehört der Studio 100, wie vom Hersteller selbstsicher proklamiert, zu den neutralen Vertretern der Monitorzunft, der gleichwohl sein Wiedergabewerk nicht überanalytisch verrichtet. Das bedeutet: Das Hören über den Briten stresst nicht, ist vielmehr ein echtes Vergnügen – selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass das Programm-Material qualitativ hochwertig ist. Beispielsweise klingt das musikalisch und tontechnisch gleichermaßen tolle Album „Django nuevo“ von Joscho Stephan (Interview zur Entstehung und Kurzkritik in Ausgabe 6/2010) dank der hochpräzisen Trennschärfe des ProAc und seiner beeindruckenden Dynamik  schlichtweg grandios. Der von ProAc/Scan Speak-Tief-Mitteltöner ist bei der Darstellung des Kontrabasses wunderbar exakt und präsentiert sich gerade auch im Tiefbassbereich richtig ausgewachsen. Im Rahmen des physikalisch möglichen sind die Bässe nämlich erstaunlich tief und sauber bei einem sehr guten Impulsverhalten. Für die eigene Arbeit kann sich der Toningenieur folglich auf den Studio 100 verlassen und im Ergebnis überzeugende Mischungen erzielen. Auch der Hochtöner kann in puncto Impulsverhalten überzeugen und bewältigt mühelos transientenreiches Material wie ein Marimbaphone-Solo oder eine hochgestimmte, mit starkem Impuls angeschlagene Snare-Drum. Allerdings kommt der ProAc-Hochtöner trotz seines  überdurchschnittlichen Impulsverhaltens in letzter Konsequenz nicht an den, selbstverständlich grundlegend anders konstruierten X-ART-Hochtöner des ADAM S3X heran. Gleichwohl spielt der Hochtöner des Studio 100 eindeutig in der Spitzenklasse. Dank seines hohen Auflösungsvermögens zeichnet er den Obertongehalt von akustischen Instrumenten wie einer Konzertgitarre, einer Violine oder eines Konzertflügels mit feinen Federstrichen nach, so dass die Instrumente in ihrer ganzen Farbenpracht – sofern der Tonmeister diese eingefangen hat – schillern. Das ist toll, macht sowohl bei der Arbeit wie auch einfach beim Musikhören Spaß und ist eindeutig britischer Lautsprecher-Hochadel – oder schlichtweg Spitzenklasse.

Fazit

Der hervorragende Ruf der Lautsprecher aus dem Hause ProAc hat sich bestätigt: Der Studio 100 ist ein ausgezeichneter, auf signaltreue Wiedergabe optimierter Nahfeldmonitor ohne Schwächen. Auch wenn bei einer Anschaffung gegebenenfalls hochwertige Endstufen einzukalkulieren sind, ist das Preis-Leistungsverhältnis des Studio 100 sehr gut, denn er klingt deutlich teurer als er tatsächlich kostet. 

Erschienen in Ausgabe 08/2010

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 1425 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut