Das elektronische Loch in der Wand…
Die Behandlung von Raummoden unterhalb 100 Hz stellt eine der größeren Herausforderungen in der Studio-Akustik dar. Der Schweizer Hersteller PSI Audio präsentiert mit dem AVAA C20 einen Bassabsorber, der durch seine Aktivelektronik größtmögliche Effizienz bei außergewöhnlich kleinen Abmessungen gewährleisten soll. Wir haben das innovative Gerät ausprobiert.
Von Igl Schönwitz
Der Schweizer Alain Roux begann bereits im Jahr 1975 als Student mit dem Bau von Lautsprechern. Zwei Jahre später gründete er seine Firma Roux Electroacoustique, aus der später Relec SA hervorging. Relec stellte in der Folgezeit eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte für Festeinbau, Studio und PA-Anwendungen her, die teilweise auch als OEM-Produkte für andere Hersteller vermarktet wurden.
Ab 1992 entwickelte und fertigte Relec eine Studiomonitorserie für die Firma Studer, die für ihren schon sprichwörtlichen Qualitätsanspruch bekannt ist. Als Studer an die Harman-Gruppe verkauft wurde, stellte man die Lautsprecherproduktion ein, da auch direkte Konkurrenten wie JBL zum gleichen Konzern gehörten. Seit dieser Zeit vertreibt Relec seine Monitore sowie die hier getestete Bassfalle unter dem Namen PSI Audio. Bevor wir zum eigentlich Test kommen, hier ein paar akustische Vorüberlegungen:
Raummoden und stehende Wellen
Schallwellen können sich an den begrenzenden Wänden eines Raumes nicht weiter ausbreiten und werden dort reflektiert. Bei Wellenlängen, die ein ganzzahliges Vielfaches der Raumlängen darstellen, kommt es zu stehenden Wellen, den sogenannten Raummoden. Diese sorgen für eine starke Überhöhung der jeweiligen Frequenz an den Wänden, während an bestimmten Stellen im Raum (den Wellenknotenpunkten) eine Auslöschung stattfindet.
Raummoden sorgen zum einen für ein undifferenziertes Klangbild durch lange Nachhallzeiten bei den entsprechenden Frequenzen. Zum anderen erhält man eine Basswiedergabe, die an verschiedenen Punkten im Raum extrem unterschiedlich ausfällt – das Phänomen kennt wohl jeder, der schon einmal eine Studio-Regie gebaut hat. Während sich Reflexionen im Mittel- und Hochtonbereich, wie wir in den Workshops des letzten Heftes (Professional audio 8/2016) gesehen haben, sehr gut behandeln lassen, ist es ungleich schwieriger, tieffrequente Probleme unter 100 Hz in den Griff zu bekommen. Ein passiver Absorber, der im Bassbereich wirksam sein soll, braucht theoretisch eine Tiefe von mindestens einem Viertel der zu bearbeitenden Wellenlänge – bei 50 Hz sind das bereits ca. 1,7 Meter. Feder-Masse-Systeme wie Plattenschwinger können flacher gestaltet werden, müssen dann aber sehr groß und schwer sein. Passive Bassabsorber werden in der Regel gezielt auf bestimmte Frequenzen abgestimmt – eine wirksame breitbandige Absorption ist im tieffrequenten Bereich mit herkömmlichen Mitteln kaum zu realisieren. Außerdem sind passive Bassabsorber groß, schwer, teuer und unflexibel, da sie nur in dem Raum zu verwenden sind, für den sie entwickelt wurden.
Der Weg zur aktiven Bassabsorption
Wie viele Lautsprecherdesigner machten auch die Entwickler von PSI Audio die Erfahrung, dass ihre Monitore in verschiedenen Studioumgebungen deutlich anders tönten, als im Entwicklungslabor beabsichtigt. Während Studioräume im Mittelhochtonbereich meist gut klangen, waren die Probleme vieler Regien im Bassbereich offenkundig. Da man um die oben dargestellten Limitierungen passiver Bassabsorber wusste und gleichzeitig das nötige Know-how aus dem Lautsprecherbau besaß, kam man bei PSI Audio bereits vor rund 25 Jahren auf die Idee, mit einem aktiven Absorber neue Wege zu gehen.
Da es zunächst rein physikalisch großer bewegter Massen bedarf, um tiefe Frequenzen wirkungsvoll zu absorbieren, war der Weg zu einem aktiven Design, das gleichzeitig platzsparend und breitbandig einsetzbar war, mit einiger Entwicklungsarbeit verbunden. Die theoretischen Grundlagen wurden in enger Zusammenarbeit mit der Universität Genf erarbeitet. In den folgenden Jahren war auch die Universität École polytechnique federale Lausanne an den Forschungen beteiligt. Eine zusätzliche staatliche Förderung machte schließlich die Entwicklung des fertigen Produktes – dem AVAA Active Velocity Acoustic Absorber – möglich, für den PSI Audio auch zwei Patente angemeldet hat.
Die Wirkungsweise der aktiven Bass-Absorption
Man kann eine Schallwelle in Schalldruck und Schallgeschwindigkeit unterteilen. Vereinfacht lässt sich sagen, dass Schalldruck eine Auf- und Abwärtsbewegung der Luftmoleküle darstellt, während Schallgeschwindigkeit eine Bewegung vor und zurück beschreibt. In dem Moment, wo eine Schallwelle auf ein Hindernis wie eine Wand auftrifft, ist die Schallgeschwindigkeit gleich Null und der Schalldruck maximal. Eine ideale Absorption würde der Schallgeschwindigkeit keinen Widerstand entgegensetzen: Der perfekte Bassabsorber wäre also schlicht ein Loch in der Wand.
Dieses Ideal ist in der Praxis aus einleuchtenden Gründen nur schwierig zu erreichen. Üblicherweise wird die Energie des Schalls bei einem Absorber in Wärme umgewandelt, wozu große Flächen notwendig sind. Bei einem kleinen Absorber wie dem AVAA gilt es zunächst, den an der Begrenzungsfläche entstehenden Schalldruck in Schallgeschwindigkeit umzuwandeln (daher auch die Bezeichnung Velocity-Absorber). Das erste wirksame Element im AVAA ist daher eine Metallplatte, die einen akustischen Widerstand darstellt. Diese Platte hat kleine Löcher, um die Luft durchzulassen. Dadurch wird der Schalldruck an der Begrenzungsfläche maßgeblich reduziert – die Lochplatte wandelt Schalldruck in dahinter stattfindende Schallgeschwindigkeit um. An der Begrenzungsfläche befindet sich zusätzlich ein Mikrofon, das den auftreffenden Schalldruck misst und an die Ergebnisse an eine Elektronik weiterleitet. Diese steuert einen hinter der Metallplatte befindlichen Lautsprecher an, der die Schallbewegung neutralisiert, indem er gegenphasig in eine stark bedämpfte Kammer strahlt. Die Abstimmung eines solchen Prinzips ist mehr als kompliziert, was nicht nur an der langen Entwicklungszeit des AVAA zu erkennen ist: Laut Hersteller war es unter anderem unmöglich, die Steuerelektronik digital auszuführen, da allein die Latenzen der A/D- und D/A-Wandlung ausreichten, um das System instabil zu machen. Die Elektronik wurde also komplett analog aufgebaut.
Mit einer akustischen Widerstandsfläche von lediglich 0,2 m² entspricht ein AVAA nach Werksangabe einer absorbierenden Wand von 0,6 bis 4 m² – abhängig von seiner Position im Raum und der jeweiligen Frequenz. Für die Praxis ist es wichtig, sich klar zu machen, wofür der AVAA konzipiert ist: Er soll stehende Wellen und Raummoden reduzieren. Er wirkt dabei auf Moden zwischen 15 und 120 Hz, die ihren Ursprung im Umkreis von 1 bis 1,5 m um seinen Aufstellort haben. Es ist also in erster Linie eine signifikante Reduzierung der Nachhallzeiten im Bassbereich zu erwarten – wir werden das im Praxisteil verifizieren. Für eine Behandlung von Erstreflexionen ist der AVAA ebenso ungeeignet wie für höhere Frequenzen.
Der AVAA C20
Der aktive Bassabsorber sieht auf den ersten Blick aus wie ein herkömmlicher Subwoofer. Das Gerät kommt in einem 51 cm hohen und 41 cm breiten Gehäuse aus MDF. Die Grundfläche ist annähernd dreieckig, so dass der Absorber einfach in einer Raumecke zu platzieren ist. Die Frontseite trägt ein Metallgitter und ist in zwei Kreissegmenten nach vorn gezogen. Die hintere Kante des Gehäuses ist zusätzlich abgeschrägt und träg die Elektronikeinheit. Bei ordnungsgemäßer Platzierung des AVAA in einer Raumecke verschwinden Netzkabel und Bedieneinheit unsichtbar hinter dem Modul.
Hinter dem Metallgitter an der Front befindet sich mittig ein ca. 8 cm breiter Streifen, der mit Akustikschaum hinterlegt ist – hier ist das Messmikrofon platziert. Links und rechts davon ist das silbern schimmernde Lochblech zu erkennen, das als akustischer Widerstand fungiert. Die Löcher sind dabei so klein, dass sie auf den ersten Blick kaum zu erkennen sind. Im mittleren Bereich der Front gibt es zudem eine grüne LED, die Betriebsbereitschaft signalisiert. Bei einer Fehlfunktion wechselt die Leuchte ihre Farbe zu rot.
Die Rückseite des AVAA trägt die Elektronikeinheit und sollte nicht abgedeckt werden, um genügend Kühlung zu gewährleisten. Die korrekte Funktion des aktiven Bassabsorbers ist – ähnlich wie bei passiven Akustikelementen – vor allem von seiner Positionierung im Raum abhängig. Dementsprechend gibt es nur wenige Bedienelemente am Gerät selbst. Ganz oben am Elektronikpanel sind ein Powerschalter und die unvermeidliche Netzbuchse zu finden. Das ist praxisnah: Steht der Absorber wie vorgesehen in einer Raumecke, so kann man hier von oben hineingreifen und das Gerät ein- bzw. ausschalten, ohne sich zu weit bücken zu müssen. Ich finde es erfreulich, wenn Entwickler auch an solch praktische Details denken – das ist nicht immer selbstverständlich. Außer dem Netzschalter findet sich noch ein Sensitivity-Regler, der im Normalbetrieb auf Rechtsanschlag stehen sollte.
Der AVAA in der Praxis
PSI Audio empfiehlt für normalgroße Regieräume zwei AVAA-C20, bei anhaltenden Problemen können aber auch mehr Absorber zum Einsatz kommen. Der deutsche Vertrieb Audiowerk hatte uns dementsprechend zwei Geräte zum Test zur Verfügung gestellt.
Nach den Vorschusslorbeeren der Mastering-Legende Bob Katz, der postuliert hatte, der AVAA habe die Akustik seiner Mastering-Regie von „sehr gut zu hervorragend“ gewandelt, war ich mehr als gespannt auf die Wirkung der Geräte in der Regie der Amazing Sound Studios. Dabei war mir von vorne herein klar, dass das keine leichte Aufgabe für die Schweizer Neuentwicklung werden würde.
Unsere Regie funktioniert dank eines ausgeklügelten Bassmanagements am Abhörplatz ganz hervorragend. Dennoch bleiben einige Probleme mit Raummoden, die sich vor allem dadurch äußern, dass auf dem Sofa an der Rückseite des Raumes eine signifikante Bassüberhöhung stattfindet. Nun ist der AVAA dafür konzipiert, in rechtwinkligen Raumecken aufgestellt zu werden, dabei sollten die begrenzenden Wände optimalerweise glatt sein und in einem Abstand von ca. 1,5 m zum Gerät keine Unterbrechungen aufweisen. Das können wir nicht bieten: Unser Regieraum besitzt keinen einzigen rechten Winkel im Grundriss, die Wände bestehen zum Teil aus naturbelassenem Sandstein, der natürlich nicht glatt ist. Auch eine unterbrechungsfreie Wand gibt es nicht. Laut Hersteller hat der aktive Absorber seine beste Wirkung oft in den Raumecken hinter den Lautsprechern. Dieser Bereich ist bei uns komplett verglast, was ohnehin eine sehr gute Bassabsorption bietet.
Wir testeten den AVAA-Absorber an verschiedenen Positionen im Raum. Auch wenn wir manchmal den Eindruck hatten, der Bassbereich würde am Abhörplatz durchsichtiger, ließ sich das im Blindtest nicht verifizieren: Wenn derjenige aus unserem Studioteam, der gerade hörte, nicht wusste, ob die Absorber ein- oder ausgeschaltet waren, lag die Trefferquote bei unserem kleinen Ratespiel stets bei ca. 50 Prozent, und das unabhängig davon, wer hörte und welche Musik gespielt wurde. Eine Verbesserung fand also direkt am Arbeitsplatz unserer Regie nicht objektiv nachvollziehbar statt.
Das heißt aber nicht, dass die PSI-Geräte keine Wirkung gehabt hätten. Unsere Akustikmessung zeigt ein deutliches Bild: Die Nachhallzeiten unserer Regie liegen im kompletten Frequenzbereich knapp unterhalb 400 ms – mit Ausnahme einer Raummode bei 32 Hz, die fast 600 ms Nachhallzeit besitzt. Bei eingeschalteten AVAA-Geräten änderte sich das auf beeindruckende Weise: die Nachhallzeit reduzierte sich bei 32 Hz von 583 ms nach 340 ms, bei 60 Hz hatten wir ohne AVAA 385 ms und mit aktiver Absorption 345 ms. Selbstverständlich war das auch hörbar – zwar nicht am Arbeitsplatz, aber doch auf dem Sofa, wo normalerweise Musiker und Produzenten sitzen. Bezüglich einer gleichmäßigen Akustik im gesamten Raum stellt das AVAA-System also auch in unserer Regie eine spürbare Verbesserung dar.
Diese Erkenntnisse machten mich neugierig, was das AVAA-System zu leisten vermag, wenn es in einer Umgebung betrieben wird, die seiner Konzeption noch mehr entgegenkommt. Zu diesem Zweck bin ich zu meinem geschätzten Kollegen und Freund Rudi Benedikt in seine PSP Studios gefahren. In seiner Regie, die sowohl gerade Wände als auch rechtwinkelige Raumecken besitzt, arbeitet ein 5.1 Surround-Setup von JBL mit einem Subwoofer, der hinab bis 20 Hz spielt.
Unsere Raummessungen ergaben zunächst eine deutliche Überhöhung bei 70 Hz, die sich allerdings durch einen Equalizer ausgleichen ließ. Die relativ stark absorbierend gestaltete Regie weißt oberhalb von 160 Hz eine Nachhallzeit von unter 300 ms auf. Im Bassbereich erkennt man zwei deutliche Raummoden bei 36 Hz und 66 Hz, die bei um die 600 ms Nachhallzeit liegen. Beide Moden konnten mit dem Einsatz des AVAA auf knapp 400 ms verkürzt werden. Das Spektrogramm zeigt bei Verwendung des AVAA allerdings eine deutliche Verlängerung des Nachhalls bei 22 Hz, die aber mit sehr geringem Pegel stattfindet und daher in der Praxis kaum ins Gewicht fallen dürfte. Zudem hat das allermeiste gängige Audiomaterial kaum Frequenzanteile in diesem Bereich. Dennoch scheint der AVAA hier ein wenig nachzuschwingen. Möglicherweise ist das aufstellungsbedingt – bei einer Akustikkonzeption wird man auf dieses Phänomen achten müssen.
Das minimale Nachschwingen bei tiefsten Frequenzen stellte sich im Hörtest erwartungsgemäß als theoretisches Problem heraus. Die Regie der PSP Studios gewann durch den Einsatz der aktiven Bassabsorber von PSI Audio deutlich. Auch am Abhörplatz war eine signifikante Verbesserung zu hören. Der Bassbereich wurde merklich sauberer und genauer ortbar – schaltete man die PSI-Absorber ab, so schienen einige tieffrequente Signale förmlich von hinten zu kommen. Durch die reduzierten Nachhallzeiten im Bassbereich wurde auch das Klangbild im Mittel- und Hochtonbereich deutlich offener und besser durchzeichnet.
Fazit
Man hat häufig genug den Eindruck, es gäbe im Audiobereich keine wirklich bahnbrechenden Neuerungen mehr und an sich sei technologisch alles gesagt. Umso spannender ist es, wenn man als Tester doch einmal ein wahrlich innovatives Gerät auf den Tisch bekommt. Der Active Velocity Acoustic Absorber C20 von PSI Audio ist so ein Fall: Vergleichbares gab es noch nie, und die Technologie ist so komplex, dass in absehbarer Zeit kaum mit Konkurrenz zu rechnen sein dürfte.
Der AVAA ist sicherlich kein Allheilmittel für jegliche akustischen Probleme (das will er auch nicht sein), und wie jedes professionelle Werkzeug muss er sachkundig und zielgerichtet eingesetzt werden. Dann allerdings kann er wirklich hervorragende Dienste leisten, insbesondere wenn kein Platz für große passive Bassabsorber-Systeme vorhanden ist – und das soll ja schon vorgekommen sein. Der Preis von knapp 5.000 Euro für zwei Module macht das System wohl eher für Profistudios interessant. Angesichts der Vorzüge und des hohen Entwicklungsaufwands geht er aber mehr als in Ordnung. Meine aufrichtigen Glückwünsche für diese technologische Meisterleistung!
Erschienen in der Ausgabe 09/2016
Hinterlasse einen Kommentar