Das Konglomerat

Manchmal läuft eben alles zusammen. So wie in diesem Fall. Lesen Sie selbst, was sich die Fädenzieher von Line 6 neues ausgedacht haben. 

Von Michael Nötges 

Der Tone Port KB37 von Line 6 ist wahrscheinlich der einzige Ballungsraum, der auch zur Rushhour einen Ausflug wert ist. Die Spezialisten für digitale Modeling-Verfahren und clevere All-In-One Lösungen bringen immer wieder innovative Produkte auf den Markt, die es dem Anwender ermöglichen mit wenigen Mitteln sehr viel zu erreichen. Diesmal haben sie sich auf den Aufnahmebereich gestürzt und mit der Tone Port Serie verschieden Front-Ends für die Modeling-Software Gear Box entwickelt: das UX1, das UX2 und das KB37. Diese drei USB-Audio-Interfaces unterscheiden sich im Umfang der Anschluss- und Bedienmöglichkeiten, nicht aber in den zahlreichen Software gestützten Verstärkersimulationen und Effekten. Sie verfügen alle über Verstärkersimulationen für Gitarren- und Bassaufnahmen die klanglich denen der jeweiligen Podxts entsprechen. Für Gesangs- oder Instrumentenaufnahmen sind weitere Vorverstärkermodelle verfügbar, die Klassikern von AMS Neve oder Avalon nachempfunden sind. Außerdem können zahlreiche Effekte in die virtuellen Signalwege eingeschleift werden und sorgen für große klangliche Vielfalt. Der Tone Port KB37 vereint alle Features, die für die schnelle Produktion von Layouts und Demos notwendig sind. Er ist MIDI-Masterkeyboard und -Controler, Audio-Interface und Modeling-Station in einem Gerät. Konzeptionell wenden sich die Briten an Einsteiger und diejenigen Profis, die für kleines Geld – das Gerät kostet rund 390 Euro – eine Platz sparende Komplettlösung für schnelles kreatives Arbeiten suchen. 

Das Design des Tone Ports KB37 ist geschmackvoll in den Firmenfarben schwarz und rot gehalten und macht optisch eine gute Figur. Die solide Verarbeitung des Kunststoffgehäuses und der schick gestalteten Bedienelemente und Anschlüsse ist Vertrauen erweckend.  Das Gerät lässt sich mit seinen 2,5 Kilogramm und überschaubaren Ausmaßen bequem unter den Arm klemmen und qualifiziert sich damit auch für den mobilen Einsatz. 

Dem ersten Anschein nach ist der Tone Port KB37 ein herkömmliches Masterkeyboard mit gut bespielbaren anschlagsdynamischen Tas-ten und einem Pitch-Bend- und Modulations-Rad. Damit wendet es sich sicherlich nicht an anspruchsvolle Pianisten, sondern ist eher für das Einspielen von Sounds über Software-Synthesizer konzipiert. Für diesen Zweck eignet es sich hervorragend. Da mit der kurzen Klaviatur nur 37 Töne abgedeckt werden können, lässt sich über zwei Tastschalter der Oktavraum um drei Oktaven nach oben und nach unten verschieben. Sieben LEDs zeigen die jeweilige Wahl an, wobei die Grundposition durch eine grüne und die abweichenden von roten LEDs gekennzeichnet werden. Das führt auch in dunklen Umgebungen zu guter tonaler Orientierung. Insgesamt befinden sich zusätzlich elf gut erreichbare Auswahlknöpfe oberhalb der Klaviatur, die prinzipiell mit unterschiedlichen Funktionen über MIDI belegbar sind. 

Auch wenn zwei, mit Sound-Select beschriftet und weitere fünf mit den Symbolen einer Transportsektion (Vor, Zurück, Stopp, Start, Aufnahme) versehen sind, kann je nach Bedarf beispielsweise auch der Start-Knopf ein virtuelles Delay aus der Gear Box-Software in den Signalweg einschleifen, anstatt ein Playback ablaufen zu lassen. Vier der elf Knöpfe sind zusätzlich mit fein justierbaren Drehreglern versehen, um zusätzlich Parameteränderungen vornehmen zu können. Auch hier sind der individuellen Zuordnung keine Grenzen gesetzt. Besonders praktisch ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch der jeweilige Sequenzer fernsteuern lässt. Die Aufnahme kann dann direkt vom Master-keyboard aus gestartet werden. Die Zuweisung geschieht im Line 6 Audio/MIDI Device. Hier sind alle Bedienelemente aufgeführt und über eine Art Matrix mit Auswahlkästen, lassen sich die Funktionen der Gear-Box-Software und MIDI CC-Aktionen [[g]] konfigurieren. Um die Funktionalität zu vervollständigen können zwei Fußschalter und ein Expression Pedal über drei 6,35 mm Klinken-Buchsen auf der Rück-seite des Gerätes angeschlossen werden. Damit lassen sich alle Parameter auch zu Fuß ändern, wenn gerade keine Hand frei ist. Bei-spielsweise lässt sich das Expression-Pedal mit einem Wha-Wha-Effekt belegen oder ändert den Grad der Verzerrung, während des Spielens.

Audio-Interface: Erst auf den zweiten Blick entpuppt sich der Tone Port KB37 auch als USB-Audio-Interface. Mit einer Abtastrate von 48 Kilohertz bei 24 Bit Wortbreite ist professionelles Aufnehmen möglich. Es gibt fünf Eingänge: einen Instrumenteneingang und zwei symmetrische Line-Eingänge als 6,35 mm Klinken-Buchse und zwei Mikrofoneingänge im symmetrischen XLR-Format. Außerdem liegen ein Monitorein-gang und ein Kopfhörer-Ausgang in Form zweier Stereo-Klinkenbuchsen vor. Zwei symmetrische Analog-Ausgänge dienen dem Anschluss aktiver Monitore. Die Phantomspannung kann über einen kleinen Schiebeschalter für die beiden Mikrofoneingänge aktiviert werden. Um auch Instrumente mit hohen Ausgangspegeln, wie es beispielsweise bei aktiven Pick-Up-Systemen vorkommt, anschließen zu können, lässt sich der Eingangspegel des Instrumenteneingangs über den PAD-Schiebeschalter absenken. Für die gängigen Aufnahmesituationen ist an alles gedacht. Die digitale Datenübertragung an andere Geräte kann über den S/PDIF-Ausgang in Form einer Cinch-Buchse geschehen. Zur Kontrolle der eingehenden und ausgehenden Audiosignale dienen zwei beleuchtete VU-Meter oberhalb der Transportsektion. Sie sind nicht einfach plan in die Oberfläche eingelassen, sondern wie zwei geöffnete Augen um 45 Grad in Blickrichtung gekippt, was die Lesbarkeit deutlich verbessert, da die Anzeigen dem Benutzer zugewandt sind: praktische Hilfe fürs Einpegeln. Über die Gear Box-Software kann der Messpunkt für die gut erkennbaren analogen Anzeigen verändert werden. Je nach Bedarf wird der Eingangs, der Record-Send-, der Ausgangs- oder der Monitor-Pegel angezeigt. Zwei rote Clip-LEDs warnen bei Übersteuerung. Für die beiden Mikro-foneingänge lässt sich in diesem Fall der Eingangspegel über jeweils einen der handlichen Drehregler anpassen. Gleiches gilt für den Ausgangspegel, der analogen Ausgänge, sowie des Kopfhörerausganges, für den die beiden anderen ebenso handlichen und silbernen Drehknöpfe zuständig sind. 

Aufnahmen sind mit und ohne die Gear-Port Software möglich. Der Treiber ermöglicht alle Einstellungen die notwendig sind, so dass der Tone Port KB37 als reines Audio-Interface gebraucht werden kann. Wichtig für die Aufnahme ist die Auswahl der Eingangsquelle. Es sind zwar fünf Eingänge vorhanden aber gleichzeitig nicht mehr als zwei aktivierbar. Sind zwei unterschiedliche Eingangsquellen ausgewählt, kann das erste über den Record-Send 1/2 und das zweite über den Record-Send 3/4 aufgenommen werden. Dabei sind die Line- und Mikrofon-Eingänge nicht kombinierbar. Wohl aber der Instrumenten- mit einem Mikrofon-Eingang. Beide Signale können dann getrennt von einander mit den Verstärkersimulationen und Effekten der Gear Box-Software versehen werden. 

Modeling Station: Weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick ist der virtuelle Kern des Tone Port KB37 ersichtlich. Um das klangliche Herzstück zu erblicken, muss die Gear Box-Software erst geöffnet werden. Nach der Installation von Treiber und Software wird in einem weiteren Schritt direkt über eine bestehende Internetverbindung die Firmware über den so genannten Line 6 Monkey auf den neusten Stand gebracht.

Die Gear Box ist zunächst ein Konglomerat von Simulationen verschiedener Verstärker und Boxen für Gitarre und Bass, wobei dabei Klassiker von Fender, Marshall, Soldano, Vox, Roland, Ampeg, Gallien Kruger oder Mesa Boogie und vielen anderen Herstellern als Vorlage dienen. Verstärkertypen und Boxen können frei kombiniert werden und die Mikrofonierung ist variierbar, so dass zwischen Simulationen eines gerade oder schräg auf das Chassis gerichteten Shure SM57, einem Sennheiser MD 421 oder dem legendären U67 von Neumann gewählt werden kann. Außerdem ist die Entfernung zum Lautsprecher und damit der Raumanteil des jeweiligen Signals zu beeinflussen. Neben den 18 Verstärkermodellen für E-Gitarre und den 24 dazugehörigen Boxentypen, den fünf Bassverstärkern plus der gleichen Anzahl an Lautsprechern, befinden sich noch weitere fünf Vorverstärker in der Gear Box, die sich besonders für Gesangsaufnahmen oder das Aufzeichnen von akustischen Instrumenten eignen. Als Kopiervorlage dient hier beispielsweise das Neve-Modul 1073 (siehe Test. S. 88), der API 512 Mikrofonvorverstärker oder ein Avalon VT-737. Außerdem gibt es noch eine Bandmaschinen-Simulation und sogar einen defekten Vorverstärker mit starken Verzerrungen, der für außergewöhnliche Klänge sorgt. Kombinierbar sind alle mit zehn simulierten Bodeneffekten: Gate, Volu-menpedal, Wah-Wha, Verzerrer, Kompressor, Equalizer, Modulationseffekte, Delay und Hall. Außer dem Gate, dem Kompressor und dem Volumenpedal sind alle mehrfach belegt und auch hier haben die Entwickler von Line 6 keine Mühen gescheut weitere Klassiker wie den Delux Memory Man von Electro Harmonix, den legendäre Uni Vibe Phase Shifter oder den Leslie 145, algorithmisch nachzubauen. Dem kreativen Sound-Design steht damit nichts mehr im Wege und durch die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten und Parame-tereinstellungen wird es jedem möglich seinen Individuellen Sound zu kreieren. Bevor wir aber genau das tun, noch ein kurzer Blick auf die Messwerte.

Der Frequenzgang geht unterhalb von 50 Hertz leicht in die Knie und fällt bis 20 Hertz um 2 dB ab – dies ist zu vernachlässigen. Der Klirrfaktor liegt im Durchschnitt bei ausgezeichneten 0,003 Prozent. Die Geräuschspannungs- und der Fremdspannungsabstände für die Line-Eingänge liegen bei sehr guten 90,6 und 87,8 dB. Die Werte für die Mikrofoneingänge liegen bei 75 dBu und 73,6 und gehen in Ordnung. 

Die Aufgabenstellung für den ausführlichen Praxistest von Professional Audio Magazin lautet: bei einer laufenden imaginären Pop/Rock-Produktion fehlt noch ein Song für das neue Album, seien sie kreativ und entwickeln ein Songlayout für eine Mid-Tempo Nummer. Da im Lieferumfang Ableton Live Lite 5 (Line 6 Edition) mit inbegriffen ist und sich die Software wegen seiner komfortablen Loop-Anpassungen sehr gut für schnelles kreatives Arbeiten eignet, starten wir den Sequenzer und fangen an. Bevor wir aber kreativ werden, ges-talten wir uns die Arbeitsbedingungen noch etwas leichter. Wir belegen die Transportknöpfe des Tone Ports KB37 (Start, Stopp, Aufnaheme) über die MIDI-Zuweisung mit den entsprechenden Funktionen des Sequenzers und können jetzt unsere Aufnahme-Session fernsteuern. Die Maus bleibt weitestgehend unberührt und am Notebook kann das oft lästige Touchpad umgangen werden. Für die Inspiration ziehen wir einen Drum-Loop aus unserer stilistisch sortierten Library in das Arrangementfenster von Live 5. Der straighte Rock-Groove passt sich unserem eingestellten Tempo (110 bpm) automatisch an und wir lassen den Loop erstmal bis zu einer Länge von guten drei Minuten stoisch durchlaufen. Auf der Akustikgitarre entsteht schnell eine passable Akkordfolge für Strophe, Refrain und C-Part. Das Einpegeln gelingt ohne Probleme und schon der trockene Klang, den wir über die angeschlossenen Kopfhörer abhören, kann ohne zusätzliche Verstärkersimulation unseren kritischen Ohren standhalten. Das direkte Monitoring lässt keine Latenzen hörbar werden und ermöglicht damit punktgenaues Einspie-len. Die Gear Box Software liefert uns zusätzlich ein geeignetes Preset, das nach kurzen Feinjustierungen, das Gitarrensignal optimiert. Über ein Audio Technika AT 4040 nehmen wir die Idee auf: den Aufnahme-Button gedrückt, eingespielt und die grobe Songstruk-tur steht erstmal. 

Die Melodie schon im Kopf, wollen wir schnell noch einen Bass einspielen. Dafür schalten wir den Eingang auf Instrument um: Ein Klick auf den Input-Button genügt und alle verfügbaren Eingänge inklusive des Instrumenten-Eingangs sind auszuwählen. Wir probieren ein paar Minuten verschiedene Grooves aus. Die unterschiedlichen Presets mit ihrer klanglichen Vielfalt sind sehr inspirierend und gerne probiert man die meist automatisch gut klingenden Simulationen aus. Wir entscheiden uns schließlich für eine Ampeg SVT-Simulation mit einem SVT 8×10 Speaker Cabinet. Über den Mikrofonierungs-Button wählen wir eine schräg gestellte Shure SM57-Simulation und schieben das Mikrofon im virtuellen Raum so nah es geht an den Lautsprecher, um ein möglichst direktes Signal ohne Raumreflektionen zu erhalten. Den Aufnahme-Button gedrückt, eingespielt und das Funda-ment steht.

Jetzt schnell die Melodie festhalten, bevor sie vor lauter Spielspaß verloren geht. Wir schal-ten wieder auf den Mikrofoneingang um und singen in bestem Kauderwelsch Strophenmelodie und Refrain-Hookline ein. Dabei wählen wir bewusst keine Vorverstärker-Simulation aus, um das Signal trocken aufzunehmen und später in Ruhe verschiedene Möglichkeiten testen zu können. Den Aufnahme-Button gedrückt, eingesungen und das grobe Layout ist fertig.

Um den Gesangssound zu gestalten legen wir die Gear Box als VST Plug-in auf die Ge-sangsspur. Die Oberfläche der Software ist graphisch denen der Originale nachempfunden und macht die Parametereinstellungen zu einem Kinderspiel. Wir probieren verschiedene Vorverstärker-Simulationen aus, ohne das Ausgangsmaterial verändern zu müssen. Klanglich überzeugt uns die Simulation des Avalon VT-737. Das Klangbild ist sehr ausgeglichen und im Gegensatz zu der Neve 1073 oder der Bandmaschinen-Simulation neutraler. Die Höhen klingen sehr frisch und die Stimme erscheint sehr druckvoll und durchsetzungsstark. Der, dem LA-2A von Universal Audio nachempfundenen Röhrenkompressor, sorgt für den letzten Feinschliff. Das Ergebnis kann sich hören lassen. Für den Raumeindruck verwenden wir das Preset Medium Hall und nehmen den Effekt-Anteil deutlich zurück. Da es um einen schnellen Schnappschuss geht, sparen wir uns die weitere Verfeinerung durch das Einspielen von Flächensounds über das Keyboard und zusätzliche E-Gitarren, auch wenn wir schon einige Ideen für die Endproduktion im Kopf haben und es uns in den Fingern juckt die klangliche Vielfalt der Gitarrenverstärker und Effekte auszuschöpfen aber dafür muss das Layout erstmal angenommen werden. 

Fazit

Der Tone Port KB37 ist mit der intergrierten Modeling Software Gear Box eine gelungene Lösung für schnelles und unkompliziertes Produzieren und Aufnehmen. Zum kreativen Arbeiten bietet sich eine Vielfalt von Effekten und Verstärkersimulationen, die weitestgehend gut klingen und vor allem Spaß machen und inspirieren. Ob dabei die Simulationen tatsächlich 100-prozentig an die Originale heranreichen und diese eins zu eins kopieren ist nicht ausschlaggebend. Vielmehr ist wichtig, dass klangliche Erfolgserlebnisse schnell und intuitiv erreicht  werden, egal ob es sich um Gitarren-, Bass- oder Gesangsaufnahmen handelt. Mit dem Tone Port KB37 bekommen sie für rund 390 Euro ein gut ausgestattetes USB-Audiointerface, mit umfangreicher Modeling-Software und einem Masterkeyboard. Außerdem könnte bei ihnen das Gefühl einsetzten, dass plötzlich alle Fäden zusammen laufen.  

Erschienen in Ausgabe 13/2006

Preisklasse: Economyklasse
Preis: 393 €
Bewertung: gut
Preis/Leistung: sehr gut