Seh-Hilfe

Live-Aufnahmen, die an prominenter Stelle ein Störgeräusch enthalten, brauchen Sie nicht mehr in den Mülleimer zu werfen. Mit Renovator kommt die Rettung.

Von Georg Berger

Durch den so genannten Human Factor ist die Gefahr immer groß, dass sich selbst in der mit größter Sorgfalt hergestellten Aufnahme ein Störgeräusch findet. Sei es ein zu lautes Finger- oder Anblasgeräusch beim Aufnehmen eines Instrumentes im Studio, oder dass bei einer Live-Aufnahme im Konzertsaal mal wieder jemand vergessen hat, das Handy auszumachen. Mit herkömmlichen Audio-Editoren können Sie dem erfolgreich begegnen, wenn diese Störgeräusche isoliert für sich stehen. Spätestens dann, wenn so ein Störsignal mitten im Klang des Instrumentes eingebettet ist, reichen die Funktionalitäten dieser Editoren aber nicht mehr aus. Dann schlägt die Stunde des Renovator, so der Name eines von der deutschen Firma Algorithmix entwickelten Audio-Restaurationstools. Angeblich schafft der Renovator das Unmögliche: Störgeräusche innerhalb eines Instrumentenklangs unter Beibehaltung der Raumakustik und des Instrumentenklangs zu entfernen – so, als wäre nie eine Störung vorhanden gewesen.

Um dieses Versprechen einzulösen, bedarf es eines eigenen Ansatzes zur Darstellung und zum Eingriff in die Audio-Datei. Die grundsätzliche Funktion des Tools beschreibt Algorithmix so: Renovator stellt die Audio-Datei nicht als Amplitude dar, sondern als Spektrum. Im Mittelpunkt der Anwendung steht die dreidimensionale Darstellung dieses Spektrums. Die x-Achse bezeichnet dabei den zeitlichen Verlauf des Klanges und die y-Achse den Frequenzgang. Die z-Achse zeigt schließlich in dritter Dimension die unterschiedlichen Amplituden innerhalb des Gesamtspektrums farblich voneinander abgesetzt.

In der Tat erinnert ein derart aufgedröseltes Spektrum mitunter an die farbig-psychedelischen Licht-Performances der 60er Jahre. Freilich hat die bunte Codierung ihren Sinn: Die Farben helfen dem Anwender bei der Analyse und dem Erkennen von Störsignalen.

Allerdings braucht es einiges an Zeit zur Einarbeitung, um erfolgreiche Ergebnisse zu erhalten; ein gerüttelt Maß an Sachkenntnis hinsichtlich Frequenzspektren ist überdies erforderlich und die Kasse sollte gut gefüllt sein. Renovator ist kein Spielzeug und mit knapp 2.500 Euro nicht gerade zum Schnäppchenpreis erhältlich.  

Die Möglichkeiten der Software können jedoch ungleich mehr wert sein; zu Beispiel wenn es darum geht, unwiederbringliche Aufnahmen zu rettet. Die zum Test vorliegende Version 2.1 ist gegenüber ihrer Vorgängerversion mit einer Reihe neuer Features aufgepeppt, die das Arbeiten bequemer und effektiver gestalten. So enthält diese Version drei neue Möglichkeiten zur Analyse und Bearbeitung von Audio-Material:  Automatic Selection of Harmonics, Automatic Identification of Clicks sowie Automatic Identification of Tones and Harmonics. Shortcuts und eine Vergleichsfunktion zwischen Original und Bearbeitung runden die neuen Features ab.

Nach dem Start des Programms zeigt sich ein eher unscheinbares und vom Design her schlichtes Fenster. Es dient lediglich zum Laden von Audio-Files und im Anschluss an eine Editierung, zum Vergleich zwischen Original und Bearbeitung. Das eigentliche Hauptfenster öffnet sich erst durch Druck auf den Renovator-Button. In diesem, ebenfalls grafisch simpel gehaltenem Fenster wird die zu bearbeitende Audio-Datei als Spektrum dargestellt. Mit lediglich acht Eingabefeldern und 14 Schaltflächen unter dem Display sind die Einstellmöglichkeiten überschaubar. Alles in allem vermittelt dieser erste Eindruck nicht, dass Renovator ein mächtiges Programm ist. Mit gerade einmal fünf Megabyte Speicherplatz-Bedarf auf der Festplatte scheint sich dieser Eindruck noch zu verstärken.

Doch die inneren Werte glänzen dafür umso mehr. Samplingfrequenzen bis maximal 384 Kilohertz lassen sich verarbeiten und empfehlen Renovator auch für hochauflösende Anwendungen im so genannten DSD-Format (Direct Stream Digital). Renovator lässt sich sowohl standalone, als auch als Plug-in betreiben. Derzeit ist es in das professionelle DAW-System Pyramix der Schweizer Firma Merging Technologies integrierbar, sowie in Sequoia von Magix und in Digidesigns Pro Tools. Vorteil und neues Feature im Verbund mit diesen Anwendungen: Renovator kann mehrere Einzelspuren gemeinsam und simultan bearbeiteen.

In Version 2.1 lässt sich die Software nunmehr auch in Wavlab 6 von Steinberg einbinden. Allerdings ist dort nur die Bearbeitung von Einzel-Files möglich. Weiterhin kann Renovator im Verbund mit Wavlab momentan nur Audio-Material bis maximal drei Minuten verarbeiten. Ulrich Hatje vom Algorithmix-Support versichert jedoch: „Diese Einschränkung wird demnächst aufgehoben.“

Es gibt aber auch einige kleine Einschränkungen: Renovator in der standalone-Version akzeptiert aktuell nur das Wav-Format und ist lediglich in der Lage, Dateien mit einer Wortbreite von entweder 16, 24 oder 32 bit Fließkomma zu laden. Als Plug-in eingesetzt, gibt es diese Einschränkungen nicht.

Das Handbuch ist mit 28 Seiten zwar überschaubar, aber dennoch informativ. Sämtliche Funktionen werden anhand von kleinen Beispielen erläutert, was Einsteigern die Möglichkeiten der Software bildlich vor Augen führt.

Wer Renovator einsetzt, arbeitet zuerst und hauptsächlich mit den Möglichkeiten der Darstellung des erwähnten Spektrums, um die Störsignale aufzuspüren. Mit den Eingabefeldern auf der unteren rechten Seite des Editors manipulieren Sie als nächstes die farbliche Darstellung des Spektrums. Durch Veränderung der Scrollbalken verändern Sie dann seine Größe. Die unterschiedlichen Farben symbolisieren dabei die einzelnen Lautstärken der Spektralbestandteile. Von weiß als höchstem Lautstärkeanteil über blau und grün bis hin zu rot als schwächstem Anteil reicht die Skala. Unschätzbarer Komfortvorteil: Das gesamte Fenster ist skalierbar, so dass bei voller Bildschirmgröße in mikroskopisch kleine Spektralbestandteile bei maximaler Sicht vorgedrungen werden kann.

Es gibt dabei drei Methoden, Klängen mit Störsignalen zu beseitigen. Das mächtigste Verfahren besteht in einer ersetzenden Interpolation. Dabei wird ein Schallereignis ausgewählt, analysiert und in einem weiteren Prozess das so erkannte Störsignal entfernt und mit Spektren, die sowohl zeitlich als auch frequenzabhängig vor und hinter, beziehungsweise über und unter der Auswahl liegen quasi aufgefüllt. Das zweite Verfahren ist eine Lautstärke abhängige Interpolation. Sie gestattet es, zu laut geratene Teile des Spektrums in seiner Lautstärke zu korrigieren. Diese Art greift nicht so stark in den Klang ein, wie die anderen beiden. Die dritte Möglichkeit erlaubt schließlich das Kopieren und Einfügen von Spektralanteilen an eine andere Stelle. Diese Verfahren erinnern an das Arbeiten mit üblichen Audio-Editoren. Auf der Zeitachse wird zum entsprechenden Ereignis gespult und dort der Eingriff vorgenommen. Der Unterschied in Renovator besteht jetzt darin, dass nicht nur die Gesamtamplitude verändert werden kann, sondern auch die Bestandteile innerhalb der Gesamtamplitude.

Vornehmlich dem ersten Verfahren sind unterschiedliche Analyse- und Bearbeitungsfunktionen zur Seite gestellt, die Sie mit Hilfe der Schaltflächen auf der rechten Seite aufrufen. Wollen Sie aus einer Datei störendes Knistern oder ähnliche impulsartige Geräusche entfernen, empfiehlt sich die so genannte Automatic Identificaton of Clicks. Haben Sie den Bereich, der die Störsignale enthält, ausgemacht, so markieren Sie ihn mit der Maus durch das Aufziehen eines Vierecks. Die Click-Funktion analysiert nun die Impulsspitzen und stellt sie farblich abgesetzt dar. Mit den Eingabefeldern auf der linken Seite bestimmen Sie nun, wie stark und wie genau, die erkannten Störsignale interpoliert werden sollen. Ein Druck auf den Process-Button startet den Bearbeitungsprozess. Das Ergebnis lässt sich direkt im Anschluss abhören. Wichtig ist, dass für diese Bearbeitung der Funktionstyp horizontal ausgewählt wird, da für impulsartige Signale horizontale Spektralanteile – also links und rechts von der Auswahl – in die so entstehende Lücke interpoliert werden.

Die so genannte Automatic Identification of Tones and Harmonics empfiehlt sich für Störsignale, die im Vergleich zu einem Impuls ungleich länger andauern. Ein falsch gespielter Ton oder ein permanentes Netzbrummen lassen sich mit dieser Funktion erkennen und korrigieren. Die Darstellung und Vorgehensweise in diesem Analyse- und Bearbeitungs-Modus verläuft umgekehrt zur Erkennung von Impulsspitzen.

Ein weiterer Modus ist die Automatic Selection of Harmonics, die es gestattet, einen definierten Ton mitsamt seiner Teiltöne auf einen Schlag zu erkennen und zu entfernen. Dazu müssen Sie lediglich den Grundton ermittelen. Ein falsch gespielter Ton oder ein kurzzeitig tonales Ereignis lässt sich damit präzise, leicht und unkompliziert entfernen. Die Möglichkeiten zur Manipulation von Spektralanteilen sind damit einerseits umfangreich, andererseits aber auch leicht und einfach zu erlernen.

Wie erwähnt ist das Arbeiten mit dem Spektrum zu Anfang sehr gewöhnungsbedürftig. Es braucht Übung, um ein Spektrum richtig interpretieren zu können und auch um entsprechend sachgemäß mit der Zoom- und Spektralfarben-Funktion Störsignalen auf den Grund zu gehen. Und so sind die ersten Schritte im Umgang mit Renovator eher ein unbeholfenes Ausprobieren, als ein souveränes Meistern klanglicher Probleme.

Als erstes nehmen wir uns eine Sprachaufnahme vor, die von kurzen, tonalen Einsätzen einer Flöte gestört wird. Das Lokalisieren des Störsignals im zeitlichen Verlauf fällt leicht. Die Trennung und sachgemäße Unterscheidung von Nutz- und Störsignal gerät jedoch erst einmal zur Katastrophe: Anstatt den Flötenton zu entfernen, beseitigen wir das Sprachsignal. Wir wollen es aber anders herum haben. Dank einer komfortablen undo-Funktion – Renovator merkt sich wirklich jeden Bearbeitungsschritt innerhalb der aktuellen Bearbeitung – haben wir diesen Fehler wieder schnell korrigiert. Wir sind sogar doppelt vor Falscheingaben geschützt, denn Renovator legt bei Aufruf einer Datei in den Editor automatisch ein Backup-File an. Es kann also nichts schief gehen.

Nach weiteren Versuchen mit Zoom- und Farben-Korrektur schaffen wir es schließlich, das Spektrum der Flöte zu lokalisieren. Mit dem Automatic Tone and Harmonics Identification-Modus ist es jetzt einfach, die tonale Information zu entfernen. Was bleibt, ist lediglich das Anblas-Geräusch, das wir mit Hilfe des Click-, sowie der Gain-Interpolation entfernen. Hierfür sind mehrere separate Bearbeitungsschritte nötig, um im gesamten Spektrum mikroskopisch fein nur die Störgräusche zu entfernen und nicht etwa Anteile des Sprachsignals. Das klangliche Resultat ist dafür atemberaubend: Die gesprochenen Worte klingen inklusive Rauminformation natürlich und im Vergleich mit den Einsätzen vor und nach dem Störsignal wie aus einem Guss. Keine Brüche oder klangliche Verfärbungen sind feststellbar. Allerdings sollten wir an dieser Stelle dazu vermerken, dass deinige Zeit draufging, um dieses Erfolgserlebnis zu haben.

Als nächstes entfernen wir ein ziemlich heftiges Feedback-Pfeifen aus einer Proberaumaufnahme einer Rockband. Nach entsprechender Anpassung des Bildschirms entscheiden wir uns für den Einsatz des Automatic Selection of Harmonics-Modus, nachdem wir den Grundton des Feedbacks ermittelt haben. Durch An- und Abwahl der Teiltöne können wir auf einen Schlag die hauptsächlichen Spektralanteile des Feedbacks lokalisiert und entfernt. Was bleibt, ist ein nochmaliges Korrigieren einzelner kleiner Anteile, die wir mit dem Gain Selective Interpolation-Modus, sowie bei kleinsten Anteilen mit Kopieren und Einfügen benachbarter Spektralanteile erfolgreich beseitigen. Das Feedback ist zwar jetzt erfolgreich eliminiert. Doch dafür herrscht an dieser Stelle nun ein Frequenzloch, dem wir mit einer Anhebung der Lautstärke des verbliebenen Spektrums erfolgreich begegnen. Fazit dieses Praxistests: Die Möglichkeiten mit Renovator sind enorm. Aber vor den Preis haben auch hier die Götter den Schweiß gesetzt.

Fazit

Renovator von Algorithmix ist ein mächtiges Profi-Tool mit atemberaubenden Möglichkeiten. Die Einstellmöglichkeiten sind einfach, übersichtlich und äußerst effektiv. Dennoch lässt sich nicht mal eben auf die Schnelle ein Audio-Signal korrigieren. Zunächst ist nämlich der Umgang mit den Darstellungsmöglichkeiten des Spektrums zu erlernen. Ist das geschafft, brauchen Sie sich nie wieder Gedanken um verpatzte Aufnahmen zu machen.

Erschienen in Ausgabe 07/2006

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 2490 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut