Hal(l)t gut
Slate Digital hat in Kooperation mit LiquidSonics ein Faltungshall-Plug-in entwickelt, welches die Sounds acht berüchtigter Digital-Hallgeräte bereitstellen möchte. Wir haben Verbsuite Classics in der Praxis getestet.
Von Sebastian Lesch
Allerhand akustische Objekte – von Räumen bis hin zu Lautsprechern – lassen sich mittels Impulsantworten in ihren Klangeigenschaften reproduzieren. Das Mittel wird jedoch vielerorts zugleich als Problem gesehen, denn Impulsantworten sind im Grunde statische Momentaufnahmen, ganz im Gegensatz zu den realen Objekten, die je nach Dynamik und Position durchaus dazu neigen, ganz unterschiedlich zu reagieren. Auch die Algorithmen in Digitalgeräten entfalten ihre Magie erst durch die feinen und teils eigenartigen Modulationen, die mit Veränderungen im Quellsignal einhergehen.
Slate Digital nahm sich der Aufgabe an, eine Sammlung ikonischer Digital-Hallgeräte mit Hilfe von Impulsantworten zu erstellen, ohne das Verhalten der ursprünglichen digitalen Hardware-Geräte zu vernachlässigen. Das Ergebnis hört auf den Namen Verbsuite Classics und entstand in Kooperation mit Software-Hersteller LiquidSonics, mitunter bekannt für das Hall-Plug-in Reverberate. Verbsuite Classics möchte seinen Nutzern Zugang zum Klang acht beliebter Digital-Hallgeräte auf einer leicht bedienbaren Plug-in-Oberfläche gewähren und lädt zum munteren Experimentieren mit Hall und Räumlichkeit ein. Der Preis für das aufwändig programmierte Faltungshall-Plug-in hält sich mit moderaten 190 Euro in Grenzen. Wahlweise kann es auch im Rahmen des Slate Digital „Everything Bundle“-Jahresabonnement, das sämtliche Plug-ins des Herstellers umfasst, für derzeit 15 Dollar pro Monat genutzt werden.
Fusion-IR
Herzstück des Verbsuite Classics-Plug-ins ist die Fusion-IR Impulsantwort-Technologie von LiquidSonics. Anstatt einer einzelnen Stereo-Impulsantwort verwendet Fusion-IR (IR steht für Impulse Response) mehrere True Stereo Impulsantworten, um die entsprechenden Objekte mit unterschiedlichen Dynamik- und Modulationsverhalten sowie mit einer umfangreicheren Stereodarstellung einzufangen. Das funktioniert ähnlich wie beim Sampling unterschiedlicher Anschlagstärken für virtuelle Instrumente. Zum Vergleich: Eine normale Impulsantwort entspricht dem Stereoklang eines Raums bei der Anregung durch eine einzelne Klangquelle. Das Ergebnis ist zwar ein Stereo-Abbild, allerdings nur mit den Informationen über eine feste Position der Schallquelle im Raum. Für True Stereo Impulsantworten wird der Raum in separaten Schritten sowohl von Rechts als auch von Links angeregt. Die verschiedenen Raumpositionen erzeugen unterschiedliche Reflexionen und Reaktionen – der Raumklang wird so mit großem Detailreichtum und feingezeichnetem Panorama eingefangen. True Stereo arbeitet mit zwei Stereospuren: einer mit zwei linken und einer mit zwei rechten Spuren. Das spiegelt sich auch in der Datenmenge des Plug-ins wieder – über zwei Gigabyte werden für die Installation benötigt. Im Gegensatz zum Raum-Beispiel handelt es sich bei den digitalen Hallgeräten aus Verbsuite Classics um vielschichtige Anregungen der verschiedenen Algorithmen. Die acht Presets der Verbsuite Classics sind wohl aus politischen Gründen nicht exakt nach ihren jeweiligen Vorbildern benannt. Allerdings machen es die Geräte-Codes doch ziemlich offensichtlich, mit welcher Abbildung wir es jeweils zu tun haben. So verbirgt sich hinter dem Namen FG-250 eindeutig ein EMT 250, hinter FG-480 ein Lexicon 480L. Nach Installation enthält das Plug-in zunächst nur sieben der insgesamt acht Hallgeräte. Nummer Acht, die Abbildung eines Bricasti Design M7 Hallprozessors unter dem Namen FG-BM7, muss separat bei LiquidSonics heruntergeladen werden.
Einfache Bedienung
Das Plug-in präsentiert sich mit einer aufgeräumten Bedienoberfläche, bestehend aus lediglich einem zentral gelegenen Hall-Parameter-Bereich, zuschaltbarer EQ-Sektion links, Output- und Mix-Regelung auf der rechten Seite und der übergeordneten Preset-Leiste. Schon fast überraschend simpel, wenn man bedenkt, dass sich hiermit die Sounds acht großer Hallprozessoren realisieren lassen sollen.
Unter „Load Device“ verbirgt sich die Geräteauswahl mit den entsprechenden Fusion-Impulsantworten, zum Teil mit unterschiedlichen Nachhallzeiten wie in etwa eine „Dark“-Einstellung des FG-250 mit sechs verschiedenen Decay-Zeiten von 0,4 bis 4,5 Sekunden. Insgesamt kommt das Plug-in „ab Werk“ auf 159 Fusion-IRs. Der Attack-Regler entspricht dem sonst typischeren „Size“-Parameter, der die Zeit bestimmt, den ein Hall zur vollen Entfaltung benötigt. In Kombination mit entsprechenden Hallzeiten und Erstreflexionen lässt sich so das Gefühl von räumlicher Größe bestimmen. Der Decay-Parameter orientiert sich an den festen Hallzeiten der jeweiligen Impulsantworten und ermöglicht eine 30-prozentige Verlängerung des RT60-Werts, also der Zeit, in der ein Nachhall um 60 Dezibel im Vergleich zum Ursprungssignal gesunken ist. Verkürzungen hingegen können um bis zu 75 Prozent erfolgen. Width bestimmt die Lautstärke des reinen Seitensignals. Anhand einer Verstärkung oder Absenkung um bis zu sechs Dezibel lässt sich das Verhältnis zum Mittensignal und somit die Stereobreite des Halls beeinträchtigen. Der Chorus fügt dem Reverb eine Zeit- und Pitch-modulierte Ebene hinzu. Auffällig: Der Equalizer bietet keinerlei Möglichkeiten zur Anpassung der Frequenzwahl. Er verfügt über drei feste Bänder, ein Kuhschwanzfilter mit einer weichen Filtergüte von 0,8 in den Bässen unterhalb 460 Hertz sowie Glockenfiltern auf einer Höhe von drei und 12 Kilohertz bei Q-Werten von 0,58 und 1,02.
Ein nützliches Feature in der Preset-Leiste ist die A/B-Auswahl, mit der sich zwischen zwei verschiedenen Parameter-Konfigurationen innerhalb einer Plug-in-Instanz wechseln lässt – praktisch, um zwei unterschiedliche Einstellungen ohne größere Umstände zu vergleichen.
Praxiseindruck
Die reduzierte Bedienung hilft in der Praxis, schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen. Anstatt uns mit den Eigenheiten der Bedienung der jeweiligen Hallgeräte beschäftigen zu müssen, können wir auf der Verbsuite Classics-Oberfläche immer wieder auf dieselben Parameter zurückgreifen. Es kommt relativ schnell ein Routine-Gefühl auf. Die Kehrseite: Einige der ursprünglichen Hallgerät-Vorbilder besitzen aufwendige Algorithmen, die nicht nur dynamisch auf das Signal reagieren, sondern sich auch in ihren speziellen Parametern anpassen lassen. Das Faltungshall-Plug-in beinhaltet pro Geräteabbildung nur eine feste Einstellung und stellt daher immer einen Kompromiss dar.
Klanglich eröffnet sich uns dennoch eine breite Palette an Sounds, von digitalen Simulationen natürlicher Räume und Hallplatten bis hin zu Dopplungseffekten und atmosphärischen Hallteppichen. Plate- und Room-Reproduktionen des FG-2016 punkten mit hohem Detailreichtum und natürlichem Charakter. Zu den experimentellen und kreativ Anregenden IRs zählen besonders die Raumsimulationen des FG-QRS. Darunter zum Beispiel die trockenen Garderobe- und Wohnzimmer-Impulsantworten, die sich bei hohem Wet-Signalanteil gut für Lo-Fi-Effekte einsetzen lassen, sowie die bestechend rund klingende Nachbildung eines 1000-Liter Öltanks und seiner entsprechenden Resonanzen.
Die Preset-Leiste hält zudem einige vorbereitete Sounds bereit, eingeordnet in Kategorien wie Drums oder Vocals. Herausstechend ist zum Beispiel das „250 Vocal Perfection“-Preset bei zusätzlich leichter Absenkung des Mittenfrequenzbands. Unsere Gesangsaufnahme wird damit um eine tiefe, dreidimensionale Raum-Ebene ergänzt, die sich gleichzeitig bestens in den Mix integriert.
Weiter geht es mit der EQ-Sektion: Eine sanfte Anhebung des Höhenbands sorgt durch die sehr hohe Scheitel-Frequenz von 12 kHz meist für eine plastische Höhenfeinzeichnung. Eine leichte Senkung des Frequenzbands sorgt hingegen für eine organische Einbettung des Signals in den Mix. Auf einer matten synthetischen Drum-Spur gelingt uns so mit dem „CLA Snare“-Reverb aus der Kategorie D des FG-2000 ein nahtlos mit dem Trockensignal verbundener Raum. Ein klassisches Beispiel für einen Hallsound, der das Signal in einen räumlichen Kontext stellt, ohne dabei als Effekt aufzufallen.
Eine entgegengesetzte Wirkung lässt sich besonders durch Anpassung des Mittenbands bewerkstelligen. Anhebungen und Absenkungen von bis zu 18 Dezibel ermöglichen mitunter extreme Eingriffe hinsichtlich der Durchsetzungsfähigkeit des Halls. Das ist nützlich, wenn der Raum eine deutlich über- oder eben untergeordnete Rolle spielen soll. Bei Anhebung der Höhen und oberen Mitten ist jedoch Vorsicht geboten – Originalsignale mit scharfem Charakter können dabei einen auffällig digitalen Klang in den Höhen erhalten. Die Reglungsmöglichkeiten der Bässe klingen sehr natürlich, die gewählte Filtergüte bezieht die als gefährlich geltenden „Wummerfrequenzen“ um 350 Hertz in angemessenem Verhältnis mit ein, ohne sie bei einer Anhebung zu sehr zu betonen. Insgesamt sind die Frequenzbänder überaus sinnvoll bemessen und sollten den meisten Anforderungen gewachsen sein. Wenn sich jedoch bei einem vollmundigen Hall einzelne Bereiche in den unteren Mitten als problematisch entpuppen, bleiben einem die Hände innerhalb des Plug-ins gebunden.
Fazit
Slate Digital ist in Zusammenarbeit mit LiquidSonics ein Faltungshall-Plug-in gelungen, dessen große Stärke in der intuitiven Bedienung liegt. Mit geringem Aufwand lassen sich gleichermaßen vielseitige und großartig klingende Ergebnisse erzielen. Daher eignet sich Verbsuite Classics besonders dann, wenn der Kreativprozess nicht durch eine zu große Detailforschung bei der Suche nach dem passenden Hall unterbrochen werden soll. Wir empfehlen jedoch, keine zu drastischen Einstellungen vorzunehmen.
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