Reverb mal ganz anders
Mit Adaptiverb liefert Zynaptiq ein außergewöhnliches Reverb-Plug-in ab und geht dabei ganz neue Wege. Mit Hilfe von Bionic Sustain Resynthesis und Harmonic Contour Filter wird im Adaptiverb harmonischer Nachhall erzeugt. Wie neuartig das klingt, verrät der Test.
Von Stefan Feuerhake
Wäre es nicht genial, einen Nachhall zu haben, der sich automatisch, ja fast auf magische Weise harmonisch unserem Sound anpasst? Ein Reverb, der unsere Mischungen nicht zuschmiert und die Instrumente und Sounds nicht zu stark in den Hintergrund drückt, aber dabei trotzdem besonders voll und episch klingt? Eine Art Hall, die den Sound verlängerte wie ein endloses Sustain und sich dadurch wunderbar als Sounddesign Tool für das Erstellen ganz eigener Klänge eignet? Klingt fast zu schön, um wahr zu sein, doch genau das verspricht der innovative Plug-in-Entwickler Zynaptiq aus Hannover. Sein Adaptiverb geht in Sachen Reverb völlig neue Wege und schlägt dafür mit 269 Euro zu Buche. Eine ordentliche Summe für ein Plug-in, aber durchaus angemessen, sollte das kreative Tool tatsächlich halten, was es verspricht.
Reverb im Überfluss
Der Markt für Reverb Plug-ins ist hart umkämpft und durchaus beherrscht von einigen sehr gut klingenden Kandidaten. Zudem hat jede DAW meist schon ein bis zwei relativ brauchbare Vertreter mit an Bord. Dabei ist es im Prinzip egal, ob der Nutzer Nachhall aus Impulsantworten oder algorithmischen Processing bevorzug. Meistens werden sowieso immer wieder die gleichen historischen Klassiker virtuell nachempfunden, wie etwa die ersten Echo Chambers oder Feder- und Plattenhallgeräte oder die berühmten digital Reverbs der 1980er- und 1990er-Jahre. Als Impulsantwort ist mittlerweile ja fast auch schon jeder taugliche Raum der Welt als Fingerabdruck gespeichert und somit dem User zugänglich. Man könnte meinen, zum Thema Reverb-Plug-in sei tatsächlich schon alles gesagt. Entwickler Zynaptiq ist jedoch grundanderer Meinung. Sein Plug-in Adaptiverb lässt sich mit einem Synthesizer vergleichen, der mit einem speziellen Harmonic Contour Filter ausgestattet ist. Dieses Filter ist in der Lage, dass Hall-Signal auf verschiedene Arten harmonisch zu sieben. Es erfasst sozusagen einen harmonische Fingerabdruck des Signals, der dann beispielsweise mit der kleinen On Screen-Tastatur tonal beeinflusst werden kann. Dies erschafft einen sehr harmonischen Nachhall, der sehr gut zum Signal passt. Wie das genau funktioniert, können Sie im Interview mit dem Entwickler (siehe Kasten) lesen. Wir schauen uns derweil zuerst einmal die Oberfläche des Plug-ins genauer an.
Übersichtliches GUI
Die GUI von Adaptiverb ist, ganz nach Zynaptiq-Manier, sehr übersichtlich gestaltet. In der Mitte fällt zuerst die große X/Y Matrix auf, welche die Parameter Sustain (X) und Reverb Mix (Y) steuern lässt. Zur Matrix gehört auch der Freeze-Button, der zum Einfrieren der Hallsettings dient. Hier beginnt auch die Welt des Sounddesign im Adaptiverb, aber dazu kommen wir später noch ausführlicher. Eingerahmt wird die X/Y Matrix von zwei Trackball Slidern, die wir schon von früheren von Zynaptiq Plug-ins wie z.B. Morph 2 (Test in Professional audio 6/1015) kennen. Allerdings sind diese „nur“ im Main Modus sichtbar und steuern hier die Parameter Richness und Harmonic Filtering. In der zweiten Ansicht, dem Fine Tune Modus, stecken hinter den Sildern weitere Parameter. Während der Main Modus zum schnellen unkomplizierten Einstellen der Kernparameter dient, geht es im Fine Tune Modus um einiges mehr in die Tiefe der Bionic Sustain Resynthesis (Richness) und des Harmonic Filters. Ein bewährtes und sinnvolles Konzept, das der Hersteller auch bei anderen Plug-ins vergleichbar gelöst hat. Für den Einstieg reicht der Main Modus zunächst vollkommen aus. Beim Kennenlernen von Adaptiverb hilft übrigens der üppig ausgestattete Browser, der mit einer stolzen Anzahl von 400 Presets die gesamte Klangpalette des Plug-ins vorstellt. Diese sind in Kategorien wie beispielsweise Music Production Verbs, Speech Verbs und Orchestral Colored Verbs, aber auch Robotizers & Resonators oder Drones sortiert und zum Sounddesign einladen. Zusammen mit den vier globalen Reverb-Parametern lässt sich das Klangpotenzial des Adaptiverb schon ordentlich ausschöpfen.
Globalen Parameter
Die globalen Parameter sind in beiden Modi (Main und Fine Tune) zugänglich. Im unteren Bereich des Plug-ins stehen vier Reverb Parameter bereit: Model, Source, Size und Damp. Es stehen insgesamt drei Reverb Modelle zur Auswahl: Allpass, R-TRC und R-TRC HD. Auf der rechte Seite finden wir den Wet Gain- sowie den Dry/Wet-Regler und den Bypass-Schalter.
Zu den Modellen: Bei Allpass wird der Nachhall mit Hilfe eines Allpassfilters erstellt. Viele klassischen Reverbs nutzen dieses Modell. Der Allpass-Modus eignet sich für kleine bis mittlere Räume sowie für sehr lange Hallfahnen. Bei R-TRC wird eine 3D-Simulation eines Raumes verwendet, um den Nachhall zu berechnen, wofür mit virtuellen Tonquellen und virtuellen Hörposition gearbeitet wird. Auch die Abstände dazwischen werden simuliert. Dieser Modus ist „true stereo“ und eignet sich besonders gut für atmosphärischen Hall. R-TRC HD, das dritte Modell, ist eine Variation des R-TRC-Algorithmus, der Schallquellen verwendet aus unterschiedlichen Winkeln zum Hörer platziert. Im Vergleich zu R-TRC klingt der Hall mit diesem Modell etwas größer und hat gefühlt mehr „Bewegung“.
Mit dem Source-Parameter wird das Mischungsverhältnis eingestellt, mit dem der Reverb ausgegeben wird. Er regelt die Steuermischungen zwischen dem Sustain Resynth Ausgang (maximale Position) und dem Ausgang der Freeze-Schaltung, die vor dem Resynth (minimale Position) platziert ist. Um die Resynth zu umgehen, und nur das Filter zu nutzen, genügt es, den Source-Regler auf Minimum zu stellen.
Mit Size und Damp erhalten wir zwei bekannte Parameter im Hall-Kontext, die auch hier für Größe und Bedämpfung der Höhen im Nachhall zuständig sind. Dazu gleich ein kleiner Tipp: Schauen Sie sich das Bild mit dem Signalflow von Adaptiverb (siehe Abbildung) genau an, und achten Sie auch darauf, wie sich einige Parameter gegenseitig beeinflussen. Wenn beispielsweise Damp ganz zugedreht ist, also maximale Bedämpfung der Höhen stattfindet, hat Input Air keinen Einfluss mehr. Denn Input Air ist im Plug-In für den Anteil an hohen Frequenzen zuständig, die dem Signal vor dem Resynth zugefügt werden.
Klangeindruck
Genug der Theorie und Bedienung, jetzt konzentrieren wir uns ganz auf den Klang. Da beim Adaptiverb das Ausgangsmaterial analysiert und sozusagen resynthetisiert wird, klingt er sehr vielseitig, aber eben auch sehr abhängig von dem Signal, das hineingeschickt wird. Der Hersteller hat nicht zu viel versprochen: Der Nachhall kann in der Tat sehr „tief“ klingen und einen großen Raumeindruck erzeugen, ohne dabei zu viele unangenehme Frequenzen beim Ausklang zu produzieren. Das sind bei schlechten Reverb-Plug-ins oft die Frequenzen, die das Signal blechern, metallisch und oft auch sehr künstlich klingen lassen. Der Adaptiverb löst das ungleich organischer.
Wunderbar verlängert das Plug-in aber auch jeden Sound, fall gewünscht, mit einem unendlichen Sustain und sorgt dabei für extreme Atmosphären, die besonders in minimalistischer Musik herrlich zur Geltung kommen. Adaptiverb funktioniert aber auch gleichermaßen hervorragend in großen Arrangements mit vielen Spuren, da er nicht so schnell anfängt, Frequenzen zu überdecken. Dadurch geht die Präsens des Klang nicht so schnell verloren. So lassen sich auch nach Belieben Drums, Vocals, Pianoklänge oder Orchesterinstrumente mit Adaptiverb bestens veredeln.
Fine Tune
Im Fine Tune Modus verschwinden die Silder und es erscheinen je fünf Parameter für den Resynth und das Filter. Bei der Bionic Sustain Resynthesis sind dies die Parameter Simplify, Richness, Interval, Pitch Randomize und Diffusion. Besonders Interval ist sehr wichtig für den Sound. Damit lässt sich die Tonhöhe/Oktavenlage des Resynths bestimmem.
Das Harmonic Filter siebt hingegen alle Komponenten aus dem Reverb, die nicht im Eingangssignal vorhanden sind und dies auf extrem präzise und musikalische Weise. Es kann auch, auf Wunsch, nur bestimmte Töne, die Sie im Key Modus (siehe Bild) selbst festlegen können, herausfiltert oder alternativ im Reverb belassen. Es lässt sich exakt die Tonhöhe des Halls bestimmen – volle Kontrolle.
Sounddesign
Die vielen Parameter im Fine Tune Modus lassen Adaptiverb als echtes Sounddesign Tool einsetzen. Besonders der Freeze Button zum Einfrieren des Nachhalls in Verbindung mit dem Filter Key Modus ermöglicht endlos viele Variationen. Dadurch entstehen hauptsächlich atmosphärische Soundeffekte, warme schimmernde Pads und dunkel wabernde Drones. Wir empfehlen, den Adaptiverb auch einfach mal in den Insert einer Spur mit einem Softwaresythesizer zu laden und den Ausgang der Spur in eine neue Spur zu routen und anschließend beim Experimentieren einfach alles aufzuzeichnen. So lassen sich später aus der Aufnahme interessanten Passagen ausscheiden und weiter ver/bearbeiten.
Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das Plug-in ziemlich an der Latenz unseres Systems gekratzt hat – je mehr RAM, desto besser. Zynaptiq empfiehlt grundsätzlich 1024 Samples Puffergrößte. Die CPU Last erhöht stark bei niedrigen Puffergrößen. Der Grund hierfür: Der Algorithmus muss eine bestimmte Menge Signal “sehen”, um das Signal zu “verstehen”.
Fazit
Mit Adaptiverb ist Zynaptiq ein sehr inspirierendes Plug-in gelungen, das definitiv über den Tellerrand schaut und im Hall-Bereich Neuland betritt. Es klingt hervorragend, einzigartig und ist dabei extrem vielseitig einsetzbar. Als Nachall aber auch besonders als kreatives Sounddesign Tool ist Adaptiverb eine echte Bereicherung für jeden Produktion. Als einziger Reverb im Projekt ist er jedoch nur bedingt zu empfehlen, besonders wenn der Hall sehr natürlich/realistisch klingen soll.
Guter Sound hat auch beim Adaptiverb seinen Preis: Zum einen durch die hohe CPU Belastung, zum anderen ist er mit einem UVP von 269 Euro auch eher im oberen Preissegment ansiedelt. Dafür erhält man aber auch ein einzigartiges Tool mit viel kreativem Potential fernab ausgetrampelter Pfade.
Fragen an Denis Goegdak (CEO von Zynaptiq)
? Der Markt ist voll von exzellent klingenden Reverb-Plug-ins. Seit ihr von deren Klang gelangweilt, oder wie kamt ihr darauf, mit Adaptiverb ein ganz neues Konzept für Hall zu entwickeln?
! Es gibt in der Tat viele traditionelle Reverbs auf dem Markt, die mit mehr oder weniger Erfolg die Reflexionseigenschaften natürlicher Räume emulieren. Das simulieren eines echten Raumes ist allerdings nur eine der Anwendungen für Hall – es gibt aber in der Praxis sehr viele andere Dinge, für die man Hall benutzt, für die aber keine spezialisierten Tools existieren. So verwendet man Hall gerne, um ein Element in den Mix einzubetten, im mehr Fülle zu verleihen, eine gewisse Dreidimensionalität nachzurüsten, oder es „größer“ klingen zu lassen. Bei keiner dieser Anwendungen will man konkret den „Hall an sich“, sondern nur einige seiner Auswirkungen auf den Sound. Oder man möchte einem Mix mehr „Zusammenhang“ und „Tiefe“ mit auf den Weg geben, aber dabei die Direktheit erhalten und nicht etwa den gesamten Mix in einem Badezimmer platzieren. Und: es ist keine seltene Anwendung, Hall und/oder Faltungs-Engines zum Erzeugen von Flächen und Texturen einzusetzen. Für alle diese Szenarien haben wir Adaptiverb entwickelt.
? Was genau steckt hinter der Bionic Sustain Resynthesis und wie wichtig ist das Harmonic Contour Filter für den Klang des Adaptiverbs?
! Der Bionic Sustain Resynthesizer ist ein Kernelement von Adaptiverb. Er verwendet eine Technologie, die in ähnlicher Form auch eingesetzt wird, um selbstfahrenden Autos beizubringen, Hindernisse zu erkennen. In Adaptiverb wird diese Technologie eingesetzt, um nur die stabilen, tonalen Anteile des Eingangssignales – also die „wesentlichen“ und „signifikanten“ Anteile – beizubehalten, und auf ihnen basierend eine Hallfahne zu synthetisieren, die frei von Rauschanteilen ist und durchaus so klingen kann, als hätten die Sounds am Input von Natur aus einen längeren Ausklang gehabt. Vereinfacht dargestellt besteht der BSR aus hunderten, miteinander vernetzten und nicht-linearen Oszillatoren, die wie ein neuronales Netz auf das Eingangssignal trainiert werden, und es dann neu erzeugen – mit umgestalteten Eigenschaften. Dabei kann man natürlich auch gleich Sound-Manipulationen vornehmen, wie man sie sonst nur in Synthesizern finden würde. Der BSR ist ein maßgeblicher Teil des Sounds von Adaptiverb, durch ihn wird der Klang so unglaublich weich.
Der Harmonic Contour Filter bearbeitet den Output des BSR und der Reverb Engine nach. Er entfernt tonale Komponenten, die entweder im derzeitigen Input nicht enthalten sind (Track Mode) oder nicht in den Obertonreihen einer einstellbaren Tonart vorhanden sind (Keyboard Mode). Dadurch ergeben sich sehr praktische Features. Auf der einfachsten Ebene entfällt hierdurch das zeitintensive Anpassen der Frequenzgang-Eigenschaften des Halls, sowie das Einstellen frequenzabhängiger Delay-Zeiten – das Plug-in passt sich diesbezüglich automatisch an und der Hall verschmilzt geradezu mit dem Sound. Außerdem folgt das Plug-in dadurch etwaigen Tonhöhen-/Harmonie-Wechseln am Input. Lange Hallfahnen sind zum Beispiel super, um ein Melodie-Instrument zu regelrecht zu tragen, aber: vorherige Noten klingen in der Hallfahne noch nach und werden dadurch mit der aktuellen Tonhöhe überlagert. Das führt zu undefinierterem Sound, kurzum „Matsch“. Gerade bei Tonartwechseln begrenzt das naturgemäß die Menge von Hall, die man in der Praxis einsetzen kann. Der HCF löst dieses Problem: Er verhindert Dissonanzen, erhält die melodische Kontur des Inputs und erlaubt so den Einsatz von sehr viel mehr Hall. Mit dem Keyboard Mode lässt sich der Hall in eine einstellbare Tonart zwingen, was sehr schöne Sounds erzeugt und ebenfalls zu einem deutlich aufgeräumteren Mix führt. Der HCF ist insofern sehr wichtig für den Klang – aber noch wichtiger für die Funktionalität des Adaptiverbs.
? Kann das Plug-in herkömmliche Reverb Plug-ins komplett ersetzen?
! Das hängt von der Anwendung ab – für Raumsimulation nicht. Das will Adaptiverb aber auch gar nicht abdecken. Oder wenn man einen ganz bestimmten, bekannten Sound will, zum Beispiel einen traditionellen Lexicon- oder Bricasti-Sound, rate ich dazu, Lexicon oder Bricasti zu kaufen. Adaptiverb funktioniert, klingt und verhält sich komplett anders als herkömmliche Reverbs.
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