Schmuckstück
Das neue Röhrenmikrofon aus der lettischen Manufaktur Violet Design trägt seinen Namen „The Garnet“/“Der Granat“ zurecht, denn dieses Mikrofon ist ein wahres Schmuckstück.
Von Harald Wittig
Bereits in der Ausgabe 12/2007 stellte Professional audio mit den Modellen Amethyst Vintage und Flamingo Standard zwei Mikrofone von Violet Design, der Manufaktur des lettischen Mikrofonspezialisten Juris Zarins, vor. Beide Mikrofone konnten rundum überzeugen und punkteten außer mit ihrer sehr guten Verarbeitung und Messwerten vor allem mit einem exzellenten Klang durchaus eigener Prägung. Folgerichtig verdienten sich beide Schallwandler ein sicheren Platz in der Spitzenklasse, wobei der beste Kauf nach wie vor das Amethyst ist, denn für inzwischen rund 1.000 Euro erhält der Käufer ein universell einsetzbares Kondensatormikrofon mit fester Nierencharakteristik, das sich mit jedem namhaften Mitbewerber messen kann. Dass Herr Zarins ein umtriebiger und nimmermüder Mikrofon-Entwickler ist, wissen die Stammleser von Professional audio längst: So haben wir in der Ausgabe 2/2009 das ebenfalls mit einem verdienten „Spitzenklasse sehr gut“ bewertete The Wedge von Violet Design ausführlich besprochen. Auch die in Ausgabe 3/2010 getesteten JZ-Mikrofone Black Hole 1s, BT 301 und BT 201/3S stammen aus dem Entwicklerlabor Juris Zarins´, tragen deshalb seine Initialen („JZ“) und werden ebenfalls im Violet-Werk gefertigt. Auch die JZ-Mikrofone erlaubten sich keine Schwächen – über Klangcharakteristika lässt sich immer trefflich streiten –, weswegen wir mittlerweile entsprechend hohe Erwartungen an die Mikrofone von Violet Design beziehungsweise Juris Zarins stellen – zunächst auch ganz unabhängig vom jeweiligen Listenpreis der lettischen Schallwandler. Unser heutiger Prüfling nennt sich The Garnet, auf Deutsch „Der Granat“, was selbstverständlich eine Anspielung auf den auch als „Karfunkel“ bekannten Edelstein ist. Die eigenwilligen Namen der Violet Design-Mikrofone – es sei in diesem Zusammenhang an die beiden Ausführungen des Amethyst erinnert – setzen sich auch beim Kapsel- und Gehäuse-Design fort. Das gilt auch für das Garnet, das mit seiner markanten Rechteckform von Verstärkereinheit und Kapsel-Schutzkorb deutlich aus dem üblichen Rahmen fällt. Mit einem empfohlenen Verkaufspreis von rund 3.000 Euro ist dieses Mikrofon nicht für jedermann erschwinglich, rangiert also schon preislich in der Spitzenklasse, wo es mit den Topmikrofonen anderer Hersteller, beispielsweise von AKG, Josephson, Microtech Gefell oder Neumann, um nur einige zu nennen, wetteifert.
Das Garnet ist ein Großmembran-Kondensatormikrofon mit umschaltbarer Richtcharakteristik, wobei der Vorverstärker beziehungsweise Impedanzwandler, in diskreter Class A-Röhren-Schaltung aufgebaut ist. Der glimmende Glaskolben im Inneren des rechteckigen Verstärkergehäuses ist eine Pentode des Typs 6267/EF 86, die laut Hersteller selbstverständlich handselektiert und sorgfältig eingebrannt ist. Wir sind – ebenso selbstverständlich – neugierig, von welchem Hersteller die 6267 stammt, allerdings findet unsere Neugier schnell ihre Grenzen, denn das Gehäuse ist fest verplombt und versiegelt. Violet Design betont, dass die interne Röhrenschaltung des Impedanzwandlers einerseits eine hohe Empfindlichkeit, andererseits eine niedrige Nennimpedanz liefere. Zumindest im Falle des Wechselstrom-Innenwiderstandes trifft das ausweislich unserer Messungen zu, denn diese beträgt, wie vom Hersteller angegeben, exakt 100 Ohm und entspricht damit dem heute gemeinhin üblichen Standard. Anders sieht es allerdings bei der Empfindlichkeit oder Übertragungsfaktor des Mikrofons aus: Die von Violet Design im Datenblatt angegebenen 25 mV/Pa – damit wäre The Garnet in der Tat ein „sehr lautes“ Mikrofon – kann das Professional audio-Messlabor nicht bestätigen. Mit gemessenen 11,7 mV/Pa im Mittel (siehe den finalen Steckbrief für die Einzelmesswerte) ist es verhältnismäßig gering empfindlich. Tatsächlich bestätigen sich die Messergebnisse im Rahmen des Praxistests: Für einen praxisgerechten Pegel bei der Aufnahme einer Konzertgitarre müssen wir den Gain-Regler des Mikrofon-Vorverstärkers schon vergleichsweise weit aufdrehen. Dass es gleichwohl zu keinem störenden Rauschen auf der Aufnahme kommt, ist zunächst dem – für ein Röhrenmikrofon – sehr guten Geräuschpegelabstand von The Garnet geschuldet, der im Mittel 73,4 Dezibel beträgt. Damit ist es auf Ohrenhöhe mit dem formidablen AKG C12 VR (Test in Ausgabe 12/2008) und interessanterweise auch mit dem Violet Design-Flaggschiff Flamingo, das es auf 72,8 Dezibel bringt. In der Aufnahmepraxis erweist sich The Garnet letztlich als praktisch rauschfrei, über den Beyerdynamic T1-Kopfhörer und bei hohem Abhörpegel hören wir zwar ein sehr dezentes Rauschen. Dieses ist aber tonal keineswegs störend, was durchaus eine Eigenschaft hochwertiger – wohlgemerkt – Röhrenmikrofone ist. Bevor wir uns dem klingenden Herzstück eines jeden Mikrofons, seiner Kapsel beschäftigen, verweilen wir noch ein wenig beim Vorverstärker des Testkandidaten. Der vielbeschworene „warme Röhrenklang“ wird immer noch ausschließlich mit der Röhre als solcher in Verbindung gebracht, was jedoch nicht ganz zutreffend ist. Bei Röhrenmikrofonen redet nämlich auch der unverzichtbare Ausgangsübertrager ein klangentscheidendes Wörtchen mit und sorgt oft eher für den begehrten Analog-Sound als die bei einem Mikrofon unter optimalen Betriebsbedingungen arbeitende Elektronenröhre. Der Ausgangsübertrager des Garnet ist, so betont es der Hersteller, eine Sonderanfertigung und handgewickelt. Weitaus wichtiger ist aber der Hinweis im sinnigerweise violetten Prospekt von Violet Design, dass dieser Übertrager dem Klang noch einen zusätzlichen Schuss „analoger Wärme“ hinzufüge. Betrachten wir jetzt die Doppelmembran-Kapsel des Mikrofons. Juris Zarins selbst wird nicht müde zu betonen, dass die Kapsel den Klang eines Mikrofons bestimmt. Da der Mikrofon-„Guru“ aus Lettland die von ihm entwickelten Mikrofone als Musikinstrumente für Tonschaffende – so sinngemäß seine selbstsichere Aussage – begreift, hätten alle von ihm entwickelten Kapseln ihren eigenen Klangcharakter und „Ton“. Im Falle unseres Prüflings soll die V(iolet)D(esign)47-Doppelmembrankapsel für den guten Vintage-Ton sorgen. Tatsächlich kommt diese Kapsel auch im Flamingo Vintage, einer Sonderausführung des Spitzenmodells der Letten, zum Einsatz und sorge für einen vollmundig warmen Klang mit etwas mehr Präsenzanteilen als beim Standardmodell, das mit der VD67-Kapsel ausgestattet ist. Interessant ist folgender Hinweis, der sowohl für das Flamingo Vintage als auch für The Garnet gilt: Dank dieser Kapsel empfehlen sich beide Schallwandler vor allem als Solistenmikrofone, besonders für Männerstimmen und akustische Instrumente. Speziell The Garnet soll einen vollmundig-warmen und dichten Klang liefern, was gerade Gesangs- und Sprecherstimmen, aber auch Instrumentalsolisten schmeichele und diese in den Vordergrund rücken soll.
Wie übrigens alle VD-Kapseln hat auch die VD47 Membranen aus einer sechs Mikron dünnen Folie aus Mylar, auf die eine speziellen Goldmischung/-legierung aus den eigenen Entwicklungslabors mittels eines ebenfalls eigenen und patentierten Verfahrens, das der Hersteller „Golden Drops Technology“ nennt, aufgetragen wird. Bei diesem Rechner-gesteuerten Verfahren wird die Goldlegierung nicht gleichmäßig, sondern quasi punktuell aufgetragen. Damit ist die Membranfolie unterschiedlich stark beschichtet, was zumindest in der Theorie für ein verbessertes Impulsverhalten sorgt, denn die so behandelte, besonders leichte Membran kann Transienten besser folgen. Anders ausgedrückt: Das Garnet hat das Zeug dazu, ein „schnelles Mikrofon“ zu sein. Die rechteckige Form des Kapselgehäuses sieht nicht nur extravagant aus, sie soll vielmehr im Vergleich zu den gängigen Formen einen klareren oder transparenten Klang begünstigen. Das mehrlagige Drahtgeflecht des Schutzkorbes soll besten Schutz vor Interferenzen bieten und gleichzeitig als Wind – und Poppschutz dienen. Die Kapsel selbst – die Trennung von Kapsel- und Impedanzwandlergehäuse macht ´s möglich – ist elastisch und damit schocksicher gelagert. Deswegen ist die Kapsel im Auslieferungszustand mit Schrauben fixiert, damit das sensible Wandlerelement keinen Schaden beim Transport nimmt. Aufmerksame Leser und Mikrofonkenner kennen diese Transportsicherung auch – ohne an dieser Stelle Namen nennen zu wollen – von anderen Mikrofonmarken. Das überrascht nicht, denn OEM-Fertigung ist das zweite Standbein von Juris Zarins´ Unternehmen. Über das mitgelieferte Netzteil kann der Anwender die Richtcharakteristiken Acht, Niere und Kugel mit neun Zwischenstellungen, die dann zum Beispiel eine Hyperniere ergeben, über eine entsprechende Anzahl von Kippschaltern einstellen. LEDs informieren über die jeweilige Einstellung. Dabei ist zu beachten: Priorität haben stets die rechten Schalter. Sind beispielsweise der Kugel- und der Achter-Schalter gleichzeitig aktiviert, ergibt sich in der Praxis eine Achter-Charakteristik. Die Handhabung ist kinderleicht, allerdings ist ein Verstellen beziehungsweise Spielen mit der Richtcharakteristik aus klangästhetischen Gründen während der Aufnahme nicht möglich. Es bedarf immer ein bis zwei Minuten, bis sich die jeweilige Charakteristik, die durch Aufschalten unterschiedlicher Polarisationsspannung realisiert wird, stabilisiert hat. Praktisch ist die Status-LED am Garnet-Netzteil die von rot nach grün wechselt, wenn die Röhre ihre Betriebstemperatur erreicht hat. Allerdings sollte der Anwender in jedem Fall weitere 20 bis 30 Minuten warten, bevor es ans Aufnehmen geht. Erst dann arbeitet die Röhre beziehungsweise der Vorverstärker des Mikrofons optimal.
Die Verarbeitung des Netzteils ist – was auch für das Mikrofon selbst gilt – hervorragend und entspricht dem hohen Standard aller bislang getesteten Mikrofone von Violet Design. Der im Messlabor für die Kugel-Charakteristik ermittelte Frequenzgang ist unter Berücksichtigung von Gehäuse-Reflexionen, die für vereinzelte Welligkeiten sorgen, mustergültig und weist einen weitgehend linearen Kurvenverlauf auf. Der Frequenzgang für die Einstellung „Niere“ lässt hingegen einen Höhenabfall ab fünf Kilohertz erkennen, was nach den Angaben in der Bedienungsanleitung zum Klangdesign gehört. Sehr viel ausgeprägter ist der Höhenabfall bei der Achter-Charakteristik: Er erinnert an den Frequenzgang von vielen Bändchenmikrofon. Selbstverständlich kann das Garnet keinen Bändchenklang liefern, denn die Wandlerprinzipien unterscheiden sich grundlegend. Darüber hinaus sei einmal mehr daran erinnert, dass Frequenzgänge lediglich einen Hinweis auf den Klang eines Mikrofons geben können, da sie keine Aussage über klangentscheidende Parameter wie beispielsweise Auflösung und Impulsverhalten treffen können. Klang ist ein gutes Stichwort, denn letztlich sind es die klanglichen Eigenschaften, die ein Mikrofon attraktiv machen. Wer bis hierhin gelesen hat, ahnt längst, dass das Garnet seinen eigenen Klangcharakter hat. In der Tat – insoweit hat der Hersteller nicht zu viel versprochen – liefert dieses Mikrofon einen vollmundig-warmen und dichten Klang, der es für den Einsatz als Solistenmikrofon prädestiniert. Vor allem als Gesangsmikrofon für tiefe und mittlere Stimmen kann es spontan gefallen. Dank der VD47-Kapsel, die, wie bereits erwähnt, ein warmes Grundtimbre mit einem gut bemessenen Schuss Präsenz verbindet, bekommen gerade Männerstimmen eine klare Kontur, erklingen nie dumpf und setzten sich auch in dichten Arrangements sehr gut durch. Da dem Mikrofon zudem ein hohes Auflösungsvermögen zu eigen ist, verleiht es der Solostimme eine Plastizität, die beinahe greifbar erscheint. Allerdings passt das Garnet auch zu Frauenstimmen: Auch wenn die Altlage mit dem Mikrofon eine Idealverbindung eingeht, lohnt sich das Experimentieren mit einem Mezzosopran durchaus, denn die runden Tiefmitten stellen hohe Stimmen auf ein solides Fundament. Interessanterweise ist der Nahbesprechungseffekt vergleichsweise gering ausgeprägt, was durchaus begrüßenswert ist, da somit auch bei Nahmikrofonierung der Klang nicht übertrieben angefettet ist. Mithin ist die Gesamtabstimmung des Mikrofons hervorragend gelungen. Im Rahmen dieses Tests hat uns das Garnet spontan auch als Instrumentenmikrofon, namentlich für Konzertgitarren-Aufnahmen, überzeugt. Obwohl das verwendete Instrument, eine Kohno Professional 30 J sehr bassstark ist, gibt es keine Probleme mit Dröhnbässen, die alle anderen Frequenzen übertönen. Einen gut klingenden Raum vorausgesetzt, lässt sich das Mikrofon gewinnbringend in Stellung „Kugel“ einsetzen, denn die Raumabbildung des Mikrofons ist wirklich exzellent. Zum Nachhören gibt es auch diesmal zwei Soundfiles, die Sie auf unserer Website, www.professional-audio-magazin.de herunterladen können. Es handelt sich jeweils um zwei im Overdub-Verfahren eingespielte Duos, die gänzlich effektfrei sind – Sie hören also nur Instrument, Raum und das Garnet. Achten Sie bei Soundfile 2 auf die Sologitarre – ein Gypsy-/Selmerstyle-Modell mit Stahlsaiten -, die mit Plektrum gespielt ist, denn hier erweist sich, dass dieses Mikrofon auch in puncto Transientendarstellung und Impulsverhalten keinen Mitbewerber scheuen muss. Denn es folgt dem teilweise knackigen Plektrumanschlag und dem damit verbundenen speziellen Obertonverhalten des Instruments mühelos.
Fazit
Mit The Garnet beweist Violet Design-Chefdenker Juris Zarins einmal mehr, dass er in puncto Mikrofonentwicklung und -bau ein Könner ist. Dieses Röhrenmikrofon ist nicht nur äußerlich außergewöhnlich. Es klingt auch extraordinär gut. Sein vollmundig-warmes Timbre gepaart mit einer hochfeinen Auflösung und einem sehr guten Impulsverhalten macht es zu einem vorbehaltlos empfehlenswerten Solistenmikrofon der Spitzenklasse.
Erschienen in Ausgabe 01/2011
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 2960 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: gut
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