Festgabe
Die Mikrofonmanufaktur Microtech Gefell feierte 2008 ihr 80jähriges Jubiläum. Die passende Festgabe kommt aus eigener Fertigung, nennt sich M 990 art und ist als zeitgemäßes Röhrenmikrofon ein wahres Prachtstück.
Von Harald Wittig
„Hand gefertigte Mikrofone seit 1928 “ steht auf der goldfarbenen Palette im geschmackvoll aufgemachten Datenblatt des M 990 art von Microtech Gefell. Auch wenn es sich inzwischen herumgesprochen haben dürfte, noch einmal zu Erinnerung: Die thüringische Mikrofonmanufaktur, die übrigens erst seit 1990 unter dem Namen Microtech Gefell GmbH firmiert, und Neumann Berlin haben dieselben Wurzeln. Nach der Gründung der Kommanditgesellschaft Georg Neumann & Co. durch Georg Neumann und Erich Rickmann in Berlin im Jahre 1928 und bahnbrechenden Produkten wie dem Kondensatormikrofon CMV 3, als „Neumann-Flasche“ in die Mikrofongeschichte eingegangen, sahen sich Georg Neumann und sein Betriebsleiter Erich Kühnast während der Wirren des Zweiten Weltkriegs gezwungen, Berlin zu verlassen. Georg Neumann entschied sich für Gefell, eine von den Alliierten wenig beachtete Kleinstadt in Thüringen. Die Familien Georg Neumann und Erich Kühnast sowie fast alle Angestellten übersiedelten dort hin und setzten den Geschäftsbetrieb in gemieteten Räumen eines früheren Textilbetriebs fort. Nach der Kapitulation änderte sich die Situation für Neumann: 1946 entsteht als Berliner Zweitgründung von Georg Neumann die Georg Neumann GmbH, der Unternehmensgründer selbst zieht von Gefell nach Heilbronn, Erich Kühnast, der Vater von Jochen Kühnast, des heutigen Geschäftsführers der Microtech Gefell GmbH, bleibt mit den übrigen Mitarbeitern in Gefell. Kühnast leitete in der Folge die Kommanditgesellschaft Georg Neumann & Co. Im russisch besetzten Gefell. Der Rest ist – wie so schön gesagt wird – eine spannende, deutsch-deutsche Industrie-Geschichte, die Interessierte auf der Seite von Microtech Gefell (www.microtechgefell.de) nachlesen und sogar als PDF herunterladen können.
Der stark geraffte Rückblick auf die Wurzeln des längst hochangesehenen Mikrofonherstellers aus dem schönen Thüringen erklärt, weshalb es 2008 Jubiläums-Mikrofone sowohl von Neumann Berlin, das seit 1993 zur Sennheiser GmbH & Co. KG gehört, als auch von Microtech Gefell gibt.
Unser heutiger Testkandidat, das M 990 art, ist nicht das erste Jubiläumsmodell aus Gefell: Bereits 2003 brachte die Manufaktur das UM 75 auf den Markt. Bei diesem auf ganze 75 Exemplare limitierten Sondermodell handelt es sich um einen peniblen Nachbau des UM 57 aus dem – nomem est omen – Jahr 1957. Als solches ein Röhrenmikrofon mit umschaltbarer Richtcharakteristik, zusammengesetzt aus den allerbesten Komponenten wie der inzwischen legendären M7-Kapsel und einem speziell gewickelten Übertrager. Dieses Mikrofon ist inzwischen zu einem begehrten Sammler- und Spekulationsobjekt avanciert und erzielt, sofern es überhaupt angeboten wird, horrende Verkaufs-Preise. Ob das auch dem M 990 art beschieden sein wird, ist kaum abzuschätzen. Auch das aktuelle Jubiläumsmodell ist limitiert, allerdings nicht auf eine Handvoll Einheiten. Microtech Gefell wird es bis Ende März 2009 produzieren und anbieten, danach ist definitiv Schluss und wer weiß: Vielleicht geht dann auch die Jagd nach den sich im Umlauf befindlichen Mikrofonen los. Jetzt ist es aber noch für kurze Zeit erhältlich – für den stolzen Preis von rund 3.200 Euro. Eine Menge Geld, die – so viel sei schon verraten – dieses Schmuckstück auf jeden Fall wert ist. Wem das dennoch zuviel ist: Ohne den „art“-Zusatz ist das M 990 fester Bestandteil der Microtech Gefell-Produktpalette und für günstigere 2.600 Euro zu haben. Technisch gleichwertig, umweht das M 990 zwar nicht den Hauch des Exklusiven, den Praktiker wird es indes weniger scheren. Insoweit decken wir mit dem Test des M 990 art auch das günstigere Serienmodell ab und Sie können selbst entscheiden, welchem der beiden Schallwandler aus Gefell Sie den Zuschlag geben.
Im Unterschied zum UM 75, das, wie gesagt, ein Nachbau nach historischem Vorbild war, ist das M 990 art ein modernes Großmembran-Kondensatormikrofon in Röhrentechnik mit fester Nierencharakteristik, zugeschnitten auf die Bedürfnisse heutiger Toningenieure und moderner Produktionsumgebungen. Es kommt nicht ganz von ungefähr, das auch das 80-Jahre-Sondermodell ein Röhrenmikrofon ist. Auf der Tonmeistertagung in Leipzig im vergangenen Jahr sprach sich Geschäftsführer Jochen Kühnast klar für die Röhrentechnik bei Mikrofonen aus: „Für mich stellt das Röhrenmikrofon den Gipfel der Mikrofontechnik dar. Diesen ganz eigenen, ungemein musikalischen Vintage-Klang erreicht kein Transistormikrofon.“ Demzufolge soll also auch das M 990 art , wie übrigens auch im Prospekt beworben, den immergrünen und so begehrten „unverwechselbaren Vintage-Sound“ garantieren. Interessanterweise ist das Herzstück des Mikrofons eine neuentwickelte Großmembran-Kapsel mit ihrer handgefertigten, goldbedampften PVC-Membran. Diese grundlegende Neukonstruktion findet sich auch im M 930 art, der ebenfalls bis März 2009 limitierten Sonderausführung des vorzüglichen Transistor-Mikrofons M 930. Letzteres ist – die Stammleser von Professional audio Magazin wissen das – seit dem Test in Ausgabe 6/2007 die Großmembran-Referenz der Redaktion, denn das M 930 gehört zu den vornehmsten Repräsentanten dessen, was im Großmembran-Kondensatormikrofonbau technisch machbar ist. Neben der neuen Kapsel bekam das M 990 art auch einen neuen Ausgangsübertrager spendiert, der sich exklusiv nur im Sondermodell findet. Da der Übertrager ein klangentscheidendes Wörtchen mitredet, können sich das M 990 art und das Serienmodell also durchaus hörbar unterscheiden. Jedenfalls gewährleistet der Übertrager zusammen mit der auf einen hohen Übertragungsfaktor optimierten Elektronik einen großen Geräuschpegelabstand: Das Messlabor von Professional audio Magazin ermittelt einen Wert von 81,2 Dezibel, der schon für ein Transistor-Mikrofon hervorragend wäre, für ein Röhrenmikrofon ist ein solcher Geräuschpegelabstand schlichtweg über alle Zweifel erhaben. Nach unseren bisherigen Tests waren solche Fabelwerte bisher die Domäne von Dirk Brauners Röhren-Schallwandlern. Nicht einmal das AKG C 12 VR (Test in Ausgabe 12/2008) kann damit aufwarten. Der Praktiker freut sich natürlich, denn als Ursache für störendes Rauschen auf der Aufnahme kann er das M 990 art getrost ausschließen. Ergänzung findet der ausgezeichnete Geräuschpegelabstand durch eine vergleichsweise hohe Eingangsempfindlichkeit des Mikrofons von 24,2 mV/Pa, so dass auch Mikrofonvorverstärker mit weniger hohen Aussteuerungsreserven bestens mit dem M 990 art kombinierbar sind.
Der Röhrenvorverstärker ist mit einer, selbstverständlich sorgfältig selektierten Pentode des Typs EF 86 bestückt, die sich gemeinhin durch hohe Rauscharmut auszeichnet. Die EF 86 arbeitet in Trioden-Schaltung, was der Mikrofon-Kenner auch von dem Neumann-Klassiker U 67 kennt und was angesichts der Firmengeschichte der Gefeller wenig verwundert. Auch in Professional audio Magazin stand schon zu lesen, dass diese Schaltungstechnik Vorteile bringen soll, unter anderem werde das Mikrofon lauter. Diese Aussage gehört – zumindest nach Meinung von Röhren- und Mikrofonspezialisten – ins Reich der vielen Legenden, die sich um die Elektronenröhre ranken. Eigentlich bringt die Pentode, auch in Trioden-Schaltung, eher Nachteile mit sich, denn das diesem Röhren-Typ eigene Stromverteilungsrauschen ist latent immer vorhanden. Insofern erfordert die Auswahl einer Niederfrequenzröhre wie der EF 86 noch mehr Sorgfalt, denn in einem Mikrofon muss die Röhre besonders rauscharm und klingsicher (störgeräuschfrei) sein. Allerdings begünstigt die Triodenschaltung im Falle des M 990 Art Oberwellen mit geradzahligem Index, die beliebten K2-Oberwellen, die angenehm ins Ohr gehen und zu einem, wenn auch geringen Teil, verantwortlich für den sagenumwobenen Röhren-Klang sind.
Abgesehen von den beschriebenen technischen Feinheiten und Besonderheiten ist das Mikrofon ein Vertreter der ganz puristischen Art: Es gibt weder Hochpass-/Trittschallfilter, noch einen Vordämpfungsschalter. Beides ist auch nicht zwingend erforderlich und einen Pad-Schalter dürften allenfalls Anwender vermissen, die ihren Gitarren-Amp mit dem M 990 art mikrofonieren wollen. Dafür ist dieses Mikrofon – um den Praxistest ein wenig vorzugreifen – aber schon fast zu schade.
Das M 990 art ist ein sehr elegantes Mikrofon. Das edle und vor den Augen des Anwenders in der Regel verborgene Innenleben findet seine Entsprechung bei der Gestaltung des Gehäuses. Dass Röhrenmikrofone keineswegs dicke Trümmer sein müssen, die kräftig am Stativ zerren, wissen auch die Entwickler im Hause Microtech Gefell. Ihr Jubiläumsmodell ist schlank, mit gerade mal 400 Gramm Lebendgewicht für ein Großmembranmikrofon schon fast federleicht, die Verarbeitung des Gehäuses, vom feinmaschigen Drahtschutzkorb bis hin zum Anschlussgewinde für das 7-polige Anschlusskabel, ist über jeden Zweifel erhaben. Ein solches Mikrofon nehmen Anwender mit einem Herzklopfen aus dem standesgemäß edlen Aluminiumkoffer und streichen andächtig über das in dunkler Bronze gehaltene Gehäuse. Anders ausgedrückt: Auch Fachfremde, die mit Mikrofonen und ihrem praktischen Einsatz wenig bis gar nichts am Hut haben, vergucken sich in dieses Mikrofon auf den buchstäblich ersten Blick. Die mattvergoldeten Schmuckringe veredeln das Gehäuse zusätzlich, eine feine Gravur im oberen Goldring nennt den Namen des Jubiläumsmodells, ebenfalls goldfarben ist das Nieren-Symbol, das gleichzeitig über Richtcharakteristik und Einsprechrichtung informiert und das Firmen-Logo im unteren Gehäuseteil. Auch der Hinweis „Made in Germany“ darf nicht fehlen – immerhin gelten Mikrofone aus deutscher Fertigung weltweit als die Besten.
Das für ein Röhrenmikrofon unverzichtbare Netzteil, zuständig für die Bereitstellung der notwendigen Speisespannung, ist von schlichter Eleganz und vergleichsweise wenig bullig ausgeführt. Einzig das mitgelieferte Anschlusskabel C 92.1, an dessen Qualität an und für sich nichts auszusetzen ist, sorgt für ein bekanntes Problem beim praktischen Umgang mit einigen Röhren-Mikrofonen: Einmal ausgepackt erfordert es einiges an verpackungstechnischem Geschick, das lange Kabel wieder ordentlich im Koffer zu verstauen. Aber insoweit ist das Microtech Gefell-Set in guter Gesellschaft mit dem AKG C 12 VR, dessen -Kabel nur von versierten Verpackungstechnikern wieder sicher verstaubar ist.
Bevor wir aber in kleinliche Mäkelei abdriften, sei flugs das sonstige mitgelieferte Zubehör erwähnt: Da wäre zum einen der schwarze Schaumstoffwindschutz, der weit entfernt von der labberigen Konsistenz mancher Billigheimer ist, zum anderen die Spinne aus Messing. Letztere ist von ganz hervorragender Qualität, einfach in der Handhabung und beim Abfedern von Erschütterungen sehr effektiv. Selbstverständlich ist die Spinne – oder elastische Aufhängung EA 92 – ebenfalls in der Farbe Dunkel Bronze gehalten.
Bevor das M 990 art Klangfarbe bekennt, ein Blick auf den vom Messlabor ermittelten Frequenzgang: Neben einer leichten Anhebung im Bereich von 60 bis etwa 150 Hertz ist der steile Anstieg oberhalb zwei Kilohertz, der im Gipfel bei drei Kilohertz sechs Dezibel beträgt, auffällig. Dieser sorgt für einen leichten, durchaus hörbaren Schuss Präsenz, der dem Mikrofon gut steht und – wie wir gleich sehen werden – eine zusätzliche, keineswegs unangenehme Farbe einbringt.Es wird hoffentlich niemand von diesem Mikrofon höchste Signalreue oder Neutralität erwartet haben? Das ist und bleibt die Domäne – jedenfalls im Bereich der Großmembranmikrofone – des M 930. Das M 990 art darf und soll klingen und mal ehrlich: Niemand kauft sich ein Röhrenmikrofon ohne eine gewisse Erwartungshaltung in klanglicher Hinsicht. Dass Röhrenmikrofone sich klanglich erheblich unterscheiden können, haben zuletzt die Tests des AKG C 12 VR und des Brauner Valvet X gezeigt. Beides mal handelt es sich um tolle Mikrofone mit ihrer ganz eigenen Klangcharakteristik, die sich umso deutlicher unterscheidet. Auch das M 990 art hat eine eigene Stimme, vergleichbar mit hochwertigen Musikinstrumenten. Zunächst beweist es in puncto Auflösung, dass es aus dem Hause Microtech Gefell stammt: Es zeichnet sehr fein und offenbart auch kleinste Details, die Instrumente und Stimmen detailliert herausmodellieren. Gerade Instrumentalisten, die beim Spiel mit unterschiedlichen Klangfarben arbeiten, werden reich belohnt. Gleichzeitig beschönigt das M 990 art auch nicht: Nebengeräusche zeichnet es gnadenlos auf. Auch für gute Musiker hat ein solches Mikrofon in gewisser Weise erzieherische Wirkung, denn ein Solist wird bemüht sein, sein Bestes bei der Aufnahmesitzung zu geben.
Diese Feinauflösung, wie sie nur echten Spitzenmikrofonen zu Eigen ist, darf nicht mit dem Timbre des Mikrofons verwechselt werden. Im Gegensatz zu dem – zumindest für ein Großmembranmikrofone – unbestechlich neutralen M 930, hat das Jubiläumsmodell einen eigenen Charakter: Grundsätzlich klingt es wunderbar rund, ohne übertriebene Andickung in den Tiefmitten, mit für einen Druckgradientenempfänger ungewöhnlich straffen Bässen. Die Höhen sind weich und seidig, die hohe Auflösung sorgt gleichzeitig für eine Klarheit, die an einen strahlend blauen Himmel denken lässt.
Die im Frequenzgang ersichtliche Anhebung oberhalb zwei Kilohertz ist tatsächlich hörbar und sorgt für einen Schuss Präsenz, die sich dem Grundklang beimischt und für eine gewisse Vintage-mäßige Luftigkeit sorgt. Damit klingt das Mikrofon weniger weich als beispielsweise das AKG C 12 VR und bei Stimmen treten Zischlaute stärker hervor. Damit Sie sich ein Bild machen können, haben wir einen kurzen Gesangstake aufgenommen – einmal mit dem M 990 art, zum zweiten mit dem AKG C 12 VR. Sie hören die Sängerin Carina Schlage aus Potsdam, ihres Zeichens Studentin an der Filmhochschule Potsdam, angehende Diplom-Tonmeisterin und arrivierte Komponistin. Die Sängerin gibt selbst – rein subjektiv versteht sich – dem C 12 VR den Zuschlag, während die Redaktion sich salomonisch für beide Mikrofone, das Microtech Gefell und das AKG entschieden würde. Doch lassen Sie ihre Ohren entscheiden. Auf der Professional audio Magazin-Website (www.professiona-audio.de) finden Sie im Download-Bereich, Rubrik Soundbank, beide Aufnahmen. Zusätzlich gibt es noch den Auszug eines Stücks für vier akustische Gitarren, alle mit dem M 990 Art und der Kombination Lake People Mic-Amp F355/Lynx Aurora 8 eingespielt. Die Klangbeispiele liegen im mp3- und im Wave-Format vor. Mit dem Freischalt-Code mtg0902sm erhalten Sie Zugriff auf die Klangbeispiele.
Fazit
Das M 990 art von Microtech Gefell ist ohne Zweifel eine edle Festgabe zum 80-jährigen Jubiläum. Als fein auflösendes, modernes Röhrenmikrofon mit ganz eigenem Klang ist es eine Bereicherung für jedes Studio und jeden Cent seines zugegeben hohen Preises wert.
Erschienen in Ausgabe 02/2009
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 3190 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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