Agiles Altmetall
Wer ungewöhnliche Klänge sucht, muss ungewöhnliche Klangquellen finden. Das dachte sich auch Sounddesigner Jeremiah Savage, als er für Native Instruments das neue Kontakt-Instrument Kinetic Metal schuf.
Von Sylvie Frei
Einmal mehr hat sich der Berliner Software-Hersteller Native Instruments etwas ganz Besonderes für sein nach neuen Sample-Klängen lechzendes Publikum ausgedacht. Denn hinter dem Namen der Sound Library Kinetic Metal verbergen sich weder virtuelle Blechbläser noch eine schnöde Heavy Metal-Band. Stattdessen nahm sich Sound-Designer Jeremiah Savage für Native Instruments wortwörtlich dem Thema Metall an. Innerhalb eines Jahres hat er den Klang aller möglichen und unmöglichen Metallgegenstände und -geräte – von der mechanischen Schreibmaschine, über ramponierte Uhrwerke, Schwerter, Blechfässer bishin zum rostigen Draht – gesampelt. In Kombination mit synthetisch erzeugten Klängen entstanden daraus über 200 außergewöhnliche, tonal spielbare Multilayer-Instrumente für Kontakt 5 oder den kostenfreien Kontakt 5-Player. Das innovative Klangpaket kostet knapp 100 Euro und lässt sich im Standalone-Betrieb oder als Plug-in in der DAW nutzen. Außerdem ist die Software darauf angelegt, dass sie sich perfekt mit dem Native Instruments-Controller Maschine bedienen lässt. Das Highlight der Library: Kinetic Metal unterstützt das Überblenden zwischen unterschiedlichsten Sound- und Effekt-Layern, sodass sämtliche Klänge nicht statisch erscheinen, sondern eine bewegliche und dynamische Note erhalten. Diese Morphing-Bewegungen können nicht nur manuell über Computer-Maus oder Controller gesteuert werden, sondern auch automatisch über eine LFO-gesteuerte Bewegungsmaschinerie.Auf diese Weise soll Kinetic Metall ein vielfältiges und kreativ bewegliches Klangspektrum – von spacigen Klangkulissen bis hin zu außergewöhnlichen Pad- und Percussion-Sounds – abdecken, das sich für unterschiedlichste Musikproduktionen oder als Soundkomponente in Film-, Game- und Hörspielsoundtracks einsetzen lässt.
Das GUI der Software ist in einem verspielten Steampunk-Design gehalten und trotz grafischer Details sehr übersichtlich gestaltet. Es gliedert sich in zwei untereinanderliegende Bereiche (siehe Bild Seite 85). Im Zentrum stehen die zwei großen, auffälligen Zahnräder sowie die drei Hauptschaltflächen „Forge“, „Motion“ und „FX“, die beim Anklicken am Fuß des GUI weitere dezidierte Eingriffsmöglichkeiten in den Klang und dessen Abspielverhalten gewähren.Forge bezeichnet – passend zum Thema Metall – die (Klang-)Schmiede, über die der Nutzer Einfluss auf die Klangmischung nehmen kann. Jedes Preset setzt sich nämlich aus vier gesampelten Metall-Geräuschen („Metals“) und vier synthetisch erzeugten Klängen („Waves“) zusammen. Über zwei sehr einfach gehaltene Mischkonsolen im Forge-Menü lassen sich diese Layer in ihrer Lautstärke aufeinander abstimmen, auf Solo stellen und in der Gesamtlautstärke anpassen.Das linke der beiden Zahnräder, das Forge-Rad, verfügt über vier Schaltflächen. Jede davon lässt eines von vier werkseitig eingestellten Settings im Forge-Menü aufrufen und nach Wunsch individuell anpassen. Die Klang-Komponenten sind bei allen vier Settings die gleichen, lediglich die Mischverhältnisse unterscheiden sich. Wird nun mit der Maus oder dem MIDI-Controller am Forge-Rad gedreht, lassen sich die unterschiedlichen Settings nahtlos ineinander überblenden. So entstehen changierende, sich entwickelnde und von Bewegung bestimmte Klänge.Das FX-Menü verfügt hingegen über insgesamt acht Effekte. Im Hintergrund werkeln unterschiedliche Equalizer und Filter, LoFi-, Bandsättigungs- und Distortion-Effekte, Chorus-, Delay-, Phaser- und Flanger- sowie Reverb- und Panning-Effekte. Wie sich welcher Parameter im Einzelnen auswirkt, kann von Instrument zu Instrument etwas variieren. Als Stellglieder stehen in jedem Preset die gleichen acht tropfenförmige Regler für die Klangkategorien Spectrals, Sweep, Shaper, Freq, Modify, Speed, Mix und Circulate zur Verfügung. Dabei beeinflusst der einzelne Regler mitunter mehrere Parameter. Mit ihnen lassen sich Klangfarbe, Verzerrung, Bewegung und Raumklang des jeweiligen Instruments beeinflussen.Ebenso wie die Forge-Sektion verfügt auch das FX-Menü über ein Zahnrad, das vier durchnummerierte Schaltflächen besitzt. Über diese lassen sich wiederum vier unterschiedliche Effekt-Settings im FX-Menü aufrufen und nach Bedarf anpassen. Die Effekttypen sind pro Instrument bei allen vier Settings die gleichen, lediglich ihre Mischverhältnisse unterscheiden sich. Wie auch beim Forge-Rad lassen sich durch Bewegung des FX-Rads unterschiedliche Effekt-Settings nahtlos ineinander überblenden. Die Zusammensetzung der Effekte kann so changieren und dem Klang immer wieder neue Facetten beisteuern. Besonderheit: Forge- und FX-Rad lassen sich entweder unabhängig voneinander drehen oder über den Link-Schalter miteinander verkoppeln und gemeinsam bewegen. So kann das Überblendverhalten der Klang-Settings mit dem der Effekt-Settings raffiniert gekoppelt werden.Derartige Morphing-Optionen sind eigentlich nichts fundamental Neues. In Form von Klangmatrizen, die sich mit unterschiedlichen Sound-Layern belegen lassen, bieten auch andere Sampler, wie beispielsweise Alchemy von Camel Audio oder der mittlerweile eingestellte Native Instruments Kore 2 derartige Features schon seit langer Zeit an. Dennoch bereichern das Moment der Bewegung und das Changieren von Klängen die Kinetic Metal-Software. Und eine grafisch gelungene Umsetzung des Features ist Native Instruments mit den Zahnrädern allemal gelungen. Das raffinierte GUI lädt regelrecht zum Spielen und Experimentieren ein.
Doch an dieser Stelle ist noch lange nicht Schluss: Außer der Möglichkeit, die Zahnräder manuell getrennt voneinander oder gemeinsam mit Maus oder Controller zu bewegen, bietet die Software eine komfortable Möglichkeit, die Zahnräder automatisch anzutreiben. Dies geschieht mit Hilfe eines LFO, der entweder nur das Forge-Rad oder beide miteinander verlinkten Zahnräder gemeinsam antreibt.Zugang zu den Einstellungen für die LFO-Steuerung gewährt das Motion-Menü. Dieses enthält eine Auswahl von vier unterschiedlichen LFO-Kurventypen und sogar die Möglichkeit, eigene Bewegungsmuster aufzuzeichnen und zur Steuerung zu verwenden. Darüber hinaus lassen sich über das Motion-Menü die Bewegungs-Geschwindigkeit und -Intensität regeln, die Bewegung loopen, in der Richtung umkehren oder auf das Host-Tempo synchronisieren. Das Aufnehmen eigener Bewegungskurven ist denkbar einfach gelöst. Zunächst muss der dafür zur Verfügung stehende Rec-Button im Motion-Menü aktiviert werden. Wird nun eine Taste auf dem MIDI-Keyboard angeschlagen und dazu das Forge-Zahnrad gedreht, zeichnet die Software die Bewegungskurve auf und beendet die Aufnahme erst dann, wenn die Taste wieder losgelassen wird. Schlägt der Nutzer nun erneut eine Taste auf dem Keyboard an, setzt sich das Zahnrad mit der zuvor aufgenommenen Bewegung automatisch in Gang. Die Funktion ist nicht nur spielend einfach umgesetzt, sondern erweitert das Spektrum an individuellen kreativen Gestaltungsmöglichkeiten um ein Vielfaches. Dafür gibt es von unserer Seite einen dicken Pluspunkt.Das Verhalten des LFO unterscheidet sich, je nachdem, ob die Bewegung geloopt wird oder nicht. Ohne aktivierten Loop-Button wird durch jeden Tastendruck auf dem Keyboard die Bewegung von Neuem gestartet und zwar vom ursprünglichen Ausgangspunkt aus. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Töne getrennt voneinander oder in Legato- oder arpeggierter Spielweise angeschlagen werden. Ist der Loop-Button aktiviert, triggert bei Legato-Spielweise nur der erste angespielte Ton die Bewegung. Bei Legato-Tonwechseln wird der LFO nicht neu gestartet, sondern die zuvor getriggerte Bewegung an der zuvor erreichten Stelle nahtlos weitervollzogen. Wird jedoch ein Ton ohne Überbindung angeschlagen, startet der LFO wieder von Neuem an der zuvor festgelegten Ausgangsposition.Wird ein Halteton oder -akkord bei aktivem Loop-Button angeschlagen wird die Bewegung des LFO erwartungsgemäß so lange wiederholt, bis die Taste/n wieder losgelassen werden. So können mit einem einzelnen Anschlag – je nach Kurventyp – sich rhythmisch wiederholende oder pulsierende Klangfolgen kreiert werden. Ohne Loopfunktion wird bei einem Halteton die Bewegungskurve einmal vollzogen und bleibt dann auf dem Klang am Endpunkt der Kurve stehen und klingt statisch weiter. So hat der Nutzer einen enormen Gestaltungsspielraum, um die Klänge entsprechend animieren oder in einem bestimmten Zustand abspielen zu könenn.
Im Praxistest haben wir folglich großen Spaß beim Erkunden und Ausprobieren der unterschiedlichen Instrumente. Ist das System von Klang- und Effekt-Settings, Morphing und Bewegungssteuerung erfasst, lässt sich mit Kinetic Metal auf einfache und spielerische Weise experimentieren. Die Software besteht aus insgesamt 211 Presets, die in zwei Kategorien gegliedert sind. Die erste Hälfte ist werksseitig ohne LFO-Steuerung programmiert. Der Nutzer hat jedoch jeder Zeit die Möglichkeit diese zu aktivieren. Die andere Hälfte wartet mit aktiviertem LFO auf, der auf die Klang- und Effekt-Settings abgestimmt wurde. Zur Orientierung in der großen Preset-Vielfalt sind die einzelnen Instrumente zumeist nach ihrem charakteristischsten Sample oder einem passenden Bild benannt. So bezeichnet „Scissorhands“ beispielsweise ein Instrument auf der Basis eines Scherengeräuschs, „Sacrifice“ hingegen ein Instrument, das einen rituell-mystischen Klangeindruck erzeugt. Ausgehend von einem namentlich passenden Preset kann sich der Nutzer also seinen individuellen Klangvorstellungen annähern.Alle Instrumente zeichnen sich durch einen seltsam abgeschnittenen Klang aus, der sich durch wenig Klangfülle bemerkbar macht. Der ganze Frequenzbereich bleibt so vergleichsweise transparent – besonders die Mitten erscheinen sehr zurückgenommen. So können die Kinetic Metal-Sounds beispielsweise die menschliche Stimme oder Musik eher subtil umrahmen, ohne dabei zu dominant zu erscheinen.Die hohen Frequenzen sind durch die Bewegungssteuerung dennoch klanglich präsent, da sie sich zumeist weit über dem Frequenzbereich des sonstigen klanglichen Geschehens bewegen. Sie drängen sich jedoch eher subtil über das Unterbewusstsein als direkt durch Präsenz und Klangfülle in die Wahrnehmung des Hörers. Das Spektrum der so erzeugten Stimmungen erstreckt sich von verstörenden und angespannten Klangszenarien, pulsierenden und von Bewegung bestimmten Räumen bis hin zu mystischen Landschaften.Die einzelnen Klang-Layer wurden vom Hersteller dafür mit Bedacht zusammen gestellt. Sie ergänzen einander durch unterschiedliche Klangcharaktere und Frequenzbereiche. Zu den meist impulshaften Metallgeräuschen – ratternde Uhrwerke, Schlagen auf einen Amboss, klirren einer Eisenkette, Plätschern in Wasserrohren – mischen sich sowohl instrumentenartige als auch eher geräuschhafte, beispielsweise empfindlich hoch und beklemmend schneidende, hypnotisch Echolot-artig repetierende, atmosphärisch tragende oder bedrohlich dröhnende Synthesizer-Klänge.
So besteht beispielsweise das Preset „Antique Typewriter“ aus vier unterschiedlichen Samples einer mechanischen Schreibmaschine – einfache Tippgeräusche, das Drücken der Leertaste, ein Rattern mit abschließendem Zeilenanschlags-Klingeln und einem Walzenhebel-Knarzen. Hinzu kommen ein Drehorgel-ähnlicher und ein Sitar-artiger Synthesizerklang, ein Sound, der an eine Mischung aus Englisch Horn und Orgel erinnert und nasal und rauschend klingt sowie ein Hammondorgel-artiger Synthesizerklang.Mitunter beinhalten die Instrumente auch extrem hohe Töne, die an hochfrequente Rückkopplungen oder weißes Rauschen erinnern. Sie sind geradezu prädestiniert als Teil eines Soundtracks für einen spannenden Psycho-Thriller die Nerven der Zuschauer/hörer zu zermürben. Bei anderen Instrumenten dominieren pulsierende und mechanische Geräusche. Wir fühlen uns an spacige Weltraumtechnik erinnert. In wieder anderen dominiert ein tragender Pad-Charakter, der eine ruhige, aber zumeist mystisch aufgeladene Situation erzeugen kann. Vor unserem inneren Auge fühlen wir uns – je nach Instrument – in das Innere eines U-Boots, ins Labor eines verrückten Professors, auf einen verlassenen Dachboden oder auch in verzauberte Märchen- und Science Fiction-Landschaften versetzt. Um aus den Klanggemischen eher Percussion-artige Sounds zu kreieren, sollte eines der geräuschhaften Metall-Samples dominieren, für eher flächige Sounds die tonal angelegten Synthesizer-Klänge. Dies lässt sich über die Mixer im Forge-Menü für alle Settings anpassen. Zum Heraushören der einzelnen Klang-Layer können dafür zunächst alle acht Klangkomponenten im Solo-Modus angehört werden, damit klar ist, welcher Fader die Lautstärke welcher Klangkomponente beeinflusst. Sollen ganze Welten aus sich entwickelnden Klängen entstehen, eignet sich ausgiebiges Morphing zwischen unterschiedlich gestalteten Settings. Besonders schön wäre es, wenn der Nutzer aus einzelnen Samples und Klangkomponenten eigene Instrumente zusammenstellen könnte. Doch das sieht die Software bis dato noch nicht vor. Zwar ist es möglich einzelne auf Solo geschaltete Klängen aus unterschiedlichen Presets zu extrahieren und anschließend in der DAW zusammenzufügen. Doch dies gestaltet sich in der Praxis ungleich aufwändiger als es beispielsweise über einen Metals- und Waves-Browser im Rahmen des Forge-Menüs gewesen wäre. Vielleicht berücksichtigt der Hersteller diesen Wunsch in einem baldigen Update.Davon abgesehen machen Klangvielfalt und Fülle an Manipultations-Möglichkeiten die Software zu einem kaum erschöpfbaren musikalischen Schaffensquell – und das für einen mehr als überschaubaren Preis. Eine große Menge von vielseitigen Presets lädt sowohl zum sofortigen Nutzen als auch zum eigenständigen Experimentieren und Umgestalten ein. Die animierend ineinandergreifenden Bedienelemente sowie die vielfältigen Auto-Morphing-Optionen sorgen dabei für ein einfaches Handling mit einer extra Portion Spaß und vielgestaltigen Klangergebnissen. Besonders zu empfehlen sind die außergewöhnlichen Instrumenten-Kreationen für Ambient-, Industrial-, Dark Wave- aber auch als i-Tüpfelchen in Pop-Produktionen sowie zum Erschaffen faszinierender Klanglandschaften für Film-, Hörspiel- oder Game-Soundtracks.
Fazit
Sei es eine Klangkulisse für ein beklemmendes Science Fiction-Abendteuer oder ein mechanisch dröhnender Industrial-Beat – Kinetic Metal hat dank seines außergewöhnlichen Samplematerials, wohl kombinierter Multilayer-Instrumente und fantastischer Manipulationsmöglichkeiten immer einen einzigartigen Sound parat.
Erschienen in Ausgabe 01/2014
Preisklasse: Oberklasse
Preis: 99 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut – überragend
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