So klingt die Welt

Außergewöhnliche Field-Recordings stehen im Mittelpunkt der Geosonics-Library von Sonic Couture, die als Flächenlieferant nicht nur in Film, Post Production und im Game-Bereich künftig markante Spuren hinterlassen will. Kommen Sie mit auf eine wundersame akustische Reise um die Welt, in der es Einzigartiges zu entdecken gilt. Es lohnt sich.

Von Georg Berger; Fotos: Chris Watson

Chris Watson? Kenn ich nicht. Kennen Sie doch, wetten? Einige wenige kennen ihn als Gründungsmitglied sowohl der legendären Industrial-/Electro-Formation Cabaret Voltaire, als auch als Mitglied der avantgardistischen Experimental-Gruppe The Hafler Trio, die seit Anfang der 80er Jahre mit Ambient-Musik und Soundcollagen im Stile der Musiqe concrète von sich Reden macht. Sicherlich, das mag den Meisten nichts sagen und liegt auch schon über 30 Jahre zurück. Wenn Sie aber eine der zahlreichen „Life on Earth“ BBC-Naturdokumentationen unter der Ägide von David Attenborough gesehen haben, dann wird Ihnen der Brite zwangsläufig über den Weg gelaufen beziehungsweise ins Ohr gedrungen sein. Denn Watson ist seit Jahrzehnten als Spezialist für Field-Recordings in allen Ecken der Welt unterwegs. Für die akustische Untermalung des Films „The Life of Birds“ erhielt er 1996 übrigens eine BAFTA-Auszeichnung (British Academy for Film and Television Arts). Diese Aufnahmen werden dabei nicht nur als Untermalung zu Film-Dokumentationen verwendet. Watson betätigt sich nach wie vor auch als eigenständiger Künstler und Komponist, indem er seine Aufnahmen für Bühnenwerke, Installationen und auch Alben aufbereitet. Das Ganze hat dabei weniger etwas mit Musik zu tun, sondern lässt sich eher mit dem Begriff „akustische Kunst“ beschreiben.

65 dieser Field-Recordings stehen im Zentrum unseres Testkandidaten, der Geosonics-Library des britischen Soundware-Herstellers Sonic Couture. Die Aufnahmen sind in Zusammenarbeit mit Watson entsprechend aufbereitet worden und lassen sich mit weiteren Klangquellen mischen, um sowohl tonal spielbare Sounds, als auch eine farbenfrohe Palette an Flächenklängen zu erzeugen. Rund 400 Presets für Native Instruments Kontakt Sampler und auch die kostenlose Player-Variante finden sich im Lieferumfang der rund 130 Euro kostenden und knapp sechs Gigabyte großen Library. Mit einer Auflösung von 24 Bit bei 48 Kilohertz Samplingrate schielen die Samples dabei unverhohlen in Richtung Filmvertonung. Für die Programmierung der Presets holten sich die Inhaber James Thompson und Dan Powell zusätzlich namhafte Sounddesigner mit ins Boot wie etwa Ian Boddy und Biomechanoid, die aus den Field-Recordings zusammen mit den bereitgestellten Möglichkeiten innerhalb des Kontakt-Instruments das Tor in neue Klangwelten aufstoßen.

Wer jetzt bei Field-Recordings an banale Szenen wie Vogelzwitschern im Wald, Bauernhofszenen mit Nutzvieh oder dergleichen denkt, irrt ganz gewaltig. Die Library ist in fünf Kategorien aufgeteilt: „Water & Ice“ hält Aufnahmen aus der Arktis bereit, in der „Wind“-Kategorie finden sich O-Töne aus der Kalahari-Wüste und der Polar-Region, „Swamp“ enthält Aufnahmen aus den tropischen Sümpfen von Madagascar und Venezuela und in der vierten Kategorie „Wired“ sind eigentümliche Aufnahmen von Kabeln gemacht worden, die als Stromleitungen oder Zaunbestandteile im australischen Outback stehen.
Die fünfte Kategorie hält schließlich die Field-Recordings ohne weitere Sounddesign-Bearbeitung – wiederum unterteilt in die oben erwähnten vier Kategorien – bereit, perfekt, um mit eigenen Schraubereien loszulegen. Alleine die Herkunft dieser Aufnahmen ist schon etwas Besonderes und schlägt jede O-Ton-Library in Sachen Exotik um Längen. Doch mit dem banalen Aufstellen von Mikrofonen hat sich Mr. Watson dabei nicht zufrieden gegeben. Mit Hilfe von Kontakt- und Unterwasser-Mikrofonen hat er diesen Umgebungen Klänge abgetrotzt, die entgegen jeder Erwartungshaltung eine völlig andere, bisweilen fremdartige akustische Perspektive eröffnen. Teils erhalten wir den Eindruck, als ob eine Umgebung unters akustische Mikroskop gelegt wurde und Dinge zu Tage treten, die man so nie vermutet hätte. Wir haben so etwas jedenfalls so noch nie gehört, geschweige denn innerhalb einer Library angetroffen. In den Kästen auf den nachfolgenden Seiten erfahren Sie mehr dazu.

Das GUI der Kontakt-Presets wartet in jeder Sound-Kategorie mit der gleichen Ausstattung auf. Einziger Unterschied: Die Hintergrundbilder des GUI – Fotographien aus Chris Watsons Archiv –­ wechseln analog zu den einzelnen Soundkategorien. Das sieht nicht nur hübsch aus, sondern wirkt auch überaus inspirierend. Die Presets werden über zwei Spiel-Modi gesteuert: Natural und Focus. Beide Modi besitzen dabei das gleiche Arsenal an Eingriffsmöglichkeiten zu denen unter anderem das Ändern der Tonhöhe und des Startpunkts der Samples, Panorama, Lautstärke, ein resonanzfähiges Lowcut-Filter plus Hochpass-Filter, Filter- und Lautstärke-Hüllkurven sowie zwei LFOs die auf Tonhöhe, Filter-Cutoff, Panorama und Lautstärke einwirken. Über die Init- und Mutate-Buttons gehen sämtliche Einstellungen in die Ausgangsposition oder lassen sich zufällig ändern. Im Natural-Modus sind die Field-Recordings in Form von Slices über die gesamte Tastatur gemappt. Dabei kann jedes Slice individuell oder alle zusammen mit den oben erwähnten Parametern geändert werden. Das Abspielen der Aufnahme en bloc ist selbstverständlich auch möglich.

Die Sounddesign-Magie entfaltet sich so richtig erst im Focus-Modus. Ein zuvor im Natural-Modus gewähltes Slice wird im Focus-Modus als Basis-Sample über die gesamte Tastatur gemappt und lässt sich somit auch in der Tonhöhe verändern. Durch Klick auf den „Backdrop“-Button kann es übrigens auch statisch in der Tonhöhe verbleiben. Zwei weitere Layer – Pitched 1 und Pitched 2 – lassen sich jetzt anteilig zu diesem Slice hinzumischen, wobei alle drei Layer individuell mit den zuvor erwähnten Parametern einstellbar sind. Das Repertoire der Pitched-Layer setzt sich aus 140 Samples zusammen, die aus synthetischen Sounds, aber auch tontechnisch bearbeiteten Ausschnitten der Field-Recordings bestehen. Standard-Synthesizer-Wellenformen wechseln sich unter vielem anderem mit akustischen Klängen wie Glockenspiel, Gamelan-Glocken, aber auch wuchtigen, streicherähnlichen Spektren ab. Sie dienen primär dazu, Sounds zu erzeugen, die auch tonal in einem harmonischen Kontext spielbar sind. Damit sind schier unendliche Kombinations-Möglichkeiten gegeben. Sounds lassen sich einzig durch Austausch von Layer-Samples und Slices per einfachem Klick blitzschnell komplett umkrempeln. Die Mutate-Funktion trägt ihr Übriges dazu bei.

Nicht zu unterschätzen ist auch der sogenannte „Jammer“, ein einfacher Arpeggiator innerhalb des Optionen-Menüs, der es allerdings in sich hat: Anders als gewohnt dienen die Parameter nicht zum Einstellen von Geschwindigkeit, Oktavbereich und so weiter. Vielmehr verbirgt sich dahinter eine Zufalls-Funktion, die je nach eingestellter Stärke mehr oder weniger schwankend bis exzessiv das Arpeggio beeinflusst. Ein Scale-Menü sorgt dafür, dass lediglich zuvor definierte Töne angespielt werden, etwa Dur- und Moll-Akkorde über den gesamten Quintenzirkel. Im Test überrascht der Jammer jedenfalls mit einem zusätzlichen Schub an Lebendigkeit und macht aus einer eher statischen Spielhilfe ein kreativ einsetzbares Sounddesign-Werkzeug. Am Ende der Signalkette wartet schließlich eine Effekt-Sektion, bestehend aus zwei Bussen mit identisch ausgestattetem Effekte-Arsenal (Phaser, Flanger, Delay, Kompressor, Limiter, LoFi/Bit Crusher, Sättigungs-Effekt) in das sich per Send-Regler anteilig noch ein Faltungshall einblenden lässt. Letzterer wartet seinerseits mit einer exquisiten Auswahl an Impulsantworten auf, die nicht nur aus dem Repertoire aus früheren Sonic Couture Titeln stammen. Überdies wurden die Field-Recordings von Chris Watson als Quelle für Impulsantworten benutzt, so dass sich etwa die Rauminformation einer arktischen Szene auf einen Klang aus der Wüste einrechnen lässt. Einige dieser Field-Impulsantworten erzeugen einen Klang, der, obwohl auf der Erde aufgenommen, nicht von dieser Welt ist und ein ganz eigentümlich-fremdartiges Ergebnis erzeugt.

Im Hör- und Praxistest werden wir sogleich in den Bann der Geosonics-Presets gezogen, die zum Großteil mit Flächen und Soundscapes, aber auch mit einer Reihe melodiös spielbarer Sounds aufwarten. Sehr viele Soundscapes spannen in epischer Breite Atmosphären auf, die einmal Ruhe, Harmonie und Frieden ausstrahlen, ein anderes Mal durch subtile dissonante Bestandteile eher Unbehagen, Fremdartigkeit und Gefahr ausstrahlen, wobei die Slices der Field-Recordings maßgeblich für die Grundstimmung des Gesamt-Sounds verantwortlich zeichnen. Doch das Ganze geschieht ausnahmslos auf eine sehr subtile Art. Sämtliche Presets schmeicheln sich in Arrangements ein wie eine Katze, die einem ums Hosenbein streicht. Selbst in unteren Oktavlagen, in denen es mächtig kraftvoll im Bass tönt, wirkt der Klang immer noch auffällig zurückgenommen und zart. Gleiches gilt auch für die oberen Lagen, die hochfein aufgelöst stets einen sanften Schimmer besitzen. Geosonics orientiert sich somit ausnahmslos an einem New Age-Soundideal. Schrille, impulsive, hektische und brachiale Sounds fehlen völlig, wenngleich unter Zuhilfenahme des Arpeggiators durchaus rhythmisch-perkussive Loops realisierbar sind. Letzterer zeigt sich im Test als geniales Werkzeug, wenn im Natural-Modus einzelne Field-Recording-Slices getriggert werden. Die ohnehin teils fremdartigen Klangkulissen erscheinen plötzlich noch seltsamer, teils mit zuvor ungehörten rhythmischen Bestandteilen, ein Leckerbissen für alle Soundforscher.

Fazit
Sonic Couture legt mit der Geosonics-Library ein einzigartiges Werkzeug zum Erzeugen von Soundscapes und Klangkulissen vor, das sich perfekt zum subtilen Anreichern von Szenen und Arrangements empfiehlt. Die Field-Recordings von Chris Watson, die die Basis der Library markieren, prägen die Sounds auf nachhaltige Weise und verleihen ihnen stets das gewisse Etwas, das in der Art bei den Mitbewerbern nicht zu finden ist. Dank der einfachen Bedienung mit dennoch machtvollen Eingriffsmöglichkeiten wird Geosonics auf lange Sicht nicht die Puste in Sachen Klangvielfalt ausgehen.

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Ice and Water: Sounds aus der Arktis

Außer herkömmlichen Mikrofonen nutzte Chris Watson für seine Arktis-Aufnahmen auch Unterwasser-Mikrofone, um das klangliche Potenzial von Gletschern und Eisbergen auszuloten. Dabei sind auch eine Reihe von Unterwasser-Aufnahmen im Eismeer entstanden. Zu hören sind Klangkulissen, die unterschiedliche Arten von Rauschen, teils durchsetzt mit Wasserplätschern, aber auch Rumpeln besitzen. Überraschend sind einige perkussive Elemente, die eher an klappernde Bambus-Stöcke erinnern. Ganz zarte perkussive Bestandteile liefern Garnelen, die Watson zufällig vors Mikrofon bekam. Beim genauen Hinhören entdecken wir mitunter ein leichtes tieffrequentes Brummen, was durchaus auch von Walen stammen könnte. Unser persönliches Highlight ist jedoch der „Pacific“-Sound, der sich anfangs durch ein aufbrausendes Rauschen, durchsetzt mit immer wieder auftretenden Blubber-Anteilen bemerkbar macht und wenig später durch dramatische Wooshes, die quer durchs Panorama fliegen. Letzteres hört sich wie eine eigenartig verfremdete Meeresbrandung an, die irgendwie räumlich entrückt erklingt, wahrscheinlich über ein Unterwasser-Mikrofon aufgenommen. Auf eigentümliche Art erinnert uns diese Klangkulisse an die elektronische Musik der 50er-Jahre.

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Wind: Wüsten voller Klang

In der Wind-Kategorie sind Aufnahmen aus der Kalahari-Wüste, aber auch aus der polaren Eiswüste versammelt. Dabei hat Watson als eins der Highlights einen alten vertrockneten Akazienbaum in der Kalahari-Wüste mit Kontakt-Mikrofonen versehen und dann den Klang des Baumes, der durch den Wind in Bewegung versetzt wurde, aufgenommen. Das Ergebnis: perkussive Bestandteile mischen sich mit Knistern, Quietschen und mit Windrauschen, was teils an ein knarrendes Segelschiff erinnert. In anderen Aufnahmen sind ganz leicht Vogelgeräusche hörbar, wobei die Windgeräusche mit unterschiedlich hohen und tiefen Anteilen dominieren. Ganz und gar ungewöhnlich sind Aufnahmen, in denen Watson ein Unterwasser-Mikrofon in Eislöcher setzte. Der Wind, der daraufhin über die Löcher wehte, erzeugte ein eigentümliches, sinusartiges Pfeifen, das bisweilen zart, bisweilen eher dumpf und hohl erklingt. Das Pfeifen zusammen mit dem Windgeräusch bildet eine feste Einheit, die eine perfekte Untermalung für gespenstische Atmosphären bildet.

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Swamp: Tierisch surreales Leben in Sümpfen

Die Sumpf-Aufnahmen aus Madagaskar und Venezuela lassen sich, verglichen mit den übrigen Field-Recordings, am ehesten noch als solche identifizieren. Diverse Insektengeräusche, bestehend aus Fiepen und Zirpen, Vogellaute mit entsprechenden Pfeif- und Zwitscher-Arien sind hörbar. Hinzu kommen einmal mehr Luftgeräusche, die den Kulissen eine immense Tiefe verleihen. Doch auch in dieser Kategorie gibt es Überraschendes zu entdecken: So hat Chris Watson auf Madagaskar Frösche aufgenommen, die alles andere als mit dem üblichen Quaken aufwarten. So macht sich der Banjo-Frosch eher durch eine Art Schrei bemerkbar, der entfernt an Schwäne oder Gänse erinnert, allerdings um mehrere Halbtöne nach unten transponiert. Das Highlight markiert aber der dort ansässige Baumfrosch, der sich durch hohe sinusartige Tonfolgen bemerkbar macht. Zu hören ist eine Art Dreiklangsbrechung, die uns an den Beginn der elektronischen Komposition „Die Legende des Eer“ von Iannis Xenakis erinnert, die mit ähnlich an- und abschwellenden Sinustönen in dichter Folge aufwartet. Um die Aufnahmen in dieser Klarheit zu erhalten, musste Chris Watson teils sehr lange Kabelstrecken legen die bis zu 50 Meter betrugen. Einerseits galt es, die Szenerie nicht durch die Anwesenheit des Aufnehmenden zu stören, andererseits musste sich Watson dadurch auch vor einer Vielzahl von Insekten schützen, die ihn nur allzu gern stechen wollten.

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 Wire: Akustisches Eigenleben von Kabeln und Drähten im australischen Outback

Die Draht-Aufnahmen aus dem australischen Outback bilden den Ausgangspunkt für die Produktion der Gesosonics-Library. James Thompson und Dan Powell sahen eine Dokumentation über das Kunstprojekt „Wiredlab“, in dem Chris Watson an Zaundrähte und dergleichen mehr Kontakt-Mikrofone anbrachte und die darin entstandenen Klänge aufnahm, die teils durch Windrauschen, teils durch Zupfen und Anschlagen der Drähte entstanden. Dabei handelte es sich um Drähte, die teils über 100 Meter lang waren. Innerhalb der Geosonics-Library sind dies die mit Abstand fremdartigsten Sounds. Zu hören sind diverse Rauschspektren, wahrscheinlich durch Wind hervorgerufen, die stets mit ostinaten, seltsam verfremdeten Sinus-Tönen durchsetzt sind. Mitunter sind harmonisch definierte Töne hörbar, es finden sich aber auch atonale Toncluster. Das Ganze hört sich dabei eher wie das Geräusch einer laufenden Maschine an. Andere Aufnahmen enthalten inmitten dieser Drone-Kulisse leichte perkussive Anteile, die sich lautmalerisch am besten mit „Boing“ und „Tschumm“ in wiederum unterschiedlichen Tonhöhen beschreiben lassen.

Erschienen in Ausgabe 09/2014

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 129 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut