Phrasendrescher mit Blockbuster-Garantie
Mit Capriccio legt das niederländische Soundware-Unternehmen Sonokinetic seine dritte phrasenbasierte Orchester-Library vor und hat dabei nicht mit neuen, genialen Features gespart. Was sich alles damit anstellen lässt, haben wir für Sie herausgefunden.
Von Georg Berger
Komplette, exzellent klingende Orchester-Arrangements innerhalb kürzester Zeit zu produzieren war bislang ein Ding der Unmöglichkeit, es sei denn, man stückelt bereits fertig produzierte Phrasen und Loops an- und aufeinander. Mit der Minimal-Library (Test in Heft 2/2014) haben die niederländischen Soundware-Spezialisten von Sonokinetic dies auf geniale Weise realisiert und dem Anwender trotz statischer Phrasen-Loops eine immense Freiheit bei der Gestaltung organisch klingender Orchester-Sätze geboten.
Dieses Konzept, das wir unlängst mit einem Editors Choice bedacht haben, hat offensichtlich nicht nur uns überzeugt, sondern auch den Anwender. Wenig später legte Sonokinetic mit der Grosso-Library nach und offerierte weiteres Phrasenmaterial, wobei das Handling im Vergleich zu Minimal abgewandelt und erweitert wurde. Unser Testkandidat, die Capriccio-Library, ist der jüngste Sproß innerhalb dieser Linie und wartet sowohl mit neuem, frischem Klangmaterial, als auch neuen, erweiterten Features zum Ansteuern und Editieren der Phrasen auf. Letzteres, soviel sei schon jetzt verraten, bietet vor allem im Vergleich zu Minimal ungleich flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten. Doch der Reihe nach.
Ausstattung
Mit rund 360 Euro ist der Verkaufspreis für Capriccio zwar schon etwas saftiger. Doch angesichts des Produktionsaufwands und auch im direkten Vergleich zu ähnlichen Produkten etwa von VSL, ProjectSam oder EastWest, ist Capriccio in guter Gesellschaft. Dafür erhält der Anwender ein dickes Datenpaket von rund 50 Gigabyte, wobei einmal mehr die Samples in Wortbreiten von 16 und 24 Bit bei 44,1 Kilohertz Samplingrate geliefert werden. Mit knapp 34 Gigabyte markieren die 24-Bit-Samples den Löwenanteil an der Gesamtdatenmenge. Sämtliche Phrasen sind im 4/4tel-Takt bei einem Tempo von 130 BPM eingespielt worden. Das Anpassen an andere Geschwindigkeiten geschieht einmal mehr mit Hilfe des Time Machine Pro-Algorithmus in Native Instruments Kontakt Sampler sowie der eigens entwickelten Tempo-Mapping-Technik. Capriccio ist überdies auch im kostenlosen Kontakt Player lauffähig. Anders als in der Minimal-Library, die mit nur einem Instrumenten-Patch auskommt, finden sich in Capriccio derer gleich zwölf. So gibt es für jede Instrumentengruppe, also Streicher, Holz- und Blechbläser ein Patch und darüber hinaus eines mit gestimmter Percussion (Xylophon, Glockenspiel, Röhrenglocken und Piano-Phrasen), eines mit herkömmlicher Percussion (große Trommeln, Becken, Metallstäbe) sowie ein separates Patch nur für Läufe. Darin finden sich auf- und absteigende Tonleitern, die ausschließlich von Holzbläsern oder Streichern gespielt sind. Die Läufe sind mal nur auf-, mal nur absteigend oder enthalten beide Richtungen. Die Längen reichen von einem, über zwei bis hin zu vier Takten. Vorteil: Der Anwender lädt sich die für ihn relevanten Instrumenten-Patches in Kontakt und erhält nicht nur eine bessere Übersicht, sondern auch mehr Eingriffsmöglichkeiten. Die weiteren sechs Instrumenten-Presets sind Light-Varianten der eben erwähnten Patches, die weniger CPU- und Festplatten-Performance benötigen, ideal wenn es ums Komponieren und Arrangieren der gewünschten Phrasen geht.
Handling
Der Umgang mit den Instrumenten-Patches ist im Test, nicht zuletzt dank des sehr gut gemachten Handbuchs sowie der mitgelieferten Tutorial-Videos, rasch verinnerlicht. Mit Ausnahme des Läufe- und des Multisample-Percussion-Patches ist das Bedienkonzept identisch. Pro Patch stehen gleich drei simultan spielbare Phrasen bereit, die in die Register tief, mittel und hoch unterteilt sind. Wie bereits in Minimal geben graphische Muster/Icons eine ungefähre Vorstellung davon ab, was die geladene Phrase spielt. Ein Klick auf das Phrasen-Icon öffnet den sogenannten „Phrase-Picker“, der über drei Reiter – tief, mittel, hoch – die Möglichkeit zum Auswählen anderer Phrasen bietet. Neu ist dabei die Möglichkeit, jede Phrase vor dem Laden vorhören zu können, indem wir einfach auf das Lautsprecher-Symbol klicken. Wir brauchen also künftig nicht mehr im Dunkeln stochern und können uns bequem vorab das Passende aussuchen. Abseits dessen lassen sich die in drei Register unterteilten Phrasen beliebig in die Slots des Instrumenten-Patches laden, so dass wir bei Bedarf etwa nur tiefe Register-Phrasen einsetzen können.
Doch die drei Phrasen-Slots markieren erst den Anfang der Sample-Schlacht. Pro Slot können – wiederum unterteilt in Reiter – bis zu vier verschiedene Phrasen geladen werden. Per Key-Switch können diese Phrasen-Sets, von Sonokinetic „Preset“ getauft, dynamisch blitzschnell umgeschaltet werden. Ebenfalls per Key-Switch ist dabei bestimmbar, ob das neue Phrasen-Set stur bei Takt 1 beginnen oder sich organisch und nahtlos zur gerade gespielten Zählzeit einstarten soll. Das ist klug gelöst und sorgt im Test gerade bei raschen Phrasenwechseln für spürbar mehr Authentizität.
Um die Phrasen erklingen zu lassen ist wie schon in Minimal das Spielen von Dur- und Moll-Dreiklängen im entsprechenden Bereich des Keyboards erforderlich. Das im Patch werkelnde Skript erkennt den Dreiklang und triggert analog zur gespielten Tonart die entsprechenden Phrasen. Akkord-Umkehrungen werden vom Skript übrigens auch erkannt und mit dem Triggern entsprechender Phrasen quittiert. Das Spielen von Sept-Akkorden und anderen erweiterten harmonischen Verbindungen erfolgt durch den gezielten Einsatz der Harmonic-Shift-Funktion, auf die wir gleich noch eingehen werden.
Das Läufe-Patch wird zwar auch durch Spielen von Dreiklängen auf der Tastatur zum Klingen gebracht. Doch anstelle von drei simultan spielbaren Linien, gestattet es das Spielen von lediglich zwei simultanen Phrasen. Das Multisample-Percussion-Patch ist hingegen ohne Dreiklangs-Artistik wie ein herkömmliches Instrumenten-Patch direkt spielbar. Das Mapping ist dabei so ausgelegt, dass pro Sound zwei identische Key-Zonen direkt nebeneinander liegen. Ostinate Spielfiguren mit einem Sound können dadurch auf zwei Tasten bequem gespielt werden, was zudem mehr Kontrolle bietet als beim Tippen auf lediglich eine Taste.
Ganz neu und ohne Zweifel eines der Highlights in Capriccio ist die Möglichkeit, zuvor geladene Phrasen als MIDI-Datei in die DAW zu importieren. Dazu rufen wir einfach die Partituransicht der entsprechenden Phrase auf, Klicken auf den „Drag MIDI“ Button und ziehen bei gehaltener Maustaste auf eine MIDI-Spur in der DAW. Mit diesem genialen Streich ist der Anwender nicht mehr an den Sound der Loops gebunden und kann bei Bedarf die Phrasen auch mit anderen Sounds spielen. Das Anreichern der Loops durch Stimmendopplung mit anderen Klangerzeugern ist damit auch überhaupt kein Problem mehr und wer mag, kann Phrasen nach Gusto auch abändern und variieren. Noch besser: Durch Klick auf die Keyboardtasten in der Partituransicht, können wir sogar die Grundtonart bestimmen und die MIDI-Datei in der entsprechenden Tonart exportieren. Für dieses Feature, das die Flexibilität der Library enorm steigert, gibt’s schon einmal ein Sonderlob.
Einstellbare Parameter
Capriccio gewährt dem Anwender außer dem bisher Erwähnten noch eine Reihe weiterer Eingriffsmöglichkeiten in den Klang und das Abspielen der Loops. Einige der Parameter sind praxisgerecht auf ein Live-Spiel angepasst und reagieren im Zusammenspiel mit der Tastatur. Dazu zählt das stumm schalten einzelner Slots via Key-Switches oder die Gesamt-Lautstärke-Kontrolle mit Hilfe des Modulationsrads. Ein Klick auf das Modulationsrad-Icon nimmt den Slot aus der Gesamtlautstärke-Steuerung heraus, so dass dieser nach wie vor hörbar ist, wenn das Rad unten steht. So kontrollieren wir im Test lediglich einen Slot damit, dessen Phrase sich dramatisch in das übrige Arrangement ein- und ausblenden lässt. Eine Purge-Funktion entlädt bei Bedarf überflüssige Samples aus dem Arbeitsspeicher, was der Performance zu Gute kommt. Überdies ist es auch möglich, die Phrasen per Button normal, halb oder doppelt so schnell abzuspielen.
Durch Klick auf das Zahnrad-Symbol in der unteren Leiste erhalten wir Zugriff auf weitere Parameter, die statisch auf einzelne Slots beziehungsweise das gesamte Patch einwirken. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist die Lösung, diese Parameter mittels vertikaler und horizontaler Linien, die mit einem hellen, diffusen Schein umhüllt sind, einzustellen. Sie legen sich dabei über die Slots. So können wir auf diese Weise die Lautstärke-Balance aller drei Slots und überdies auch separat die Lautstärke der Release-Samples einstellen. Gleiches gilt fürs Verteilen im Stereo-Panorama und auch das Sample-Crossfade, das je nach Einstellung für ein unhörbares Überblenden von Loops bei Akkord- und Phrasenwechseln sorgt.
Auf althergebrachte Weise kann hingegen eine Balance zwischen zwei Mikrofon-Positionen eingestellt werden. Zur Auswahl stehen die Positionen Decca-Tree, Wide, Close und Far. Dabei werden für jede Mikrofon-Position ein eigenes Set an Samples geladen. In den Lite-Patches wurde dieser Parameter zugunsten einer besseren Performance weggelassen. Über den Tuning-Eintrag stehen vier wählbare Grundstimmungen in Ein-Hertz-Schritten zwischen 440 bis 443 Hertz zur Auswahl. Pfiffig ist der Offset-Parameter: Über eine Leiste mit Markern, die sich in die Slots legt, versetzen wir einen Punkt wahlweise nach links und rechts, was dazu führt, dass die Phrase entsprechend früher oder später einsetzt. Jede Marke steht dabei für eine 1/16tel-Note. Das hats in Minimal nicht gegeben und sorgt in Capriccio für ein bequemes Realisieren von Synkopen, Auftakten und polyrhythmischen Arrangements. Auch für diesen praxisgerechten Kniff, gibt’s ein großes Lob.
Damit ist der Feature-Reigen in Minimal noch nicht ganz abgerundet: Hinter dem Plus/Minus-Symbol verbirgt sich auch in Capriccio die sogenannte und in Minimal eingeführte Harmonic Shift Funktion. Das Prozedere ist denkbar einfach: Ist die Funktion in einer oder mehreren Slots aktiviert, können diese mit Hilfe von Key-Switches relativ zur gespielten Grundtonart transponiert werden. Wird also C-Dur gespielt und anschließend der e-Tasten-Switch gedrückt, wird die Phrase in der Harmonic Shift aktivierten Sektion transponiert und in e-moll gespielt. Doch nicht nur das: In Capriccio gewährt das entsprechende Menü sogar die Möglichkeit zu bestimmen, ob beim Anwählen die Tonlage wahlweise in Dur oder Moll gespielt werden soll, was insbesondere für die Phrasen gilt, die mit einem entsprechenden Dur-, Moll- oder Moll-Parallelen-Vermerk versehen sind.
Somit lässt sich das Gesamt-Arrangement auf denkbar einfache Weise harmonisch erweitern und mit reizvollen Parts anreichern, wobei der Effekt besonders deutlich wird, wenn zwei Slots den gleichen Inhalt besitzen und eine davon mit Harmonic Shift moduliert wird.
Praxis und Klang
Im Hör- und Praxistest gefällt uns die Lösung, einzelne Instrumenten-Gruppen über separate Patches zu spielen schon besser, als alles auf einmal über nur ein Gesamt-Patch zu erledigen, wie in Minimal. Wir erhalten eine bessere Übersichtlichkeit, müssen aber auch mehr Akkordarbeit erledigen. Anders als bei Minimal, zickt beim Test von Capriccio dieses Mal weder Kontakt, noch die ASIO-Anzeige von Cubase Pro 8. Zwar wird auch beim Spielen der Capriccio-Phrasen sowohl CPU- als auch der Speicher ordentlich gefordert, doch Aussetzer sind dieses Mal Fehlanzeige, woran aber nicht zuletzt auch das neue ASIO-Guard 2 eine Rolle spielt.
Der Grundsound der Phrasen ist schlicht und einfach hochwertig zu bezeichnen, woran die Raum-Mikrofonierung einen nicht unerheblichen Anteil hat. Die Loops klingen, ganz gleich welche virtuelle Mikrofonierung zum Einsatz kommt, sehr angenehm. Wie auch schon in Minimal werden die Phrasen mit einem zarten Schleier aus Raumklang umhüllt, der förmlich mit ihnen verschmilzt. Dadurch schmeichelt er den Instrumenten, er lässt sie atmen und stattet sie mit eindrucksvoller Plastizität aus. Insgesamt wurde bei den Capriccio-Sounds auf ein ausgewogenes Klangbild geachtet, das wunderbar mit den Loops aus Minimal harmoniert. Überdies fügen sich die Phrasen noch ohne großes Zutun von Studio-Effekten organisch in bestehende Arrangements ein. Da sitzt einfach alles direkt am richtigen Platz.
Ein ganz anderes Thema ist hingegen die eingefangene kompositorische Arbeit und der gleichzeitig damit transportierte emotionale Gehalt.
Zeichnete sich die Minimal-Library eher durch zarte, lyrische und eher zurückhaltende Phrasen aus, die gezielt als Fundament im Background für auffällige Unauffälligkeit sorgen, gibt sich das Phrasen-Arsenal in Capriccio in dieser Hinsicht weitaus vordergründiger und sorgt für entsprechend höhere Aufmerksamkeit. Je nach Auswahl von Streicher- und vor allem von Blechbläser- und Percussion-Phrasen, geht Capriccio brachial ans Werk. Pulsierende Trommel-Pattern, scharfe, impulsartige staccato-Passagen von Trompeten und hektische Streicherlinien sorgen für ein ordentliches Pfund an Dramatik und Expressivität, die es mit Blockbuster-Soundtracks durchaus aufnehmen können und mit einem Mal mächtig voluminös aus den Lautsprechern drängend, die Bühne für sich beanspruchen. Das Ganze steigert sich noch um ein Vielfaches bei gezieltem Einsatz der genialen Harmonic Shift-Funktion. Im Test erinnern wir uns je nach Kombination der Phrasen an Action- und Fantasy-Blockbuster im Stile von „Der Hobbit“, „GI Joe“, „Star Trek“ oder „Godzilla“. Doch Capriccio ist nicht ausschließlich auf ein musikalisches „immer mitten in die Fresse rein“ ausgerichtet. So finden sich viele Tuned-Percussion-, Streicher- und zumeist Holzbläser-Phrasen, die anschaulich auch die zarte, romantische und auch melancholisch-introvertierte Seite von Capriccio demonstrieren. Mit einem Mal ist der eben noch riesengroße Orchestersound deutlich kleiner geworden, wenngleich die Phrasen von Minimal ein Schippchen weicher daherkommen. Nichts desto Trotz ist Capriccio musikalisch damit universell ausgelegt, wenngleich die Domäne eindeutig auf mächtigen Scores für Action, Science-Fiction, Fantasy und Horror liegt.
Fazit
Sonokinetic ist mit der Capriccio-Library gleich in mehrfacher Weise ein ganz großer Wurf gelungen. Mit rund 50 Gigabyte stellt sie die bislang größte Sammlung phrasenbasierter Orchester-Samples bereit. Das musikalische Repertoire ist eindeutig auf großes (Blockbuster-)Kino ausgelegt und basierend auf den beiden Vorgänger-Produkten Minimal und Grosso legt der Hersteller noch einmal ein ordentliches Schippchen in Sachen Features und Handling obendrauf. Funktionen wie Harmonic Shift, MIDI-Export, Phrasen-Preview, Sample Offset und unabhängige Lautstärke-Kontrolle der Release-Samples bieten noch mehr Flexibilität bei der Gestaltung von Orchestersätzen. Dabei hat es Sonokinetic einmal mehr geschafft, die technischen Aspekte auf ein gerüttelt Mindestmaß zu reduzieren und den Spielspaß ins Zentrum zu rücken.
Erschienen in Ausgabe 05/2015
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 363
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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