Schwapp, Schwapp, Schubi-Dubi-Du
Der Einsatz von gesampelten Phrasen klingt oft recht statisch. Das gilt nicht, wenn Sie mit der Liquid Instruments-Reihe von Überschall arbeiten. Und die Library The Voice Volume 2 befreit nun endlich auch die Gesangsstimmen. Was sich alles damit anstellen lässt, testet Professional audio Magazin.
Von Georg Berger
The Voice Volume 2 ist in erster Linie eine Sample Library. Doch so ganz stimmt das nicht, denn die Libraries der Liquid Instruments Reihe zeichnen sich dadurch aus, dass sich Samples eben nicht nur abspielen lassen. Sie können auch die Struktur eines Samples verändern, ebenso Teile eines Samples in Tonhöhe und -dauer, und das ohne klangliche Verluste. Im Vergleich zu anderen Sample-Libraries, die mit Datenmengen im zwei- bis dreistelligen Gigabyte-Bereich aufwarten, kommt The Voice Volume 2 mit knapp drei Gigabyte aus. In Zusam-menarbeit mit der Firma Celemony – Entwickler der Melodyne-Software – wurde für die Liquid Instruments Reihe das soge-nannte Liquid Instruments Series-Plug-in (LIS) geschaffen. Bis dato sind Libraries mit Klängen von E-Bässen, Saxophonen, Blechbläsern und Gitarren-Klängen speziell für das LIS-Plug-in erschienen, die nur im Verbund mit diesem spielbar sind. Wer jetzt denkt, dass er für diese Hybridform aus Library und virtuel-lem Instrument Unsummen ausgeben muss, der irrt: Für knapp 170 Euro gibt es die Library; damit dürfte sie auch für Homerecordler mit schmalem Geldbeutel attraktiv sein.
Die Library enthält über 300 Phrasen in einer Länge von zwei bis acht Takten, was die Bereiche Pop, Rhythm and Blues und neutrale Bereiche abdeckt. Haupt-Einsatzzweck dieser Samples: ein- und mehrstimmige Background-Vocals und Gesangslinien bereitzustellen. Von den üblichen Gesangs-Darbietungen mit den berühmten „Oohs“, „Aahs“ und „Uuhs“ bis hin zu Standards wie dem sattsam bekannten „La la“ und „Yeah“ findet sich in der Library darüber hinaus ein reichhaltiges Repertoire an „Dubi Du“-Artikulationen in allen Variationen. Pro Phrase liegen acht Einzelsamples mit einstimmigen Melodien vor, die jeweils zur Hälfte von einer weiblichen und einer männlichen Stimme eingesungen sind. Die Samples entstanden ohne Einsatz von Effekten. Eine Vorbemerkung ist jedoch nötig: Um mit den Liquid Instruments sachgemäß umgehen zu können, sind Kenntnisse in Harmonielehre erforderlich. Das bloße Abspielen der Samples in Rohform oder blindes Editieren an den Parametern führt zu unbefriedigenden Ergebnissen. Erst mit gekonnten Eingriffen in die Regelmöglichkeiten des LIS-Plug-ins offenbaren sich die Möglichkeiten dieser Library.
Nach Installation des LIS-Plug-ins – wahlweise als VST-, AU-, RTAS-, DXi, oder Stand-alone-Version – und dem Kopieren der Samples muss im Setup-Menü zuerst der Pfad zu den Daten bestimmt und die Registrierung vorgenommen werden. Dort lässt sich auch einstellen, ob sich das Plug-in auf das Tempo des Sequenzers synchronisieren soll.
Das LIS Plug-in zeigt sich mit einer zweigeteilten Bedienoberfläche, die mit ihren Grundfarben schwarz, silber und neon-grün auffällig, aber nicht unangenehm ist. Im oberen Viertel finden sich als ständige Elemente fünf Schieberegler zur Einstellung von Lautstärke, Panorama und zur Beeinflussung der Tonhöhe, des Timbres und der Rhythmisierung der Phrasen. Auswahl-Menüs und Check-Boxen, die weitere Eingriffe ermöglichen und Dateifunktionen zum Laden und Spei-chern von Einstellungen enthalten, komplettieren diesen Bereich. Wichtige Elemente: die Key- und Scale-Auswahl-Menüs, die die Transponierung der Samples bestimmen. Eingriffe mit diesen Reglern wirken sich nur auf zuvor angewählte Samples aus. Es besteht keine globale Eingriffsmöglichkeit, die mehrere Samples gleichzeitig beeinflusst. Wer beispielsweise einen fünfstimmigen Chorsatz effektvoll in der Tonhöhe ändern möchte, muss dies für jedes Sample separat vornehmen. Da sollte im nächsten Update nachgebessert werden.
Der größere Teil der Bedienoberfläche ist drei Fenstern zur Edi-tierung vorbehalten, die sich über Karten-Reiter aufrufen lassen. Der Sound-Browser gestattet die Auswahl der Phrasen und das Routing der Samples auf MIDI-Noten. Das Editor-Fenster ist der Ort, an dem Bestandteile der Samples veränderbar sind. Das dritte Fenster erlaubt schließlich die fünf Schieberegler des Plug-ins zu automatisieren. Das Handbuch in Form eines CD-Booklets gibt zur Bedienung des LIS-Plug-ins zwar kurze, aber informative Anleitungen; wir hätten jedoch gerne noch eine Liste der enthaltenen Samples.
Der Sound-Browser verästelt sich über vier Unter-Fenster hinweg. Nach Anwahl eines Eintrags erscheint jeweils nach rechts hin ein neues Fenster mit weiteren Einträgen. Das dritte Fenster zeigt schließlich Unter-Ordner, welche die eigentlichen Phrasen enthalten. Ein nochmaliger Klick auf einen Phrasen-Ordner öffnet ein Fenster, das jeweils acht Samples in Form von reduzierten Wellenformen darstellt. Ganz rechts findet sich eine Keyboard-Tastatur, die allerdings nur den Bereich von C1 bis C4 umfasst, was wir für zu gering halten. Um Samples über MIDI ansteuern zu können, lässt sich entweder ein einzelnes Sample per Drag and Drop aus der Wellenform-Übersicht auf eine Taste legen; oder ein ganzes Set von acht Samples, indem der Ordner eine Ebene darüber auf die entsprechende Position der Tastatur gezogen wird. Wichtig zu wissen: Der Aufruf von Samples im Wellenform-Fenster transponiert die dort enthaltenen Samples direkt auf die eingestellte Tonart und das Skalen-Modell. Wer zuerst eine Dur-Skala in „C“ ausgewählt hat, wird beim Zuweisen/Mappen eines Samples auf die Tastatur die Phrase in C-Dur erhalten. Die Änderung der Skala in melodisch-moll der Tonart „A“ lässt anschließend gemappte Samples in dieser Tonart erklingen. Außer den zwölf Halbtönen für die Tonart stehen insgesamt 28 unterschiedliche Skalen-Modelle zur Wahl, darunter so exotische Vertreter wie Hindu, Persisch oder Japanisch.
Verwirrend ist zunächst, dass sich beim Mapping eines gesamten Phrasen-Ordners die vier Frauen- und Männerstimmen-Samples nicht in der Tonhöhe unterscheiden. Doch das hat seinen Grund, da Chorsätze oftmals unisono im Hintergrund erklingen. Zusätzliches Komfort-Plus: Auf einen Schlag befindet sich ein mehrstimmiger Chorsatz auf der Tastatur, der nur noch in der Tonhöhe editiert werden muss. Dazu reicht ein Doppelklick auf ein bereits gemapptes Sample beziehungsweise einfaches Anklicken auf den Editor-Reiter.
Das Editor-Fenster zeigt einen vertrauten Anblick, den man von Sequenzern kennt: den Piano-Roll-Editor. Über einem einstell-baren Taktraster findet sich je nach Phrase eine unterschiedliche Zahl von Balken, welche die Tonhöhen des gesamten Samples repräsentieren. In der Vertikalen erstreckt sich die Tonhöhe und in der Horizontalen die Dauer. Wer im Umgang mit der Editierung von MIDI-Daten im Piano-Roll-Editor geübt ist, kann sofort loslegen. Sowohl Einzeltöne als auch mehrere Töne (durch Ziehen eines Auswahl-Rechtecks mit der Maus) sind in Tonhöhe und Dauer veränderbar. Über die Backspace-Taste lassen sich einzelne Töne aus einer Phrase entfernen. Mit Locator-Dreiecken über dem Raster ändern Sie die Gesamtlänge der Phrase. Das Verlängern oder Verkürzen eines Tons löst dabei eine proportionale Verkürzung oder Verlängerung des vorhergehenden beziehungsweise nachfolgenden Tons aus. Überlappende und somit mehrstimmige Klänge sind in einem Einzelsample nicht möglich.
Wird die Darstellung des Editor-Fensters vergrößert, können Sie ein weiteres Feature nutzen: Innerhalb der Balken befinden sich nochmals Wellenform-Darstellungen der Teil-Samples, die sich durch Mausklick in Kombination mit der ALT-Taste minimal in Tonhöhe oder -länge feinabstimmen lassen. Dies sorgt für den Human Touch, die Phrase erscheint lebendiger. Der Effekt verstärkt sich durch den Quantize-Schieberegler, der für kleine rhythmische Unsauberkeiten sorgt. Die Änderung der Tonart und des Skalen-Modells zeigt das Editor-Fenster direkt an. Dabei arbeitet ein intelligenter Algorithmus im Hintergrund, der die Töne der Phrase je nach Änderung automatisch an den harmonisch richtigen Platz versetzt. Das sture Transponieren eines Tons oder einer Tongruppe um etwa eine Quinte nach oben ist über das Key-Menü allerdings nicht befriedigend durchführbar, da der Analyse-Algorithmus immer eingreift. Wer also Quint-Parallelen einsetzen möchte, muss die Töne manuell versetzen. Im Test von Professional audio Magazin offenbart sich, dass dem Transponieren von Tönen klangliche Grenzen gesetzt sind, die in etwa bis maximal eine Quinte hinauf und hinab reichen. Höhere Werte führen zu einem künstlichen Klang. Über den Formant-Regler lässt sich die Natürlichkeit des Timbres einer behutsam veränderten Melodie wiederherstellen. Dies geht am einfachsten, wenn innerhalb eines Samples Transponierungen nur in eine Richtung erfolgen.
Das dritte Fenster des LIS-Plug-ins ist der automatisierten Steuerung der zuvor erwähnten fünf Schieberegler vorbehalten. Es zeigt acht Controllerplätze mit jeweils einem Schieberegler, einem Menü zur Auswahl eines der fünf Parameter und einem dritten Feld, in dem sich ein Tastatur-Bereich für den Controller definieren lässt. Da sich die fünf Regler jeweils nur auf ein Sample auswirken, ist im Automations-Fenster auf jedes Sam-ple beziehungsweise jede Taste des Keyboards ein separater Controller zuweisbar. Dies ist intelligent und komfortabel gelöst. Allerdings wird diese Funktion im Handbuch unzureichend beschrieben. Es vermerkt dazu, dass sich MIDI-Controller damit ansprechen lassen. Tatsächlich ist das aber nur über die Host-Automation des Sequenzers möglich. An dieser Stelle muss das Handbuch unbedingt verbessert werden.
Der Funktionsumfang des LIS-Plug-ins ist binnen kurzer Zeit verinnerlicht. Die intelligente Transponierungs-Funktion irritiert anfangs etwas, möchte man ein Sample oder Teile davon exakt um ein bestimmtes Intervall versetzen. Während wir uns mit den Funktionen des LIS-Plug-ins beschäftigen, entdecken wir die klanglichen Eigenheiten und Möglichkeiten dieser Mischung aus Sample Library und virtuellem Instrument.
Die weibliche Gesangsstimme klingt natürlich und authentisch, obwohl in einigen Phrasen an winzigen Stellen ein wenig Künst-lichkeit zu entdecken ist. Durch minimale Korrekturen mit dem Formant-Regler lassen sich diese Auffälligkeiten erfolgreich ka-schieren. Das Timbre und Stimmfach der Frauenstimme liegt eindeutig im Mezzosopran. Behutsame Transponierungen nach oben und unten zeigen, dass sie auch in Alt- oder Sopran-Version durchaus noch recht gut klingt.
Enttäuschend fällt indes der künstliche Klang der männlichen Gesangsstimme aus. Das Timbre klingt zwar jugendlich und befindet sich im Tenor. Doch wir bemerken immer wieder den berühmten Micky Maus-Effekt, der uns sagt, dass Tonhöhe und Timbre der Stimme nicht authentisch sind. Nachträgliche Ein-griffe mit dem Pitch- und Formant-Regler führen deshalb zu keinem befriedigenden Ergebnis. An der Authentizität der männlichen Gesangssamples muss noch dringend gearbeitet werden.
Als nächstes hören wir uns die Phrasen selbst an. Drei Kategorien – Natural, R’n’B und Pop –, die schon im Titel ihren musikalischen Einsatzzweck verraten, sind in The Voice Volume 2 enthalten. Die Zahl der Natural-Phrasen überwiegt – sie stellen das musikalisch neutralste Material bereit. Wer jedoch bei den beiden letzten Kategorien die für Pop und Soul beziehungsweise Blues so typische musikalische Expressivität erwartet, wird unzufrieden sein . Die dort zusammengefassten Melodien wirken ähnlich zahm und unauffällig wie die Natural-Samples. So etwas wie Soul-Feeling findet sich in Ansätzen lediglich in den Pop-Ordnern. Allerdings empfinden wir Phrasen wie „Dubi du“, „Dibi da du“ oder „La di da di“ schon als sehr speziell. Sie eignen sich zwar hervorragend für den Einsatz in Pop-, Schlager- und Soulmusik, müssen aber dennoch in den Kontext eines bereits bestehenden Arrangements passen – letzten Endes eine Frage des Geschmacks. Die eher neutralen Gesangsphrasen, die mit Artikulationen wie „Aah“, „Uuh“, „Du“ oder „Lala“ realisiert sind, bieten da eine ungleich höhere Flexibilität im musikalischen Einsatz.
Wer sich die Phrasen solo oder mehrstimmig anhört, wird vielleicht wegen des eher zurückhaltenden Grundklangs ernüchtert sein. Aber diese Library ist dazu gedacht, Background-Chöre zu erstellen, die sich unauffällig in ein Arrangement einpassen. Während sie also für Solo-Stellen weniger geeignet sind, fügen sie sich im Kontext eines instrumentalen Arrangements organisch ein und werten die Musik auf. Expressive mehrstimmige Passagen sollten also nach wie vor von der Hauptstimme gedoppelt werden (siehe Vokal-Workshop in Heft 6/2006).
Um nun einen mehrstimmigen Background-Chor zu realisieren, routen wir einen ganzen Phrasen-Ordner auf die Tastatur. Wir verändern jedes Sample mit den Pitch- und Formant-Reglern um ein paar Cent und erhalten auf einen Schlag einen wunderbar dicht und breit klingenden Chor. Mit dem Quantize-Regler fügen wir subtile rhythmische Unsauberkeiten hinzu, die die Lebendigkeit noch unterstützen. Mithilfe des Editors verändern wir nun in einigen Samples geschmackvoll die Höhe einzelner Töne oder löschen sie und erhalten zusätzliche harmonisch-rhythmische Lebendigkeit. Die Möglichkeit, eine Melodie exakt auf ein Arrangement und auf die Hauptstimme einzupassen, ist fantastisch. Wer will, kann mit The Voice Volume 2 klassischen Kontrapunkt studieren und praktizieren. Wird in einzelnen Samples die Taktlänge verändert, lässt sich im Spiel mit anderen Samples auf einmal ein polyrhythmischer Gesangssatz erzeugen, der mit einem einfachen Kanon anfängt, aber je nach Eingriff rasch in experimentelle Gebiete abdriftet. Das Arbeiten mit und an den Phrasen macht Spaß, und man verliert sich leicht in den Tiefen vokaler Komposition.
Fazit
Mit The Voice Volume 2 bietet Überschall eine unbegrenzte Freiheit in der Formung vokaler Audio-Samples. Die Library eignet sich in erster Linie für Background-Chöre innerhalb eines Arrangements. Mit den Eingriffsmöglichkeiten über das LIS-Plug-in vervielfacht sich der Klangvorrat der knapp drei Giga-byte großen Library; er bietet auf lange Sicht ein Potenzial, dem nicht so schnell die Luft ausgeht. Die Kritikpunkte am LIS-Plug-in wiegen nicht so schwer wie die mangelnde Klangqualität der männlichen Gesangsstimmen. Wer primär weibliche Gesangs-stimmen einsetzen will und sich vom Korsett statischer Samples befreien möchte, ist mit The Voice Volume 2 bestens beraten. Er erhält ein Produkt mit sehr gutem Preis-Leistungs-Verhältnis.
Erschienen in Ausgabe 11/2006
Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 169 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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