Komplexe Atmosphären

Mit Extreme Environments stellt der Sounddesigner und Produzent Si Begg in Kooperation mit Zero-G sein drittes Sample-Paket vor. Mit dem eigens entwickelten Kontakt Instrument lassen sich einfach und schnell dichte, komplexe Sounds erstellen. Die Bandbreite reicht von musikalischen Pads und Instrumenten über extreme Ambiences bis hin zu realistischen Raumklängen. Dazu gesellen sich Drones, Geräusche aller Art und kellertiefe Bass-Soundscapes. Somit macht sich Extreme Environments für Musikproduzenten und Sounddesigner gleichermaßen interessant. Wie extrem die Samples wirklich klingen, verrät folgender Test.

von Stefan Feuerhake

Als moderner Musikschaffender hat man es heute in vielerlei Dingen sehr komfortabel. Die Auswahl an „fertigen“ Samples und Sounds ist schier endlos und erstreckt sich quer durch alle Sparten. Und wenn man dann nicht stundenlang selbst Sounds recorden und bearbeiten muss, kann man sich mehr auf das Wesentliche konzentrierten. Außerdem spart man dabei massig Zeit. Im besten Fall nimmt einem das Erstellen von Klängen jemand wie Si Begg ab, der schon seit den frühen 90er-Jahren als Sound Engineer, DJ und Produzent unterwegs ist, und eine große Schwäche für Sounddesign besitzt. Der Engländer bedient die verschiedensten elektronischen Genres. Er hat so viele Alter Egos, dass es hier den Rahmen sprengen würde, alle zu nennen. Nach eigenen Angaben hat er einfach einen so hohen Output, dass nur ein Label oder ein Projekt ihm nie genügen würde, alles zu releasen. Er produziert sowohl Alben für andere Künstler, als auch Filmsoundtracks. Und wenn ihm dann zwischendurch mal langweilig wird, produziert er zusammen mit Zero-G Sample-Pakete, wie die beiden bereits erschienenen Titel Distorted Dancefloors und Electro Glitch Essentials. Schauen wir doch mal was er dieses Mal ausgeheckt hat.

Die Library wird in verschiedenen Formaten ausgeliefert. Das komplette Paket wiegt etwas über 2 GB. Das Herzstück bildet das eigens entwickelte Kontakt Instrument, das leider nur mit NI Kontakt ab Version 5.3 und nicht mit dem freien Kontakt-Player funktioniert. Alle Samples werden ebenso als Acidized Wav Files und als Instrumente für Reasons NN-XT Sampler geliefert. Obendrauf gibt es 86 eigens aufgenommene Impulsantworten. Logic User werden hier noch etwas intensiver ausgestattet und können sich über die Samples, spielbereit in Logics Sampler als EXS24-Instrument freuen. Ebenso liegen alle Samples als Apple Loops vor. Sie passen sich also schon beim Vorhören in Logics Browser automatisch an Tempo und Tonhöhe an. Da Si Begg viel mit Logic arbeitet, liegen dazu auch alle Impulsantworten für Logics Space Designer vor. Zum Schluss gibt es sogar noch Channelstrip-Presets, die mit geladenen EXS Instrumenten und dazugehörigen Space-Designer-Presets im Insert daher kommen. Wir werden uns im Verlauf jedoch auf das Kontakt Instrument beziehen, denn es bietet die vergleichsweise meisten Möglichkeiten zum Sounddesign an. Das schauen wir uns doch gleich mal etwas genauer an.

Das Kontakt-GUI enthält drei identisch ausgestattete Teil-Instrumente. Es lassen sich also drei verschiedene Sounds gleichzeitig laden/layern, wobei es bei Instrument Zwei eine Besonderheit gibt. Hier liegen zwar auch dieselben 142 Samples wie in Instrument 1 und 3 vor, allerdings als Reverse-Variante, also rückwärts abgespielt. Eine gute Idee, erhält man dadurch doch noch mehr Klangvariationen. Die Sounds sind in die beiden Kategorien Tonal und FX unterteilt, wobei alle tonalen Klänge im gleichen Grundton vorliegen und sich dadurch sehr einfach und schnell miteinander kombinieren lassen. Am Kopf des jeweiligen Layers kann eines der Samples geladen werden. Darunter steht eine ADSR Lautstärke-Hüllkurve zur Verfügung. Im Mixerbereich gibt es neben Volume und Pan die Tonhöhensektion mit Pitch und Speed. Die Tonhöhe kann dort um +/-36 Halbtöne verändert werden. Richtig Spaß macht die Speed Funktion, bei der die Tonhöhe gehalten wird, das Sample aber bis zu 400% schneller oder alternativ auch bis zu 75% langsamer abgespielt werden kann. Dadurch bieten sich allein schon für die tonalen Sounds eine Menge an Kombinationsmöglichkeiten. Gut gefällt uns auch, dass das Reverb-Level für jeden Layer unabhängig bestimmt werden kann. Dazu gesellt sich eine spartanische Distortion-Einheit pro Layer, die durchaus auf einigen Sounds gut klingt, aber mit nur einem Dry/Wet-Parameter ausgestattet, nicht groß ins Gewicht fällt. Ebenso an Board ist je ein Hoch- und Tiefpass-Filter mit beigeordneter Hüllkurve. Der Klang der Filter geht in Ordnung, allerdings sollte man nicht zu viel von ihnen erwarten, haben wir sie doch eher als EQ beim Layern eingesetzt, um beim Kombinieren von zwei oder drei Sounds bei Bedarf schon einmal Bässe oder Höhen zu eliminieren. Sie klingen zudem sehr neutral und erledigen ihre Aufgabe sehr gut. Wer speziell klingende Filter möchte, kann solche ja direkt schon mal in Kontakt laden oder sich über den Insert seiner DAW bedienen. Am Ende laufen alle drei Instrumente in eine Mastersektion. Dort kann eine der über 80 mitgelieferten Impulsantworten ausgewählt werden. Ansonsten bietet sie einen Limiter und jeweils ein Master Hoch- und Tiefpass-Filter an. Insgesamt gesehen ist das GUI sehr übersichtlich gestaltet und hat sich schnell erschlossen. Die Farben haben einen leichten Retro-Touch, der uns sehr gut gefällt. Es fällt aber recht schnell auf, dass kein Parameter mit Werte-Skalen ausgestattet ist. Es lässt sich also nirgends ablesen, auf welchem Wert man sich genau befindet. Das stört zwar nicht bei allen Parametern, aber beim pitchen wäre das schon sehr nützlich gewesen, gerade wenn man mehrere tonale Sounds miteinander kombinieren möchte. Dafür heimst die Library einen satten Minuspunkt ein. Das Arbeiten mit dem Instrument geht ansonsten leicht von der Hand und es macht echt Spaß sich seine eigenen Sounds zu erstellen. Da aber das Wichtigste bei einer Sample Library schließlich der Klang der Samples ist, haben wir da sehr genau hingehört.

Eines sei schon gleich einmal vorweg festgestellt: Alle 142 Samples klingen durchweg sehr amtlich. Mit Hilfe von Layering und in Kombination mit den Impulsantworten entstehen schnell riesige komplexe Soundlandschaften, fast auf Knopfdruck. Die mitgelieferten knapp 160 Kontakt-Presets bieten schon einmal eine sehr breite Auswahl an solch kombinierten Klängen an. Hier wurde bereits ausgiebig gelayert, gepitched und mit passenden Impulsantworten gearbeitet. Die Kontakt-Presets sind dabei auf sechs verschiedene Kategorien verteilt: Atmospheric Leads, Bad Places, Beautiful Pads, Complex Bass, Complex Tuned und Hypereal Enviroments. Es werden spielbare Instrumente wie Pianos, Strings und Woodwinds geboten. Manche davon als Single-Sounds, andere wiederum als Phrase. Ebenso gibt es viele Atmosphären, Texturen und Drones. Auf der einen Seite sind das künstliche, digitale Sounds, mal mystisch mal bedrohlich. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele realistische Klänge und bis ins feinste Detail aufgelöste Raumsounds. Dazu war Si Begg viel mit dem Fieldrecorder unterwegs und hat allerlei skurrile Klänge und Geräusche aufgenommen. Hinzu gesellen sich grummelnde Bassteppiche, garniert mit Soundlandschaften aus anderen Dimensionen. Bei den FX-Sounds finden sich allerlei Vinylaufnahmen, Glitches und Clicks. Insgesamt ist die Zusammenstellung sehr eigenständig, sehr vielfältig und dazu sehr gut produziert, so dass man am Ende im Mix oft nichts mehr tun muss, da sich die Klänge prima ins Arrangement einfügen. Bei vielen Sounds lohnt es sich, den Finger länger auf der Taste zu lassen, da einige Samples sehr lang sind und sich teils episch aufbauen. Mit der Lautstärke-Hüllkurve ist aber auch aus einem der langen Sounds und Phrasen schnell mal ein knackiger Leadsound gemacht. Hat man sich dann mal alle Presets angehört, darf man nicht vergessen, dass mit Hilfe der Pitch-Engine und den anderen Funktionen mühelos und schnell neue Soundlandschaften erstellt sind. Hinzu kommt, dass Si Begg ebenso viel Liebe in das Erstellen der Impulsantworten gesteckt hat. Hier gibt es neben den unterschiedlichsten Räumen auch viel Experimentelles. Einige Impulsantworten sind so gut, dass wir sie in Zukunft bestimmt in unseren Lieblings Faltungshall laden werden, um auch andere Sounds damit zu veredeln. Mittlerweile ist ja fast jede DAW mit so etwas ausgestattet. Leider macht der gute Sound der CPU zu schaffen und das im Wortsinn. Auf unserem Testrechner mit einem i7 Prozessor, 64 Bit und16 GB RAM kamen wir rasch auf durchschnittlich 20 bis 30 Prozent Auslastung pro Sound. Bei einigen wird auch durchaus mal die 70-Prozent-Marke geknackt. Das ist vielleicht auch der Grund, dass man nicht für jeden einzelnen Layer eine eigene Impulsantwort wählen kann, was wir uns manchmal beim Sounddesignen schon gewünscht hätten. Allerdings ist das dann schon Meckern auf ganz hohem Niveau.

Fazit
Extreme Environments empfiehlt sich auf der einen Seite für User verschiedenster Sparten der Elektronischen Musik, besonders wenn Mann/Frau es atmosphärisch mag. Auf der anderen Seite sollten aber auch alle Sounddesigner von Games, Hörspielen, Werbung und Film die Sammlung unbedingt genauer unter die Lupe nehmen. Der einfache Aufbau von Extreme Environments sorgt dafür, dass man schnell gut klingende Sounds/Atmosphären von hart bis zart erstellen und auch noch mit der passenden Impulsantwort perfekt im Raum platzieren kann. Die Samples sind ausnahmslos von hoher Qualität und inspirieren zum Schrauben. Nicht alltäglich sind auch die verschiedenen mitgelieferten Sampler-Datenformate, so dass die Library auf einen Schlag einen großen Anwender-Kreis abdeckt. Für den vollen Spaß empfiehlt sich allerdings der Einsatz des Kontakt-Instruments.

Erschienen in Ausgabe 09/2014

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 75 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut