Librarys alla turca
Mit den beiden Librarys Shahrazad und Sultan Strings bringt Sonokinetics den betörenden Charme instrumentaler Musik des nahen Ostens in die DAW.
Von Georg Berger
Thematisch decken die beiden Kandidaten dieses Tests exakt das gleiche Feld ab: Die instrumentale Musik des nahen Ostens. Auffälligerweise lassen sich beide Produkte auch nahezu identisch bedienen und editieren. Da lag es nahe, beide Produkte einem gemeinsamen Test zu unterziehen. Shahrazad widmet sich ausschließlich der Klarinette und den typischen verschliffenen, teils microtonalen Spielfiguren, die den typischen Charme der Musik dieser Region ausmachen. Sultan Strings steht dem in nichts nach, wobei auf dieser Library ein Streich-Ensemble, bestehend aus drei Violinen, einer Viola und einem Cello stets am Werk sind. Beide Produkte enthalten eine Vielzahl an gesampleten Phrasen und Loops in den typischen Tonarten, respektive Skalensystemen des vorderen Orients. Für die rund 4,5 Gigabyte große Shahrazad-Library verlangt der Hersteller sehr günstige 60 Euro. Sultan Strings kostet 95 Euro. Dafür gibt’s das spielfertige Instrument nicht nur im Kontakt4-Format, sondern auch für Apple EXS24 sowie Steinberg Halion. Überdies legt der Hersteller noch sämtliche Loops im Apple Format dazu. Shahrazad ist ausschließlich ab Kontakt 4 auffähig. Besonderheit: Beide Librarys halten zwei Kontakt-Presets bereit: Eine mit und eine ohne Time Machine Pro-Skript, das beim extremen Ändern des Host-Tempos die Phrasen wahlweise half oder double time spielt. Das GUI in beiden Produkten ist identisch aufgebaut: Eine Reihe von Artikulationen in verschiedenen Skalen sowie entsprechende Spielfiguren sind per Button additiv ladbar, darunter Für westliche Begriffe fremdartig klingende Skalen wie etwa Hicaz oder Nihavendi.
Anschließend können sie per Key-Switch rasch aufgerufen werden. Pro Skala stehen Sätze von bis zu 20 Phrasen/Loops bereit. Sustain-Artikulationen ermöglichen es dem Anwender auch, eigene Klarinetten-Melodien und Streicher-Sätze einzuspielen. Shahrazad liefert überdies noch eine legato-Variante, bei der die Noten im entsprechenden Spiel durch Einblenden spezieller Samples nahtlos aneinander gebunden werden. Sultan Strings liefert zusätzlich auf- und abwärts gespielte Melodieläufe, Triller, Tremolo und diverse Glissandi. Insgesamt bieten sich dem Anwender damit genügend Möglichkeiten, um die Phrasen durch individuelles Spiel zu erweitern. Allerdings hätten wir uns bei der Shahrazad Library noch ein paar Artikulationen mehr gewünscht, wie etwa Triller, portamento oder diverse Glissandi, die einfach fehlen, um das Instrument in allen Facetten am Sampler spielbar machen zu können. Sehr schön: Die Grundtonarten der Phrasen sind in beiden Produkten auf westliche Harmonik angepasst worden. Noch besser: Jede Phrase ist in einem Bereich von einer Oktave per Key-Switch in Halbtonschritten rasch transponierbar. Die exotische Binnen-Harmonik und Intonation bleibt dabei erhalten. Shahrazad bietet zusätzlich die Möglichkeit Arbeitsspeicher zu sparen, indem Phrasen – jeweils vier Stück – gezielt nicht geladen werden. Überdies lässt sich aus vier Samples auswählen, die beim Loslassen der Taste eine abschließende Spielfigur – ähnlich einem Release-Sample – spielt. Sultan Strings erlaubt hingegen die Taktlänge bei der Wiederholung von Phrasen zu definieren. Phrasen können dabei acht, zwölf oder 16 Takte lang sein. Bemerkenswert: Die String-Phrasen liegen jeweils doppelt in einer oktavierten Variante vor, so dass das Spiel im Oktavabstand einen entsprechend mächtigen Klang erzeugt.
Das Handling beider Instrumente ist im Test rasch verstanden. Einzig aus der überbordenden Vielzahl an Phrasen das passende auszuwählen, erfordert ein gewisses Maß an Zeit. Ist das erledigt lässt sich so gut wie jedes Arrangement durch gezielten Einsatz von Phrasen mit orientalischer Exotik aufpeppen. Viele Phrasen der Shahrazad Library erinnern dabei unweigerlich auch an die jüdische Klezmer-Musik, in der die Klarinette einen wichtigen Platz einnimmt. Die Sultan Strings Phrasen gefallen ebenfalls durch ihr eigentümlich verschliffenes Melodiespiel, das teils durch Intervalle im Viertelton-Bereich und durch ein oftmals zu hörendes Portamento beim Wechsel der Tonhöhe besticht. Auffällig: Beim Spielen der Sustain-Samples ist stets eine leichte Verstimmung zwischen allen erklingenden Instrumenten hörbar, die aber gerade den charakteristischen Streicher-Klang des nahen Ostens ausmachen. Obwohl die Phrasen in Bezug auf den Grundton aufs westliche Tonsystem angepasst und transponierbar sind, sind sie aufgrund des Melodieverlaufs nicht in jedem Arrangement gleich gut einsetzbar. Doch das liegt in der Natur von Loops und anders hätte das authentische Spiel in diesem musikalischen Kulturkreis nicht eingefangen werden können.
Fazit
Die Librarys Shahrazad und Sultan Strings geben für wenig Geld einen sehr gut klingenden Einblick in die Tonsysteme und Harmonik des nahen Ostens. Beide Produkte glänzen durch flexibel einsetzbare Loops in allen Tonstufen und erlauben zudem das Spielen eigener Melodien und Arrangements. Die ausnahmslos authentisch-lebendig klingenden Phrasen sind dabei nicht nur etwas für Film- oder Weltmusik. Beide Produkte sorgen in nahezu jeder Produktion für ein markant klingendes i-Tüpfelchen, bei dem man einfach nicht weghören kann.
Erschienen in Ausgabe 09/2012
Preisklasse: Oberklasse
Preis: 59 €
Bewertung: gut – sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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