So singt der Orient

Sonokinetic vereint im Vocal Bundle sechs Librarys, die sich dem Gesang des Orients in all seinen Schattierungen widmet. Wir haben reinge-hört und die Librarys hinsichtlich Einsatzmöglichkeiten und Handling unter die Lupe genommen. 

Von Georg Berger

Wer Musik mit eindeutigem ethnischen Hintergrund produziert, kommt über kurz oder lang nicht am Gesang vorbei. Aber den richtigen Vokalisten auf die Schnelle aufzutreiben kann mitunter unmöglich sein. Das rund 480 Euro kostende Vocal Bundle von Sonokinetic will sich für diesen Zweck als komfortabel und flexibel einsetzbare Alternative empfehlen. Sechs Vokal-Librarys umfasst das Bundle, die thematisch die Gebiete Ost-Europa sowie den (vorderen) Orient abdecken und bis hinab zum Jemen reichen. Als Zugabe legt der Hersteller dem Bundle auch noch die Sultan Drums Library bei (siehe Test auf Seite 70). Die Vokal-Librarys sind aber auch einzeln in einem Preisbereich zwischen rund 60 bis 100 Euro erhältlich (siehe Tabelle). Drei Librarys – Aliye, Rojin, Voices of Israel – enthalten ausschließlich weibliche Stimmen. Männliche Stimmen sind in den Librarys Desert Voice Refurbished und Yemenite enthalten. Die Tigris & Euphrates Klangsammlung wartet schließlich mit beiden Geschlechtern auf. Das Repertoire jeder Library setzt sich aus drei Haupt-Elementen zusammen: Vokalisen (chants, improvisations) – also Lieder/Melodien ohne Worte – , Liedern mit Text (songs) sowie Gedichtrezitationen (poems). Stimmen-Effekte wie Ein- und Ausatmen, aber auch diverse kurze Ausrufe, Schreie und lautmalerische Einsätze und Wortfetzen finden sich als vierter Bestandteil in jeder Library. Die Ausnahme bildet die Desert Voice Library, die sich ausschließlich aus Vokalisen und Stimmen-Effekten zusammensetzt. Ganz wichtig: Außer dem Handbuch, hat der Hersteller auch sämtliche Liedtexte und Gedichte gleichzeitig in der Originalsprache und in einer englischen Übersetzung als pdf-Dokument beigelegt. Damit weiß der Anwender nicht nur, um was es geht, sondern kann beim Kombinieren verschiedener Text-Fragmente sicher sein, keinen allzu schlimmen Nonsens-Text zu fabrizieren. Sämtliche Librarys sind ausschließlich über die Vollversion des Kontakt-Samplers ab Version 4 spielbar. Die Bedienung und Ausstattung mit Parametern ist einfach und überschaubar gehalten, wobei verstärkt mit Key-Switches gearbeitet wird. Sämtliche Features en detail vorstellen zu wollen, würde jedoch den Rahmen des Artikels sprengen. Nur soviel noch: Sämtliche Librarys verfügen auch über die Option den Time Machine Algorithmus von Kontakt entweder per Button oder durch Laden eines dezidierten Presets zu nutzen, um die Phrasen ans Host-Tempo anzupassen, respektive in half oder double time abzuspielen, wenn das Host Tempo zu weit vom Originaltempo des Samples abweicht.

Im Test funktioniert das übrigens hervorragend. Um Timing und Intonation authentisch einfangen zu können, liegen die Phrasen logischerweise in Form von Loops vor, wobei sämtliche Phrasen im Grundton auf das westeuropäische Tonsystem angepasst wurden. Per Key-Switch lassen sie sich in einem gewissen Rahmen, zumeist im Abstand von drei Halbtönen, transponieren. Die Transponierungen und Grundtöne sind dabei abhängig von der Stimme und den Fähigkeiten des Vokalisten. Schließlich soll das Ergebnis immer noch realistisch klingen. Besonderheiten: Aliye, Rojin und Yemenite bieten eine aktivierbare Ending-Funktion, die beim Stoppen der Phrase automatisch eine melodische Abschlusswendung passend zur zuvor erklungenen Phrase spielt. Die Ending-Samples sind übrigens zusätzlich auf das Keyboard gemappt, so dass der Anwender diese Samples auch manuell spielen kann. Im Test kann diese Automatik allerdings wenig überzeugen, weshalb wir stattdessen lieber die manuelle Option wählen. Ending-Samples finden sich übrigens auch in den anderen Librarys, wo sie von vorne herein auf die Tastatur gelegt sind. Im Test haben wir das Handling sämtlicher Librarys via GUI und Tastatur/Key-Switches einmal mehr rasch verinnerlicht. Die weitaus größte Arbeit besteht im Sichten und Verinnerlichen des Inhalts. Jede Library besticht ausnahmslos durch eine für unsere Ohren fremdartige Melodik und Intonation in Moll, die im Großen und Ganzen orientalisch klingt und mal mehr oder weniger die musikalischen Klischees des Orients bedient. Die einzelnen musikalischen Stile, etwa zwischen Aliye, Rojin und Desert Voices haarfein unterscheiden zu wollen, ist für westlich geschulte Ohren logischerweise unmöglich. Unterschiede lassen sich höchstens über die Sprache und Sprachmelodie der Lieder und Rezitationen ausmachen. Doch gerade diese beiden Kategorien halten wir für wenig verwertbar und praktikabel. Sicherlich, wenn für eine Dokumentation eine entsprechende Atmo mit einem Lied oder gesprochenen Text angereichert werden soll, liefern sämtliche Produkte einen ausreichenden und sehr gut klingenden Pool. Wer jedoch einmal einen Song komplett verwendet hat, wird ihn für die nächste Produktion kaum mehr heranziehen. Die Samples nutzen sich mit der Zeit ab und können rasch verbraucht sein. Gleiches gilt nicht nur für Film, Hörspiel und Post Production, sondern insbesondere auch für Musik-Produktionen. Die Highlights und Domänen im Vocal Bundle sind nach unserer Ansicht ohne Zweifel die Vokalisen und Stimmen-Effekte. Aufgrund ihrer vom Text befreiten Natur sind sie ungleich universeller, häufiger und vor allem flexibler einsetzbar, sogar bei reinen Musik-Produktionen, wo sie wohldosiert als i-Tüpfelchen oder bewusst gesetzte Kontraste Arrangements nachhaltig prägen können. Um dennoch eine Aussage über die Qualität und Verwertbarkeit jeder Library treffen zu können, konzentrieren wir uns auf die Klangfarben der Stimmen und den musikalischen Gehalt der Phrasen.

Den Anfang machen die weiblichen Stimmen: Aliye: Zu hören ist eine Sopranstimme, die bisweilen etwas gepresst klingt, was aber kein Manko, sondern eher typisch für diese Art von Gesang ist. Die Phrasen bestechen durch glasklare, glockenhelle Gesangseinsätze, bisweilen werden Melodien aber auch eher gehaucht und mit viel Luft gesungen. Musikalisch herrscht viel Bewegung in den Phrasen durch eine Vielzahl gesungener Töne und melodischer Verzierungen. Insgesamt herrscht eine flehentliche Stimmung mit einer leichten Tendenz zum Pathos. Die Stimmen-Effekte warten mit Lachen, Weinen, Ausrufe des Staunens sowie einem Sustain-Mapping auf, mit dem sich ähnlich wie Chor-Samples Melodien spielen lassen. Allerdings klingen sie leicht künstlich. Rojin: Anders als in Aliye ist in Rojin eher ein dunkler Sopran, fast schon ein Mezzosopran hörbar. Die Phrasen sind von der Melodieführung deutlich zurückgenommen. Der Tonraum in dem sich der Gesang bewegt ist eher klein. Der Großteil der Melodien wird dabei mehr gehaucht und gesummt, als offen gesungen, was der Library insgesamt eine sehr intime, kammermusikalische Stimmung verleiht, die auf Stille ausgelegt ist, so als ob eine Mutter einem Kind ein Schlaflied singt. Tigris & Euphrates: Von der Stimmlage eher der Aliye-Library ähnlich aber ein wenig dunkler im Timbre, werden hier die musikalischen Klischees des orientalischen Gesangs auf das Beste bedient. Der Gesang ist zumeist offen und glasklar. Die Phrasen bestechen durch quirlige, virtuos gesungene Melismen mit viel Vibrato und deutlich mehr Verzierungen als in Aliye. Insgesamt finden sich auf Tigris & Euphrates die agilsten Gesangs-Einsätze, die sich bestens für schnelle, pulsierende Arrangements eignen. Allerdings sind recht wenige Stimmen-Effekte enthalten. Highlight dort sind sogenannte Zilgit-Ausrufe, die mit einem hochfrequenten typischen Gackern durchsetzt sind. Voices of Israel: Von der Stimmlage und der Art der Melodik her ähnlich zu Tigris & Euphrates, wobei das Stimmtimbre eine Spur heller ist. Die Melismen sind vergleichbar lebendig und virtuos, die einen ebenso großen Tonraum wie die Tigris-Library abdeckt. Allerdings fehlen die vielen kleinen Verzierungen und das Vibrato, was den Phrasen etwas sprödes, aber auch intimes verleiht. Auffällig: Viele Töne und Intervalle klingen merkbar mehr nach westlicher Harmonik, weshalb viele Phrasen deutlich besser in herkömmliche Arrangements passen. Noch besser: Ein Preset mit westlichen Improvisationen präsentiert die Gesangskünste der Sängerin Hadass Pal Yarden im herkömmlichen Halb- und Ganzton-Raum. Je zur Hälfte finden sich dabei offen gesungene und eher gehauchte Gesangs-Passagen. Insgesamt bildet Voices of Israel das reduzierte, intime Gegenstück zur Tigris Library, wobei wir oftmals an die Sängerin Lisa Gerrard erinnert werden (Dead can Dance, Filmmusik und Gesang in Gladiator). Desert Voice: Auf dieser Library ist ein samtiger Tenor hörbar, der uns im Test jedoch durch eine immense Wandlungsfähigkeit beeindruckt. Von tiefen, sonoren und kehligen Einsätzen über die samtig und wohlig-angenehme Mittellage bis hin zur Kopfstimme in den höchsten Lagen mit äußerst gesteigerter Expressivität spannt sich ein weites Areal auf, um sowohl ruhige, bedächtige, als auch treibende Hochtempo-Arrangements mit dem jeweils Passenden vokal zu versorgen. Melodisch werden ebenfalls die orientalischen Klischees ordentlich bedient. Viele Phrasen erinnern dabei an Rufe des Muezzins vom Minarett. Die Phrasen sind mit vielen Melismen sehr lebendig und virtuos gestaltet, wobei mal mit viel, das andere mal mit wenig Vibrato gearbeitet wird. Daneben finden sich auch viele sehr reduzierte und ruhige Gesangspassagen.

Auffällig: Eine Reihe von Gesangs-Einsätzen erinnert immer wieder an Jazz-Gesang. Tigris & Euphrates: Der männliche Teil der Tigris-Library klingt ähnlich wie der in Desert Voices. Allerdings ist das Timbre der Tenorstimme noch samtiger, schmeichelnder. Die Phrasen bestechen ebenfalls durch eine hohe Virtuosität, wobei mit viel Vibrato gearbeitet wird. Allerdings bewegt sich die Stimme ausschließlich in einer mittleren Lage und ist nicht so wandlungsreich wie auf Desert Voice. Am Wohlsten fühlen sich die Phrasen in eher ruhigen, balladesken Arrangements. Die Stimmen-Effekte werden durch geflüsterte und gesprochene Wortfetzen angereichert. Yemenite: Die mit Abstand am markantesten klingende männliche Stimme des Vocal Bundles, die sich deutlich von Desert Voice und Tigris & Euphrates absetzt. Stimmlich im Tenorfach angesiedelt, wohnt ihr etwas eigentümlich rauchiges, kehliges inne. Die Gesangseinsätze werden teils in hoher Lage mit viel Kopfstimme gesungen, was eigentümlich gepresst klingt, aber trotz der Tonhöhe irgendwie immer dunkel eingefärbt ist. Die Melodik in den einzelnen Phrasen ist durch viel Bewegung in einem weiten Tonraum geprägt. Teils wird ebenfalls mit viel Vibrato gearbeitet. Doch im Vergleich zu den beiden zuvor erwähnten Librarys klingen die Phrasen eher zurückgenommen und verhalten, wobei sie zwar musikalisch in Richtung Orient gehen, sich aber dennoch merkbar von ihnen absetzen und mit afrikanischen Akzenten durchsetzt sind. Die Stimmen-Effekte setzen sich ebenfalls markant in Szene und warten mit vielen langgezogenen Rufen, aber auch Flüstern sowie lautmalerischen Stimmfetzen auf.

Fazit

Wer sich im Sampling auskennt, weiß, dass es Instrumente gibt, die sich nur schwer mit dieser Technik authentisch einfangen lassen. Dazu zählt auch der intimste musikalische Ausdruck des Menschen: Der Gesang. Sonokinetic ist trotzdem das Wagnis eingegangen und hat die Aufgabe im Vocal Bundle mit Bravour gelöst. Die Domänen liegen dabei vornehmlich in den vielen, vielfarbigen und unterschiedlich klingenden Vokalisen und Stimmen-Effekten, mit denen sich auf flexible Art die Vokalmusik vornehmlich des Orients in die DAW zaubern lässt. Unsere persönlichen Highlights sind dabei die Librarys Desert Voice, Voices of Israel und Tigris & Euphrates. Letztgenannte ergänzt sich optimal mit der Israel-Library und markiert gleichzeitig auch einen guten Einstieg in die gesamplete Vokalmusik des Orients. Für Filmmusik sind sämtliche Produkte ein Muss, aber auch in Musikproduktionen können sie punkten und jenseits lieblos eingeworfener O-Ton-Fetzen für musikalisch prägende Akzente sorgen.

Erschienen in Ausgabe 09/2012

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 59 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut