Taschenorchester

Hochwertige Orchester-Libraries gibt es mittlerweile soviel wie Spielarten auf der Geige. Die einen bewegen sich auf schwindelerregendem Preisniveau, andere sind umständlich zu programmieren und machen wenig Freude. Genau dazwischen will Garritan die Kerbe schlagen: Beim Personal Orchestra 4 stehen kompromisslose Performance, hervorragender Klang und ein erschwinglicher Preis auf dem Dirigentenpult. Ob und wie das Orchester im Taschenformat klingt, erfahren Sie in unserem Praxistest.   

Von Carina Schlage

Noch vor fünfzehn Jahren kam eine Musik- oder Songproduktion nicht um das sündhaft teure Engagement eines echten Orchesters herum, wollte sie sich klassisch angehauchter Klangelemente von Posaunen, Oboen und Co. bedienen. Diese Zeiten sind wohl spätestens seit dem Siegeszug virtueller Sampler vorbei. Doch trotz immer geringerer Produktionsbudgets in Musik und Film kann man nicht gerade behaupten, die Pop-, Rock,- oder Filmmusik sei an Orchesterklängen ärmer geworden, im Gegenteil: Profis wie Ambitionierten steht heutzutage eine solche Fülle an Bibliotheken gesampelter Orchesterinstrumente zur Verfügung, dass die Auswahl oft nicht leicht fällt. Jede dieser Libraries oder virtuellen Instrumente besticht dabei durch individuelle Vorteile. Sei es eingebauter „Bombastklang“, der den Score per se wie direkt aus Hollywood klingen lässt oder größtmögliche Gestaltungsfreiheiten für den Klangschrauber: Der Anwender muss meist zwischen teuren Librarys mit hoher Sampledichte und damit größtmöglichen Ausdrucksmöglichkeiten oder günstigeren Sample-Paketen mit bereits ausproduzierten Klängen und damit weniger Eingriffsmöglichkeiten, Spieltechniken oder Instrumenten wählen. Diese Fronten soll nun das Garritan Personal Orchestra Version 4 aufweichen und bietet eine Sample-Library, deren Instrumentarium nicht nur authentisch klingen soll, sondern die auch weder Portemonnaie noch Festplatte unnötig belastet. Für 119 Euro erhält der Orchesterarrangeur ein gerade mal zwei Gigabyte großes Paket aller üblichen Orchesterinstrumente nebst selteneren Familienmitgliedern wie Bassflöte oder Piccolotrompete, die durch hervorragende Spielbarkeit ohne aufwendiges Programmieren bestechen sollen. Wie eine preisgünstige Library mit solchen, nicht gerade geringen Ansprüchen klingt, haben wir im intensiven Praxistest herausgefunden.

Das Personal Orchestra 4 als reine Sample-Library zu bezeichnen, wäre eine Degradierung. Denn im Kaufpaket enthalten ist eine eigens für Garritan-Libraries entwickelte und   für Version 4 unentbehrliche Abspielsoftware, der so genannte ARIA-Player, der von dem kanadischen Unternehmen Plogue Art et Technologie Inc. konzipiert wurde und interessanterweise auf dem SFZ-File-Format basiert . Der Orchestrator braucht sich also keine Sorgen darüber zu machen, wie er die einzelnen Samples womöglich in vielen Stunden Detailarbeit in ein auf dem MIDI-Keyboard spielbares Instrument verwandelt. Dies erledigt der ARIA-Player für ihn und hat dabei sogar noch einige zusätzliche Raffinessen auf dem Kerbholz.   Der ARIA-Player kann sowohl als Stand-alone-Anwendung, als auch im Plug-in-Modus in gängigen Sequenzern oder für Sequenzer-Unwillige sogar als Klangerzeuger innerhalb eines Notationsprogramms wie beispielsweise Sibelius 6 eingesetzt werden. Die Stand-alone-Version bietet darüber hinaus einige Extra-Features, wie beispielsweise einen MIDI-File-Player, einen rudimentären Audio-Recorder, um beispielsweise Improvisationen auf dem MIDI-Keyboard festzuhalten und die raffinierte Render-Offline-Funktion, mit der es möglich ist,  die geladene MIDI-Datei als Audio-Mixdown zu speichern.  Allen Anwendungsarten gleich ist die grafische Oberfläche des Players und sein struktureller Aufbau. Die Prämisse der Perfomanz und Bedienbarkeit, die sich die Entwickler gesetzt haben, wurde mit Bravour umgesetzt, denn der ARIA-Player – soviel Lob gebührt bereits an dieser Stelle – kann als intuitiv bedienbar ausgezeichnet werden, und das nicht nur für den Sampler-erprobten Anwender. Die wenigen Funktionen, die sich nicht auf Anhieb erschließen, erläutert das sehr ausführliche PDF-Handbuch, das zudem noch einen Crashkurs in Instrumentenkunde beinhaltet.  Das bewährte Ein-Fenster-Bedienkonzept wurde erfreulicherweise auch im ARIA-Player umgesetzt: Alle Einstellungen finden sich innerhalb der vier Reiter Mixer, Controls, Effects und Settings auf der rechten Seite. Die sechzehn übersichtlich angeordneten Instrumentenslots bleiben dabei stets im Blickfeld des Anwenders, ebenso die Klaviatur am unteren Fensterrand. Diese signalisiert im Übrigen den jeweiligen Tonumfang des im Slot geladenen Instruments durch Ausgrauen der nicht spielbaren Töne – eine wertvolle Hilfe beim Arrangieren von Orchesterinstrumenten, die nicht jedem ambitionierten Anwender aus dem Effeff geläufig sind. Vorhandene Keyswitches zum Umschalten verschiedener Spielarten (wie tremolo oder pizzicato bei den Streichern) werden durch rot markierte Tasten selbstverständlich ebenso auf der Klaviatur dargestellt.  

Die Hauptansicht – das Mixerfenster – ist selbsterklärend: Jedes der geladenen Instrumente kann per Fader in seiner Lautstärke, per Poti in seinem Panorama, per Button in Solo oder Mute geregelt werden. Auffällig: Den Instrumenten ist dabei bereits per default ein Pegelwert und eine Stereoposition zugewiesen – je nach Tonkraft und Sitzposition – , sodass sich auch ohne manuelles Zutun bereits ein recht ausgewogenes Orchesterklangbild ergibt. Wem die Originalklänge zu trocken ertönen – und das sind sie wohl für die meisten Orchesteranwendungen –, der kann mithilfe des Send-Reglers Signalanteile an die mitgelieferte Ambience-Section im „Effects“-Reiter schicken. Diese bietet zwölf verschiedene Raumsimulationen von Ballroom, über Cathedral bis zum Jazz Club, die zudem recht umfangreich editiert werden können und für diese Art der Anwendung sehr ordentlich klingen. Schade nur, dass kein separater Ausgang für die Ambience-Sektion existiert.  Neben den einfachen Mixer-Funktionen steht jedem Slot ein ebenso rudimentärer Drei-Band-Equalizer zur Verfügung, der sich auf der „Controls“-Seite befindet. Wesentlich interessanter und hörenswerter sind jedoch die weiteren Features, die sich auf der Control-Seite für jedes geladene Instrument separat aktivieren lassen: Auto-Legato beispielsweise erzeugt bei Noten-Übergängen, die sich überlappen, automatisch einen Legato-Klang respektive verwendet entsprechende Legato-Samples. Dies trägt wesentlich zum Klangrealismus bei, da das Legato-Spiel andere Attack-, sprich Einschwingzeiten der erzeugten Töne hervorruft als das Non-Legato-Spiel, bei dem jeder Ton neu angeblasen, -geschlagen, -gestrichen wird. Das Feature funktioniert in der Praxis gut, besonders die Bläser erhalten auf sehr einfache Weise einen Funken mehr Realismus, ohne dass der Anwender separate Legato-Samples laden muss. Durch die Verwendung des Sustain-Pedals lässt sich der Legato-Klang im Übrigen auch manuell steuern.

Eine weitere sinnvolle Zusatzfunktion, die hier kurz genannt sei, ist die so genannte Stereo-Stage. Sie simuliert das Klangverhalten der einzelnen Instrumente bei einer Stereo-Hauptmikrofonierung, was sich ebenso auf Reflektionen des jeweiligen Raumes bezieht. Mit dem zugehörigen Depth-Regler kann also bestimmt werden, in welcher Entfernung sich das Instrument zu den Hauptmikrofonen befindet, wie viel Direktklang der Posaune demzufolge auf der Aufnahme landet. Wir empfehlen, diese wirksame Funktion stets zu aktivieren, denn besonders im hinteren Bühnenteil positionierte Blechbläser profitieren von dieser simulierten Tiefenstaffelung.  Bevor wir zur eigentlichen Klangbewertung der Library kommen, sei noch erwähnt, dass eine Fülle von MIDI-steuerbaren Parametern – von Portamento, über Vibrato bis Tremolo Speed Control – individuell und detailliert auf das Klangverhalten der Instrumente einwirken können, auch wenn dafür ein Studium des Handbuchs und ein wenig Übung anzuraten ist. Durch Betätigen des Modulationsrades respektive des Breath-Controllers beispielsweise kann der Arrangeur Einfluss auf den Dynamikverlauf des angespielten Tones nehmen, während er über den Tastendruck (= Velocity) die Anschlagsstärke des Tons bestimmt. Nicht jeder verfügbare Parameter ist dabei jedoch in seiner Wirkweise sinnvoll oder überzeugend. Mit den beiden Variationsreglern, die sowohl Intonations- als auch Timbreschwankungen simulieren, können wir zum Beispiel eher wenig anfangen. Vermutlich weil die Eingriffe wenig zum „Human Feel“ beitragen, sondern das Sample auf eher unauthentische Weise verfälscht wird. Die verwendete Skala und die Stimmung kann erfreulicherweise ebenso vom Anwender auf der Settings-Seite definiert werden, auch wenn bei vom Standard abweichenden Einstellungen lediglich die Samples manipuliert werden.  Ungeachtet der nicht zu verachtenden Klang- und Steuermöglichkeiten des ARIA-Players, bleibt die Frage, wie Personal Orchestra 4 letzendlich klingt und ob auch die Library überzeugen kann. Nun, angesichts des geringen Datenaufkommens von gerade einmal zwei Gigabyte (zum Vergleich: die Solo-Geige der Vienna Symphonic Library beansprucht allein dreißig Gigabyte) und nicht zuletzt auch wegen des günstigen Preises wird wohl niemand eine High-End-Bibliothek, die jeden Geigentriller auf jedem Ton gesampelt parat hat, erwarten. Das Personal Orchestra bewegt sich demgegenüber eher auf dem Niveau des Edirol „Orchestral“-Plug-ins und auch in der Nähe des Symphonic Orchestra von EastWest in seiner kleinsten Ausführung. 

Die Instrumente finden sich klassisch sortiert in den Kategorien Holzbläser, Blechbläser, Percussion, Harfen, Tasteninstrumente, Orgel, Solo Streicher, Streicher-Gruppen und Chor. Auch eher selten im Orchester anzutreffende Instrumente wie Es-Klarinette, Piccolotrompete oder Cembalo haben Eingang in die Library gefunden, ebenso erfreulich ist das Vorhandensein von Orgel und Chorsamples. Im Sample-Paket enthalten sind auch einzelne Blechbläser aus der „SAM“-Collection, die von vielen Anwendern hoch geschätzt wird. Jedes Instrument ist in mehreren Ausführungen vorhanden, die alle etwas unterschiedlich klingen. Jedes dieser „Player“-Presets repräsentiert einen einzelnen Spieler. Mithilfe dieser Varianten ist es möglich, realistisch klingende Ensembles aus mehreren Spielern zu erzeugen, die entgegen vieler anderer Libraries eben auch nach mehreren Spielern klingen, da das Sample-Material nicht gedoppelt wird. Solange unisono gespielte Phrasen timinggenau intoniert werden, funktioniert dieses Prinzip hervorragend, anderenfalls ertönt unschönes Phasing.  Die verschiedenen Instrument-Versionen scheinen allerdings auf Kosten der Dynamikabstufungen und Spieltechniken zu gehen, denn wir vermissen bei allen Instrumenten ein echtes forte oder gängige Techniken wie sforzato. Alles scheint, wenn auch nicht unangenehm, so doch nur im mezzoforte dahin zu plätschern.  Auch die Klangqualität ist insgesamt recht inhomogen und schwankt nicht nur von Instrument zu Instrument sondern auch innerhalb desselben, je nach dem, welche Lage gerade erklingt. Während beispielsweise Piccolo- und Altflöte durchweg zu überzeugen wissen, ist der am meisten verwendeten großen Flöte ein eher bescheidener, stark hauchiger Klang zu eigen. Ähnlich verhält es sich mit den Klarinetten, die nur in tiefer Lage realistisch klingen. Der Oboenklang dagegen weiß durchweg zu gefallen und übertrifft durch sein zartes Vibrato den seiner Edirol-Kollegin um Längen. Die Blechbläser sind im Großen und Ganzen nicht wirklich überzeugend und kommen kaum über die Klangqualität besserer GM-Expander hinaus, was uns allerdings kaum überrascht, gehören sie doch zu den am schwierigsten zu simulierenden Klangerzeugern. Einzig kurz angestoßene Töne im staccato können uns einigermaßen überzeugen. Dafür müssen wir allerdings auch kein separates Staccato-Preset laden. Beim Legato-Spiel fehlt Trompeten, Posaunen und den Hörnern jedoch vor allem die Strahlkraft, wir vermissen die Blechbläser eigene Schärfe. Die separaten fortissimo-Overlay-Presets können als Dopplung allerdings etwas Abhilfe schaffen und dem Blechbläsersatz zu mehr Glanz verhelfen. Als echten Gewinn bewerten wir die Pauke, die einen starken, dreidimensionalen Eindruck hinterlässt. Die Percussion-Sektion ist mit Glocken, Becken, verschiedenen Trommeln, Stabspielen à la Marimba und vielen kleinen perkussiven Accessoires sehr gut ausgestattet, wenngleich uns vor allem bei Snare-Drum und Piatti-Becken etwas Punch und Durchsetzungskraft fehlt. Harfe, Tasteninstrumente und die mitgelieferte Orgel werten die Library mit überzeugenden Sounds deutlich auf. Allein die Barock-Orgel könnte den Kauf wert sein, fühlen wir uns doch bei ihrem Erklingen wie vom Meister Bach persönlich beschallt. Sechs Register können über einzelne Presets separat gesteuert werden. Sehr schön. Der Chor ist ein willkommenes Plus. In mittlerer Lage eingesetzt kann er als Untermalung durchaus für einen „human touch“ sorgen. Die Streicher sind sowohl im Solo als auch als Gruppe in der Besetzung 12-10-10-8-7 auf einem guten Mittelklasse-Niveau, das für Orchestrations- und Arrangieraufgaben völlig ausreicht. Allerdings fallen die geringen Dynamikabstufungen hier am deutlichsten auf. 

Fazit

Wer das Garritan Personal Orchestra 4 erwirbt, erhält erstaunlich viel für kleines Geld: Nicht nur einen leistungsfähigen Sample-Player, der neben einem eingebauten üppigen Hall auch über raffinierte Funktionen wie Auto-Legato oder Stereosimulation verfügt, sondern auch eine umfangreiche Orchesterlibrary, die alltägliche wie seltenere Instrumente bereit stellt. Der Schwerpunkt des Personal Orchestras liegt dabei eindeutig auf der einfachen Spielbarkeit, die lästiges Laden mehrerer Presets pro Instrument und Spielart obsolet macht. Die Library empfiehlt sich daher nicht nur für programmier-unwillige Arrangeure und Komponisten, sondern auch für Orchester-Einsteiger, die durch den intuitiven Aufbau der Software nicht überfordert werden. Obwohl es ein paar mehr Dynamikabstufungen hätten sein können, sind klangliche Kompromisse angesichts des günstigen Preises, des geringen Datenaufkommens und der außerordentlich Ressourcen schonenden Performance, die wirklich jeder moderne Taschencomputer leistet, durchaus zu verschmerzen.

Erschienen in Ausgabe 07/2010

Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 119 €
Bewertung: gut
Preis/Leistung: sehr gut