Markanter Alleskönner

Der Hersteller Steinberg baut neben seinen regelmäßigen Updates für seine Plattformen Cubase, Nuendo und Wavelab auch sein Angebot an virtuellen Instrumenten ständig aus. Im Zentrum steht dieses Mal Halion Sonic, eine komplett neue Software auf Basis der Halion 4-Engine mit einer ebenfalls neuen Library mit 1.200 Presets.  

Von Tom O’Connell

Noch vor 25 Jahren kam ein Musiker mit Synthesizerambitionen nicht um die Anschaffung eines ganzen Arsenals elektronischer Klangerzeuger und Sampler herum. Diese Zeiten sind seit dem Siegeszug virtueller Instrumente Gottseidank vorbei. Profis wie Amateuren steht heutzutage eine derartige Fülle an Klängen jeder Couleur zur Verfügung, so dass einem die Auswahl oft schwer fällt.

 

Wie gut, dass es die Gattung der Workstations gibt, die im virtuellen Bereich die Ära der Hardware-GM-Expander fortführen und die auf einen Schlag eine enorme Bandbreite an Sounds liefern und sich musikalisch universell einsetzbar geben. Eine dieser Workstations ist das Hypersonic-Instrument der Hamburger Software-Schmiede Steinberg. Das mittlerweile in die Jahre gekommene Instrument – das letzte Update ist vor vier Jahren erfolgt (Test in Heft 5/2006) – drohte trotz seiner Beliebtheit jedoch allmählich in Vergessenheit zu geraten. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger, denn mit Halion Sonic findet sich im Angebot von Steinberg jetzt endlich ein Nachfolger des Hypersonic 2. Wie sein Vorgänger will Halion Sonic durch einfache Bedienbarkeit und eine reichhaltige Ausstattung punkten. Mehr noch wartet die Hypersonic-Reinkarnation mit einer ganzen Reihe neuer, sehr nützlicher und flexibler Features auf. Highlights: Der Content der in Zusammenarbeit mit Yamaha neuentwickelten Library umfasst  satte zwölf Gigabyte aufgestockt worden. Obendrein hat Steinberg in seine Workstation  noch die Bedienoberfläche und die Optik des Samplers Halion, nebst dessen Editiermöglichkeiten übertragen.

Der Kaufpreis des Halion Sonic schlägt mit moderaten 249 Euro zu Buche. Angesichts der Vielfalt an Klängen und Bearbeitungsmöglichkeiten ist das geradezu ein Schnäppchen. Der Hersteller läutet damit also einen Neuanfang ein und präsentiert Halion Sonic als in sich geschlossenes Produkt. Konsequenz: Die Sounds des Hypersonic 2 lassen sich nicht importieren und in der neuen Version weiter nutzen. Gegenüber seinem Vorgänger bietet der Halion Sonic ein beträchtlich erweitertes Arsenal an – wie bereits erwähnt – neu entwickelten Sounds und Klängen. Vor allem im Bereich von Drums und Loops wird eine breite Palette angeboten, so dass sich Halion Sonic im Verbund mit Hypersonic 2 als mächtige Ergänzung und Aufstockung von Sounds präsentiert. Die auffälligsten Neuerungen auf der Bedienoberfläche, außer dem erweiterten Sound-Browser, dürften neben dem orangefarbenen Sphere-Contoller die acht frei belegbaren Pads über dem virtuellen Keyboard sein. Diese erlauben nicht nur das Triggern von Drum- und Percusssion-Sounds, sondern auch das Spielen ganzer Akkorde mit nur einem Tastendruck. Abseits dessen bietet die Oberfläche des Halion Sonic dem Anwender einen schnellen Zugriff auf die einzelnen Menü-Optionen wie den Dateibrowser, die Edit- und MIDI-Funktionen sowie den Mixer. Alles ist bequem mit einem Mausklick zu erreichen. Zusätzlich wird der Benutzer stets über die Speicherbelastung der einzelnen Sounds informiert. Sehr schön: Über ein einstellbares Disk-Streaming ist Halion Sonic auch problemlos auf älteren, leistungsschwachen Rechnern lauffähig. Die Bedienung erfolgt Dank der übersichtlich gestalteten Bedienoberfläche im Wesentlichen leicht, übersichtlich und intuitiv. Wie beim Hypersonic 2 kann mit dem Browser aus der zwölf Gigabyte großen Library ein Sound in einen der 16 Slots geladen werden. Der Sound/Slot kann anschließend je nach Bedarf im Mixer auf die Hauptsumme oder einen der maximal 16 Ausgänge geroutet und zusätzlich mit Effekten veredelt werden. Der mit Main bezeichnete Hauptausgang besitzt dabei die Möglichkeit, die Summe aller Sounds noch einmal mit vier globalen Effekten zu versehen. Nächste Parallelen zum Hypersonic 2: Instrumenten-Slots lassen sich miteinander gruppieren und gemeinsam ansteuern, was das Erzeugen fetter Stack-Sounds bequem möglich macht. Die umfangreichen MIDI-Funktionen, wie etwa das Tansponieren der Sounds, die Einstellung von Velocity und Tastaturzonen/-Splits ist, wie gehabt, ebenfalls vorhanden und der direkte Zugriff auf die wichtigsten Parameter eines Sounds mit Hilfe der acht Quick Control-Regler oberhalb des Keyboards sind altbekannt. Neu ist allerdings, dass jeweils zwei Quick Controls mit dem erwähnten trackballartigen Sphere Controller simultan steuerbar sind, der eine zusätzliche Option zum Ausformen lebendiger Klangverläufe offeriert. Im Test routen wir den Filter-Cutoff auf die horizontale und die Resonanz auf die vertikale Achse des Sphere-Controllers. Anschließend führen wir, ähnlich wie mit einem Joystick, opulente Filterfahrten mit nur einer einzigen Bewegung aus. Das macht das Produzieren nicht nur leicht, sondern wirkt auch noch äußerst inspirierend.

Die Entwickler haben sich jedoch nicht ausschließlich auf ein neues hübsches Äußeres und eine Verbesserung des Bedienkomforts gekümmert. Im Innern hat sich ebenfalls eine Menge getan, das nicht minder interessant ist. Im Test nehmen wir beim Laden von Sounds zu Anfang eher beiläufig graphische Symbole oberhalb der Instrumenten-Slots wahr. Das knapp formulierte Handbuch klärt uns jedoch rasch auf, dass diese Anzeige Auskunft darüber gibt, welche Sound-Engine, in Halion Sonic Ebene genannt, für die Klangerzeugung des jeweiligen Sounds zuständig ist. Das Instrument enthält fünf dieser Ebenen/Engines, die sich über einen jeweils eigenen dafür zugeschnittenen Editor programmieren lassen. Angeboten werden die Ebenen Synth, Sample, Schlagzeug, (sliced) Loop und Instrument. Synth- und Sample-Ebene offerieren dabei die den größten Umfang an Einstellmöglichkeiten. Unterschied: In der Sample-Ebene kommt als klingendes Basis-Material ein (Multi-)Sample zum Einsatz. In der Synth-Ebene stehen dafür drei Oszillatoren plus ein Sub-Oszillator, ein Ringmodulator und ein Noise-Generator zur Verfügung. Ein Highlight in allen fünf Ebenen ist die opulent ausgestattete Filter-Sektion, die sich im Test als reichhaltig gedeckter Gabentisch für Soundtüftler entpuppt. Zwei Hauptfiltertypen, Classic und Tube Drive, stehen zur Auswahl. Die Tube-Modelle lassen sich dabei sanft übersteuern, mit denen wir Sounds eine gehörige Portion Wärme hinzufügen. Voluminöse Moog- oder knarzige CS 80-Sounds sind mit den Tube-Modellen ein Klacks. Doch mit einem Filter gibt sich Halion Sonic nicht zufrieden. Ein Rack bietet zudem die Option, vier sogenannte Filtershapes zu laden und miteinander über eine X-und Y-Achse zu morphen. Insgesamt 24 verschiedene Filtershapes stehen zur Auswahl, die beim ordentlich zupackenden 24 dB Lowpass Filter beginnen und über High- und Bandpass verschiedene Filter-Kombinationen offerieren. An Modulatoren stehen jeweils vier Hüllkurven und LFOs bereit. Drei Hüllkurven sind fest auf jeweils die Tonhöhe, Filter und Amplitude geroutet. Die vierte lässt sich frei auf weitere Modulatonsziele routen. Besonderheit: Bis zu 128 Knotenpunkte sind pro Hüllkurve einsetzbar, die somit das herkömmliche ADSR-Schema aufbrechen und opulente Steuersignal-Verläufe ermöglichen. Auch die  LFOs enthalten einige bemerkenswerte Features: LFO eins und zwei sind polyphon ausgelegt, während LFO drei und vier monophon arbeiten. Für jeden LFO stehen acht verschiedene Wellenformen zur Verfügung, die wahlweise zum Host Tempo synchronisiert, aber auch frei eingestellt werden können. Über den Parameter Envelope-Mode lässt sich anschließend einstellen wie die LFOs auf das Keyboardspiel reagieren sollen. So achtet der One-Shot-Modus zum Beispiel nicht auf Note-off Befehle, weitere Modi erlauben das Starten und Ausblenden des LFO nach weiteren Kriterien auszuführen, wobei die nicht alltäglichen Parameter für Fade-in und -out der Schwingung sowie ein integriertes Delay davon betroffen sind. Zusammen mit den opulent einstellbaren Hüllkurven steht damit ein zwar altbekanntes Arsenal an Modulatoren zur Verfügung, das jedoch mit mächtigen Einstell-Optionen aufwartet. Damit nicht genug, bieten Synth- und Sample-Ebene zusätzlich die Möglichkeit, via Modulations-Matrix bis zu 32 Verknüpfungen zu erstellen, wobei alle Modulationsquellen und Ziele mehrfach zuweisbar sind. Dem Anwender stehen damit sämtliche Eingriffsmöglichkeiten eines reinrassigen Synthesizers zur Verfügung. Die übrigen Sound-Ebenen sind hingegen nicht ganz so mächtig ausgestattet. Im Zentrum steht das Abspielen von (Multi-)Samples in seiner Reinform. Sie warten mit lediglich einer Amplituden-Hüllkurve und einem LFO auf, besitzen aber die gleiche umfangreiche Filtersektion. In der Drum- und Loop-Ebene sind dabei die einzelnen Instrumente eines Drumkits beziehungsweise die Slices eines Loops über eine Key-Map dargestellt, die zum Editieren anwählbar sind. Jedes einzelne Slice/Instrument kann beliebig angeordnet und individuell bearbeitet werden. Die Instrumenten-Ebene zeigt sich von den Eingriffsmöglichkeiten her identisch zur Drum- und Loop-Ebene. Einziger wichtiger Unterschied: Dort lassen sich sogenannte Expression-Maps zuweisen und nutzen, wovon Cubase 5-Anwender am meisten profitieren. Diese erstmals in Cubase 5 integrierte Funktion (Test in Heft  4/2009) stellt sich als ungemein nützliches Feature zum raschen Programmieren lebendig klingender Phrasen dar, zu dem sich Halion Sonic jetzt als dazu passendes Gegenstück anbietet. Mit wenigen Mausklicks sind dabei die gewünschten Artikulationen, etwa legato und staccato, in den Sequenzer eingezeichnet, die korrekt vom Halion Sonic erkannt und wiedergegeben werden. Key-Switches müssen allerdings nachträglich programmiert werden, ein Kompromiss, der zugunsten der Funktionalität in Cubase 5 gemacht wurde. Ein absolutes Highlight des Halion Sonic ist der sogenannte Flex-Phraser, dessen Möglichkeiten weit über die eines gewöhnlichen Arpeggiators hinausgehen. Die Arbeitsweise des Flex-Phrasers ändert sich je nach gewähltem Ebenentyp: Arbeitet er in der Synth / Sample Ebene als vielseitiger Arpeggiator und Step-Sequencer, triggert er in der Loop Ebene die Slices zum Songtempo. Sehr schön: Im Test ordnen wir im Flex Phraser die einzelnen Slices neu an und erhalten völlig neuartige Loops. In der Instrumenten und Drum-Ebene entpuppt sich der Flex-Phraser als waschechter Phrasen Player, der die geladenen Instrumente mit dynamischen Phrasen und Grooves zum Leben erweckt. Der Anwender hat dabei Zugriff auf eine riesige Auswahl an Werksphrasen mit hohem Nutzwert. Eine Möglichkeit eigene Phrasen zu erstellen und abzuspeichern bietet sich dem Nutzer leider nicht, was schade ist. Da ist also noch Spielraum für künftige Updates.

Die Ausstattungs-Opulenz in Halion Sonic geht aber noch weiter und setzt sich in der umfangreichen Auswahl an Effekten fort. Die Palette   reicht vom waschechten Faltungshall über Delay, Reverb, Modulationseffekte bis hin zu graphischen und parametrischen EQs. Selbst eine Amp-Simulation für knackige Gitarren- und Basssounds ist vorhanden. Dass diese nicht mit waschechten Software Applikationen etwa von Native Instruments oder IK Multimedia mithalten kann, versteht sich von selbst, aber zum Anfetten von Gitarren-, Bass-, und E-Piano-Sounds reicht es allemal. Die Qualität der dargereichten Effekte ist durchweg gut, wenn auch nicht Highend. Im Halion Sonic stellen sie aber mit Sicherheit mehr als nur eine bloße Dreingabe dar.

Ordentlich nachgelegt hat Steinberg auch beim mitgelieferten Sound-Content. In der zwölf Gigabyte großen Library findet der Nutzer wirklich alles, was das Herz begehrt und das in einer umwerfenden Qualität. Sind beispielsweise die Pianosounds im Hypersonic 2 noch etwas dünn geraten, können diese im Halion Sonic absolut überzeugen. Das Fender Rhodes Piano klingt richtig schön muffig, während das 80er Piano Erinnerungen an den guten, alten Yamaha CP 70 Flügel aufkommen lässt. Auch die Gitarren- und Bass-Sounds sind erheblich authentischer gelungen und profitieren deutlich von der Expression-Map-Funktion. Bei den elektronischen Sounds finden sich sehr viele Klassiker von Minimoog bis Roland JD 800 wieder, wobei der klangliche Schwerpunkt, wen wundert’s, jedoch auf den Sounds der alten und neuen Yamaha-Synthesizer liegt. Die Flächen sind schön weich und voluminös, während es in den Lead-Sounds auch schon mal fies und böse rumpeln und kreischen kann. Der Großteil der dargebotenen Sounds klingt jedoch sehr sauber, brav und handzahm, was gerade bei den Synthesizer-Sounds dazu führt, dass ihnen ein wenig Durchsetzungsfähigkeit im Mix fehlt. Verglichen mit anderen Workstations wie zum Beispiel dem Edirol Sound Canvas oder dem ReFx Nexus hat der Halion Sonic klanglich die Nase allerdings deutlich vorne. Mit dem Halion Sonic lässt sich problemlos ein komplettes, musikalisch zeitgemäßes und überzeugendes Arrangement erstellen, ohne dass der Anwender ein anderes VST Instrument bemühen muss. Die Anschaffung des Sound-Giganten lohnt sich sowohl für Einsteiger, die schnell und ohne viel Programmierarbeit mit qualitativ sehr guten Sounds arbeiten wollen, als auch für Live-Musiker, die in ihrer Performance nur auf ein VST Instrument zurückgreifen wollen. Selbst in einer professionellen Produktionsumgebung besteht der Halion Sonic als ernstzunehmendes Tool. Die Fülle an Loops und Arpeggien nebst umfangreicher Bearbeitungsmöglichkeiten machen ihn sogar für Techno und Dancefloor-Musiker interessant. Als besonders gelungen erweisen sich die Drumsounds in der akustischen Variante. Gerade in diesem Bereich schwächelte es beim Hyersonic 2 etwas. Lediglich die Auswahl an Streich- und Blasinstrumenten hätte noch ein wenig besser sein können, so haben wir im Test Kombinationen von Kontrabass und Celli, sowie von Violinen und Violas etwas vermisst. Wirklich schade ist allerdings, dass einzelne Instrumente der Hypersonic 2 Library nicht mehr enthalten sind. Angesichts der umfassenden und hochqualitativen Soundlibrary des Halion Sonic ist das aber zu verschmerzen.

Fazit

Mit dem brandneuen Halion Sonic ist Steinberg ein ganz großer Wurf geglückt: Beim Kauf von Halion Sonic erhält man durch die Bank überzeugende und vielseitig einsetzbare Sounds auf einer hervorragend bedienbaren Oberfläche. Als Vergleich könnte man höchstens den Nexus von ReFx herbeiziehen, der aber weit weniger Bearbeitungsmöglichkeiten und längst nicht eine solch riesige Soundauswahl bietet. Wer künftig überzeugende Arrangements erstellen und dabei tief ins Klanggeschehen eingreifen will, ohne dabei eine Armee weiterer virtueller Instrumente bemühen zu müssen, kommt um den Kauf eines Halion Sonic künftig nicht herum.

Erschienen in Ausgabe 10/2010

Preisklasse: Oberklasse
Preis: 249 €
Bewertung: sehr gut – überragend
Preis/Leistung: sehr gut