Ich mach mir die DAW, wie sie mir gefällt

Abseits der altbekannten Big Player hat sich die DAW Reaper seit nunmehr zehn Jahren eine eigene kleine Nische geschaffen, die ihr den Ruf eines kostengünstigen Independent-Produkts eingebracht hat, das mit Profi-Qualitäten aufwartet und sogar den Etablierten in Sachen Features und Funktionen oftmals vorauseilt. Ähnlich wie Robin Hood mit seinen Gefolgsleuten erfreut sich Reaper zudem einer überaus treuen und agilen Fangemeinde. Was das Besondere an Reaper ist, was mit der DAW möglich ist und für wen sie sich eignet, haben wir für Sie ergründet.

Von Georg Berger

Wenn es um rechnerbasierte Musikproduktion geht, werden immer wieder die drei Großen Cubase, Logic und Pro Tools in einem Atemzug genannt. Alle anderen Mitbewerber rangieren unter „ferner liefen“. Trotzdem gab und gibt es, ähnlich wie das berühmte kleine gallische Dorf in Aremorica, das dem Eindringling erfolgreich Widerstand leistet, Produkte, die der Übermacht des Mainstreams beharrlich entgegentreten. Die DAW Reaper zählt ganz ohne Zweifel dazu. In den vergangenen Jahren ist uns Reaper immer wieder begegnet, sei es als Geheimtipp unter vorgehaltener Hand oder in Form von Leserzuschriften, die nach einem profunden Test von Reaper fragten. Wir haben das zehnjährige Jubiläum dieser DAW – geht man vom Release der Version 1 als Shareware aus – zum Anlass genommen, um die durch und durch eigenwillige Independent-DAW endlich einmal einer grundlegenden Prüfung zu unterziehen.

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Anders als hartnäckige Gerüchte es immer noch verkünden, ist Reaper keine Shareware. Zwar lässt sich die Software für 60 Tage kostenlos und ohne jedwede Einschränkung testen. Danach fordert die DAW den Anwender aber zum Kauf auf. Amateure, Bildungsinstitutionen und Profis, die mit ihrer Arbeit weniger als 20.000 Dollar pro Jahr erwirtschaften, zahlen äußerst attraktive 60 US-Dollar, um Reaper weiterhin nutzen zu können. Profis, die einen Umsatz über dem genannten Betrag erzielen, zahlen immer noch attraktive 225 US-Dollar. Dafür erhalten beide Gruppen kostenlose Updates bis über das nächste Major-Update hinaus. Zum Test tritt die Version 5.16 an, wobei die Updates bis hinauf zur Version 6.99 kostenlos sind. Das ist wahrlich nicht selbstverständlich und zeugt von einer hohen Kundenfreundlichkeit.

Der Preis relativiert sich allerdings für diejenigen, die beim Kauf auf ein fettes Paket an Sounds und virtuellen Instrumenten hoffen. Die gibt es nämlich nicht und im Lieferumfang finden sich gerade einmal drei Instrumente mit eher überschaubarer Ausstattung: ein analoger Synthesizer, ein Drum-Synthesizer und ein Sampler. Letzterer kommt ebenfalls ohne Sounds daher. Dafür sprengt Reaper den Rahmen in Sachen mitgelieferte Insert-Effekte (siehe Kasten auf Seite 22). Diese „Klangarmut“ ist dabei der Firmenpolitik des Herstellers Cockos geschuldet, der Wert auf ein komplett unabhängiges Entwickeln von Reaper legt (siehe Kasten auf Seite 20). In Konsequenz fällt die Installations-Datei von Reaper überaus klein aus. Gerade mal zehn Megabyte umfasst das File, das sich auf dem Rechner auf rund 60 Megabyte erweitert. Die Lizenzierung erfolgt nach dem Kauf über den Import eines Lizenz-Files. Besonderheit: Mit dieser Auslegung ist es sogar möglich, Reaper von einem USB-Stick oder anderem mobilen Datenträger aus zu starten. Bei Bedarf hat man also seine DAW stets am Schlüsselbund dabei.

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Kleiner Preis, schlanke Installation, mächtige Möglichkeiten

Gleichermaßen schlank, respektive flott geht das Starten und Laden von Reaper über die Bühne. Beim Erstaufruf blicken wir auf ein Fenster, das in der Horizontalen von einer mittig platzierten Transportleiste geteilt wird. Die obere Hälfte ist dem Arranger-Dialog vorbehalten, der erwartungsgemäß eine Trackspalte sowie den Bereich zum Arrangieren von Audio- und MIDI-Aufnahmen beherbergt. Die einzelnen Spuren-Fragmente, die andernorts Clip oder Region genannt werden, heißen im Reaper-Sprech übrigens „Item“. Die untere Hälfte wird vom sogenannten „Docker“ eingenommen. Dieser Bereich dient zum Laden und Anzeigen einer Reihe von Dialogen und Funktionen, die per Reiter wechselweise aufrufbar sind, etwa der Mixer, ein Medien-Explorer, Routing-Matrizen und so weiter. Bei Bedarf kann der Docker auch weggeklickt werden, um Platz für den Arranger zu schaffen. Die im Docker enthaltenen Dialoge können bei Bedarf auch als separate Fenster erscheinen, perfekt für den Betrieb mit mehreren Monitoren. Im Wesentlichen präsentiert sich Reaper aber als eine Ein-Fenster-Anwendung, die alle wichtigen Dialoge und Funktionen auf einen Blick präsentiert.

Das GUI gefällt uns im Großen und Ganzen. Es gewinnt zwar keinen Preis für stylishes Design, es wirkt aber auch nicht altbacken. Auffälligerweise folgen die unzähligen, aufrufbaren Zusatz-Dialoge dem Design des Haupt-Bildschirms nicht im gleichen Maße und zeigen dann doch eher ein grobschlächtiges Design, das mehr an Windows 95, als an Windows 10 erinnert. Doch damit brauchen wir uns nicht zufrieden zu geben. Denn Reaper lässt sich nicht zuletzt dank der integrierten Scripting-Möglichkeiten nach eigenen Wünschen im Aussehen ändern. Das geschieht über sogenannte „visuelle Themen“ und „Layouts“. Erstgenanntes gibt der Oberfläche einen komplett neuen Look und letztgenannte Option erlaubt es, den Mixer, die Trackspalte, das Transportfeld und das Automations-Panel in Größe, Farbe und Ausstattung beliebig zu ändern. Allerdings muss der Anwender dazu jetzt nicht den neu integrierten Scripting-Editor bemühen und selbst programmieren. Reaper kommt mit einer Vielzahl an Layouts. Überdies lohnt ein ständiger Besuch des Internet-Portals stash.reaper.fm, das eine Unmenge an kostenlos erhältlichen visuellen Themen, Projektvorlagen, importierbaren Funktionen und noch mehr feil bietet. Im Test laden wir uns einige dieser Themen herunter und per einfachem Mausklick besitzt Reaper auf einmal eine täuschend echte Oberfläche à la Steinberg Cubase oder Avid Pro Tools. Das ist nicht nur eine schicke Spielerei, sondern gibt dem Anwender die Möglichkeit, seinen Workflow vor allem auch mit den Layouts nach seinen Wünschen zu optimieren. Die Vielfalt und Flexibilität ist jedenfalls beachtlich und geht weit über das individuelle Anordnen verschiedener Dialoge zu verschiedenen Screen-Sets hinaus. Doch zurück zum noch leeren Hauptfenster:

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Vielfältige Optionen zum Anpassen des Programms

Spuren werden durch einen simplen Doppelklick in der Trackspalte erzeugt. Eine vorherige Auswahl nach der Art der Spur ist nicht nötig. Das folgt im nächsten Schritt, denn die Spuren in Reaper sind universell ausgelegt. Über den In-Button in der Track-Spalte wird schließlich das Eingangs-Routing bestimmt, also ob Audio- oder MIDI-Daten empfangen werden sollen. Über einen weiteren Ausklapp-Dialog bestimmen wir, welcher Eingangs-Kanal am Audio-Interface auf die Spur geroutet werden soll. Stellen wir sonst nichts weiter ein, geht das aufgenommene Signal direkt auf die beiden Haupt-Ausgänge. Die Aufnahme erfolgt anschließend wie auch in allen anderen DAWs, also Spur scharf schalten, bei Bedarf das Direct Monitoring aktivieren, Aufnahme-Knopf und Play-Taste gedrückt und los gehts. Wer mag kann zuvor noch Insert-Effekte auf die Spur legen. Einfach auf den FX-Button drücken und im anschließenden Dialog-Fenster den gewünschten Effekt auslegen. Der Clou: Es gibt gleich zwei Insert-Punkte: Einmal nach dem Eingang und einmal vor dem Eingang, so dass bei Bedarf auch direkt mit Effekt aufgenommen werden kann. Dank automatischem Latenzausgleich funktioniert das im Test sehr gut.

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Die Aufnahme kann anschließend wie auch in allen anderen DAWs bearbeitet werden. Die Enden können getrimmt werden, Fades sind per Maus einfügbar und auch die Lautstärke regulierbar. Crossfades erfolgen ganz simpel durch ineinander schieben von Spuren, wobei sich die Fades per Rechtsklick im Verlauf entsprechend einstellen lassen. Was wir aber sehr schmerzlich vermissen, ist die Möglichkeit, verschiedene Werkzeuge wechselweise auf die Maus zu legen. Das Schneiden und Kleben von Items ist tief verborgen in Sub-Menüs. Das wäre einer der ersten Wünsche, die wir in Richtung Entwickler schicken wollen. Automationen – in Reaper „Envelopes“ genannt – sind denkbar einfach realisiert. Dazu klicken wir in der Trackspalte auf das entsprechende Symbol und ein Dialog öffnet sich, der sämtliche automatisierbaren Parameter einer Spur inklusive Insert-Effekte zeigt. Durch Abhaken der gewünschten Parameter erscheinen diese als separate Unterspuren. Das Einzeichnen des Verlaufs geschieht anschließend mit der Maus, wobei die üblichen Modi, Touch, Latch, Read, Write, zur Auswahl stehen. Wer mag kann nicht benötigte Automationsspuren wegklicken oder aber auch die Automationskurven ins Item verlegen. Sehr schön: Durch Anklicken der UI-Kästchen im Automations-Dialog, erscheinen kleine Drehregler mit diesen Parametern in der Track-Leiste, ähnlich wie etwa die Quick-Parameter in Cubase.
Überraschend fällt aus, dass Reaper ohne einen Audio-Editor auskommt, was bei den Mitbewerbern zur Grundausstattung zählt. In den Preferences muss dazu ein externer Editor gewählt werden, um diese Funktionalität nutzen zu wollen, etwa Audacity, wenns kostenlos sein soll. Nichts desto Trotz verfügt Reaper aber an anderen Stellen über die wichtigsten Funktionen, etwa per Rechtsklick und Auswahl der Item-Eigenschaften. Normalisieren, Time-Stretching, Pitch-Shifting, eine Warp-Funktion – hier „Stretch Marker“ genannt – und auch eine Transient-Erkennung inklusive Slicing sind allesamt an Bord. Sie müssen nur an unterschiedlichen Stellen gesucht und gefunden werden.

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Grenzenloses Routing

Ganz anders verhält es sich bei MIDI-Aufnahmen. Dafür steht ein üblicher MIDI-Editor mit der üblichen Pianorollen-Ansicht bereit. Controller-Daten finden sich wie gehabt am Fuß des GUI, wobei mehrere Controller-Spuren anzeigbar sind. Gleiches gilt auch für die MIDI-Spuren, die ebenfalls simultan in einem Fenster anzeigbar sind, wer mag, kann die Noten-Darstellung zwischen Balken (Noten) und Rauten (Drum-Noten) beliebig ändern. Die Quantisierungs-Funktionen verteilen sich zwar auf verschiedene kleine Dialog-Fenster, reichen im Test für unsere Zwecke aber voll und ganz aus.

Nach Abschluss der Aufnahmen bemühen wir den integrierten Mixer in Reaper, der in Ausstattung und Funktionalität seinen Mitbwerbern in nichts nachsteht. Die Panpots können bei Bedarf zwischen zwei stereo- und einem Dual-Pan-Modus umgeschaltet werden. Oberhalb der Kanalzüge findet sich eine Spalte, die zweigeteilt zum einen die Inserts und zum anderen die Sends zeigt. Letztere sind denkbar einfach erstellt, indem im Mixer oder der Trackspalte auf den Routing-Button geklickt wird. Der daraufhin erscheinende Dialog erlaubt ein völlig freies Abzweigen des Signals auf andere Kanäle. Ebenso können Signale auch auf diese Spur geroutet werden und die Spur lässt sich bei Bedarf auf andere physikalische Ausgänge legen. Doch damit nicht genug: Auch die MIDI-Kanäle lassen sich entsprechend abzweigen und neu verteilen. Im Test ist das anfangs etwas ungewohnt, doch die sich bietenden Möglichkeiten sind enorm und verwandeln den Reaper-Mixer in eine allmächtige Signalverteilungs-Zentrale. Letztlich hängt es von einer gut durchdachten Planung ab, wie die Kanäle schließlich belegt werden. Durch die universelle Auslegung der Spuren können sie Audio-, MIDI- und sogar beide Formate gemeinsam tragen, sie lassen sich durch entsprechendes Routing als Effekt-Känäle/Returns und auch als Subgruppen-Kanäle definieren. Empfehlenswert ist hierbei eine entsprechende farbliche Codierung. Last but not Least kann durch Auswahl bestimmter Kanalzug-Layouts eine weitere visuelle Unterteilung vorgenommen werden (siehe Abbildung auf Seite 21). So können etwa Subgruppen-Kanalzüge deutlich größer dargestellt werden als die Spuren, die dorthin verzweigen. Das ist denkbar einfach realisiert und sorgt für eine Übersichtlichkeit, die wir andernorts vergeblich suchen.

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Einsames Highlight: Video-Editing-Funktionen

Ein weiteres Leckerli, das den Workflow beim Mixen zusätzlich erleichtert ist die sogenannte Grouping-Matrix, ein Dialog, der aus 32 Blöcken mit Rasterfeldern besteht. Die Y-Achse zeigt jede Spur und die X-Achse hält eine Reihe von Parametern bereit wie unter anderem Lautstärke, Panorama, Aufnahmebereitschaft. Durch Anklicken eines Kästchens kann bestimmt werden, welche Spur als Master zum Regulieren für andere Spuren dienen soll. Die Master-Spur muss dabei ein „M“ und die zu kontrollierenden Spuren ein „S“ in der Matrix besitzen. Et Voilà: Schon sind mehrere Kanäle gruppiert, die sich vom Master-Fader relativ dazu einstellen lassen. Neu in Version 5 ist übrigens jetzt auch eine VCA-Fader-Option, die das absolute Regulieren der so verknüpften Fader realisiert. Eine andere Ansicht der Matrix zeigt überdies das Kanal-Routing des gesamten Projekts in Form einer Kreuzschiene. Neue Verbindungen sind dort per einfachem Klick leicht realisiert.

In der Praxis haben wir die wichtigsten Funktionen zum Aufnehmen und Abmischen von Musik noch ohne intensives Studium der Bedienungsanleitung recht schnell im Griff. Ganz wichtig ist das Anklicken eines Oberflächen-Bestandteils über einen Rechtsklick, der stets ein dazu themenbezogenes Menü öffnet. Auf diese Weise tasten wir uns langsam in die Tiefen von Reaper weiter vor. Allerdings wollen wir auch nicht verschweigen, dass der Workflow immer wieder durch das Suchen nach einer bestimmten Funktion mitunter sehr störend ist. Vieles, was wir gewohnt sind an einer bestimmten Stelle zu finden, verbirgt sich in völlig anderen Bereichen. Teils sind Funktionen kleinteilig auf mehrere Unter-Dialoge verteilt, was nicht selten zum Schluss kommen lässt, dass etwas in Reaper fehlt. Doch das ist jetzt kein Manko von Reaper, das erfahren wir auch, wenn wir uns das erste Mal mit einer anderen DAW auseinandersetzen.
Doch damit müssen wir uns in Reaper nicht zwangsläufig zufrieden geben. Sicherlich, die gegebenen Möglichkeiten über den integrierten Script-Editor eigene Funktionen zu programmieren sind recht komplex. Wir sind Tonschaffende, keine Programmierer. Doch das verfügbare Repertoire an Templates, Extensions und Layouts über das User-Portal stash.reaper.fm, das von denjenigen gefüllt wird, die des Programmierens mächtig sind, ist beachtlich. Vieles davon ist sehr praxisbezogen und dürfte, wenn auch nicht hundertprozentig, doch den eigenen Bedürfnissen recht nahe kommen. Und so lässt sich Reaper mit der Zeit auf den eigenen Workflow maßschneidern. Obwohl wir im Test dabei nur an der Oberfläche gekratzt haben, erahnen wir wie tief greifend diese Möglichkeiten sind und Reaper eher wie einen modular erweiterbaren DAW-Baukasten aussehen lässt.

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Fazit

Reaper 5 hinterlässt im Test einen sehr positiven Eindruck, wenngleich sich die Independent-DAW im Vergleich zu den Mitbewerbern teils sehr eigenwillig gibt. Unbestrittenes Highlight in Version 5 sind die neuen Video-Processing-Funktionen, mit der die DAW die Weihen eines Video-Schnitt-Systems erhält. Zwar besitzt Reaper keinen On-Board-Audio-Editor, einen Noten-Editor gibt es ebensowenig und uns fehlen wichtige Editier-Werkzeuge, die wir auf die Maus legen können und das Arsenal an mitgelieferten Instrumenten ist recht dürftig. Dafür beeindruckt Reaper mit einer Flexibilität in gleich mehreren Disziplinen, die wir in der Art nicht oft zu sehen kriegen. Mit Hilfe von Scripts lässt sich die DAW in ihrem Aussehen und ihrer Funktionalität den eigenen Bedürfnissen anpassen. Wer des Programmierens mächtig ist, ist herzlich dazu eingeladen, Reaper in Sachen Funktionen und Workflow weiter zu verbessen. Ansonsten finden sich via User-Portal viele Scripts, um sich sein eigenes Reaper zurecht zu schneidern. Last but not Least beeindrucken schließlich auch die Routing-Möglichkeiten, die dem Anwender tatsächlich völlige Freiheit beim Verknüpfen von Signalen und Kanälen gibt. Reaper mutiert dadurch von einer DAW fast schon zu einem Musikinstrument. DAW-Einsteiger dürften mit den ab Werk voreingestellten Settings zwar recht schnell erste Erfolgserlebnisse erzielen. Wir würden Reaper überdies allen ans Herz legen wollen, die mit dem Workflow und den gebotenen Funktionen ihrer bisherigen DAW unzufrieden sind und die Ambition haben, sich aktiv mit Reaper auseinanderzusetzen, um am Ende eine durch und durch maßgeschneiderte DAW zu erhalten. Mit rund 70 respektive 225 Dollar ist Reaper angesichts des gebotenen Funktionsumfangs am Ende dann auch noch unverschämt günstig.

 

Die wichtigsten Neuheiten in Reaper 5 auf einen Blick

  • Neues GUI
  • VST3-Kompatibilität
  • Erweiterung der Video-Processing-Fähigkeiten
  • VCA-Fader
  • Verbesserungen im ReaScript-API
  • On-Board-Editor zum Erstellen eigener Scripts mit LUA, EEL oder
  • Python
  • Effekt-Parameter-Automation und MIDI-Learn auf Take-Ebene
  • anwendbar
  • Metronom Beat-Patterns
  • Unterstützung für bis zu 512 Ein- und Ausgänge via ASIO
  • Ambisonic- und Ogg Opus-Unterstützung
  • 16 generelle und 8 MIDI Werkzeugleisten programmier- und aufrufbar

Wie das Salz in der Suppe: Effekte in Reaper

Anders als in vielen anderen DAWs erlaubt Reaper theoretisch das Laden einer unendlich großen Zahl von Insert-Effekten pro Spur, zumindest so viele wie die CPU hergibt. Wie es sich für eine DAW gehört, kommt Reaper mit einem Arsenal an mitgelieferten Effekten, das allerdings ein wenig anders aufgeteilt ist, als erwartet. Lediglich rund 20 VST-Effekte sind an Bord, die in Sachen Signalbearbeitung dem Mainstream folgen. Es findet sich sogar ein Faltungshall, allerdings ohne Impulsantworten. Die müssen separat beschafft werden. Diese Plug-ins sind übrigens als Freeware auf der Reaper-Homepage für jedermann zugänglich. Im Vergleich zu TSC Tracktion, die ein vergleichbares Preis-Niveau hat, ist die Zahl an On-Board-Effekten schon beachtlich. Doch das ist nur eine Seite, denn Reaper besitzt eine proprietäre, JS genannte, Schnittstelle, über die obendrein rund 200 weitere Effekte und Prozessoren mitgeliefert werden. Hintergrund: Die JS-Effekte werden über eine Reaper-eigene „JesuScript“ genannte Skript-Sprache programmiert, die über die Jahre hinweg nicht nur von Cockos, sondern auch von Anwendern programmiert und bereitgestellt wurden. Außer den üblichen Studio-Effekten in allen Varianten, Verzerrer-, Delay-, Hall- und Modulations-Effekten sind auch Studio-Helfer wie Frequenz-Splitter zum Erzeugen eigener Multiband-Effekte, diverse Anzeige-Geräte wie Phasen-, Spektrum- und Goniometer, MIDI-Helferlein wie etwa ein Arpeggiator, Prozessoren zur Modifikation von MIDI-Noten und dergleichen darin enthalten. Solch einen Umfang an Plug-ins sucht man in anderen DAWs vergeblich, wobei fairerweise zu sagen ist, dass einige der oben genannten Studio-Helfer in anderen DAWs bereits als feste Features im DAW-Kern enthalten sind. Jedenfalls bleiben in Sachen Effekte so gut wie keine Wünsche offen. Auffällig ist allerdings das GUI und Layout sowohl der VST- als auch der JS-Effekte, die mit einem betörenden Windows 95-Charme daherkommen und heutzutage auf den obersten Rängen bei einem Wettbewerb zum hässlichsten Plug-in-GUI zu finden wären. Dafür verbrauchen diese Plug-ins nicht Unmengen an CPU-Leistung, die für die Berechnung einer hübschen Bling-Bling-Oberfläche draufgeht. Ganz im Gegenteil. Durch Klick auf den UI-Button kann die GUI-Darstellung noch einmal reduziert werden, was bei Bedarf nochmals Rechenleistung spart. Das ist praxisgerecht gedacht, zumal Effekte primär mit den Ohren und nicht mit den Augen einzustellen sind. Effekt-Neuheiten sind in Reaper 5 allerdings nicht zu verzeichnen. Lediglich das ReaInsert-Plug-in zum Einbinden von Hardware in die DAW-Umgebung wurde in Sachen Phasen-Genauigkeit verbessert.

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Reaper und Video: Von der DAW zur Schnitt-Software

In Version 5 hat Reaper eine gewaltige Erweiterung seiner Video-Fähigkeiten erhalten. Die Möglichkeiten sind so tief greifend, dass sie sämtliche Mitbewerber am Markt in dieser Disziplin ziemlich alt aussehen lassen. Die Rede ist von waschechten Video-Editierungs-Features, die dem Anwender das Aufbereiten von Videos inklusive Export in übliche Video-Formate erlauben. Das Handling geschieht dabei denkbar einfach. Die Video-Datei wird via Import-Funktion in Reaper eingefügt. Dabei zeigt sich im Arranger-Fenster lediglich die Tonspur des Videos. Das Bewegtbild wird via separatem Fenster angezeigt, das sich frei skalieren und bei Bedarf auch in den Docker-Bereich integrieren lässt. Der Clou: Dort wo andere DAWs den Import höchstens einer Video-Spur erlauben, können in Reaper beliebig viele Video-Clips importiert werden. Hierbei gilt: Die Video-Spur mit der niedrigsten Track-Zahl hat die oberste Priorität beim Anzeigen im Fenster. In den Preferences lässt sich das bei Bedarf auch umkehren. Um aus mehreren Video-Clips jetzt ein zusammenhängendes Video mit Schnitten, Blenden und Effekten erstellen zu können, ist der Einsatz des neuen Video-Processors erforderlich. Er wird denkbar einfach über die Inserts als Plug-in geladen. Die Plug-in-Oberfläche zeigt anschließend ein leeres Fenster. Um entsprechende Funktionen zu laden, muss die Ausklappliste bemüht werden, die eine kleine, aber feine Auswahl von 18 Funktionen offeriert. Anschließend zeigt sich ein Editor-Dialog, der den Programm-Code des Effekts zeigt. Je nach Funktion finden sich eine Reihe von editierbaren Parametern. Besonderheit: Diese Parameter können via Mischpult-Automation kontrolliert werden. Selbstverständlich können pro Spur auch mehrere Video-Prozessoren geladen werden, um den Clip entsprechend zu bearbeiten. Im Test nutzen wir den Titel-Generator um Schriften ins Video einzufügen, die sich per Automation des Alpha-Parameters wie von Zauberhand ein- und ausblenden. Über den Zoom/Pan/Opacity-Effekt blenden und animieren wir den Clip, Effekte wie Horizontal Wipe und Matrix-Crossfade bieten Möglichkeiten zum Überblenden auf andere Clips. Bezogen auf DAWs sind diese Möglichkeiten einfach atemberaubend. In der momentanen Gestalt sehen die einzelnen Funktionen aufgrund der Skript-Darstellung eher kryptisch aus. Doch es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis nicht nur eine ansprechende Oberfläche dazu vorliegt, sondern auch neue interessante Video-Funktionen den Prozessor dynamisch erweitern.

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Wie alles begann oder wer ist Cockos?

Im Vergleich zu den führenden DAW-Herstellern am Markt ist das Unternehmen Cockos ein Winzling. Doch der Gründer und Chefentwickler von Reaper Justin Frankel hat nichts desto Trotz eine bemerkenswerte Vita vorzuweisen. Ende der 1990er Jahre entwickelte er den seinerzeit äußerst beliebten Medienplayer Winamp. Das Medien-Stream-Programm Shoutcast folgte, das er zusammen mit seinem Partner Tom Pepper entwickelte. Schließlich verkaufte er seine Firma Nullsoft für 80 Millionen Dollar an AOL. Später entwickelte er noch die File-Sharing-Software Gnutella, die unter der Ägide von AOL erschien. 2004 gründete er schließlich das Unternehmen Cockos und brachte als erstes und bislang einziges Produkt Reaper heraus, das anfangs noch als Shareware vertrieben wurde. Bis heute ist das Unternehmen klein und überschaubar geblieben. Es wird keine Werbung gemacht, keine Kollaborationen mit anderen Herstellern eingegangen, kurzum Cockos ist ein völlig unabhängig arbeitendes Unternehmen. Hintergrund für diese Strategie: Frankel will seine Visionen für Reaper ohne kommerziellen Hintergedanken oder durch Einflussnahme Dritter (Unternehmen) realisieren.
Obwohl Reaper ausschließlich für Windows- und Mac-PCs erhältlich ist, besitzt das Unternehmen das Flair einer enthusiastischen Linux-Community mit Open Source-Anklängen, die eine sehr hohe Ambition für die Fortentwicklung von Software besitzt. Reaper-Updates erscheinen teils im Wochentakt, eine lebhafte Internet-Community hat sich gebildet, die im permanenten Austausch mit den Entwicklern steht. So kommt es nicht selten vor, dass Vorschläge von User-Seite zügig umgesetzt werden. Dank der integrierten Scripting-Engine lädt Cockos seine User zudem ein, selbst Hand an die DAW zu legen und diese mit zusätzlichen Funktionen zu erweitern, die in Form teils aufpreispflichtiger Extensions erscheinen. Zu nennen wären hier die Freeware-Extentions SWS/S&M, die einen riesigen Satz an praktischen Funktionen in Reaper installiert oder die 20 Euro kostende Playtime-Extension des Herstellers Helgoboss, die als virtuelles Instrument eine Session-View im Stile von Ableton Live besitzt, um darüber Audio-Clips in Gruppen oder Blöcken abzuspielen.