Klasse statt Masse
Gitarristen, die sich bislang noch nicht für Gitarren-Amp-Simulationen und Effekte auf Software-Basis erwärmen konnten, kennen die Emulationen von Softtube nicht: Die schwedische Software-Schmiede bietet klanglichen Fotorealismus und setzt konsequent auf Klasse statt Masse.
Von Harald Wittig
Softtube ist ein vergleichsweise junges Unternehmen, beheimatet in Linköping (Südschweden). Im Jahre 2003 gegründet, ging die Software-Schmiede aus einem Forschungsprojekt des Linköping Institute of Technology hervor: Drei musikverrückte Programmierer mit den Spitznamen „Der Hacker“, „Der Gitarrist“ und „Der Professor“ befassten sich mit der anspruchsvollen Aufgabe, ein mathematisches Verfahren beziehungsweise Model zu entwickeln, um auf digitalem Wege Nichtlinearitäten von analogen Audiogeräten zu simulieren. Nach jahrelanger Forschungsarbeit hatten die besessenen Schweden Erfolg. Im Wege des sogenannten Physical Modelings war es ihnen gelungen, die komplette Schaltung von analogen Geräten, namentlich Röhren-Verstärkern nachzubilden.
Anstatt sich auf dem Forscherlorbeer auszuruhen, gründeten die Drei kurzerhand Softtube und entwickeln seitdem DAW-Plug-ins. Dabei fährt Softtube zweigleisig: Neben Plug-ins unter eigenem Namen, entwickeln die Schweden auch Plug-ins für andere namhafte Hersteller. So ist beispielsweise der virtuelle Nachbau des Tube Tech CL 1B-Kompressors, den es seit 2007 für die PowerCore-Plattform von T. C. Electronic gibt, eine Entwicklung von Softtube. Tube Tech selbst stimmten für die Schweden als Software-Entwickler, was angesichts der hohen Ansprüche des dänischen Röhren-Giganten ein ernstzunehmender Vertrauensbeweis in das Können der Softtube-Programmierer ist. Auch das berühmte Abbey Road-Studio setzt seit einigen Jahren auf Softtube-Produkte beziehungsweise Entwicklungen – und die Referenzliste ließe sich noch fortsetzen.
Neben einer ausgeprägten Leidenschaft für den Klang der guten alten Röhre im Allgemeinen, sind die Softtube-Entwickler – stellvertretend für das mittlerweile zehnköpfige Team seien die beiden Programmierer und Planer Oscar Öberg und Niklas Odelholm genannt – vor allem von Gitarrenverstärkern in Röhrenschaltung fasziniert. Die beiden Gitarren-Amp-Simulationen „Vintage Amp Room“ und „Metal Amp Room“ sind nicht von ungefähr die Vorzeigeprodukte der Schweden. Vor allem der Vintage Amp Room wird bei Kennern und Profis vom erfahrenen Stromgitarristen bis zum anspruchsvollen Toningenieur bereits hochgehandelt und in den höchsten Tönen gelobt. Gelegentlich hört und liest der Szenebeobachter von einer „Boutique-Schmiede“ für virtuelle Verstärker, womit auf die sündhaft teueren, handverdrahteten Verstärker kleiner Manufakturen angespielt wird.
Grund genug für Professional audio Magazin, Softtubes Amp-Plug-ins ausführlich zu testen. Dabei beschränken wir uns nicht auf die beiden Verstärker-Simulationen Vintage Amp Room und Metal Amp Room, sondern nehmen zusätzlich die Plug-ins „Acoustic Feedback“, „Tube Delay“ und die jüngst zur Serienreife gelangte Emulation „Spring Reverb“ unter die Test-Lupe. Damit dient dieser Test auch als Ergänzung des -großen Vergleichstests „Virtuelle Gitarren-Verstärker“ in Ausgabe 10/2008 und es ist spannend herauszufinden, ob die Softtube-Emulationen die Spitzenvertreter der Gattung, wie beispielsweise IK Multimedias Amplitube, Digidesign Eleven oder Peaveys Revalver MK III -gefährlich werden können – oder sie gar klanglich übertreffen.
Zumindest preislich rangiert Sofftube in der Oberklasse: Am teuersten ist Vintage Amp Room, das mit rund 370 Euro als VST-/AU- oder RTAS-Version und üppigen 684 Euro als Pro Tools TDM-Version zu Buche schlägt. Dagegen ist Metal Amp Room, das es nur als native VST-, AU- oder RTAS-Version gibt, mit 155 Euro vergleichsweise günstig. Die drei ergänzenden Plug-ins Spring Reverb (Federhall), Tube Delay (Echo-/Verzögerungseffekt) und Acoustic Feedback sind für deutlich weniger Geld zu haben: Während Spring Reverb und Tube Delay als VST-, AU und RTAS-Plug-in für rund 100 Euro für Vintage-Ambience sorgen sollen, verlangt der deutsche Vertrieb Audiowerk (www.audiowerk.eu) für Acoustic Feedback, das kontrollierte Rück-kopplungen simuliert, in der nativen Version ebenfalls etwa 100 Euro, als TDM-Version sind 173 Euro anzulegen. Was die Softtube-Emulationen allerdings von vorneherein ein wenig gegenüber den Mitbewerbern hervorhebt und für zusätzliche Attraktivität sorgt, ist die Unterstützung der DSP-Plattform PowerCore. Doch sehen wir uns die Schweden-Software doch mal näher an und beginnen mit Vintage Amp Room.
Vintage Amp Room ging direkt aus der damaligen Forschungsarbeit der Softtube-Gründer hervor, ist damit das älteste Produkt und begründete maßgeblich den guten Ruf des Unternehmens. Schon bei der Ausstattung zeigt sich das Softtube-Credo „Klasse statt Masse“, klangliche Authentizität vor technischen Spielereien. So gibt es „nur“ drei Amp-Modelle im Vintage Amp-Room, was angesichts der Riesen-Fuhrparks, mit denen die meisten Mitbewerber locken und protzen, beinahe karg anmutet. Dabei weiß jeder Musiker, dass es beim Sound nicht auf Quantität, sondern in erster Linie auf Qualität ankommt und es gibt genügend Puristen, die tatsächlich mit nur einer Gitarre und einem Amp glücklich sind. Ganz so spartanisch gibt sich Vintage Amp Room dann doch nicht, immerhin will Softtube Gitarristen verschiedenster Stilrichtungen ansprechen.
Der sogenannte White-Amp ist ein virtueller Nachbau des Marshall JCM 800 2203. Abgesehen von der crémeweißen Bespannung von Topteil und Box ist der Verstärker grafisch ansprechend gerendert und nicht nur Fachleute erkennen den britischen Klassiker auf Anhieb. Der White Amp ist, genau wie das berühmte Vorbild, ein aufs Nötigste beschränkter Einkanaler: Es gibt keine Effekte, allenfalls der Master-Volume-Regler sorgt wie dereinst in den Siebziger-Jahren für einen tüchtige Schippe Vorstufen-Zerre. Originale JCM 800 sind derzeit wieder schwer angesagt. Vermutlich nicht zuletzt deswegen, weil zeitgenössische -Gitarrenhelden wie Zakk Wylde oder -Kerry King auf ihre JCM 800 schwören. Kennzeichnend für diesen Verstärker sind die fast schon schrillen Höhen, die aggressiven, durchsetzungsfähigen Mitten und das kräftige Basspfund. Letzteres ist auch ein Verdienst der 4x12er Box, wobei Softtube passend und historisch korrekt das 1960A-Modell nachgebaut hat.
Der zweite Amp im virtuellen Verstärkerbunde fehlt in praktisch keiner Amp-Simulation: Der Fender Twin Reverb, jahrzehntelang der amerikanische Verstärker schlechthin und bei Jazzern, Country-Pickern, Bluesern und Rockern gleichermaßen beliebt. Bei Softtube nennt sich dieser Verstärker Brown-Amp, es handelt sich dabei um den Software-Klon eines 1966er-Blackface Twin Reverb, ausgestattet mit zwei Oxford 12T6-Lautsprechern. Diese Lautsprecher hatten noch keine Staubschutzkalotten aus Aluminium wie die späteren Ausführungen. Vintage-Amp-Fanatiker sagen diesen Lautsprechern einen etwas runderen, weniger brillanten Klang nach. Wer einen Twin Reverb späterer Baujahre sein eigen nennt, weiß, dass dieser konsequent auf cleane Wiedergabe hin optimierte Verstärker auch richtig schneidend klingen kann und im Extremfall die Ohren zum Bluten bringt. Dafür hat er eine, im Vergleich zum Marshall vergleichsweise effektive Klangregelung. Der Namenszusatz „Reverb“ weist darauf hin, dass dieser Fender-Amp mit einem Federhall ausgestattet war und ist. Auf die Modellierung des Hall-Effektes des Twin haben Softtube verzichten müssen. Der Grund: Die Ursprungs-version des Vintage Amp Room gab es zunächst ausschließlich als TDM-Plug-in für die Pro Tools DSP-Plattform. Ein TDM-Prozessor kann aber nicht Verstärker und Hall gleichzeitig berechnen. Die Entwickler haben daher konsequent, also auch für die nachfolgenden nativen -Versionen, auf den Federhall verzichtet. Stattdessen gibt es jetzt das „Spring Reverb“-Plug-in. Auch wenn dieses zusätzlich zu erwerben ist, hat es den Vorteil, dass es nicht nur mit dem Brown-Amp, sondern auch mit allen anderen Softtube-Verstärker-Emulationen kombinierbar ist. Außerdem – das sei schon jetzt verraten – bietet der Sofftube-Federhall einige klangliche Schmankerln, die ihn allgemein, also über rein gitarristische Anwendungen hinaus, einsetzbar machen. Dafür ist im Falle des Brown-Amp der Tremolo-Effekt mit dabei. Historisch korrekt und technisch völlig falsch ist das Tremolo, wie beim Fender-Original als „Vibrato“ bezeichnet.
Über einen Tremolo-Effekt verfügt auch der dritte Verstärker des Vintage-Trios: Der mit „Green“ benannte Amp stellt den Nachbau eines Vox AC30 Top Boost aus den 1960er Jahren dar – mithin aus eben jenen Fertigungsjahrgängen des englischen Verstärker-Klassikers, für die Musiker und Sammler bereit sind, Unsummen zu zahlen. Von den Beatles, über Queen-Gitarrist Brian May bis hin zu Blues-Rocker Rory Gallagher sorgte der Brite mit der ihm eigenen Class-A-Schaltung für den markanten Ton. Beim schwedischen Software-Nachbau gelangt das Instrumenten-Signal zunächst in den „Vib-trem“-Eingang, virtuelle Kabelbrücken führen es gleichzeitig zum „Normal“- und zum „Brillant“-Kanal. Diese Verkabelung sah der Hersteller eigentlich nicht vor, sie entspricht aber bis heute der gängigen Gitarristen-Praxis. Aus gutem Grund: Zur klanglichen Abstimmung kann der Musiker alle drei Volumen-Regler und damit die Eigenheiten der Kanäle benutzen und erstaunliche Klangvarianten hervorbringen: Vom Klarklang à la Beatles, über eine erdige Blues-Zerre, bis hin zum Hardrock-Sound der Marke Queen oder frühen Deep Purple ist alles drin. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Vorbild fürs Lautsprecher-Modelling im Green-Amp nicht die Original-Speaker, sondern aktuelle Celestion Blue-Lautsprecher sind. Das sollte niemanden stören, denn der Celestion Blue gilt bei Musikern und Amp-Technikern als ausgezeichneter Lautsprecher, der schon etliche Original-Vöxe in neuem Klanggewand erstrahlen ließ.
Mit den drei Amps alleine ist es im Falle von Vintage Amp Room noch nicht getan. Da dieses Plug-in den Anspruch hat, eine authentische Studio-, genauer Mikrofonierungs-Situation zu simulieren, stehen die Drei in einem Aufnahmeraum, in dem der Klon des Shure-Klassikers SM57 auf einem verschiebbaren Stativ den Klang der Amps einfängt. Dabei haben die Softtube Entwickler mittels sogenannten, patentierten IIR-Filterings – das sind linearphasige Filter, welche die Impulsantworten von Raum, Boxen und Mikrofon nachmodellieren – den Aufnahmeraum der Soulmine Studios in Linköping nachgebaut. IIR dient auch dazu, das typische Klangverhalten der Lautsprecher einschließlich der typischen Gehäuseresonanzen und das des SM57 zu simulieren. Das Mikrofon lässt sich mit der Maus packen und nach Lust und Laune näher oder weiter weg zum jeweiligen Verstärker bringen. Bei virtueller Nahmikrofonierung gibt es die Optionen „On Axis“ und „Off Axis“ mit den entsprechenden klanglichen Auswirkungen: Im ersten Fall klingt es wie im richtigen Leben sehr direkt und höhenreich, im zweiten Fall dunkler und wärmer. Steht das Mikrofon weiter weg, ist der nachgebildete Raum zu hören, der in puncto Grundklang und Nachhallzeit hervorragend mit den Verstärkern harmoniert. Wie die Amps selbst klingen, beschreiben wir ausführlich im finalen Praxistest.
Damit bietet Vintage Amp Room schon mal jede Menge, für einen guten Grundsound. Allerdings gibt es keine Effekte in Form von Pedalen – auch „Bodentreter“ genannt – oder gar ein Studio-Rack mit Delay-, Hall- und Modulations-Effekten. Dementsprechend glänzen auch die üblichen Vorführ-Presets, die bei Digital-Verstärkern und Plug-ins meistens nur fürs Antesten, aber kaum fürs Aufnehmen taugen, durch Abwesenheit. Insoweit orientieren sich die Softtube-Entwickler am professionellen Aufnahme-Purismus, wo Effekte in der Regel dem Mix vorbehalten sind. Recht selbstsicher bezeichnen die Schweden aufwändige Signalketten und virtuelle Gitarren-Rigs (Kombination aus Effekten, Verstärkerstufen und Boxen) als technische Spielereien. Darüber lässt sich trefflich streiten, angesichts der teilweise hervorragend emulierten Gitarren-Effekte in Top-Produkten wie Amplitube, Guitar Rig oder Waves GTR. Andererseits bleibt es jedem Anwender unbenommen, die Softtube-Amps mit den Effekten anderer Hersteller zu kombinieren. Mittlerweile gibt es auch ein für registrierte Softtube-Benutzer kostenloses Zusatz-Tool, dass die Verstärker mit den Boxen- und Mikrofon-Simulationen anderer Plug-ins kombinierbar macht. Außerdem: Im Vorgriff auf den Praxisteil des Tests sei allen, die jetzt zweifelnd die Stirn runzeln, verraten, dass die Verstärker sehr authentisch sowohl auf Hardware- und Software-Effekte reagieren. Ganz gleich, ob es sich um einen Signalverstärker/Booster oder um einen Verzerrer handelt.
Auch die Verstärker des „Metal Amp Room“ erweisen sich als sehr Verzerrer-freundlich, unabhängig davon, ob es sich um einen Hardware-Verzerrer wie den MXR Zakk Wylde-Overdrive oder denJD 10 von Award Session handelt. Ansonsten beschränkt sich Metal Amp Room, dessen düster wirkendes Benutzer-interface ein wenig an Horror-Computer-Spiele der Marke „Resident Evil“ erinnert, auf nur zwei Verstärkermodelle. Genau genommen handelt es sich um einen einzigen Amp: Der JCM 800-Nachbau des Vintage Amp Room – diesmal allerdings ohne Master-Volume-Regler – ist für den Clean-Kanal zuständig. Für die High-Gain-Abteilung und damit für alle erdenklichen Heavy-Sounds von traditionellem Metal, über Trash bis hin zu modernen Nu Metal-Klängen, modellierten die Entwickler einen Engl Powerball. Mit der Maus schaltet der Metaller über einen Klick auf den „Lead“-Button um: Sobald die virtuelle LED in blutrot strahlt, sorgt die Powerball-Emulation für singende Solo-Klänge oder Brachial-Verzerrungen. Deaktiviert lässt sich der virtuelle JCM 800 für saubere Klänge bis zum amtlichen Hardrockbrett mit kräftig übersteuerter Endstufe nutzen. An Boxen stehen zwei 4x12er-Modelle zur Auswahl: Eine moderner klingende, da vor allem in den oberen Mitten sehr prägnante Engl E412V, bestückt mit Celestion Vintage 30-Lautsprechern, und eine etwas vollere, bassig-dunkler klingende Marshall 4 x 12er-Box neueren Jahrgangs.
Bei der Boxenwahl lautet die Devise „Entweder Oder“, beide Boxen sind nicht kombinierbar. Dafür bietet Metal Amp Room gleich zwei Mikrofone: Neben dem Shure SM57, ohne das nach Auffassung der Softtube-Entwickler anscheinend gar nichts geht, ist auch ein AKG C 414 mit dabei. Das ist sicherlich eine richtige Entscheidung, denn das AKG gehört in Hard & Heavy-Kreisen zu den beliebtesten Schallwandlern für die Boxen-Mikrofonierung. Beide Mikrofone lassen sich verschieben, allerdings besteht nur beim Shure-Klon die Möglichkeit einer „On- beziehungsweise „Off Axis“-Ausrichtung. Ein virtueller Preamp dient zum Überblenden der jeweiligen Signalanteile. In Verbindung mit den verschiedenen Abständen und den Positionen „On- und „Off-Axis“ ergeben sich schon viele Sound-Variationen, ein Drehregler erlaubt das Einstellen der Stereo-Basisbreite. Wer es noch drastischer will, aktiviert den Phasenumkehrschalter und kann furchterregend hohle Sounds erzeugen, ganz nach dem Geschmack der Düster-Metaller.
Abgerundet wird der Metal Amp Room durch ein sehr effektiv arbeitendes Noise Gate, das in Optik, Bedienung und Wirkung dem des Engl Powerball entspricht: Es ist stufenlos über einen virtuellen Drehregler einstellbar und bekämpft Nebengeräusche sehr gut, lässt aber Phrasen und Akkorde unangetastet.
Kommen wir jetzt zu den drei Spezial-Plug-ins „Acoustic Feedback“, „Tube Delay“ und „Spring Reverb“.
Acoustic Feedback simuliert Rückkopplungen, die entstehen, wenn die Luft, die der Lautsprecher der Gitarren-Box bewegt, auch nicht abgedämpfte Gitarrenseiten in Schwingung versetzt. Diese Feedbacks sind nicht zu verwechseln mit dem hässlichen Pfeifen mikrofonischer Tonabnehmer. Es geht bei diesem Plug-in um die Nachahmung kontrollierter Rückkopplungen, die seit den Tagen von Jimi Hendrix und Jeff Beck auch zum guten Gitarrenton gehören – zumindest bei einigen Gitarristen. Dieses Plug-in ist folglich eine Ergänzung zu den beiden Amp-Plug-ins, arbeitet aber am überzeugendsten mit dem Vintage Amp Room zusammen, idealerweise mit dem kräftig übersteuerten White Amp. Es ist zwar möglich, Acoustic Feedback nachträglich, also beim Re-Amping einzusetzen, am Besten funktioniert es aber beim Einspielen: Da sich das Plug-in – ganz wie im richtigen Gitarristen-Leben – bestimmte, vorzugsweise hohe Töne aussucht und diese mit harmonischen Teiltönen anreichert, kann der Musiker den Effekt beim Spielen bewusst steuern. Allerdings reagiert das simulierte Feedback nur auf sympathisch mitschwingende Saiten: Es ist nicht möglich, einen einzigen Ton zu verlängern, während die Spielhand die nicht gespielten Saiten abdämpft. Dennoch klingt der Effekt verblüffend naturnah und ist sicher eine gelungene Ergänzung zu den emulierten Verstärkern.
Das Tube Delay simuliert ein analoges Bandecho mit übersteuerbarem Röhren-Preamp. Wer ein tontechnisch reines, dafür auch steriles Digital-Delay erwartet, wird nicht fündig. Stattdessen klingt Tube Delay wunderbar analog und altmodisch. Die eigentliche Verzögerung ist mittels eines Drehreglers stufenlos im Bereich von einer Millisekunde bis zu einer Sekunde einstellbar. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, die Verzögerungszeit auf das Tempo der Host-Anwendung zu synchronisieren.
Sowohl das unbearbeitete Eingangssignal als auch das verzögerte Signal lassen sich mittels zweier separater Drive-Regler einfärben. In der Praxis heißt das: Der Anwender kann mehr oder weniger subtile, sehr röhrig klingende Verzerrungen hinzufügen – immer abhängig von der Einstellung der beiden Drive-Regler. Zusammen mit den eigentümlichen Echos, die sich wie bei einem analogen Bandecho-Gerät klanglich unterscheiden, -ergibt sich ein im besten Sinne alter Analog-Sound. Sogar dezente Gleichlaufschwankungen und sanfte Phasenverschiebungen fehlen nicht. Somit ist Tube Delay ein äußerst musikalischer Effekt, der auch mit Gewinn auf Gesangsspuren anwendbar ist. Ein Tipp noch für Gitarristen: Tube Delay macht sich gut als Vorverzerrer, beispielsweise vor dem White Amp. Die Sounds erinnern dann deutlich an Ritchie Blackmore, der ebenfalls ein Bandgerät als Verzerrer vor seinen Vintage-Marshalls ge- oder missbrauchte.
Die Entwicklungszeit von Spring Reverb betrug fast ein Jahr. Herausgekommen ist eine rundum überzeugende Emulation des guten alten Federhalls. Neben dem standardmäßigen Dry-/Wet-Regler, hat Softtube dieses Plug-in noch mit drei Zusatzreglern ausgestattet, die den -virtuellen Federhall klanglich ziemlich variabel machen. Mit „Spring“ wählt der Anwender zwischen, einer, zwei oder drei Hall-Federn aus: Um beispielsweise einen weicheren Send-Hall zu erzielen, empfiehlt es sich, drei Federn einzusetzen. Der Klang ist über den „Tension“-Regler, der die Spannung der Hall-Federn beeinflusst, zusätzlich formbar. Für einen Federhall à la Fender empfiehlt sich folgende Einstellung: „Springs“ steht auf „Two“, also zwei Federn, „Tension“ ist nach links verschoben. Das Ergebnis überzeugt in jeder Nuance und auch Fender-Fans mit hochfeinem Gehör können den virtuellen Federhall kaum von der Accutronics-Hallspirale in einem Fender Concert Amp unterscheiden. Für total abgefahrene Klänge hat das Plug-in noch einen dritten Regler, „Shake“ genannt. Wer den Klang scheppernder Hall-Spiralen gezielt einsetzen möchte, wird mit diesem Regler wunschlos glücklich: Von leichten „Spoings“ bis zum extremen, grässlichen Geschepper ist alles drin. Dieser Regler ist vollautomatisierbar, wodurch sich die Intensität des Effekts im Verlauf eines Tracks stufenlos verstärken und abschwächen lässt.
Kommen wir – endlich – zur Praxis. Wer die Vollversionen oder eines der zehn Tage lang voll lauffähigen Demos einsetzen möchte, benötigt stets einen USB-iLokKey (www.ilok.com) mit gültiger Lizenz. Wichtig: Für den problemlosen Betrieb sind die neuesten iLok-Treiber zwingend erforderlich. Sowohl die eigentlichen Plug-ins – einschließlich Demo-Versionen – als auch die Lizenzen sind direkt bei Softtube (www.softube.se) im Online-Shop erhältlich. Wer die Plug-ins auf Datenträger in einem schmucken Karton bevorzugt, wendet sich an den deutschen Vertrieb Audiowerk (www.audiowerk.biz). Dort gibt es übrigens auch preislich attraktive Bundel-Angebote.
Sobald die vergleichsweise geringen Installationshürden genommen sind, erfreuen die Plug-ins bereits das Musikanten-Herz: Sämtliche Plug-ins erweisen sich als wenig leistungshungrig bezüglich Prozessor-Leistung und Arbeitsspeicher. Auch mit einem älteren Notebook mit 2 Gigahertz Pentium 4-Prozessor und 512 Megabyte Arbeitsspeicher ist die schwedische Software absolut Echtzeit-tauglich und ermöglicht ein direktes, stressfreies Einspielen. Lediglich die -Audio-Hardware beziehungsweise die Interface-Treiber können im Einzelfall noch als Bremsklotz wirken.
Die Arbeit mit den Softtube-Verstärker-Simulationen ist im Allgemeinen sehr angenehm, denn dank der sogenannten „Supernormalize“-Funktion, stimmt der Pegel, ohne dass es langwierigen Nachregelns bedürfte, immer. Vor allem digitales Clipping ist praktisch ausgeschlossen. Letzteres hat nach unseren Erfahrungen kein anderes Gitarren-Verstärker-Plug-in zu bieten.
Begleitend zu diesem Test haben wir mit allen Softube-Plug-ins Soundfiles erstellt. Damit Sie Vintage Amp Room und Metal Amp Room mit den Klangbeispielen des Vergleichstests „Virtuelle Gitarrenverstärker“ in Ausgabe 10/2008 besser vergleichen können, haben wir die drei Beispiele „Clean“, „Blues“ und „Metal“ mit den Softtube-Plug-ins im Wege des virtuellen Re-ampings bearbeitet. Zusätzlich gibt es noch ein ganz neues Klangbeispiel: Dabei handelt es sich um ein -kurzes, angejazztes Gitarren-Duo, eingespielt mit einer Squier Bullet Strat und einer Les Paul Studio unter Sonar 7. Auch hier handelt es sich um reine DI-Signale, die via Emulations-Plug-ins klanglich nachbearbeitet sind. Für ein besseres Spielgefühl beim Aufnehmen dient – wie übrigens schon bei den ersten Soundfiles – der digitale Übungsverstärker Roland Cube 30x als Monitor-Amp. Diesmal aber in der festen Einstellung „Black Panel“ (Twin Reverb-Emulation), da bei diesem Klangbeispiel ein nur leicht angezerrter Klarklang verlangt ist. Für das Duo finden Sie noch Vergleichs-Files, jeweils mit Amplitube Jimi Hendrix, Guitar Rig 3 und Revalver MKII SE, das Teil von Sonar 7 ist, angefertigt. Die Klangbeispiele finden Sie in der Rubrik „Soundbank“ Für den kostenlosen Download aller Soundfiles müssen Sie lediglich den Freischalt-Code eingeben, den Sie auf Seite 57 der Printausgabe finden.
Klanglich gehören die Softtube-Plug-ins fraglos zur Spitzenklasse: Für die erste Annäherung an den Klang aller Plug-ins empfehlen sich die Werks-Presets, die aufs erste Hören eine beeindruckende klangliche Visitenkarte abgeben. Schon der erste Klangeindruck des Brown-Amp im Vintage Amp Room sorgt für ein Aufhorchen. Diese Twin Reverb-Emulation ist nämlich so authentisch und wirklichkeitsnah, dass sogar die kleinen, schaltungstechnisch bedingten Unzulänglichkeiten des Originals, wie beispielsweise ein eigentümliches Höhenbrizzeln, zu hören sind. Gleichzeitig besitzt der Klang eine Fülle und Wärme, die klar macht, warum der Fender-Klassiker nach wie vor zu den beliebtesten Gitarren-Verstärkern gehört.
Demgegenüber klingt beispielsweise die Twin Reverb-Nachbildung in Guitar Rig 3 deutlich steriler und sauberer, während der Fender-Nachbau in Amplitube Jimi Hendrix wiederum sehr viel höhenlastiger und brillanter tönt. Mit Soundfile 1 hören Sie den Brown-Amp in Nahmikrofonierung und „On Axis“-Ausrichtung des SM57. Soundfile 2 demonstriert dagegen die „Off Axis“-Ausrichtung des Mikrofons. Auf Soundfile 3 erklingt zusätzlich „Spring Reverb“. Vergleichen Sie selbst zwischen dem Federhall in Amplitube Jimi Hendrix und Guitar Rig 3 (Soundfiles 4 und 5): Obwohl diese beiden Federhall-Emulationen bestimmt zur Oberklasse gehören, klingt das eigentümliche Vibrieren der beiden Federn bei Softtube noch ein Quäntchen griffiger. Auch der Tremolo-Effekt des Brown-Amp kann sich hören lassen, denn er wirkt so lebendig und echt, dass Rock ´n´ Roller unbedingt wenigstens die Demo-Version von Vintage Amp Room antesten sollten. Einen ersten Eindruck liefert Soundfile 6.
Auch der Nachbau des Vox AC 30 ist gelungen, denn er klingt im Vergleich zum Fender-Nachbau vor allem angezerrt sehr viel gepresster – „Boxy“ nennen das Gitarristen (Soundfile 7). Mit der Soundfile 8 erklingt das Duo-Stück zum sechsten und letzten Mal: Diese Soundfile ist ein Bonus-Klangbeispiel speziell für Sonar 7-Benutzer und dient weniger dem direkten Vergleich mit Softtube: Entstanden mit der Revalver SE-Ausgabe in Sonar 7 und einem selbst geschriebenen Preset, das die umfangreichen Einstellmöglichkeiten dieses Plug-ins ausnutzt, hören Sie eine eigene, ebenfalls sehr röhrige Variante auf Basis eines emulierten Marshall Bluesbreaker Combos.
Wieder zurück in den Vintage Amp Room: Grandios ist der White-Amp. Nicht, dass der virtuelle JCM 800 schön klänge. Stattdessen besitzt diese Simulation jene bissigen, fast penetranten Höhen, die den Marshall-Veteranen auszeichnen. Etwas zahmer klingt der White Amp mit weit aufgedrehtem Master-Volume-/Pre-Gain-Regler, was den Gesamtklang mittiger, aber auch langweiliger macht. Das echte Marshall-Feeling kommt auch in der virtuellen Softtube-Welt erst auf, wenn die Endstufe heftig kocht: Hören Sie sich Soundfile 9 an und Sie wissen, weshalb Old-School-Rocker keine Vorstufenzerre schätzen. Denn nur eine übersteuerte Endstufe gewährleistet die Durchhörbarkeit von komplexeren, vierstimmigen Voicings/Akkorden. Für Power-Blues im Stile von Hendrix oder das Hardrockbrett à la AC/DC ist der White-Amp ideal.
Erschienen in Ausgabe 01/2009
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 86 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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