Kreativwerkzeug

Mit dem Polarflex-Plug-in hat Schoeps ein einzigartiges Werkzeug für den kreativen Tonmeister geschaffen, denn Polarflex ermöglicht das Kreieren eines besonderen Mikrofonklangs.

Von Harald Wittig

Gerade der kreative Einsatz von Mikrofonen gehört zu den grundlegenden Fertigkeiten des Tonmeisters. Neben der Positionierung der Mikrofone, die bekanntlich einen enormen Einfluss auf das Ergebnis einer Aufnahme hat und neben einem soliden Grundwissen viel Erfahrung in der Aufnahmepraxis verlangt, ist die gezielte Auswahl der Mikrofone nach klanglichen Kriterien Teil des künstlerischen Schaffensprozesses des Toningenieurs. Die Mikrofone sind dann nicht einfach Werkzeuge, sondern Musikinstrumente des Toningenieurs, die er nach persönlichem Geschmack und Klangvorstellung auswählt. Nicht zuletzt deswegen gibt es so viele unterschiedliche Mikrofone, die gar nicht unbedingt dem theoretischen Ideal des möglichst signaltreuen Schallwandlers entsprechen müssen. Die Stammleser von Professional audio wissen sehr gut, dass auch wir eingeschworene Fans bestimmter Mikrofone sind, die gerade wegen ihres eigenen Timbres auffallen. Als repräsentatives Beispiel sei das Röhrenmikrofon AKG C 12 VR genannt (siehe Test in Ausgabe 12/2008).
Seit kurzem gibt es von Schoeps, bestens bekannt für seine außergewöhnlichen Hochleitungs-Kleinmembranmikrofone, das Polarflex Plug-in.

Es basiert auf der Schoeps Polarflex-Technik, die bereits 1998 vorgestellt worden war. Das Polarflex Plug-in ermöglicht es dem Tonschaffenden, während oder nach der Aufnahme in der DAW ganz neue Mikrofonklänge zu erzeugen. Dazu muss der Anwender lediglich zwei Mikrofone, genauer gesagt einen Druckempfänger mit Kugelcharakteristik und einen reinen Druckgradienten mit Achtercharakteristik kombinieren, die Signale auf getrennten Spuren aufnehmen und mittels des Polarflex Plug-ins bearbeiten. Das ist – soviel sei schon vorweggenommen – tatsächlich so einfach, wie es sich liest. Seinerzeit, also vor 14 Jahren und damit vor dem Siegeszug der digitalen Audio Workstations, war dieses Verfahren wegen der Notwendigkeit des aufwändigen digitalen Stand-alone-Mikrofon-Prozessors DSP 4P recht teuer, was den Erfolg dieser grundsätzlich genialen Erfindung seinerzeit behinderte. Mit dem Polarflex Plug-in stellt sich die Kostenfrage nicht mehr: Das Plug-in bietet Schoeps zum kostenlosen Download unter www.schoeps.de/polarflex an. Das Polarflex Plug-in mischt die Signale der beiden Mikrofon-Kapseln Kugel und Acht in drei verschiedenen Frequenzbändern so miteinander, dass der Pegel und die Frequenzantwort für den Diffusschall und somit die Richtwirkung des Mikrofons verändert wird. Technisch gesehen kann der Anwender das sogenannte Bündelungsmaß einstellen und variieren, Polarflex verändert also den Diffusfeld-Frequenzgang, ohne dabei den Freifeldfrequenzgang zu beeinflussen. Die daraus resultierenden, sehr flexibel generierbaren Polardiagramme – insofern ist „Polarflex“ ein wirklich genialer und treffender Name – sorgen im Ergebnis für einen neuen Klang. Wem diese sehr vereinfachte Darstellung nicht genügt: Im Kasten auf Seite 69 haben wir die technischen Grundlagen, auf denen Polarflex basiert, näher erläutert. Für die Praxis ist dieses Wissen nicht vonnöten, denn das Plug-in lässt sich sehr gewinnbringend auch ohne tiefer gehendes Wissen einsetzen. Grundsätzlich bedarf es keiner Schoeps-Mikrofone, um mit dem Plug-in zu arbeiten. Allerdings ist die Software durchaus auf die Mikrofone der Karlsruher zugeschnitten: Das ist erkennbar am Plug-in-Fenster wo der Anwender für den Kanal der Kugel-Kapsel zwischen den verschiedenen Schoeps-Varianten, beispielsweise 2, 2H oder 2S wählen kann. Schoeps bietet auch das Polarflex-Mikrofon A2P an. Dabei handelt es sich um eine spezielle Halterung und zwei Miniaturmikrofone der eigenen CCM-Serie, das CCM 2S und das CCM 8. Die spezielle Halterung, die zum Zeitpunkt dieses Tests noch den letzten Feinschliff bekommen hat und deswegen nicht Gegenstand dieses Artikels ist, erleichtert die Justierung der beiden Kapseln zueinander und die Ausrichtung zur Schallquelle. Wichtig ist in jedem Fall, dass die beiden Kapseln unmittelbar übereinander, also so nah wie möglich zueinander positioniert sind. So ist gewährleistet, dass der Schall bei beiden Mikrofonen gleichzeitig eintrifft. Die Mikrofone sind also koinzident – analog zu den bekannten Koinzidenz-Stereoverfahren wie XY, MS und Blumlein. Mit dem wichtigen Unterschied, dass es beim Grund-Setup nicht um ein Stereo-Aufnahmeverfahren geht. Die Stereo-Möglichkeit bietet das Plug-in aber auch. Dazu bedarf es dann, entsprechend dem Mono-Verfahren, vier Mikrofone, also jeweils zwei koinzidente Mikrofon-Arrangements.
Wer bereits Schoeps-Mikrofone des Colette-Systems besitzt, kann ein Polarflex-Arrangement auf einfachste Weise auch mit Colette-Zubehör bewerkstelligen. Dazu bedarf es neben den Kapseln MK 2 (H/S) und MK und den passend Mikrofon-Verstärkern lediglich des Gelenkstücks GVC und der Doppel-Halterung SG 22 (siehe Aufmacher-Foto). Die Ausrichtung der Kapseln zur Schallquelle illustriert das Foto auf Seite 68. Wir haben uns bewusst für Schoeps-Kapseln beziehungsweise Mikrofone entschieden: Zum Einen ist dank des konkurrenzlosen Colette-Systems der Badener das Polarflex-Arrangement ohne mehr oder weniger stabile improvisierte Lösungen möglich. Zum Anderen aber wegen der herausragenden Qualität der MK 2- und der MK 8-Kapseln. Die MK 2 ist – das haben unsere Tests in der Vergangenheit immer wieder gezeigt – eine der besten Druckempfänger-Kapseln überhaupt. Die Achter-Kapsel MK 8 beziehungsweise das Kompaktmikrofon CCM 8, das denselben Schallwandler verwendet, ist nicht umsonst die Standard-Kapsel im Filmtonbereich und zählt – Kenner und Praktiker wissen das – zur sehr kleinen Gruppe der absoluten Weltspitze. Kommen wir wieder zum Plug-in. Es läuft sowohl auf dem PC ab Windows XP SP2 und dem Mac ab OS X 10.5. Unterstützt werden die gängigen Schnittstellen, also VST/VST3, Audio Units und RTAS. Die Installation ist ein Kinderspiel und eine Sache von wenigen Minuten. Eine sehr knappe, aber völlig ausreichende Anleitung ist dabei. Allerdings ist diese wie auch die Benutzeroberfläche des Polarflex Plug-ins englischsprachig, was angesichts der tatsächlich intuitiven Bedienbarkeit allenfalls ein Problemchen darstellen könnte. Damit sich ein solches gar nicht erst einstellt, sei die praktische Arbeit mit dem Polarflex Plug-in im Folgenden kurz beschrieben:

1. Zunächst richten Sie zwei Spuren in dem Sequenzer-Programm Ihrer Wahl ein – eine für das Signal der Kugel, eine für die Acht und machen wie gewohnt Ihre Aufnahme.

2. Sobald Ihre Aufnahme im Kasten ist, entfernen Sie den Ausgang im Achter-Kanal.

3. Laden Sie das Plug-in in die Spur des Kugel-Kanals

4. Rufen Sie das Polarflex Plug-in auf.

Rechts oben in der Menüleiste des Benutzerinterfaces sehen Sie ein kleines Aufklapp-Menü wo Sie den Sidechain-Eingang festlegen. Wählen Sie die Spur mit der Achter-Aufnahme.
Das genügt im Falle von Cubase/Nuendo, Samplitude/Sequoia und Pro Tools. Arbeiten Sie mit Apple Logic 8 oder 9, benötigen Sie noch ein kleines Zusatz-Tool, das sogenannte „Latency Compensation“ Plug-in. Dieses gehört zu Polarflex und wird automatisch mitinstalliert. Logic-User benötigen es, da dieses DAW-Programm keinen Latenzausgleich für Sidechain-Eingänge unterstützt. Das Latency Compensation Plug-in ist in den Achter-Kanal zu laden.
Im Benutzerinterface des Plug-ins wählen sie die jeweiligen Schoeps-Kapseln in den beiden Kanalzügen. Es stehen die verschiedenen Druckempfänger-Kapseln von Schoeps im Kugel-Kanal zur Verfügung. Für den Achter-Kanal können Sie alternativ zur Acht auch eine Niere auswählen, falls Sie, was Polarflex auch unterstützt, gerne mit Straus-Paketen arbeiten. Weitaus flexibler sind Sie allerdings mit der Kombination Kugel/Acht, da sich alle anderen Richtcharakteristiken entsprechend der Gewichtung von Druck- und Druckgradienten-Anteil ergeben. Falls notwendig, gleichen Sie über die Gainregler für jeden Kanal die Pegel an, ansonsten können sie jetzt loslegen – ihre Ohren dürfen Augen machen. Das Mischungsverhältnis zwischen der Kugel und der Acht veranschaulicht die dicke graue Linie im Benutzerinterface. Mit den dazugehörigen drei kleinen Quadraten, die jeweils den tiefen, den mittleren und den hohen Frequenzen/Frequenzbereichen zugeordnet sind, können Sie die Gewichtung über den gesamten Frequenzbereich frei bestimmen. Die daraus resultierenden Richtdiagramme für 100 und 1000 Hertz sowie zehn Kilohertz zeigt das Plug-in direkt an. Wenn Sie die graue Linie ganz nach oben ziehen, hören Sie nur den Druckempfänger. Steht die Linie genau in der Mitte auf der 0dBl-Achse erhalten Sie als Summe von Kugel und Acht eine Niere.
Soviel zur grundlegenden Arbeitsweise und Bedienung des Polarflex Plug-ins. Als erste Annäherung, um das Klangpotential dieses Software-Tools kennenzulernen, empfiehlt es sich einmal diese Einstellung auszuprobieren: Wählen Sie für die tiefen Frequenzen eine breite Niere, indem sie das Kästchen ganz links in der GUI nach oben ziehen, achten Sie dabei auf das korrespondierende Polardiagramm. Stellen Sie für den Mittenbereich eine Nieren-Charakteristik ein – die graue Linie muss hierfür, wie bereits erwähnt, mittig, auf der Null-Grad-Achse positioniert sein. Für die Höhen ziehen sie das Kästchen nach unten, zur Acht hin. Soweit, bis Sie das Richtdiagramm einer Hyperniere sehen. Hören Sie sich das Ergebnis an und Sie werden sofort erkennen, dass Sie den typischen Klang eines Großmembran-Mikrofons geschaffen haben. Da das Plug-in ungemein flexibel – Nomen est Omen – verwendbar ist, können Sie allein nach Gehör dieser Großmembran-Simulation den letzten klanglichen Feinschliff geben, indem Sie die graue Linie nach Lust und Laune verbiegen. Im Rahmen des Praxistests erstellen wir eine kurze Gitarrenaufnahme unter Logic 9. Hardwareseitig kommen, neben Spieler und Instrument, die bereits erwähnten Schoeps-Mikrofone MK 2/CMC 6 und MK 8/CMC 6 aus der Colette-Serie nebst Spezialzubehör zum Einsatz, der Referenz-vorverstärker Lake People Mic-Amp F355 darf selbstverständlich nicht fehlen, die Digitalisierung übernimmt wie in fast allen Tests der letzten Zeit der sehr gute und zuverlässige Wandler Mytek 8×192 ADDA.                                
Die Arbeit mit dem Polarflex Plug-in ist ungelogen das reine Vergnügen: Zumindest auf dem Testrechner, einem MacBook Pro mit 2,53 GHz Dual Core-Prozessor und vier Megabyte RAM erweist sich das Softwaretool als uneingeschränkt echtzeitfähig. Soll heißen: Jegliche Einstellung ist sofort hörbar, das Ohr ist damit klangentscheidende Instanz – so muss das sein. Die Möglichkeiten, die das Plug-in bietet, sind fantastisch: So können wir, um eine optimale Tiefenwiedergabe zu erzielen, im Bassbereich allein die Kugel sprechen lassen, Mitten und Höhen aber an eine Niere annähern.
Es ist ohne Weiteres möglich, den Klang von bestimmten Großmembran-Mikrofontypen mit dem Polarflex Plug-in nachzubauen. Gegebenenfalls lässt sich für den letzten Feinschliff noch ein Equalizer, eventuell auch  durch reale oder virtuelle Röhrengeräte einsetzen. Die eigentliche Simulation des Großmembranmikrofon-Klangs kann indes kein Equalizer der Welt erbringen, da dieser auf der Frequenzabhängigkeit des Richtdiagramms beziehungsweise des Bündelungsmaßes beruht und es sich somit um ein Phänomen handelt, das im Schallfeld entsteht. Das macht dieses Plug-in und die Polarflex-Technik praktisch konkurrenzlos. Wir sind jedenfalls begeistert. Damit Sie selbst nachhören können, was die Polarflex-Technik an klanggestalterischen Möglichkeiten zu bieten hat, finden Sie mehrere Klangbeispiele, darunter als besonderes Schmankerl auch eine Simulation des Klanges eines AKG C12 VR. Zur Abrundung haben wir der mit dem Polarflex Plug-in bearbeiteten Aufnahme mittels des Logic Overdrive-Plug-ins ein Quäntchen virtuelle Röhrenverzerrungen hinzugefügt, auf weitere Effekte haben wir ansonsten bewusst verzichtet.

Die mikrofontechnischen Grundlagen der Polarflex-Technik

Die Polarflex-Technik gestattet im Verbund mit zwei koinzidenten Mikrofonen das Erzeugen neuer Richtcharakteristika und völlig neuer Klangergebnisse bereits während der Aufnahme oder alternativ bei der Nachbearbeitung, im Falle des Polarflex Plug-ins im Sequenzer-Programm. Dabei beruht diese Technik auf dem Wissen, dass die entscheidenden Klang-Parameter eines Mikrofons der Frequenzgang,  präziser, wie wir gleich sehen werden, die Frequenzgänge und das mehr oder weniger frequenzgangabhängige Polardiagramm, auch Richtdiagramm genannt, sind.
Denken wir an den Frequenzgang eines individuellen Mikrofons, haben wir in der Regel den sogenannten Freifeld-Frequenzgang vor Augen. Dieser ist auch üblicherweise in den Datenblättern der Mikrofone abgedruckt. Der Mikrofon-Hersteller ermittelt den Freifeldfrequenzgang entsprechend DIN EN 60268-4, indem er das Mikrofon in einem reflexionsarmen Raum so positioniert, dass der Schallwandler aus Null-Grad-Einsprechrichtung, der sogenannten Hauptachse beschallt wird. Idealerweise ist der so ermittelte Frequenzgang konstant, die Messkurve weist möglichst keine oder sehr geringe Unebenheiten/Welligkeiten auf. Soweit so gut: Wir haben es mit einem Mikrofon zu tun, dass das akustische Signal kaum verändert oder gar verfärbt. Allerdings gilt das zunächst nur für ausschließlich frontal einfallenden Schall, was in der Praxis nur bei der Mikrofonierung im Nahbereich der Fall ist. Jedes Mikrofon nimmt aber den Schall dreidimensional auf, sodass neben dem Direktschall in der Aufnahmepraxis auch die Erstreflektionen aus anderen Schalleinfallswinkeln das Mikrofon erreichen.
Je weiter das Mikrofon von der Schallquelle entfernt positioniert ist, nimmt es mehr und mehr Diffusschall auf. Inwieweit sich dies klanglich auswirkt, hängt vom Verhältnis von Direkt- und Diffusschall ab. In unmittelbarer Nähe der Schallquelle überwiegt der Direktschall, das Mikrofon überträgt alle Frequenzen entsprechend seinem Freifeld-Frequenzgang, sofern kein Nahheitseffekt gegeben ist. Handelt es sich um einen perfekt konstruierten, also auf höchste Signaltreue optimierten Druckempfänger, verfälscht das Mikrofon das akustische Signal, also den Klang von Instrument und Musiker nicht. Mit zunehmendem Abstand nimmt der Direktschallpegel ab, das Mischungsverhältnis verändert sich zunehmend zugunsten des Diffusschalls. Wird das Mikrofon zugunsten einer ausgewogenen Mischung von Direktschall und Raumanteilen am sogenannten Hallradius (siehe hierzu näher „Raumakustik“ in Ausgabe 4/2011) positioniert, ist der Schalldruck von Direkt- und Diffusschall gleich groß. In diesem Fall kann der Klang des Mikrofons nicht mehr allein von seinem Freifeld-Frequenzgang abhängen. Deswegen kommt es jetzt auf den sogenannten Diffusfeld-Frequenzgang an. Dabei handelt es sich um den Frequenzgang der Summe der aus allen Raumrichtungen auf das Mikrofon auftreffenden Schallanteile. Beim idealen Mikrofon ist der Frequenzgangverlauf im freien und im diffusen Feld gleich. Das ist jetzt gerade beim Druckempfänger prinzip- und konstruktionsbedingt nicht der Fall, wobei Einzelheiten hierzu den Rahmen sprengen würden. So weicht der Diffusfeldfrequenzgang vom Freifeldfrequenzgang ab: Er weist einen mehr oder weniger starken Höhenabfall auf. Deshalb gibt es sowohl freifeldentzerrte  als auch diffusfeldentzerrte Druckempfänger, einschließlich – sehr gutes Beispiel sind die Schoeps-Kapseln MK 2H und MK 2S – Zwischenstufen: So ist die Schoeps-Kapsel MK 2S für eine Positionierung am Hallradius abgestimmt.     
Die Ermittlung des Frequenzgangs im Diffusfeld ist, bezogen auf die Messroutine, im Gegensatz zur Ermittlung des Freifeld-Frequenzgangs vergleichsweise aufwändig. Er lässt sich jedoch auch aus dem Richtdiagramm, besser bekannt als Polardiagramm, eines Mikrofons ermitteln. Das Polardiagramm zeigt die Frequenzabhängigkeit der Richtcharakteristik: Bei Betrachtung des Polardiagramms eines Mikrofons mit Kugelcharakteristik ist auffällig, dass sich die Richtwirkung zu den hohen Frequenzen bei seitlich, also nicht axial eintreffendem Schall an eine Niere annähert. Das Ideal ist demgegenüber ein Mikrofon mit möglichst frequenzunabhängigem Polardiagramm. Praktisch lässt sich das am Besten mit einer breiten Niere in Kleinmembranbauweise realisieren (siehe näher Jörg Wuttke, „Was ist ein gutes Mikrofon“, 2004, Nr. 19 der Sammlung „Mikrofonaufsätze“, www.ingwu.de/index.php. Veröffentlicht ein Hersteller Polardiagramme für verschiedene Frequenzen wie es bei Schoeps, aber auch anderen Herstellern üblich ist, lässt sich daraus der Frequenzgang für verschiedene Schalleinfallsrichtungen ermitteln (Wuttke, aaO). Großmembranmikrofone weisen bauartbedingt – Stichworte sind Membran- und Gehäusegröße sowie Form und Machart des Schutzkorbes – gegenüber Kleinmembranmikrofonen eine starke Frequenzabhängigkeit  der Richtcharakteristik auf (näher hierzu: C. Langen: „Mikrofon mit frequenzabhängig einstellbarem Bündelungsmaß“, in Bericht zur 20. Tonmeistertagung).      
Um die Richtwirkung eines Mikrofons mit einem einzigen Zahlenwert ausdrücken zu können, wird das sogenannte Bündelungsmaß verwendet. Bei Betrachtung aller Frequenzen im Übertragungsbereich lässt sich der Frequenzgang des Bündelungsmaßes aus der Differenz des Freifeld- und des Diffusfeld-Frequenzgangs berechnen. Zusammen mit den bisherigen Ausführungen zu Frequenzgängen ergibt sich jetzt, dass ein ideales Mikrofon ein frequenzunabhängiges Bündelungsmaß haben muss: Nur so wäre das Verhalten im diffusen Schallfeld über den gesamten Übertragungsbereich gleich. Ist das Bündelungsmaß hingegen frequenzabhängig, ändert sich das Verhalten im diffusen Schallfeld und es kommt zu mehr oder weniger starken Klangfärbungen. Jeder Praktiker weiß, dass sich Mikrofone, auch wenn diese einen praktisch deckungsgleich Frequenzgangverlauf im Freifeld haben, klanglich hörbar unterscheiden können. Den Grund hierfür kennen wir jetzt: Die Frequenzabhängigkeit des Richt-/Polardiagramms und das frequenzabhängige Bündelungsmaß. In der tonmeisterlichen Praxis werden Mikrofone aber häufig gerade auch deshalb, genutzt, um bestimmte Klangvorstellungen zu realisieren. Nicht umsonst werden die Schallwandler mitunter auch als „Musikinstrumente des Tonschaffenden“ bezeichnet.  Eine nachträgliche Klangbeeinflussung mittels Equalizer ist nämlich nicht möglich, da der Klangsteller keinen Einfluss auf die Frequenzabhängigkeit des Richtdiagramms beziehungsweise des Bündelungsmaßes hat, da es sich um ein Phänomen handelt, das – wie wir jetzt wissen – im Schallfeld entsteht.
Die Polarflex-Technik setzt genau hier an, denn sie dient im Kern dazu, das Polardiagramm frequenzabhängig einstellbar zu machen, um einerseits verschiedene Richtcharakteristiken zur Anpassung an die vorgefundene Aufnahmesituation sogar noch in der Nachbearbeitung einstellen zu können, gleichzeitig aber auch als Werkzeug zur flexiblen Feineinstellung des Klanges.

Fazit

Mit dem neuen Schoeps Polarflex Plug-in wird die Polarflex-Technik höchstwahrscheinlich zahlreiche Anhänger finden. Die Möglichkeiten der kreativen Klangformung, die Polarflex bietet, sind konkurrenzlos und mit keinem Equalizer der Welt zu erzielen. Dabei ist das Plug-in kinderleicht zu handhaben und auch noch kostenlos, sodass gegebenenfalls lediglich in die notwendigen Mikrofone zu investieren ist.

Erschienen in Ausgabe 01/2012

Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: kostenlos
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut