Einzigartig
Sogenannte Twin-Mikrofone sind heutzutage keine Sensation mehr. Das Josephson C700A fällt allerdings gänzlich aus dem Rahmen, denn es stellt eine eigenständige und einzigartige Variante dieses Konstruktions-Prinzips dar.
Von Harald Wittig
Der amerikanische Mikrofonentwickler David Josephson gehört mit seiner Manufaktur Josephson Engineering in seiner Heimat zu den Kult-Mikrofonherstellern. Von Josephsons Kompetenz konnte sich Professional audio im Rahmen des Tests des Kleinmembran-Kondensatormikrofons C617 in Ausgabe 2/2010 überzeugen: Dieses Mikrofon erspielte sich ganz lässig das Prädikat „Spitzenklasse sehr gut“.
Unser heutiger Testkandidat nennt sich C700A und ist in puncto Konstruktion nach unserem Kenntnisstand tatsächlich einzigartig: Denn bei diesem Schallwandler hat David Josephson eine Kleinmembran-Druckempfängerkapsel mit einer Druckgradienten-Kapsel kombiniert, wobei die Kapselsignale nach Art der langsam immer populärer werdenden Twin-Mikrofone – beispielsweise Sennheisers MKH 800 Twin (Test in Ausgabe 7/2008) – separat aus dem Mikrofon herausgeführt werden. Ein direkter Vergleich mit dem Sennheiser verbietet sich allerdings, da Sennheiser bei seinem Top-Modell zwei Druckgradienten mit Nierencharakteristik verwendet. Preislich muss sich der C700A-Interessierte schon mal auf Spitzenniveau einstellen, denn ein Verkaufspreis von rund 4.500 Euro ist kein Pappenstiel.
Das C700A hat also zwei separate Kapseln, die beide Kapseln aus eigener Fertigung stammen. Die Großmembrankapsel weckt spontan das Interesse des Mikrofonfans, denn David Josephson orientierte sich beim Design der Kapsel an einer der berühmtesten, fast schon sagenumwobenen Mikrofonkapsel überhaupt: Der CK12 von AKG, die als Herzstück des Röhrenmikrofons C12 einen Meilenstein im Mikrofonbau darstellt und Klanggeschichte geschrieben hat. Josephson hat sich nach eigener Aussage die Stärken und Schwächen aller CK12-Varianten – gemeinhin werden zwei Hauptvarianten und fünf Untervarianten gezählt – angeschaut und auch angehört, um mit „kleinen Verfeinerungen eine höhere und immer gleichbleibende Qualität“ zu erreichen. Diese Aussage nehmen wir einfach mal hin, erlauben uns aber den Hinweis, dass AKG sehr genau weiß, wie Mikrofone- beziehungsweise Mikrofonkapseln zu bauen sind. Gerade die zurückliegenden Tests der Flaggschiffe der Österreicher, namentlich die verschiedenen C414-Varianten oder das charaktervolle Traummikrofon C12 VR, haben sich stets als hochwertiger Schallwandler ohne Fehl und Tadel behauptet.
Für C700A-Großmembran finden jedenfalls ähnliche – wohlgemerkt nicht die gleichen – Bauteile wie AKG bei den jüngeren CK12-Kapseln, beispielsweise eine sechs Mikron dünne Polyester-Membran oder Isolierungsringe aus Acryl. Wobei Josephson betont, dass bei Kapseldesign und –bau vor allem die Erfahrung zählt. Ob sich das C700A wegen der beabsichtigten Nähe zur CK12 klanglich gewissermaßen retro orientiert – was auch immer damit zu verbinden ist –, sei an dieser Stelle weder vertieft, noch Maßgabe für den finalen Praxis- und Hörtest. Denn das Josephson soll, wie übrigens jedes Mikrofon, seinen Klang dem unbefangenen Ohr präsentieren.
Die über der Großmembran-Kapsel angeordnete Kleinmembran-Kapsel ist, wie schon mehrfach erwähnt, ein Druckempfänger. Ein Druckempfänger ist grundsätzlich vergleichweise einfach herzustellen – ganz anders als Druckgradienten, namentlich der sogenannte offen Druckgradient mit Achter-Charakteristik – und bietet allerbeste Voraussetzungen für höchste Signaltreue. Die Kleinmembran garantiert ein sehr gutes Impulsverhalten, an die überlegene Tiefenwiedergabe eines Druckempfängers kommt kein Druckgradient heran. Das heißt aber nicht zwingend, dass ein Druckempfänger besonders linear sein muss. Es ist eher so, dass ein ultralineares, sprich neutrales Mikrofon – beispielsweise Messmikrofone – nur nach diesem Konstruktionsprinzip herzustellen ist. Es gibt aber auch Druckempfänger, die ganz bewusst auf einen bestimmten Eigenklang hin entwickelt sind, wie beispielsweise das MC 910 von Beyerdynamic (Test in Ausgabe 5/2009) mit seiner ganz bewussten Höhenanhebung, die für einen präsent-frischen Klang sorgt. Auch im Falle der Kleinmembran-Kapsel werden wir folglich im Praxistest die Ohren aufsperren und herausfinden, wie David Josephsons Druckempfänger-Kapsel klingt.
Das C700A ist vom Grundprinzip ein Twin-Mikrofon und bietet damit einen ganz besondern Komfort für Toningenieur: Die Entscheidung für eine bestimmte Richtcharakteristik muss nicht wie üblich vor der Aufnahme erfolgen, sondern lässt sich nach der Session in Ruhe bei der Mischung festlegen. Wie geht das? Die Signale beider Kapseln werden getrennt aus dem Mikrofon herausgeführt und auf zwei Eingangskanäle des Vorverstärkers geleitet und auf separate Spuren aufgezeichnet. Allein durch Veränderung der Pegel sind verschiedene Richtcharakteristiken erzielbar, wobei die Varianten noch umfangreicher sind als bei (Röhren-)Mikrofonen mit stufenlos verstellbarem Drehregler am Netzteil. Es liegt auf der Hand, dass es eines speziellen Y-Kabels bedarf, das die Kapselsignale auf die jeweiligen Kanäle verteilt. Ein solches befindet sich selbstredend im Lieferumfang, genaugenommen handelt es sich um ein Adapter-Kabel, das an das fünf-polige Ausgangskabel anzuschließen ist. Josephson nennt die beiden Kanäle „W“ für das Signal der Kleinmembran-Kapsel und „X“ für das Großmembran-Signal. Die beiliegende, allerdings englischsprachige Bedienungsanleitung erklärt recht detailliert die praktische Arbeit mit dem C700A: Bei Pegelgleichheit beider Kapseln ergibt sich beispielsweise eine Nierencharakteristik, während eine Absenkung um -10 Dezibel des „W“-Kanals eine Hypernieren, eine entsprechende Absenkung des „X“-Kanals hingegen eine breite Niere ergibt.
Kommen wir zur Verstärkereinheit, die ebenfalls ein besonderes Augenmerk verdient. Die Schaltung der C700A-Verstärkereinheit entspricht der des C617 und basiert ebenfalls auf einer Kaskoden-Schaltung mit Bipolar-Transistoren. Es handelt sich mithin um eine zweistufige FET-Verstärkerschaltung, die gegenüber einfachen Emitter- beziehungsweise Source-Schaltungen eine höhere Bandbreite durch eine erhebliche Erhöhung der der oberen Grenzfrequenz.
Anderes als das C617, das ein sehr lautes Mikrofon ist, erweist sich das C700A als vergleichsweise geringempfindlich: Das Professional audio-Messlabor ermittelt für die Kleinmembran-Kapsel beziehungsweise den „W“-Kanal eine Empfindlichkeit von 9,1 mV/Pa, die Großmembran-Kapsel/der „X“-Kanal bringt es auf gerade mal 8,1 mV/Pa. Abhängig von der Signalstärke der Klangquelle muss der Mikrofon-Vorverstärker folglich für einen praxisgerechten Arbeitspegel vergleichsweise weit aufgedreht sein. Damit kommt es – Stichwort Eigenrauschen – auf den Geräuschpegelabstand des C700A an. Der ist, wie schon beim Test des C617, mit gemessenen 74, 2 Dezibel für den „W“-Kanal vergleichsweise durchschnittlich. Unsere Referenzmikrofone, das Schoeps MK 2H/CMC 6Ug und das Microtech Gefell M 930 bringen es auf 81 beziehungsweise 83 Dezibel. „Durchschnittlich“ bedeutet in diesem Zusammenhang keineswegs „schlecht“. Es handelt sich immer noch um gute Messwerte – einige Mitbewerber können es eben nur noch besser.
Für den Praxistest erstellen wir zwei Sonar 8-Projekte. Es handelt sich jeweils um zwei- beziehungsweise dreistimmige Gitarrenstücke, als Instrument kommt die wegen ihrer Ausgewogenheit für Testaufnahmen standardmäßig eingesetzte Sanchis Carpio 1AF Flamenco-Gitarre zum Einsatz, Vorverstärkung und AD-Wandlung übernehmen wie gewohnt der Lake People Mic-Amp F355 und der Lynx Aurora 8-Wandler. Wie bereits erwähnt, ergibt sich bei Pegelgleichheit von W- und X-Kanal eine Nierencharakteristik – die es in sich hat: Denn einen so kompakt-konturierten, stabilen Klang haben wir in der Vergangenheit nicht oft gehört. Gunther Pauler, einer der prominentesten C700A-Fans, schreibt dem Josephson-Mikrofon einen „Zoomeffekt“ zu. Beim Abhören der Aufnahmen ist sofort ohrenfällig, was der Meister meint. Tatsächlich schieben sich Solostimmen beziehungsweise Soloinstrumente automatisch nach vorne, genauer dem Hörer entgegen. Einen vergleichbaren Effekt – trotz anderer tonaler Ausrichtung – haben wir zuletzt beim Brauner Valvet X (Test in Ausgabe 12/2008) erlebt. Wenn wir uns die Kapseln solo, also den W- und den X-Kanal alleine anhören, fällt auf: Die Kleinmembran-Kapsel steht in puncto Auflösung und Impulsverhalten unserem Referenz-Mikrofon aus dem Hause Schoeps nicht nach. Der Druckempfänger des C700A zeichnet Schallereignisse mit vergleichbarer Akkuratesse auf, die Tiefenwiedergabe ist nach unserem Höreindruck ebenso exzellent. Allerdings ist das Schoeps eine Spur neutraler – obwohl es sich bei der MK 2H um eine diffusfeldentzerrte Kapsel handelt –, während die Kleinmembran des C700A etwas präsenter klingt, wenngleich es sich nur um einen Farbtupfer handelt. Wir haben eine Mischung erstellt, bei der die Anhebung im Frequenzgang via Equalizer korrigiert ist. Diesen Mix finden Sie zusammen mit anderen Klangbeispielen, welche einzelne Richtcharakteristika wie Breite Niere und Hypernieren zum Nachhören vorstellen, im Downloadbereich auf unserer Website www.professional-audio-magazin.de.
Der Großmembrankapsel ist bei hoher Auflösung sowohl eine gewisse Wärme, als auch eine Luftigkeit und Offenheit zueigen, die uns tendenziell an die AGK CK12-Kapsel beziehungsweise das C12 VR erinnert. Gerade zusammen mit dem W-Kanal, beispielsweise als breite Niere kann diese Kapsel voll überzeugen. Offenbar handelt es sich um eine ausgezeichnete Acht, was das Können David Josephons eindrucksvoll unterstreicht.
Fazit
Das Josephson C700A ist ein Spitzenmikrofon, das klanglich über jeden Zweifel erhaben ist und dank seines speziellen Twin-Designs in puncto Feinabstimmung des Klangs beim Mischen enorm flexibel ist. Vor allem als Solistenmikrofon spielt sich dieses Meisterstück im wahren Sinne des Wortes nach vorne und sorgt auch bei Mikrofonkennern für ein spontanes Aha-Erlebnis.
Erschienen in Ausgabe 11/2010
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 4152 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut
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