Der Legende so nah

Ein erschwingliches Mikrofon, das wie ein teurer Klassiker klingt – das gibt’s nicht. Gibt es doch. Zumindest nach dem Willen von United, den Schöpfern des UT Twin87.

Text und Fotos von Harald Wittig

United Studio Technologies ist ein junges, in Baton Rouge, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Louisiana residierendes Unternehmen, das sich auf die Nachschöpfung von Mikrofonklassikern spezialisiert hat.

Kein Wunder, denn Unternehmensgründer, Geschäftsführer und Chefdenker Chad Kelly war zuvor bei Warm Audio als Mikrofon-Designer beschäftigt.  Auf ihn, der eine jahrzehntelange Erfahrung als Toningenieur vorweisen kann, gehen die Warm Audio-Designs der Klassiker-Klone wie das WA-87 R2, als solches eine Nachschöpfung des Neumann U87, zurück. Folgerichtig befassen sich Chad Kelly und sein Partner Cave Daughdrill bei United Studio Technologies mit der Entwicklung von Mikrofonen nach klassischen Vorbildern, die Aufnahmegeschichte geschrieben haben. Seit der Gründung im Jahr 2017 ist das Produktportfolio überschaubar geblieben, denn es besteht genau aus zwei Mikrofonen. Das Modell UT FET47 ist das erste Mikrofon von United, orientiert sich am berühmten Neumann U47 FET und heimste regelrechte Begeisterungsstürme von Presse und Anwendern ein. Für einen Bruchteil des Preises eines neuen U47 FET oder Vintage-Originals im Bestzustand soll das mit knapp 1100 recht günstige UT FET47 klanglich in den großen Fußstapfen des Vorbilds wandern. Auch das zweite Mikrofon im Programm, UT Twin87 genannt und seit Kurzem erhältlich, orientiert sich an einem weltberühmten Vorbild: Das Neumann U87, zweifelsohne eines der bekanntesten und meist verwendeten Großmembranmikrofonen aller Tonaufnahmezeiten, stand Modell. Allerdings haben die Amerikaner nicht einfach eine Kopie des U87 gebaut. Stattdessen verfügt das UT Twin 87 über zwei verschiedene elektronische Schaltkreise, die sowohl die des ersten U87 i als auch die des neueren U87 Ai nachempfunden sind. Beide Schaltungen lassen sich individuell aktiveren, sodass dem Anwender zwei Klangcharakteristika zur Verfügung stehen. Die sollen den beiden Inkarnationen des großen U87 laut Hersteller nicht nachstehen. Na, das ist eine Aussage – immerhin kostet das UT Twin87 nur rund 830 Euro, während ein aktuelles Neumann U87 Ai mit einem dreieinhalb mal höheren Preis zu Buche schlägt. Dass ein so günstiger Preis nur mittels Auftragsfertigung im Reich der Mitte möglich ist, werden sich die meisten Leser schon gedacht haben. Wichtig zu wissen: Es handelt sich um eine echte Auftragsfertigung, wichtige Bauteile gibt es in dieser Form auch nur in den Mikrofonen von United Studio Technologies. Denn nach Aussagen von Chad Kelly ist das UT Twin87 das Ergebnis einer richtig langen Entwicklungszeit in der Original-Neumänner penibel untersucht und vermessen wurden, Lösungen gesucht, wieder verworfen und letztlich gefunden wurden. Klingt sehr spannend, finden wir, weswegen wir nach Durchsicht der Broschüre direkt ein nagelneues UT Twin87 zum Praxistest geladen.

Doppelt beseelt
Wir haben es mit einem Großmembran-Kondensatormikrofon mit umschaltbarer Richtcharakteristik zu tun. Neben der Niere stehen noch Acht und Kugel zu des Anwenders Verfügung. Die typische Doppelmembran-Kapsel des UT Twin 87 orientiert sich laut Hersteller an der originalen K87 Kapsel von Neumann, wie sie sich in den ersten U87-Modellen ab 1967 findet. Einen 1:1-Nachbau stellt die Kapsel wohl nicht da, denn die Macher sprechen von einer „Nachschöpfung“. In puncto Materialien gehen sie aber keine Kompromisse ein: Die Gegenelektroden sind aus massivem Messing gefräst, Mylar – eine besonders leichte und elastische Polyesterfolie auf Polyethylenterephtalat-Basis – aus Japan stellt das Membranmaterial. Das ist gerade mal sechs Mikrometer dünn und mit 24-karätigem Gold bedampft, was dem Standard hochwertiger Mikrofone entspricht. Selbstverständlich – immerhin ist das Vorbild die Neumann K87-Kapsel – ist die Kapsel mittengeschraubt. Über die Mittenschraubung wird bekanntlich die Polarisationsspannung des Kapselkondensators zugeführt und United Studio Technologies haben den Scharfblick fürs Detail gewahrt: Das Verbindungskäbelchen ist aus silberbeschichtetem Teflonkabel und damit alles andere als eine Billiglösung. Die Kapsel wir im Auftrag von United Studio Technologies in China  streng nach den Spezifikationen von Chad Kelly und ausschließlich für das UT Twin87 gefertigt. Es handelt sich also keineswegs um jene China-Stangenware, die sich in den zahllosen Billig-Schallwandlern mit ihren diversen finden. Folgerichtig ist die Kapsel soweit ersichtlich einwandfrei und wie gesagt aus hochwertigen Materialien gemacht.

Hinter dem dreilagigen Schutzkorb verbirgt sich die Doppelmembran-Kapsel des UT Twin87, die eine Nachschöpfung der berühmten Neumann K87-Kapsel darstellt.

Hinter dem dreilagigen Schutzkorb verbirgt sich die Doppelmembran-Kapsel des UT Twin87, die eine Nachschöpfung der berühmten Neumann K87-Kapsel darstellt.

Auch die Zwillings-Elektronik verwendet chinesische Bauteile, wobei der üppig dimensionierte Ausgangsübertrager nach den strengen Vorgaben Chad Kellys aus us-amerikanischen Materialien in den USA gemacht wird und deswegen stolz den „Made in USA“-Schriftzug trägt. Die Verarbeitung der Verstärkerelektronik ist gut, ohne – das muss gesagt sein – auf dem HighEnd-Niveau eines Neumann U87 zu sein.

Die beiden unterschiedlichen Schaltkreise werden über einen Schalter am Gehäuse instruktiv mit „Vintage“ und „Modern“ beschriftet aktiviert. Steht der Schalter auf Vintage, wird die Kapsel des Mikrofons direkt mit der +48 Volt-Phantomspannung unter Nutzung der Bauweise mit isolierten Gegenelektroden polarisiert. In Schalterstellung „Modern“ hingegen wird die Kapsel mittels Feldeffekttransistor-Oszillator-Schaltkreises mit einer höheren Spannung von 60 Volt – das entspricht dem Neumann U87 Ai – polarisiert. Das hat zunächst zur Folge, dass der Ausgangspegel nun höher ist. Gleichzeitig soll sich auch der Klang des Mikrofons ändern: Während das Mikrofon in Stellung „Vintage“ weicher und etwas zurückhaltender klingen soll, sorge „Modern“ für einen direkteren und knackigeren Ton. Also ungefähr so, wie die alten und neuen Neumänner meistens beschrieben werden. Darauf werden wir noch später, im Rahmen des Klang- und Hörtests ausführlich eingehen. An dieser Stelle wollen wir aber einen Blick auf die Frequenzgänge werfen, die in der übrigens sehr wortreichen und informativen Bedienungsanleitung abgedruckt sind: Während nämlich der „Vintage“-Frequenzgang einen vergleichsweise geringe Höhenanhebung und im Bassbereich bis hinunter 50 Hertz schnurgerade verläuft, zeigt die „Modern“-Kurve eine stärker ausgeprägte Höhenanhebung um zehn Kilohertz. Im wichtigen Mitten-und Bassbereich sind beide Kurven aber praktisch deckungsgleich. Ob sich die beiden Frequenzgänge auch im Klangbild widerspiegeln – wie werden es zu gegebener Zeit herausfinden.

Zum Lieferumfang gehört neben einem Etui fürs Mikrofon auch eine brauchbare elastische Halterung.

Zum Lieferumfang gehört neben einem Etui fürs Mikrofon auch eine brauchbare elastische Halterung.

Mehr als eine Kopie
Das Hochfrequenzfilter, das Neumann beim U87 Ai implementierte, um es, nachdem sich das Mikrofon als das Sprecher-Mikrofon schlechthin im Rundfunk etabliert hatte, immun gegen hochfrequente Einstreuungen zu machen, findet sich auch beim UT Twin87. Allerdings hat sich Chad Kelly ein besonderes Schmankerl ausgedacht. Das RF-Filter in seinem Mikrofon lässt sich über DIP-Schalterchen im Inneren deaktivieren. Damit trägt der Entwickler der unablässig in der Szene zirkulierenden Behauptung, wonach das U87 Ai ohne RF-Filter offener klänge, Rechnung. Ab Werk ist das Filter übrigens deaktiviert. Das Mikrofon muss also aufgeschraubt werden, um das Filter über das Mäuseklavier zu aktivieren.

Das UT Twin87 verfügt auch über ein Hochpassfilter, das über einen Schalter am Gehäuse aktiviert wird, sowie über einen Vordämpfungsschalter, der den Grenzschalldruckpegel um 10 dB von 117 dB auf 127 dB erhöht. Das entspricht exakt den Neumann-Werten, sodass das Mikrofon einmal mehr nahe am großen Vorbild ist. Damit ist auch das UT Twin87 nicht unbedingt ein Spezialist für die Aufzeichnung sehr lauter Schallquellen. Muss auch nicht sein, solange es wie das Vorbild als Solisten-Mikrofon für Gesang und Instrumente gut bei Stimme ist.

Die Verarbeitung des vergleichsweise massiven Gehäuses mit seinen satt rastenden Schaltern und des die Kapsel behütende dreilagige Drahtschutzkorb nach U87i-Vorbild ist definitiv auf Oberklasse-Niveau. Das Mikrofon lässt sich geschmeidig auf- und wieder zusammenschrauben, Nickelfinish und Gravuren sind sauber ausgeführt. Dass der Kopf ganz anders aussieht als der des Neumann U87 gefällt uns ausgesprochen gut. Damit macht der Hersteller letztlich auch klar: Wir machen keine schnöden Kopien, sondern gehen unseren eigenen Weg zum angestrebten Klang.

Mit dem Klang des UT Twin87 wollen wir uns jetzt auch befassen. Dafür fertigen wir unter Logic Pro mit unserer Referenzkombination,  bestehend aus Lake People Mic-Amp F355 und Mytek 8 x 192 ADDA plus Mutec MC3+USB, verschiedne Sprach-, Gesangs- und Instrumentalaufnahmen an.

Die ordentliche Spinne macht die Montage und Ausrichtung des Mikrofons am Stativ einfach. Bei der Auswahl zwischen den beiden Schaltungsvarianten „Vintage“ und „Modern“ ist grundsätzlich nur der Schalter entsprechend zu positionieren. Dennoch ist das Mikrofon erst nach etwa zehn Sekunden aufnahmebereit – ein wenig Geduld müssen also auch Eilige aufbringen.

Zwei unterschiedliche Schaltkreise verbergen sich hinter dem Mikrofontubus aus Messing. Beide stellen Nachschöpfungen der Elektronik des ersten U87i und des U87A dar. Mit dem „Mäuseklavier“ (im linken Bild unten) lässt sich das Hochfrequenz-Filter aktivieren/deaktivieren. Der üppig dimensionierte Ausgangsübertrager ist „Made in USA“ und eine Sonderanfertigung nach den Spezifikationen von United Studio Technologies.

Zwei unterschiedliche Schaltkreise verbergen sich hinter dem Mikrofontubus aus Messing. Beide stellen Nachschöpfungen der Elektronik des ersten U87i und des U87A dar. Mit dem „Mäuseklavier“ (im linken Bild unten) lässt sich das Hochfrequenz-Filter aktivieren/deaktivieren. Der üppig dimensionierte Ausgangsübertrager ist „Made in USA“ und eine Sonderanfertigung nach den Spezifikationen von United Studio Technologies.

Das originale Neumann U87 – das gilt für alle Ausführungen – zeichnet sich klanglich durch hohe Ausgewogenheit, einen sehr stabilen Mittenbereich und hochfeine Auflösung aus. Nach unseren früheren Test-Erfahrungen mit der Neumann-Legende, die eben diese überall nachzulesenden Eigenschaften des U87 (Ai) bestätigt haben, sind wir sehr gespannt, was das UT Twin87 so drauf hat. Nun: Das amerikanisch-chinesische Mikrofon ist definitiv kein Billigteil mit grässlich überpräsentem, grobkörnigem Klang. Im Gegenteil tönt es angenehm ausgewogen mit  tatsächlich sehr stabilem Mittenbereich. Der Nahheitseffekt ist in Stellung „Vintage“ etwas stärker ausgeprägt als im Modus „Modern“ – insoweit ist die Nähe zum großen Vorbild jedenfalls da. In Einstellung „Modern“ ist das Mikrofon deutlich lauter als im „Vintage“-Modus und die Aufnahmen klingen direkter. Anders ausgedrückt: Eine Sprecher- oder Gesangsstimme springt den Hörer förmlich an. „Vintage“ sorgt für einen zurückhaltenderen, in den Höhen etwas sanfteren Klang, der angenehm ins Ohr geht, allerdings nicht die Griffigkeit hat, die „Modern“ bringt. Wir nehmen noch nacheinander Konzertgitarre sowie E-Gitarre – in diesem Fall mikrofonieren wie einen Fender Concert Amp II, Baujahr 1993, mit dem UT Twin87 – und stellen beim Abhören der Aufnahmen fest: Die Auflösung des Mikrofons ist gut, aber doch nicht auf dem Niveau eines Spitzen-Schallwandlers. Feinste Nuancen erfasst sicherlich gute Mikrofon, wie eine Vergleichsaufnahme mit dem Sennheiser MKH-40 – Ja, ja, ist ein Stäbchen, schon klar – belegen. Gleichwohl klingt’s farbig, auch räumlich und ohrenschmeichelnd. Das gilt für die Akustikgitarren- und die E-Gitarren-Aufnahmen. Dass sich das UT Twin87 zudem in puncto Eigenrauschen vorbildlich zurückhaltend und als Saubermännlein erweist, tut ein Übriges, um ihm eine überzeugende Gesamtleistung zu attestieren. Abstrakt gesehen haben wir es mit einem Oberklasse-Mikrofon zu tun, dass dank seines besonderen Schaltungsdesigns klanglich außergewöhnlich variabel ist. Ersetzt es denn ein originales U87i und/oder U87 Ai? Klare Antwort: Nein. Aber es kommt dem großen Vorbild näher als viele Möchtegern-Kopien. Somit ist unterm Strich alles im Grünen. Denn das UT Twin87 bietet sehr viel fürs Geld.