Blendend
Der puristische Transistor-Preamp klingt Ihnen manchmal zu clean? Vintage-Channelstrips färben Ihnen oft zu sehr? „Kein Problem“, sagen die Entwickler von Universal Audio, denn der einkanalige 710 Twin-Finity kombiniert Transistor- und Röhrenschaltung und bietet dank stufenloser Blend-Funktion unzählige Klangvariationen.
Von Michael Nötges
Bill Putnam Sr., Urvater von Urei, Studio Electronics und Universal Audio, hat mit seinen Outboard-Entwicklungen Pro-Audio-Geschichte geschrieben. Zumindest sind der Kompressor Urei 1176, sowie der Channelstrip LA-610 den meisten Produzenten und Toningenieuren ein Begriff und schaut man sich in den großen Studios auf der ganzen Welt um, taucht fast immer irgendwo das UA-, Urei- oder Studio Electronics-Logo im Outboard-Rack auf.
Die beiden Söhne Bill und Jim treten nun in die Fußstapfen ihres Vaters und greifen selbstverständlich auf das einschlägige Know-how des Seniors in Bezug auf Röhren- und Transistorschaltungen und den etablierten Markennamen Universal Audio zurück. Die Konzentration liegt auf dem authentischen Nachbau analogen Vintage-Equipments und neuerdings auch auf deren digitale Emulation in Form von Plug-ins.
Der neuste Hardware-Streich von Universal Audio ist der einkanalige Mikrofon/Line-Vorverstärker 710 Twin-Finity, der durch seinen zusätzlichen Hi-Z-Eingang auch als Instrumentenverstärker taugt. Wie die deutsche Pro-Audio-Manufaktur SPL bei ihrer Gain Station (Test in Ausgabe 6/2006), setzt der amerikanische Hersteller in Sachen Schaltungsdesign auf die Kombination von Transistor- und Röhrenverstärker. Das bedeutet in der Recording-Praxis also kein Entweder-oder, sondern vielmehr ein beherztes Sowohl-als-auch. Denn das Verhältnis der Verstärkungsanteile beider Schaltkreise lässt sich stufenlos mischen und bietet somit hohe Flexibilität bei der Klangestaltung. Von neutral und verzerrungsarm – 100 Prozent Transistorverstärkung – über angenehm angedickt durch die harmonischen Verzerrungen der Röhrensättigung – 50/50-Verhältnis –, bis hin zu heftigem Overdrive, sei laut Hersteller alles möglich. Der neue Universal Audio 710 Twin-Finity kostet knapp unter 1.000 Euro und liegt damit in derselben Preisklasse wie die SPL Gain Station.
Der Twin-Finity 710 bringt mit 2,4 Kilogramm gerade einmal die Hälfte vergleichbar dimensionierter Vorverstärker, wie etwa der Edax VTP-100 (Test in Ausgabe 11/2008), auf die Waage. Den halben 19-Zöller ziert eine silbergraue Fronplatte, die zusammen mit den nostalgischen Kippschaltern, den griffigen sowie leichtgängigen Drehreglern und dem hinterleuchteten VU-Meter einen edlen Vinatge-Look vermitteln. Auch im innern greifen die Entwickler auf modifizierte Schaltungskreise vergangener Tage zurück.
Dem 710 Twin-Finity hat Universal Audio in Anlehnung an die Preamps der ersten 610-Konsole einen Röhren-Verstärker in Class-A-Schaltung spendiert. Das Zentrum bildet eine Doppeltriode (ECC83s) des slowakischen Herstellers JJ. Parallel dazu greifen die Entwickler auf einen integrierten Transimpedanz-Transistor-Vorverstärker – stromrückgekoppelter Operationsverstärker – zurück, mit dem Ziel, ein möglichst naturtreues und THD-armes Signal zu erzeugen, das den Klang nicht einfärbt. Außerdem verzichten die Entwickler bewusst auf Transformatoren sowie andere Bauelemente im Signalweg, die den Klang beeinflussen könnten. Ziel war es, ein möglichst puristisches Abbild der Schallquelle zu bekommen. Der Clou dieser Schaltungskombination steckt in der Summierung der beiden Verstärkerstufen. Der Blend-Regler bestimmt dabei das Verhältnis zwischen Röhren- und Transistorschaltkreis, vergleichbar mit dem Balance-Regler eines Stereo-Kanals am Mischpult. Auf Linksanschlag liefert der 710 Twin-Finity ein zu 100 Prozent durch den Transistor-Schaltkreis verstärktes Signal, auf Rechtsanschlag reine Röhren-Verstärkung. Diese spezielle Hybrid-Schaltung ermöglicht es, das Verhältnis beider Verstärkungsprinzipien stufenlos zu mischen und soll damit klanglich von glasklar bis vintage-warm alles bedienen können. Hinzu kommt, dass die Eingangsstufe den Klang maßgeblich beeinflusst, indem sie zunächst mit steigender Eingangs-Gain harmonische und dann aber auch unharmonische Verzerrungen addiert (siehe FFT-Spektren). Dadurch steigt zusätzlich die Flexibilität auf der Suche nach dem jeweils passenden Sound. Zu den klanglichen Auswirkung mehr im Hör- und Praxistest. Die Ausgangsstufe, regelbar über den Level-Pegelsteller – Universal Audio ist bemüht sie möglicht neutral zu halten – passt den Pegel für nachfolgende A/D-Wandler an.
Damit wären bereits drei Bedienelemente des 710 Twin-Finity erklärt. Eine weitere Besonderheit ist das umschaltbare VU-Meter. Entweder zeigt es den Ausgangspegel an oder informiert über die Verzerrung (THD) der Eingangstufe. Schlägt die Nadel bis zur Position 0VU aus, entspricht das, laut Hersteller, einem Klirrfaktor von 1,2 Prozent, gemessen bei einer Sinusschwingung von einem Kilohertz. Außerdem bietet der 710 Twin-Finity je einen Kippschalter für die Phantomspannung, die Phasenumkehrung, das Trittschallfilter (Besselfilter bei 75 Hertz), einen PAD von 15 Dezibel für den Mikrofoneingang, sowie das Umschalten auf den Line-Betrieb.
Der Vorverstärker besitzt neben den beiden symmetrischen XLR-Eingängen auf der Rückseite des Gerätes für Line- und Mikrofon-Pegel und dem ebenso symmetrischen XLR-Ausgang, einen zusätzlichen Hi-Z-Eingang. Dieser Direct-Injection-Instrumenten-Eingang findet sich für den komfortablen Zugriff auf der Vorderseite des Preamps und verfügt über eine Eingangsimpedanz von 2,2 Megaohm. Zum Einspielen von E-Gitarre oder E-Bass ist kein Umschalten notwendig, da beim Einstöpseln des unsymmetrischen Instrumenten-Kabels automatisch die rückseitigen XLR-Anschlüsse deaktiviert werden.
Messtechnisch überzeugt zunächst die hohe Eingangsempfindlichkeit (-65 dBu) des Mikrofonverstärkers. Selbst schwachen Bändchenmikrofonen oder dyna-mischen Schallwandlern bietet der 710 Twin-Finity damit genügend Verstärkungsreserven zum optimalen Aussteuern. Der Klirrfaktor liegt bei mehr als guten 0,03 Prozent für den Transistor-Verstärker und bei 1,5 Prozent für den Röhren-Pre-amp. Verantwortlich für dessen relativ hohen Wert sind die angenehm klingenden harmonischen Verzerrungen zweiter Ordnung, die entstehen, wenn man die Röhre zunehmend in die Sättigung fährt. Mit einem Geräusch- und Fremdspannungsabstand von 80,6 und 78,2 Dezibel für den Mikrofon- und 96,9 und 93,2 für den Line-Eingang liefert der 710 Twin-Finity sehr gute Ergebnisse. Weniger erfreulich sind allerdings die Werte des Instrumenteneingangs, die mit 58,8 und 56,1 nicht wirklich überzeugen können. Das bekommen viele Hersteller wie exemplarisch der Test des P-Solo von True Systems (88,7 und 86,1 Dezibel) in der letzten Ausgabe zeigt, wesentlich besser hin. Mit einer Gleichtaktunterdrückung von 68 Dezibel treten Probleme durch unliebsame Einstreuungen, wenn überhaupt, erst bei extrem langen Kabelstrecken auf. Für den Einsatz im Studio ist sie aber mehr als ausreichend.
Für den Hör- und Praxistest von Professional audio Magazin nehmen wir Gesang mit dem AKG C12 VR (Test in Ausgabe 11/2008) und Akustikgitarre mit dem Sennheiser MKH 40 (Test in Ausgabe 5/2006) auf. Aufnahmen mit den selben Mikrofonen über den Lake People F355 (Test in Ausgabe 8/2006) dienen als Referenz. Anschließend prüfen wir den Instrumenteneingang mit E-Bass und E-Gitarre auf Sound und Praxis-tauglichkeit.
Für die Akustikgitarrenaufnahmen beginnen wir mit dem Versuch, ein verfärbungsfreies Ergebnis zu bekommen. Dafür steht der Gain-Regler zwischen den Positionen zwei und drei, der Blend-Regler auf Linksanschlag und der Level-Regler auf neun. Das Ergebnis ist überzeugend. Auflösung und Impulsverhalten sind sehr gut, so dass auch feine Nuancen adäquat wiedergegeben werden. Das zeigt sich am eindrucksvollsten durch die detaillierte Umsetzung der Anschlagsgeräusche und die Abbildung der Raumanteile. Auch wenn der 710 Twin-Finity dem F355 von Lake People auf seinem Spezialgebiet nicht ganz das Wasser reichen kann, ist die Schnelligkeit und Breitbandigkeit des Transistor-Schaltkreises ausgezeichnet und vor allem ist er wie versprochen wirklich neutral.
Das lässt sich ändern. Für die nächsten beiden Takes steht der Blend-Regler erst auf 12 Uhr und dann auf Rechtsanschlag, um dem Sound des Röhrenschaltkreises auszuloten. Die Mittelstellung zeigt sich als gelungener Mix beider Welten. Zum einen verfügt die Testaufnahme über die knackige Spritzigkeit der Transistorschaltung, zum anderen erscheinen besonders die Transienten etwas weicher und edler. Die unteren Mitten bekommen mehr Gewicht, die Aufnahme wirkt etwas aufgerauter und irgendwie auch organischer. Jetzt wollen wir’s wissen. Der Blend-Regler steht beim nächsten Take auf Rechtsanschlag. Zu hören ist ein fetter, satter Vintage-Sound, welcher der Gitarrenaufnahme reichlich Farbe und lebendigen Charakter spendiert. Sie wirkt jetzt insgesamt mächtiger und kraftvoller, was zwar mit Sicherheit nicht jedermanns Ding ist, sich aber durch Zurückdrehen des Blend-Reglers entschärfen lässt. Sehr interessant ist die Vielseitigkeit und Flexibilität des 710 Twin-Finity, da er sich auf unterschiedliche Instrumente und Mikrofone anpassen lässt. Klingt eine Gitarre eben von Natur aus etwas dünn und perkussiv, und das Mikrofon überträgt gnadenlos ehrlich das, was es geliefert bekommt, verhilft das Beimischen des Röhrenschaltkreises zu einem kräftigeren und charaktervollen Ton.
Ähnlich sieht es bei den Gesangaufnahmen aus. Soll der Klang des Mikrofons den Gesamtsound bestimmen, empfiehlt sich die reine Transistor-Einstellung. Im Falle des AKG C12 VR zeigt sich das Timbre des Sängers mit überzeugendem Detailreichtum. Man hört förmlich die Stimmbänder schwingen und der Gesang kommt sehr direkt und glasklar. Mit steigendem Röhrenverstärkeranteil erscheint die Stimme zunehmend griffiger und wächst förmlich über sich hinaus. Die Klangfarbe bekommt mehr Kontrast und Sättigung. Konsonanten und S-Laute erscheinen geschmackvoll abgerundet. Darf’s ein bisschen mehr Vintage-Sound sein, um die Rockröhre anzuheizen, dreht man den Blend-Regler nach rechts. Ist puristische Klarheit bei klassischem Gesang gefragt, steht er auf Linksanschlag – ganz einfach.
Zum Schluss stöpseln wir eine E-Gitarre und dann einen E-Bass in den Instrumenteneingang. Bei geringer Eingangs-Gain klingt die Strat sehr authentisch und Impulsiv. Besonders die Zwischenstellungen der Pickups überzeugend durch ihren klirrend quäkenden Sound. Besonders lecker klingt der reichhaltige cleane Sound über die Röhren-Schaltung. Das gilt auch für den E-Bass, der bei dieser Einstellung durch den Röhrenschaltkreis voll, rund und mit jeder Menge Zusatzpfund zu gesteigertem Spielspaß führt.
Jetzt wollen wir wissen, was der Preamp in Sachen Verzerrung drauf hat und erhöhen die Eingangs-Gain für die E-Gitarren-Aufnahme. Die THD überwachen wir mit dem VU-Meter, indem wir den Drive-Schalter umlegen. Bis der Gain-Regler auf Position vier steht, zerrt die Eingangsstufe recht zahm und angenehm. Darüber hinaus werden die unharmonischen Verzerrungen wie k3 und k5 deutlich hörbar. Das äußert sich in einem ziemlich harschen und aggressiven Klang. Außerdem wird zunehmend ein leichtes Rauschen hörbar, was bei den geringen Geräusch- und Fremdspannungsabständen kein Wunder ist. Die zunehmende Verzerrung der Eingangsstufe kommt beim E-Bass wesentlich besser und liefert ab Stellung sieben einen brachialen Fuzz-Sound, der, als Effekt eingesetzt, durchaus seinen Charme hat.
Der 710 Twin-Finity von Universal Audio ist dank seiner stufenlosen Kombinationsmöglichkeit von Röhren- und Transistorschaltung sehr universell einsetzbar und liefert eine Vielzahl von klanglichen Variationen. Die Facetten reichen von puristisch transparent über röhrig satt bis hin zu harschen Zerrsounds, wobei Auflösung und Impulsverhalten durch die Bank sehr gut sind. In Anbetracht der Fülle an Klanggestaltungsmöglichkeiten sind 920 Euro ein mehr als fairer Preis.
Erschienen in Ausgabe 01/2009
Preisklasse: Spitzenklasse
Preis: 920 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut – überragend
Hinterlasse einen Kommentar