Kompetenter Kontrollator
Kopfhörer sind eine feine Sache, zur Beurteilung einer Mischung taugen sie aber wenig. Es sei denn, der Hörer wird an Focusrite´ cleverer VRM Box betrieben.
Von Harald Wittig
Die sogenannte Im-Kopf-Lokalisation ist der Grund, weswegen die präzise Lokalisation von Signalquellen im Stereobild unmöglich ist und insoweit das Mischen und die Beurteilung des Ergebnisses über Kopfhörer verbietet. Aus diesem Grund sind Abhörmonitore und ein akustisch optimierter Raum fürs Mischen nach wie vor unerlässlich. Diese sind aber, vor allem vielen homrecordenden Alleintätern nicht gegeben. Eine Lösung kann die sogennante VRM-Technologie von Focusrite sein.
Die Abkürzung steht für Virtuelles-Referenz-Monitoring, die Briten setzen dabei auf eine digitale Emulation von Lautsprechern und Räumen, so dass der Anwender über Kopfhörer seinen Mix unter Studio- oder Wohnraumbedingungen beurteilen kann. Seine Premiere hatte VRM mit dem Audio-Interface Saffire PRO 24 DSP (Test in Ausgabe 11/2009), jetzt gibt es die VRM-Technologie in abgespeckter und mit 111 Euro sehr günstiger Ausführung in Form der quadratischen, gerade mal handtellergroßen VRM Box. Dabei handelt es sich um einen Kopfhörerverstärker mit USB Audio-Interface-Funktion, der als Ergänzung zur DAW gedacht ist. Die VRM Box lässt sich entweder als USB-Haupt-Audiointerface unter Windows sowie MAC OS X ab Leopard verwenden und fungiert dann als Audio-Ausgang. Dafür ist für beide Betriebssysteme keine Treiberinstallation erforderlich. Soll das Kistchen indes im Verbund mit einer DAW-Anwendung aufspielen, ist im PC-Falle der auf der CD befindliche ASIO-Treiber zu installieren, beim Mac ist der VRM-Core-Audio-Treiber schon an Bord. Die Installation des ASIO-Treibers empfiehlt sich wegen des berüchtigten Windows Kernel-Mixers übrigens auch beim Nur-Hören über Freeware-Mediaplayer wie den Winmap oder auch Foobar, für die es entsprechende ASIO-Plug-ins gibt. Allerdings kann die VRM Box nur für Projekte mit den Abtastraten von 44, 1 und 48 Kilohertz wiedergeben, höhere Samplingraten unterstützt das Gerät nicht. Wer über ein Audio-Interface mit S/PDIF-Ausgang verfügt, ist klar im Vorteil: Die VRM Box hat einen S/PDIF-Digitaleingang, der alle Samplingraten von 32 bis 96 KHz unterstützt. In jedem Fall – ob im Stand-alone-Betrieb oder als Interface-Anhängsel – muss die VRM Box, da „Bus-powered“, mit dem Rechner verbunden sein.
Um in den Genuss der VRM-Technologie und der Lautsprecher- und Raum-Emulationen zu kommen, ist die VRM-Software zu installieren. Die Installation geht auf Mac und PC leicht von der Hand, die Bedienung ist dank der übersichtlichen Benutzeroberfläche der VRM-Kontroll-Software jedermann zugänglich. Herzstück sind die drei Referenz-Räume, „Professional Studio“, die Regie eines Profi-Studios, „Bedroom“ – hierbei handelt es sich um eine Arbeits-Wohn-Schlafraum-Kombination – und „Living Room“, also ein eingerichtetes Wohnzimmer. Den virtuellen Räumen liegt jeweils ein Hallalgorithmus zugrunde, der nicht nur die Raumabmessungen, sondern auch entscheidende Parameter wie Absorbtionsgrad und die Reflexionen von Wänden, Boden und Decken berücksichtigt. Die 14 Lautsprecher-Simulationen basieren auf Messungen des Impulsverhaltens realer Lautsprecher, die eigentliche Emulation erfolgt nach dem Faltungsprinzip. Gegenüber der Erstauflage der VRM-Technologie haben inzwischen einige namhafte Lautsprecher-Hersteller die Verwendung ihrer Modelle lizenziert. Beispielsweise findet sich der ADAM S2.5A, der Genelec 1031A oder die KRK-Modelle VXT8 und RP6 G2 nicht mehr unter Pseudonym, sondern mit dem Klarnamen in der Software. Hinzu kommen Emulationen von Studio-Klassikern wie Auratone 5C und Yamaha NS-10 sowie eine Auswahl von Consumer-Lautsprechern, angefangen bei Desktop-PC-Tröten, über LCD-Fernseher-Lautsprecher bis hin zu aufwändigen HiFi-Lautsprechern britischer Herkunft. Damit deckt die VRM-Software ein breites Spektrum möglicher Referenz- und Vergleichs-Abhöranlagen, besser Abhör-Situationen ab.
Hören wir uns die VRM Box an, zunächst ohne VRM, also als reiner USB-Kopfhörerverstärker. Insgesamt klingt das Kistchen erstaunlich gut und übertrifft die Kopfhörerausgänge der meisten Audio-Interfaces bis zur Mittelklasse locker. Der Klang ist insgesamt ganz gut ausgewogen, tendenziell, wegen leicht angehobener Tiefmitten warm, ohne die Charakteristik der Kopfhörer zu verfälschen. Sehr gute Kopfhörer wie unsere Referenz, der AKG K 702 behalten ihre Präzision und das hohe Auflösungsvermögen, was das Aufspüren von Störgeräuschen, aber auch die Beurteilung von Klangformern wie Equalizern, Kompressoren oder die klangliche Auswirkung virtueller Hallräume nach einer gewissen Einhörphase vergleichsweise einfach macht. Niemand sollte von der winzigen und günstigen VRM Box den überlegenen Klang eines High End-Kopfhörerverstärkers erwarten, dennoch schlägt sich der kleine Taschenspieler sehr achtbar.
Im Verbund mit der VRM-Software lässt sich tatsächlich überprüfen, was letztlich von der kunstvollen Mischung übrigbleibt. Gleichzeitig ist die VRM-Technologie sehr hilfreich, um bei der Klangoptimierung nicht übers Ziel hinaus zu schießen. Ein konkretes Beispiel: Akustik-Gitarrenaufnahmen – vor allem bei nah mikrofonierten Instrumenten – leiden oft unter dem unvermeidbaren Nebengeräuschanteil, bedingt durch die geringe Lautstärke des Instruments. Diese lassen sich durch gezieltes Filtern unterdrücken, dient als alleinige Kontroll-Instanz jedoch nur der Kopfhörer, neigen Unerfahrene dazu, zu übertreiben, was am Ende zur Verschlimmbesserung, im Extremfall zur Unanhörbarkeit einer Aufnahme führt. Wir wählen beispielsweise „Living Room“, als Lautsprecher „British 90´s Hi-Fi“ und hören uns ein bereits fertiges ein Arrangement für drei Konzertgitarren an: Die über Kopfhörer mehr oder weniger penetranten Anschlags- und Rutschgeräusche treten deutlich zurück, der Klang wird allerdings auch etwas voluminöser, was sowohl den emulierten Lautsprechern als auch an virtuellen Raummoden liegt. Der Effekt ändert sich je nach Lautsprecher-Modell zum Guten oder zum Schlechten, in jedem Fall ist das künstliche Wohnzimmer eine gute Kontrollinstanz, um beispielsweise bei anderen Projekten den Bassbereich feinzustimmen. Die emulierten Lautsprecher – zumindest die, die wir aus eigener Praxis kennen – sind in ihrer Klangcharakteristik gut getroffen: So besitzt der ADAM S2.5A die typische ADAM-Charakteristik bei der Höhenwiedergabe und in Verbindung mit „Professional Studio“ klingt es über Kopfhörer ähnlich wie im Professional audio-Studio, wo wir über den ADAM S3X-H abhören. Wer seinerseits deutliche Abweichungen zu seinem eigenen Monitor hört, darf nicht vergessen, dass der Raum immer ein klangentscheidendes Wörtchen mitredet. Sicher wird nicht jeder mit der VRM Box klarkommen, denn als Schallwandler dient immer noch ein Kopfhörer, weswegen sich schlichtweg ein anderes Hörgefühl im Vergleich zum Abhören über Monitore ergibt. Insoweit spielen psychoakustische Einflüsse beim subjektiven Klangeindruck mit hinein, so dass mit diesem pfiffigen Interface in erster Linie bekennenden Kopfhörerfans eine kompetente Kontrollinstanz für wenig Geld bekommen.
Fazit
Die VRM Box kann überzeugen: Als reiner USB-Kopfhörerverstärker klingt das sehr kostengünstige Kistchen deutlich besser als die Kopfhörerausgänge der meisten Mittelklasse-Interfaces, zusammen mit der VRM-Technologie erweist es sich für Kopfhörerfans, einen guten Kopfhörer vorausgesetzt, als durchaus zuverlässige Kontrollinstanz zur Überprüfung von Mischungen in verschiedenen virtuellen Abhörumgebungen.
Erschienen in Ausgabe 07/2011
Preisklasse: Mittelklasse
Preis: 111 €
Bewertung: sehr gut
Preis/Leistung: sehr gut – überragend
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